Bibel-Code

Sind in der Bibel Botschaften versteckt, die den Terroranschlag auf das World Trade Center und andere Ereignisse vorhersagten? Glaubt man dem US-Bestsellerautor Michael Drosnin ("Der Bibel Code"), dann ist dies der Fall. Man muss angeblich nur die Buchstaben des hebräischen Bibel-Originaltexts in die richtige Reihenfolge bringen, und schon kommen die unglaublichsten Prognosen zum Vorschein. Hat etwa Gott selbst diese Prophezeiungen in der Bibel versteckt? Ein genauer Blick auf die Fakten lässt die Sache nicht ganz so spektakulär erscheinen.

Eine alte Idee wird aufgefrischt

Die Idee, in der Bibel nach verborgenen Botschaften zu suchen geht auf eine alte jüdische Tradition zurück. Der erste Wissenschaftler, der sich mit diesem Thema beschäftigte, war 1983 der bekannte israelische Mathematiker Eliyahu Rips, der für seine Arbeiten den Physiker Doron Witztum engagierte. Die beiden gläubigen Juden nahmen den Text der Thora (diese entspricht etwa dem Alten Testament) und bildeten daraus so genannte äquidistante Buchstabenfolgen. Eine solche Folge entsteht, wenn man in einem Text nicht alle Buchstaben, sondern beispielsweise nur jeden fünften oder jeden zehnten betrachtet. Wortzwischenräume und Satzzeichen werden dabei ignoriert. In der Regel entsteht auf diese Weise eine sinnlose Aneinanderreihung von Buchstaben, in der höchstens per Zufall das eine oder andere sinnvolle Wort zu erkennen ist. Ergeben sich dagegen in einer äquidistanten Buchstabenfolge mehrere sinnvolle Wörter, die sich zu einer Nachricht zusammenfügen, dann spricht dies dafür, dass der Urheber bewusst eine versteckte Botschaft in den Text kodiert hat.

Rips' und Witztums Plan bestand darin, in äquidistanten Buchstabenfolgen aus der Thora nach den Namen und Lebensdaten bedeutender Juden zu suchen. Zu diesem Zweck entwickelten die beiden Wissenschaftler ein statistisches Modell, das klären sollte, ob hinter eventuellen Sucherfolgen der Zufall steckte oder ob tatsächlich eine absichtliche Kodierung vorlag. Das Ergebnis der Suche war höchst erstaunlich: Nach den Berechnungen von Rips und Witztum fanden sich in den untersuchten äquidistanten Buchstabenfolgen so viele Namen und Lebensdaten prominenter Juden, dass der Zufall als Erklärung ausschied. Da alle entdeckten Personen erst nach Niederschrift der Thora lebten, schien dieses Resultat wissenschaftlich nicht erklärbar zu sein. Da Diskussionen mit anderen Wissenschaftlern und verfeinerte Suchmethoden das überraschende Ergebnis zu bestätigen schienen, veröffentlichten Rips und Witztum ihre Erkenntnisse 1994 in der renommierten Fachzeitschrift Statistical Science.

Trotz des interessanten Inhalts nahm außerhalb der Forschergemeinde zunächst kaum jemand den Artikel über die angeblichen Thora-Botschaften zur Kenntnis. Dies sollte sich ändern, als der US-Journalist Michael Drosnin von Rips' Arbeiten hörte. Drosnin informierte sich bei dem israelischen Mathematiker und witterte eine interessante Story. Offensichtlich empfand er es jedoch nicht als spektakulär genug, dass in der Thora lediglich Prominente aus der Welt des Judentums mit ihren Geburts- und Sterbedaten verewigt waren. Daher machte sich Drosnin selbst an die Arbeit und durchsuchte äquidistante Buchstabenfolgen aus dem Alten Testament nach etwaigen Botschaften. Im Gegensatz zu Rips verzichtete Drosnin dabei auf ein statistisches Modell und suchte stattdessen nach allerlei Begriffen, die er bei entsprechender Variation der Schrittweiten oft auch fand. So stieß Drosnin beispielsweise auf Buchstabenkombinationen, die sich auf Hebräisch als "Jitzhak Rabin" und "Mörder der morden wird" lesen ließen. Dies interpretierte er als Vorhersage des kurz zurückliegenden Mordes am israelischen Ministerpräsidenten Rabin im Jahr 1995.

Ablehnung in der Fachwelt

1997 veröffentlichte Michael Drosnin das Buch "The Bible Code" (deutscher Titel: "Der Bibel Code"). Darin berichtete er über zahlreiche Prophezeiungen, die er in äquidistanten Buchstabenfolgen aus der Bibel entdeckt haben wollte. Diese Prophezeiungen sagten angeblich Ereignisse zu Personen wie Rabin, Churchill, Stalin, Hitler und Napoleon und manches andere voraus, obwohl sie schon Jahrtausende vor deren Eintreffen aufgeschrieben worden waren. Bei seinen Ausführungen berief sich Drosnin immer wieder auf Rips und verwischte dabei geschickt, dass die von ihm scheinbar gefundenen Prognosen zur Weltgeschichte nicht mehr viel mit den Arbeiten des Mathematikers zu tun hatten. Diese ebenso clevere wie dreiste Strategie hatte Erfolg: "Der Bibel Code" wurde ein Weltbestseller.

