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28. Juni 2005 Druckversion | Versenden | Leserbrief
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RECHTSRADIKALE GEWALT

"Die will einfach nicht verrecken"

Von Annette Langer

Seit der Wende haben Neonazis mehr als 130 Menschen getötet, manche davon zuvor bestialisch gefoltert. Die Gewalttäter, darunter immer häufiger auch Frauen, haben es längst nicht mehr nur auf Ausländer abgesehen. Gefährdet, so Gerichtsgutachter Andreas Marneros, sei jeder: Frauen, Obdachlose, Passanten - und Rechtsradikale.

Gefährliches Potential: Rund 10.000 der etwa 41.000 organisierten Rechtsradikalen in Deutschland sind gewaltbereit
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Gefährliches Potential: Rund 10.000 der etwa 41.000 organisierten Rechtsradikalen in Deutschland sind gewaltbereit
Mehrere Wochen galt Anna als vermisst. Dann fand man sie unter einer Trauerweide, halb stehend, halb liegend verscharrt. Der Kopf der Leiche war kahl geschoren, sämtliche Körperhaare entfernt.

Im Gespräch mit dem psychiatrischen Gutachter Andreas Marneros berichtet einer der beiden Täter, man habe Anna zwecks geplanter Vergewaltigung zunächst so betrunken gemacht, dass sie das Bewusstsein verlor. Dann habe der Freund das Mädchen mit einer Hantelstange missbraucht und mehrfach geschlagen. Mit einem Messer habe der Täter etwa zehnmal auf die am Boden Liegende eingestochen. "Die verreckt nicht. Die will einfach nicht verrecken", habe er gerufen und erneut zum Messer gegriffen. Als das Mädchen sich nicht mehr bewegte, habe man ihren Körper bekleidet und aus dem Haus geschafft. In einem Waldstück habe der Täter daraufhin Annas Leiche geschändet und sie zusammen mit seinem Komplizen "auf Wikingerart" begraben.

Nachdem die beiden Rechtsextremisten versucht hatten, dem jeweils anderen das Verbrechen in die Schuhe zu schieben, befand das Gericht schließlich den Jüngeren des Mordes an Anna für schuldig. Er wurde zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Sein Komplize muss wegen Beihilfe zum Mord für neun Jahre ins Gefängnis.

Das Motiv für die bestialische Tat? "Sie war ein Nichts. Eine Null. Eine Dreckschlampe", soll der später wegen Mordes Verurteilte gesagt haben. Anna war keine Ausländerin, war nicht jüdischen Glaubens oder eine linke "Zecke". Sie war eine Kameradin, ein Mädchen aus den eigenen Reihen, ein Cliquen-Mitglied, die Freundin eines Gesinnungsgenossen.

"Passen Sie auf!"

Gutachter Marneros: "Die sind ganz unten, absolut down"
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Gutachter Marneros: "Die sind ganz unten, absolut down"
Knapp 25 Jahre lang hat der Psychiater Andreas Marneros rechtsradikale Gewaltstraftäter interviewt und versucht, hinter die Motive ihrer unvorstellbar grausamen Taten zu kommen. In seinem Buch "Blinde Gewalt" warnt er: "Passen Sie auf! Auch Sie sind gefährdet!" Seine These: Nicht nur Ausländer und klassische Feinde der rechten Szene können zu Opfern werden: "Rechtsextremistische Kriminalität ist schlicht und einfach Kriminalität, gepaart mit einem dummen, primitiven, ekelerregenden und blinden Hass." Bei den Tätern handele es sich um kriminelle Asoziale, die unter dem "Mäntelchen einer brüchigen Pseudoideologie töten, verbrennen, vergewaltigen und demütigen".

"Eine solch generelle Warnung halte ich für übertrieben", kritisiert Wolfgang Freter vom niedersächsischen Verfassungsschutz. Man dürfe nicht vergessen, dass rechte Gewalt in der Regel nicht strategisch, sondern aus der Situation heraus verübt werde, erklärt der Experte gegenüber SPIEGEL ONLINE. "Zudem sind Ausländer unter den Opfern von Rechtsradikalen noch immer überrepräsentiert", so Freter, der die Szene in Deutschland seit Jahren beobachtet.

Was für die Gesamtheit aller rechts motivierter Straftaten zutreffen mag, relativiert sich bei den Tötungsdelikten: Seit 1990 kamen offiziell 134 Menschen durch die Hand rechtsradikaler Schläger ums Leben. Knapp 80 von ihnen waren Deutsche, viele von ihnen Obdachlose.

