Jan
Amos Komensky - Comenius
letzter Brüderbischof und erster Pädagoge Europas
Der tschechische Theologe,
Pansoph und Erzieher Jan Amos Komensky, der unter dem lateinischen
Namen Comenius berühmt wurde, lebte von 1592-1670. Somit fällt
sein Leben genau zwischen zwei Erneuerungsbewegungen, nämlich
der Wittenberger Reformation (1517-1580) und des klassischen Pietismus
(ab 1675). Besonders an der Didactica Magna, dem Herzstück
der Opera Didactica Omnia des gelehrten Böhmen, die ab
1657 in Amsterdam veröffentlicht wurde, kann man sehr gut zeigen,
wie Comenius an manchen Stellen noch reformatorisch, an manchen bereits
pietistisch denkt. An vielen Punkten jedoch ist er seiner Zeit um
Jahrhunderte voraus.
Comenius wird 1592 in Nivnice,
einem Ort in Südmähren geboren. Seine Eltern gehören
der Unitas fratrum an. Das ist die zweitälteste protestantische
Kirche Europas. Sie wurde 1467 in Mähren gegründet und geht
auf die Einflüsse des Reformators Jan Hus zurück. Im Alter
von 10 Jahren verliert er seine Familie und wird Vollwaise. Ab dem
Jahr 1608 besucht er die Lateinschule in Prerau. Von 1611 an wird
er von seinem Landesvater Karel von Zerotin zu theologischen, philosophischen
und pädagogischen Studien nach Herborn geschickt. Im Jahre 1613
wechselt er an die Universität Heidelberg. 1614 wird er Schulleiter
der Schule in Prerau, die er als Schüler besucht hat. Er schreibt
eine tschechische Grammatik und gibt eine Enzyklopädie heraus:
Theatrum Universitatis Rerum. 1616 wird er zum Pfarrer der
Brüderunität ordiniert und steht somit in einer langen Traditionskette,
die bis zu Jan Hus zurückreicht. 1618, in dem Jahr, in dem der
30-jährige Krieg ausbricht, der sein Leben zeichnen sollte, wird
er Leiter der Gemeinde und Schule in Fulnek und heiratet zum ersten
Mal. 1620 stellt ein Schicksalsjahr sowohl für die Brüderunität,
die Protestanten in Böhmen, als auch für Comenius persönlich
dar. Die Protestanten verlieren die Schlacht am Weißen Berg
gegen die katholischen Habsburger. Schließlich besetzen und
verheeren spanische Truppen Fulnek. Alle Nichtkatholiken müssen
fliehen und sich verstecken. Eine Seuche bricht aus, aufgrund derer
die Frau und die Kinder von Comenius sterben. In diesem Zusammenhang
steht das Trostbuch Das Labyrinth der Welt und das Paradies des
Herzens. Von da an zieht sich durch alle Schriften, auch durch
die Große Didaktik wie ein roter Faden das Thema: Der
Mensch ist auf der Erde nur ein Pilger. Das Leben auf der Erde ist
nur eine Durchgangsstation. Auf der Erde ist der Mensch zur ewigen
Heimat unterwegs. 1624 schließt er seine zweite Ehe mit der
Tochter des Brüderbischofs Jan Cyrill. Im Februar 1628 muss Comenius
mit den Resten der Böhmischen Brüder auf unbestimmte Zeit
Böhmen verlassen. Es sollte sich herausstellen, dass es für
immer ist. Er geht ins Exil nach Lissa (Polen), in eine brüderisch
geprägte Stadt. Dort arbeitet er als Lehrer an der höheren
Schule und schreibt die Böhmische Didaktik, die tschechische
Erstfassung seiner Didaktik. 1631 verfasst er die Janua linguarum
reserata, welche auf der Parallelität von Sach- und Wortwissen
beruht und dadurch eine Neuerung zur Scholastik und zum Neuhumanismus
darstellt. Dieses lateinische Sprach- und Sachkundebuch macht ihn
international bekannt. Es erfährt viele Auflagen. Im selben Jahr
beschäftigt er sich mit der Frage der wahren und falschen Prophetie:
De veris et falsis prophetis. In seiner Zeit war es sehr umstritten,
ob es nach Abschluss der Bibel noch Offenbarungen geben könne.