Während Drosnins Code-Spielereien bei Laien glänzend ankamen, schüttelten Fachleute nur den Kopf. Statistiker und Code-Experten waren sich einig, dass man mit der Drosninschen Methode beliebige Botschaften in nahezu jedem Buch finden konnte, wenn man nur lange genug suchte. Im Fall der Rabin-Prognose hatte Drosnin beispielsweise eine Schrittweite von 4.772 eingestellt, wobei völlig unklar ist, nach welchen Begriffen er sonst noch suchte und wie groß seine Erfolgsquote war. Da Drosnin auch rückwärts und schräg geschriebene Wörter mitzählte, erhöhte sich die Trefferzahl natürlich. Nicht zuletzt kam ihm entgegen, dass im Original der Bibel keine Vokale enthalten sind. Der Name Jithzak Rabin besteht daher nur aus acht und "Mörder, der morden wird" aus elf Buchstaben.

Drosnin reagierte auf die genannten Vorwürfe, indem er seine Kritiker dazu aufforderte, ihm vergleichbare Codes im Roman Moby Dick von Herman Melville zu zeigen. Gelänge dies, dann wäre die Beliebigkeit der Bibel-Codes bewiesen. Der australische Mathematiker Brendan McKay ließ sich nicht lange bitten und zeigte, dass die Moby-Dick-Geschichte die Morde an Indira Gandhi, Leo Trotzkij, Martin Luther King und John F. Kennedy zum Vorschein brachte, sofern man geschickt danach suchte - und das obwohl die englische Sprache im Gegensatz zum Bibeltext auch Vokale kennt. Darüber hinaus fand McKay die Begriffe "MDrosnin", "nail", "killed" und "liar" nicht allzu weit voneinander entfernt, was auf eine Kreuzigung Drosnins als Lügner hindeutete. GWUP-Mitglied Wolfgang Hund "entdeckte" einen weiteren Code: Im Märchen Rotkäppchen fand er die auf den Mentalmagier Uri Geller gemünzte Prophezeiung "Uri is in LA in march to meet US CIA men on old UFO".

Verständlicherweise distanzierte sich auch Eliyahu Rips von Drosnins Code-Theorie, die mit seiner nicht mehr viel gemein hatte. Rips erklärte, er habe nicht mit Drosnin zusammengearbeitet, er stütze dessen Schlussfolgerung nicht und halte Versuche für zwecklos, dem Bibel-Code Prophezeiungen zu entnehmen. Drosnin ließ sich jedoch nicht beirren. 2002 zog er mit einem weiteren Buch nach, das unter dem Namen "Der Bibel Code II: Der Countdown" in den deutschen Handel kam. Der Autor macht darin dreisterweise weiterhin keinen Unterschied zwischen dem von ihm beschriebenen Bibel-Code und den Arbeiten Rips'. Natürlich verschweigt Drosnin auch, dass sich Rips längst von ihm distanziert hat und stellt den Mathematiker stattdessen erneut als seinen Partner dar, den er zwecks Zusammenarbeit häufig besuchte. Inhaltlich bietet das zweite Bibelcode-Buch wenig Neues. Wie nicht anders zu erwarten, will Drosnin zwischenzeitlich auch die Anschläge auf das World Trade Center im Jahr 2001 in der Bibel entdeckt haben, nebst einigen anderen bedeutenden Ereignissen. Um die Sache etwas spannender zu machen, präsentiert der "Bibelcode II" dann gleich noch einen bevorstehenden Weltuntergang, wodurch sich auch der Untertitel "Der Countdown" erklärt. Ein genaues Datum für dieses Ereignis nennt der Autor jedoch nicht. Das Schreckensszenario verfehlte allerdings seine Wirkung und so blieben die Verkaufszahlen von "Der Bibel Code II" hinter den Erwartungen zurück.

Während die Fachwelt Drosnins Bibelcode mit Spott überschüttete, erfuhren die Arbeiten von Rips und Witztum bisher erstaunlich wenig Widerspruch. Ist in der Bibel also tatsächlich ein Code verborgen, auch wenn dieser nur jüdische Prominente zum Vorschein bringt? Eine Veröffentlichung des besagten Brendan McKay und vier weiterer Autoren in der Statistical Science verneint diese Frage. Die Wissenschaftler machten verschiedene statistische Fehler für das angebliche Auftauchen der Namen und Lebensdaten verantwortlich. Rips und Witztum bestritten dies jedoch und behaupteten ihrerseits, dass die Argumente von McKay und seinen Kollegen fehlerhaft seien. Noch ist der Verdacht, dass es einen (auf jüdische Prominente bezogenen) Bibel-Code gibt, also noch nicht völlig ausgeräumt. Mit dem gleichnamigen Bestseller von Michael Drosnin hat dies jedoch wenig zu tun.

Klaus Schmeh

Literatur:

Bibel-Code-Bücher von Michael Drosnin:

  • Drosnin, Michael: Der Bibel Code. Wilhelm Heyne Verlag, München 1997
  • Drosnin, Michael: Der Bibel Code II: Der Countdown. Wilhelm Heyne Verlag, München 2002
Original-Veröffentlichung von Rips:

  • Witztum, D.; E. Rips, Y. Rosenberg: Equidistant Letter Sequences in the Book of Genesis. Statistical Science 1994, S. 429 (online verfügbar unter www.torahcodes.co.il/wrr1/wrr1.htm)
Kritik an Drosnin:

Kritik an Rips:

  • McKay, B.; D. Bar-Natan; M. Bar-Hillel; G. Kalai: Solving the Bible Code Puzzle. Statistical Science 1999, S. 150

Linktipps:


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