Prof. Dr. Alfons Kolling:

Latinum in latrina
(Latein in der Latrine)

Erstmals ausgewiesen:
Ein Nachtgeschirr für den Mann (matella)
im römischen Schwarzenacker

Vor sechs Jahren erschien ein archäologischer Aufsatz in anrüchigem Thema - vasa obscena (schmutzige Gefäße) -, worin gleichermaßen recht informativ und heiter über antikes Nachtgeschirr abgehandelt wird 1). Der Auftakt dazu ist genommen mit einem Wort aus dem Mund des Romantikers Philipp Otto Runge, nämlich "Pisspott". Sodann geht es in medias res um die Begriffsbestimmung und zeitgenössischen Namen der betreffenden unterschiedlichen Gefäße, wobei der Autor auch einschlägige Anekdoten und Begebenheiten aus dem poetischen Mischkessel von Satiren aus der Altphilologie zum Besten gibt. Dabei schälen sich aus dem nicht wirklich obszönen Vokabular dreierlei Varianten von vas urinata heraus. Vokabel 1, matella, ist für den Mann, Vokabel 2, scaphium, ist für die Frau, Vokalbel 3, lasanum, für beiderlei Geschlecht in Sachen festere Substanz. Der vorliegende Text will ein Beitrag sein zu den typologischen Erörterungen betreffender Gefäßkunde im männlichen Sektor bis hin zur Latrine und dem urinhaltigen Trampelkübel der Tuchwalker. Das Material dazu liefern Funde und Befunde aus der verschollen gewesenen gallo-römischen Landstadt in der Flur "Auf des Closters Ungnade" der Gemarkung Schwarzenacker von Homburg/Saar, die versunken war bis zum Jahr 1965 und seither in großer Fläche ausgegraben wird.

Vorab ist in Kürze aus dem von Wolfgang Binsfeld verfassten Aufsatz zu referieren. Dann ist zu berichten über den erstmaligen Fund zu Vokabel 1 (matella) mit den dazugehörigen örtlichen und außerörtlichen Erscheinungsbildern in Konsequenz. Schließlich sollen aus dem Lesegut aus obscener Poesie Binsfeldscher Wiedergabe im Kontext einige geflügelte Worte speziell zur Nachttopf-Matella des Latinums angehängt werden. Die Römer nannten den gewissen Krug bzw. die betreffende Kanne, die dem Mann diente, in der Großausführung matula, was deminutiv auf matella (Nachtkrügchen) hinauslief. Ein Kenner des antiquarischen Sachgutes beschäftigte sich damit und mit den betreffenden casetta obscena (schmutzigen Häuschen) des flachen Landes, wobei er zum Thema der Latrine eine Menge zu sagen weiß, über das zu den genannten Vokabeln 1 bis 3 in der Formenkunde aber nur vage aus alter Literatur schöpfen kann. Er sagt: "Die Gefäße bestanden gewöhnlich aus Ton, selten aus Silber und noch seltener aus noch besserem Metall." Als matella schwebte ihm eine Flasche bzw. ein enghalsiger Krug vor, der mit einem oder zwei Henkeln versehen war. Gelegentlich heißt das Nachtgeschirr einfach lagona, was Krug bedeutet 2).
Die Frauen bedienten sich eines niedrigeren Gefäßes von der Art eines Napfes oder einer Schale, die man also scaphium nannte. Schon Griechinnen benutzten ein scaphium. Beide Geschlechter brauchten für größere Verrichtungen das cacofäkalische lasanum, was an verschwiegenem Ort und gewöhnlich in der latrina geschah. Die matella hingegen wurde auch ungeniert herumgereicht, beispielsweise, wenn Männer im Gelage zechten. Binsfeld verweist auf eine diesbezügliche Illustration in der spätarchaischen Vasenmalerei und zitiert passend dazu den gelehrten Schriftsteller Marcus Valerius Martial (um 40 bis 100 n. Chr.): "Einem der Zecher wird auf dessen Fingerschnipsen eine gewisse lagona gereicht, aus der vorhin noch Wein aus Spoleto eingegossen worden war und die nunmehr als Leergut für das Blasenprodukt diente". Eine schwarzfigurierte Scherbe aus dem Kneipenmilieu gibt einen enghalsigen Krug zu erkennen, der auch ins römische Formenspektrum passt. Es gibt indessen auch Blitzlichter im Dunkel der antiken Nachtgeschirrtypologie, etwa wenn, wie in Herculaneum geschehen, unter einem Bett ein Askos-förmiges Gefäß gefunden wird, welches breit und bauchig aufsitzt mit Henkel hinten und großer Tülle als Ausguss vorn. (Die in Kliniken als Männergeschirr gebräuchliche Glasflasche glich diesem einigermaßen). Im Grunde ist es eine archäologische crux mit dem Unwissen über die drei Nachtgeschirr-Artikel in römischer Zeit. Die Vasa-obscena-Studie schließt entsprechend: "Das Nachtgeschirr hat das Aufkommen der privaten und öffentlichen latrinae mit Wasserspülung noch überlebt. Dem Archäologen aber wird es schwer, meist unmöglich sein, unter den vielförmigen Krügen die Matella, unter den Schüsseln das scaphium und unter den Schalen (mit und ohne Henkel) das lasanum zu erkennen" 3).

