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Herzensschatzi komm
(Briefe an den Ehemann), 1909
Emma Hauck
(geb. 1878 in Ellwangen, gest. 1920 in
der Anstalt Wiesloch)
„
Herzensschatzi komm“ - Der sehnsüchtige Ruf nach dem Geliebten
könnte der Beginn eines Liebesbriefes sein. Doch die Lebenssituation
von Emma Hauck, die hier ihrem Ehemann schreibt, entbehrt jeglicher
Liebesromantik.
Am 7. Februar 1909 kommt die dreißigjährige Frau - Mutter
eines vier- und eines zweijährigen Kindes - erstmals in die Psychiatrische
Klinik Heidelberg. Nach einem Monat wird sie nach Hause entlassen,
wo sich ihr Zustand schnell wieder verschlechtert. Am 15. Mai erfolgt
die zweite Einlieferung in die Heidelberger Klinik. Hier bleibt sie
bis zum 26. August, bis sie als 'unheilbar' in die Heil- und Pflegeanstalt
Wiesloch (heute Landeskrankenhaus) überwiesen wird. Nahezu elf
Jahre, den Rest ihres Lebens, verbringt Emma Hauck in der Wieslocher
Anstalt, wo sie 1920 stirbt.
Ihre Briefe an den Ehemann entstanden während ihres zweiten Aufenthalts
in der Heidelberger Klinik, von Mai bis August 1909. Die Krankenakte
zu Emma Hauck berichtet, dass die Patientin ständig nach ihrem
Mann frage und ihm schreiben wolle. Die Suche nach einer Verbindung
zu ihrer bisherigen Lebenswelt, ihrem zu Hause, wird deutlich. Aber
schon verliert sich die Sehnsucht im Sehnen selbst: Nach dem Verbleib
ihrer Briefe - die nie zugestellt werden -, nach einer Verwirklichung
der Sehnsucht nach ihrem Ehemann, einer realen Kontaktaufnahme, fragt
Emma Hauck nicht mehr.
Auch sind die Briefe nicht wirklich auf Korrespondenz angelegt. Sie
bestehen einzig aus den ständigen Wiederholungen der Wortfolgen „Herzensschatzi
komm“ oder sind reduziert auf das alleinige Wort „komm,
komm“. Anstatt einer konkreten Ansprache an ein Gegenüber
verzeichnen die Wortfolgen ein Flehen um Hilfe und sind Ausdruck der
Verlassenheit. Sie verdichten sich zu Wortanhäufungen, die jeweils
die gesamte Fläche dieser kleinen Blätter ausfüllen.
Mehrfache Überschreibungen lassen die Worte unleserlich werden.
Es bilden sich Wortkolumnen, die den Blättern eine grafische Struktur
verleihen, ein rhythmisches Vibrieren.
Die Entwicklung der Blattgestaltung bleibt spürbar: Das Ansetzen
des Bleistifts, das Schreiben des ersten Wortes „komm“ -
das anschließend keine weiteren Worte mehr zulässt, um die
innere Not zu beschreiben. Das Verlieren des Bewusstseins, dem Mann
schreiben zu wollen. In innere Welten abgesunken zieht der Bleistift über
das Papier: „komm, komm, komm“. Es entstehen Formationen,
die endgültig von der ursprünglichen Intention eines Briefes
abweichen, die sich verselbständigen und nunmehr nach einer grafischen
Lösung suchen - bis das Blatt vollgeschrieben ist.
Kaum leserlich und auf ein, zwei Worte reduziert hat Emma Hauck in
ihren Briefen doch alles gesagt. Ungelesen verhallt ihr Ruf: „komm
Herzensschatzi komm...“
Monika Jagfeld
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