Er selber stand in einem freundschaftlichen Kontakt mit der Seherin
Kristina und dem Seher Drabík. In seiner Zeit lebte auch der
Gerber Kotter, welcher ebenfalls Prophezeiungen tätigte. 1632
wird er Senior und Aufseher der Unität und Unitätsschreiber.
1633 schreibt er ein Lehrbuch für den Anfangsunterricht Vestibulum
januae linguarum und ein Erziehungsbuch für Eltern, das Informatorium
der Mutterschul. 1636 wird er Leiter des Gymnasiums in Lissa.
1641 folgt er einer Einladung des englischen Parlaments. Dieses will
seine Vorschläge für eine Schulreform berücksichtigen,
deren Realisierung aber aufgrund politischer Unruhen ausbleibt. 1642
folgt er einer Einladung nach Schweden, wo er von Königin Christine
und ihrem Kanzler Oxenstierna empfangen wird. Auf der Durchreise trifft
er in Leiden (Holland) den Philosophen René Descartes (1596-1650).
Im Dienste Schwedens schreibt er in Elbing, im polnischen Preußen,
Schulbücher und Sprachlehrbücher. Dort vollendet er das
Atrium linguarum und Methodus novissima linguarum. Im
Jahre 1648, das sowohl für Comenius persönlich als auch
für Europa ein Schicksalsjahr ist, stirbt der polnische König
Wladyslaw, welcher Comenius´ Arbeit für Schweden toleriert
hat. In Folge des eiligen Wegzugs von Elbing nach Lissa stirbt die
zweite Frau des Comenius. Außerdem wird in diesem Jahr der Westfälische
Friede geschlossen, welcher allerdings, gegen die Zusicherung der
Schweden und zur großen Enttäuschung des Comenius, seine
Kirche, deren (letzter) Bischof er mittlerweile geworden ist, nicht
unter den Schutz des Augsburger Religionsfriedens stellt. Als eigene
Kirche werden nur die Katholiken, die Lutheraner und die Calvinisten
anerkannt. 1650 siedelt er nach Saros Patak in Siebenbürgen über.
Dort soll er die Adelsschule zu einer pansophischen Schule für
die Führungsschicht des Adels machen. In diesem Jahr schließt
Comenius seine dritte Ehe. Des Weiteren erscheint 1650 das berühmteste
Buch des Comenius, das sogar Goethe noch kannte, der Orbis sensualium
pictus. In Siebenbürgen vermittelt er u.a. zwischen dem Visionär
Drabík und dem Hause Rákószi, welches den gelehrten
Böhmen sehr schätzte. 1654 geht er zurück nach Lissa,
welches 1655 von den Schweden zwar verschont bleibt, ein Jahr später
aber von polnischen Partisanen abgebrannt wird. Das Haus, die Bücher,
die Manuskripte des Comenius und die Druckerei der Unität gehen
in Flammen auf. Von 1656 bis zu seinem Tod am 15. November 1670 findet
Comenius in Amsterdam Zuflucht. Die Stadt Amsterdam übernimmt
dann die Edition aller seit 1627 entstandenen didaktischen Werke:
die Opera Didactica Omnia (1657). Seine letzte Schrift ist
das Traktat Unum neccessarium (1668). Es ist ein Rückblick
auf die Wanderschaft seines eigenen Lebens und eine Besinnung darauf,
was in einem Christenleben wichtig ist.
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Trotz seines bewegten,
unstetigen und mühevollen Lebens hat der Pädagoge und Pfarrer
der Nachwelt viele systematische Lehrbücher und Schulbücher
hinterlassen. Er hat religiöse Trostschriften verfasst und für
die Verbreitung mystischer Prophetien gesorgt. Als Vater des europäischen
Schulwesens hat er als erster ein wirklich umfassendes System einer
Pädagogik entworfen, das zu großen Teilen bis heute Bestand
hat. Er hat Schulbildung für alle Kinder beiderlei Geschlechts
aus allen Ständen und sozialen Schichten gefordert. Sowohl was
die Finanzierung des Schulwesens als auch was den Schulzwang betrifft,
hat er die weltliche Obrigkeit, also den Staat an seine Pflicht erinnert.
