Venetisches Fremdenverkehrsblatt
Nachrichten vom 20. Januar 2005 [Archiv] [Nachrichten][Anfangsseite]
Ghetto von Venedig
KUNSTFOTOS IM GHETTO VON VENEDIG
(ANSA)- VENEDIG "In Stein gemeißelte Erinnerung": Dies ist der Titel einer suggestiven Fotoausstellung, die Bilder hebräischer Grabsteine aus Friedhöfen im südlichen Russland aus dem 19. und 20. Jahrhundert zur Schau stellt. Die von David Goberman geschossenen Bilder können bis zum 16. Oktober in den Räumen des jüdischen Museums im Ghetto von Venedig bewundert werden. Zu sehen sind Grabsteine aus Friedhöfen kleiner Dörfer in jenem Teil Russlands, der mit dem Namen "Jewish Pale" bekannt ist, einer Region, die sich von Minsk bis Warschau und von Vilnius zum Schwarzen Meer erstreckt. In diesem Gebiet mussten sich die russischen Juden zwischen dem Ende des 18. Jahrhunderts und dem Ersten Weltkrieg niederlassen.
Ein Großteil der zur Schau gestellten Bilder haben als Sujet Grabsteine aus dem 18. und 19. Jahrhundert, die zum Großteil von den Nazis zerstört wurden. Die Bildersammlung, die dem "Brooklyn Museum of Art" gehört, besteht aus 70 Fotos. Die aussagekräftigsten sind im jüdischen Museum in Venedig zu sehen. Goberman, dessen Vater während der Nazi-Besatzung im Ghetto von Minsk starb, widmete dem Studium hebräischer Themen sein Leben. Deswegen wurde er von den Behörden der Sowjetunion verfolgt.
Der Besuch der Ausstellung bietet eine Gelegenheit, das Ghetto von Venedig kennen zu lernen. Es handelt sich um das älteste Ghetto der Welt, in dem sich neben dem Museum mehrere Synagogen befinden. Die Bedeutung der jüdischen Gemeinschaft im Leben Venedigs bezeugt auch der alte hebräische Friedhof auf der Insel des Lido.
Die Niederlassung der Juden auf dem Gebiet der künftigen Venediger Republik wird bereits vom Mittelalter an vielfach bezeugt. Nach Venedig kamen laut Überlieferung im 11. Jahrhundert vor allem Juden aus dem Orient, aus den Alpenländern, später auch aus Spanien und Portugal, die kleine Gemeinschaften in einigen Dörfern des venetianischen Festlandes bildeten. Ein Dokument aus dem Jahr 1386 bezeugt, dass sie von der Stadt die Erlaubnis erhielten, ein Landstück in San Nicolo del Lido zu ihrem Friedhof zu machen.
Trotz zahlreicher Niederlassungsverbote in der Stadt bildeten die Juden in Venedig mit der Zeit eine beträchtliche Gemeinschaft, was Zahl und Bedeutung betrifft. Im Jahr 1516 beschloss die Regierung der Republik, die jüdische Gemeinschaft in einem einzigen Stadtviertel zu konzentrieren. Mit einem am 29. März 1516 erlassenen Dekret wurde entschieden, dass alle Juden nur in jenem Stadtviertel wohnen durften, in dem sich die Stahlwerke - auf venetianisch "Geti" - befanden. Dieses Wort ist die Wurzel des weltweit bekannten Begriffs "Ghetto". Die Regierung zwang die Juden, ein Identifikationszeichen zu tragen und die Pfandhäuser nach geregelten Zinssätzen zu verwalten (Christen durften diese Tätigkeit nicht ausüben). Die jüdische Gemeinschaft musste viele Regeln beachten, erhielt jedoch dafür Religionsfreiheit und Schutz im Fall von Kriegen. Das Ghetto wurde nachtsüber gesperrt und von christlichen Wächtern in Booten rundum kontrolliert, um nächtliche Ausgänge zu verhindern.
Die Synagogen des venetianischen Ghettos, auch "Scole" genannt, wurden zwischen dem 15. und dem 16. Jahrhunderts von unterschiedlichen ethnischen Gruppen errichtet, nachdem sie Garantien in punkto Religionsfreiheit erhalten hatten. So entstanden die deutsche Scola, die italienische Scola nach italienischem Ritus, die spanische und östliche Schule nach sepharditischem Ritus.
Trotz einiger Sanierungsarbeiten sind diese Synagogen unverändert erhalten geblieben und können mehrheitlich besichtigt werden. Sie beweisen, wie wichtig das Ghetto Venedigs mit der Zeit geworden war. Die hohen, in mehrere Stockwerke geteilten Häuser zeigen auch, wie überbevölkert das Ghetto war.
Nach dem Fall der "Serenissima" im Jahr 1797 bekundete Napoleon das Ende der Segregation und die Gleichstellung der Juden mit den anderen Bürgern. Dieser Beschluss wurde nach dem Anschluss Venedigs zum italienischen Reich definitiv besiegelt. Im jüdischen Museum kann man auch religiöse Gewänder und Ausstattungen, Hochzeitsverträge und Silbergegenstände aus dem 17. und 19. Jahrhundert bewundern. (ANSA)

 
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