Im römischen Schwarzenacker nun ist eine Matella endlich aufgetaucht, und zwar in einer Latrinengrube 4). Der archäologische Sachkenner älterer Generationen übersetzte latrina noch mit "Abtritt" 5), wozu wir heute Klosett oder Toilette sagen. Den Abtritt gab es nach H. Blümner in jeder einigermaßen situierten Wohnung als kleines Gelass mit gemauerter oder hölzerner sella oder notdürftig in Gestalt eines mobilen Nachtstuhles. Im mehrstöckigen italischen Wohnhaus führte eine tönerne Rohrleitung aus der Latrine zur cloaca. In Badeanstalten waren Sitzklosetts mit Wasserspülung, untereinander nach Geschlechtern getrennt, verfügbar. Das Wort latrina kommt ja auch von lavatrina, weil sich in den älteren Anlagen der Abtritt direkt im Baderaum befand.

Merkwürdigerweise besagen die literarischen Quellen kaum etwas über den baulichen Zusammenhang im Gebrauch von Latrinen. Umsomehr aber ist den Befunden der Vesuvstädte zu entnehmen, wo sich das betreffende Gelass manchmal bei der Küche befindet, wie beispielsweise in der vornehmen casa dei cervi in Pompeji. In der Landvilla Boscoreale hingegen ist das Kabinett gleich neben dem Auskleideraum der Badeabteilung installiert. Nicht anders waren in den rheinischen Villen die Latrinen mit der häuslichen Badeabteilung gekoppelt und so auch in dem Gehöft von Wustweiler im Kreis Neunkirchen, welches das Prädikat "Villa" noch gar nicht verdient. Hier war das Klo mit seiner Senkgrube dem Kaltbad benachbart, konnte aber nur vom caldarium (Warmbad) her betreten werden 6). Auch im Gebäude von Beckingen im Kreis Merzig gab es Zugang durch das Warmbad 7). Zum Gehöft Baldringen im Kreis Saarburg heißt es, die Latrine habe wohl über der Senkgrube einen Boden mit Sitzen darauf gehabt, und man habe mit Wasser aus dem Kaltbad gespült 8). In Köllig im Kreis Saarburg wurde die Latrine vom Bad her durch einen schmalen Gang erreicht, wo die Grube wasserfest ausgekleidet war 9). Ebenso gab es in Stahl, im Kreis Bitburg einen schmalen Gang, und zwar vom apodyterium (Auskleideraum) her zu Latrine, deren Grube mit Estrich wasserdicht gemacht worden war 10). In Immerath im Kreis Daun war jene sogar mit Ziegelplatten ausgekleidet. Man fand Schlamm und Asche. Vom Boden des Bades floss durch eine Tonleitung das Spülwasser bei 11). Die große Villa urbana von Oberweis 12) besaß ein kleines Toilettengelass direkt im Auskleideraum.