Aggressiv, renitent, ohne Empathie

ZUR PERSON
Andreas Marneros wurde 1946 auf Zypern geboren. Er studierte Medizin in Thessaloniki und lehrt seit 1973 an deutschen Universitäten. 1983 wurde er Professor für klinische Psychiatrie in Köln, 1985 übernahm er den Lehrstuhl für Medizinische Psychologie und Allgemeine Psychopathologie an der Universität Bonn. Seit 1992 ist Marneros Professor an der Martin- Luther- Universität in Halle- Wittenberg. Er hat drei Bücher geschrieben und zahlreiche wisschenschaftliche Arbeiten publiziert.
Marneros' langjährige Reise in die Psyche der Gewalttäter offenbart: Neonazistische Verbrecher sind in der Regel Schwächlinge, Feiglinge, geistig Zurückgebliebene und schwer Traumatisierte. Sie sind aggressiv, renitent, ohne Empathie, Reue oder Schamgefühl. Dazu nicht in der Lage, ihr Tun zu reflektieren und Schuld überhaupt zu erkennen, geschweige denn zu bereuen. "Diese unter großen Defiziten leidenden Täter sind auf der ständigen Suche nach Überlegenheit", so Marneros zu SPIEGEL ONLINE. "Die sind ganz unten, absolut down. Und sie finden immer jemanden, der ihrer Meinung nach noch schwächer ist."

Zu dramatisch brutalen Tötungsdelikten käme es, weil "nicht nur die Vernichtung des Lebens, sondern möglichst des menschlichen Körpers dazu gehört", so die Erfahrung des Psychologen. Die Täter wollten sich als Herr über Leben und Tod fühlen und nähmen gegebenenfalls sogar blutige Trophäen mit nach Hause.

Marneros plädiert daher für einen sorgsamen Umgang mit Bewährungsstrafen: "In dem Moment, wo Menschen getötet, verletzt oder vergewaltigt werden, muss die Gesellschaft ganz deutlich zeigen: Bis hierhin und nicht weiter. Wir können so etwas nicht tolerieren und müssen uns der Konsequenzen in allen Punkten bewusst sein." Viele rechtsradikale Täter interpretierten zudem die Aussetzung einer Strafe als Freispruch und machten weiter wie bisher. So wie Marta.

Kameradin vs. Schlampe

Marta ist Mitte Zwanzig und hat eine freundliche, wohltemperierte Stimme. Sie war Mitglied des 1991 gegründeten und inzwischen aufgelösten "Skingirl Freundeskreis Deutschland" - einer Organisation, die sich dem "urgermanische Prinzip der Gleichberechtigung von Mann und Frau" verschrieben hatte und sich bewusst von "primitiven, betrunkenen Schlägerweibern" anderer rechtsradikaler Gruppen absetzen wollte.

Marta setzte sich ab, indem sie anderen zusetzte. "Wohl halb skalpiert" habe sie eine ehemalige Kameradin, mit Fußtritten so lange traktiert, bis sich deren Kopfhaut ablöste. Ein Racheakt sei das gewesen, erklärt sie SPIEGEL ONLINE. Ihre Begründung: "Sie war halt eine Schlampe."

Heute ist Marta klar: "Ich tue mir selbst mehr leid als das Opfer, schließlich habe ich mir meine Zukunft verbaut." Ja, sie habe sich entschuldigt, und, ja, sie habe an einem Opfer-Täter-Ausgleich teilgenommen. "Das Mädchen war wohl traumatisiert oder so. Ich habe aber nach wie vor keinen Respekt vor ihr, und sie hat immer noch Angst vor mir." Auch an einem Anti-Gewalt-Training nahm Marta teil: "Das ist eine nette Theorie. Ich habe verstanden, was die von mir wollten, aber in der Praxis mach ich es auf meine Weise. Ich kann mit körperlicher Gewalt gut leben."

Marta wurde wegen Körperverletzung, Entführung und Nötigung mehrfach zu Bewährungsstrafen verurteilt. Ihre Opfer waren laut eigener Aussage alle Deutsche. Marta scheint das rechtsstaatliche Prinzip insoweit verstanden zu haben, als sie konstatiert: "Meine Freiheit ist mir wichtiger, deshalb halte ich mich im Moment zurück."

Horrorszenarien aus der ersten Reihe - die Rolle der Frauen

NPD-Demonstrantin in Greifswald
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NPD-Demonstrantin in Greifswald
Geschätzte drei bis fünf Prozent der rechtsradikalen Gewalttaten werden von Frauen verübt - ein marginaler Anteil, wie Experten meinen. Die Politologin und Buchautorin Renate Bitzan von der Universität Göttingen forscht seit Jahren in Sachen Selbstverständnis rechter Frauen. Sie befürchtet, dass die Zahl weiblicher Gewalttäter weitaus höher ist als offiziell geschätzt. Der Grund: Polizei und Justiz nähmen die Frauen in der Regel kaum wahr.