Obwohl die religiöse Erziehung, welche bei Comenius nicht konfessionsgebunden
ist, für den Brüderbischof das oberste Bildungsziel darstellte,
forderte er eine solide Allgemeinbildung. Er hat das Sachwissen in
die Schule eingeführt. Die Realien sollten unabhängig von
der traditionellen Autorenlektüre unterrichtet werden. Auf praktisch
verwertbare Kenntnisse kam es ihm an. Außerdem hat er die Europäer
das Selberhinsehen und die Selbsttätigkeit gelehrt. Die Forderung
nach muttersprachlicher Bildung als Fundament allgemeiner Volksbildung
macht ihn zum Vater der muttersprachlichen Volksschule in Europa.
Außerdem hat seine Idee des Frontalunterrichts den unökonomischen
Einzel- und Haufenunterricht des Mittelalters abgelöst. Um seinen
Frontalunterricht realisieren zu können, hat Comenius das Klassensystem,
den Klassenlehrer, das konkrete Einschulungsdatum und ein bestimmtes
Einschulungsalter, sowie Abschlussprüfungen und Versetzungsbedingungen
eingeführt. Ganz antihumanistisch ist ihm das Erlernen der Sprache
der Nachbarvölker um der Völkerverständigung und um
der praktischen Anwendung willen ein Anliegen. Er selbst sprach übrigens
fließend Deutsch. Comenius ist seiner Zeit dadurch weit voraus,
dass er das Wesen des Kindes untersucht. In seiner Großen Didaktik
ging er von den anthropologischen Prämissen des Kindes aus. Er
nimmt das Kind wie den Erwachsenen als Ebenbild Gottes wahr, aber
dennoch sieht er das Kind auch im Unterschied zum Erwachsenen.
Außerdem hat er,
wohl durch die Erfahrung des 30ig-jährigen Krieges bedingt, Friedens-
und Einigungsvorschläge entwickelt, die an unsere heutige EU
und UNO erinnern.
Seine pädagogischen
Ideen fanden in ganz Europa Gehör, z.B. vor dem englischen Parlament,
bei Königin Christine von Schweden und ihrem Kanzler Oxenstierna,
beim ungarischen Königshaus und in der Stadt Amsterdam. Sogar
Harvard machte ihm ein Angebot. Und diese Ideen und Grundlegungen,
die in ganz Europa Gehör fanden und teilweise bis zum heutigen
Tage in Kraft sind, können auch heute einen Beitrag aus evangelischer
Perspektive zur allgemeinen Diskussion über PISA und den PISA-Schock
unterstützen. Die Große Didaktik kann insbesondere
dann hilfreich sein, wenn es um die Formulierung von Bildungszielen
und um die Reflektion des Menschenbildes geht. Sind die Menschen,
insbesondere unsere Kinder, nur Humankapital oder auch Ebenbilder
Gottes? Wie kann man Praxisbezug, Verwertbarkeit der Bildung und das
Wesen des Kindes in Einklang bringen? Soll das Humankapital "Kind"
vor allem oder gar ausschließlich zur Wissenschaftlichkeit herangebildet
werden? Oder wäre eine Ausgewogenheit, eine Ganzheitlichkeit,
im Sinne des Comenius, zwischen Wissenschaft, Sittlichkeit und Religiosität,
wobei die Erziehung zur Frömmigkeit oder Gottesfurcht, gemäß
Comenius und gemäß den Landesverfassungen von Baden-Württemberg
(Art. 21.1) und Bayern (Art. 131.1.2), die oberste Priorität
einnimmt, nicht sinnvoller? Die Frage nach den Bildungszielen, also
was das Ergebnis oder die Summe der Schulbildung sein soll, ist nicht
nur im geschichtlichen Kontext der Reformation und des klassischen
Pietismus interessant, sondern auch heute von höchster Aktualität.
Silke Bauer
Silke
Bauer studiert nach Studienaufenthalten in Edinburgh und München
evangelische Theologie in Tübingen |
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