In den meisten Grundrissen der rheinischen Gehöfte und vornehmen Landsitze sind Latrinen nicht erkennbar. Vielleicht wurde die Aristokratie fallweise von der Dienerschaft entsorgt. Auch für das großartige separate Badehaus des Palastes von Nennig an der Obermosel bleibt die Latrinensituation im Ungewissen. Es leuchtet ein, dass im Ländlichen Senkgrube (sterquilinum) und Düngergrube als ein und dasselbe galten 13). Nur leider geben auch dafür die archäologischen Befunde nichts her. Vielleicht mangelte es nur an jeweiliger ausgedehnterer Grabungstätigkeit. Wer findet schon die Grube, wenn das Häuschen nur aus Brettern bestand? Im Grabungsbefund in Schwarzenacker nun sind Reste von Toilettenhäuschen mit zugehörigen Senkgruben klar erkennbar gewesen 14). Diese gehörten zu den schmalen Reihenhäusern Nummer 10 und 11 im östlichen Grabungsfeld und standen separat ganz hinten im Anwesen. Zwischen Haus und Häuschen gab es vermutlich den Pflanzgarten hortus olitorius zu düngen. Die Gruben waren im Viereck ausgemauert, genau 1,0 m x 1,27 m und 1,14 m x 1,36 m und 1,65 m und 1,14 m tief. Beide Gruben enthielten die schwärzliche Modererde der Fäkalien. Solsteine bezeugten Bretterhäuschen. Das ziemlich geräumige Häuschen zu Haus 11 diente wohl zusätzlich als Geräteschuppen. In dessen Moder lag, durchlöchert und hineingeworfen, kulturgeschichtlich dennoch gewichtig, die tönerne Nachtgeschirr-Matella. Alle Merkmale und Fundumstände zum Gefäß sprechen eindeutig für vas urinata. Es ist tongrundig zimtfarben, schlank gebaucht, hat einen vergleichsweise hohen Hals und mündet ziemlich breit zum ausgeschweiften Rand hin. Die Höhe beträgt 21 Zentimeter, das Volumen 1,36 Liter, was genau 10 römischen quartarii entspricht. Für die Zeitstellung des Gefäßes gilt als terminus ante quem das Jahr 275/6 n. Chr. Damals wurde das Stadtviertel zerstört und blieb liegen. Im Formenvorrat der gallo-römischen Keramik der betreffenden Periode der auslaufenden mittleren Kaiserzeit tritt der Typ ziemlich selten auf und erscheint im Katalog der Tonware des Kastells Niederbieber unter der Nummer 96. Das abgebildete Exemplar wurde im Jahre 1912 gefunden. Aus Scherben vom Platz lassen sich 30 bis 40 Exemplare hochrechnen. Der Autor spricht das Gefäß, welches dem aus der Latrine in Schwarzenacker recht ähnlich ist, als Kanne an und meint, dass deren Form einer feineren Gattung von Keramik entlehnt sei und im letzten Grunde auf einer Metallform fuße 15). Nicht ganz unähnlich ist ein Prachtexemplar von silberner Kanne im Schatz von Boscoreale16), weswegen freilich nicht gesagt sein soll, dass diese unter die matellae gehörte und also in der schon erwähnten dortigen bedeutenden Villa rustica respektive Latrine beim Bade eine Rolle spielte. Wenn wir mit gutem Grund die Kanne von Schwarzenacker als matella definieren, so kann man sich ausdenken, weswegen gerade von dem Nachtgeschirr in der Unmenge von Krügen und Kannen, die in den Museen verwahrt und bekannt sind, anscheinend nur wenige unserem Fundstück gleichen. Hier ist zu wissen: Bei weitem stammt die meiste römerzeitliche Keramik aus Gräbern, wo sie Wegzehr zum Pfad in die andere Welt enthielt oder aber als rituelle Mitgift und Statussymbol im sepulkralen Kult gebräuchlich war.