Auffällig bei der Medienberichterstattung sei, dass zu Beginn eines Strafverfahrens die beteiligten "Kameradinnen" in der Regel erwähnt würden, sie später jedoch häufig nicht mehr oder allenfalls als Zeugin auftauchten. Diese Erfahrung decke sich mit dem Eindruck, den man an der Universtität in persönlichen Gesprächen mit zahlreichen rechtsradikalen Mädchen gewonnen habe. "Etliche haben erzählt, dass sie an Gewaltaktionen beteiligt waren, aber nie verfolgt wurden."

Immerhin: Erst Mitte des Monats wurden zwei Frauen im spektakulären Folterprozess in Frankfurt an der Oder wegen Beihilfe zu Bewährungsstrafen von zwei Jahren verurteilt. Sie hatten teilnahmslos zugesehen, wie zwei Rechtsradikale einen 23-Jährigen mit Bügeleisen und Zigaretten, Hundeketten, Gabeln und Messern zwei Stunden lang so bestialisch quälten, dass dieser fast starb und heute schwerstbehindert ist.

Bitzan kennt dieses passive Beisitzertum nur zu gut: "Wenn Frauen an gewalttätigen Aktionen teilnehmen, so tun sie es in der Regel aus gemischten Gruppen heraus. Dabei werden einige selbst handgreiflich, die meisten unterstützen jedoch ihre männlichen Komplizen, indem sie klatschen, rufen und sie zur Gewalt anheizen." Diese sogenannte Galeriefunktion der Mittäterinnen zeige zwar, dass Frauen bei der Anwendung körperlicher Gewalt zögerlicher seien. Das Dabeisein und Anfeuern mache aber auch deutlich, dass sie einen klaren Beitrag zur Tat leisten.

Der Verfassungsschutz schätzt, dass etwa 10 bis 15 Prozent der 41.000 bundesweit organisierten Rechtsradikalen Frauen sind. Weibliche Neonazis in Führungspositionen sind allerdings bis heute die Ausnahme. Viele Frauen versuchen vielmehr, männliche Verhaltensweisen zu übernehmen, um ihren Platz innerhalb der Hierarchie zu sichern. "Man muss eine große Klappe haben und diskutieren können, ansonsten kommt man in die Kategorie Partyschlampe", erklärt Ex-Skingirl Marta. Für Gutachter Marneros ein fataler Trugschluss: "Die Frauen, die ich gesehen habe, versuchten auf Augenhöhe mit männlichen Gewalttätern zu bleiben. Am Fall von Anna kann man sehen, wie schnell so ein vermeintliches Gleichgewicht kippen und sich die Realität umkehren kann."

Vorsicht, Infiltration!

Wer nicht wie Marta zur Gewalt greift, macht sich an anderer Stelle nützlich: Immer mehr rechte Sympathisantinnen missbrauchen ihre berufliche Stellung, um der "Nationalen Sache" zu dienen. Bereits im Herbst 2003 kam es zum Eklat, als bekannt wurde, dass eine 17-jährige Postbank-Auszubildende - Mitglied der "Kameradschaft Süd" um Martin Wiese - Kundendaten von vermeintlichen Antifaschisten ausspioniert und weitergegeben hatte. Weil zahlreiche Frauen in Dienstleistungsberufen tätig sind, ist der potentielle Einsatzradius groß. "Einige studieren Sozialpädagogik und planen, in die Kinder- und Jugendarbeit zu gehen, um dort ihre nationalistisch orientierte Arbeit voranzutreiben", weiß Gender-Forscherin Bitzan.

Mit dem neuen Engagement würde ein Effekt aus der Vergangenheit ausgehebelt, so die Politologin: "Während früher viele Rechtsradikale mit dem Moment der Familiengründung aus der Szene verschwanden, werden Mütter und Väter jetzt vermehrt eingebunden." Man organisiert KZ-Ausflüge und Grillpartys, sorgt für Kinderbetreuung und tauscht Babykleidung. Viele Frauen fänden eben hier ihre spezielle Aufgabe - in der ideologiekonformen Erziehung der kommenden Generation, erklärt Bitzan. Die Expertin sieht die Zukunft wenig rosig: "Was mit dieser neuen Generation los sein wird, können wir nur erahnen."


Das Buch zum Thema:
Andreas Marneros: "Blinde Gewalt", Scherz 2005



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