Wir sind beim kritischen Punkt. Schwerlich, schwerlich ist das Nachtgeschirr der verstorbenen Person als mehr und weniger obligatorische Grabbeigabe denkbar. Man traute zwar dem Schattenwesen Verlangen nach Speise und Trank zu, machte sich aber kaum Gedanken über die Folgeerscheinungen des Verzehrs. Warum auch nicht frei weg in die Gefilde der Seligen damit? Die Hinterbliebenen brauchten sich also um keinerlei diesbezüglicher Gefäße zu sorgen. Vasa obscena sind einfach kein Thema für den Totenkult und werden sich kaum jemals in Gräbern finden. Wohl aber ist daraufhin der Siedlungsschutt zu durchmustern. Der Fund von Schwarzenacker ist selbstredend ein kleiner kulturhistorischer Glücksfall. Dieses Nachtgeschirr aus der Latrine wird in seiner Zweckbestimmung von selbst deutlich, weil es nämlich dort gefunden wurde, wo es seiner Zweckbestimmung gemäß hingehörte, wo eben auch dieses sprichwörtlich "nur so lange zum Häuschen geht, bis es bricht".

Über die merkwürdige genaue Maßhaltigkeit - 10 römische quatarii - ein Reglement zu finden, wird schwer fallen. Dennoch sollte man bei der Ausschau nach weiteren Nachtgeschirr-matellae die Eigenheit im Volumen als mögliches spezifisches Kriterium im Auge behalten. Wer versucht, die Quantität von Eingabe rein metrisch mit dem Gefäßvolumen in Bezug zu bringen, wird vermutlich an Unwägbarkeiten scheitern, und ohnehin hat schon der altlateinische Dichter Quintus Ennius (239 - 169 v. Chr.) die Verhältnisse relativiert: "Der Nachttopf hat sein Maß - von der Trunkenheit!"
Damit sind wir bei den versprochenen Sprichwörtern, die auf matula bzw. matella kapriziert sind. Die Übersetzer aus dem Lateinischen ins Deutsche verfahren da bisweilen im Wörtlichen wie auch im Sinngemäßen etwas willkürlich. Die Ursache dazu liegt wohl zum Teil darin begründet, dass die Linguisten keinen Begriff von der betreffenen Optik haben konnten. Der Altphilologe tat sich schwer, weil er bis heute vom Archäologen im Stich gelassen war. In einer Satire des Marcus Terentius Varro (116 - 27 v. Chr.), einem großen Gelehrten unter den Schriftstellern Roms, heißt es (p 127 R): "Es modus matulae", was bedeuten soll: "Jedes Ding hat sein Maß!" Und es könnte doch auch lauten: "Jeder Pisspott hat sein Maß!" Der bereits genannte Dichter Martial (10,11,3): "Dispeream, si tu Pyladi praestare matellam Dibnus es", was man übersetzen kann mit "ihm die niedrigsten Dienste zu erweisen" bzw. "du kannst ihm das Wasser nicht reichen!" Warum nicht so: "Du kannst ihm den Pinkel im Pöttchen nicht reichen!" Petronius Arbiter (elegantiarum), der am Hof Neros lebte, gibt zu bedenken (Petron 45): "Magis illa matella digna fuit, quam taurus iactaret", d.h.: "Er ist ebenso wenig schuld wie ein Kübel, dass er vom Ochsen hin- und hergeworfen wird!" Aber eine matella ist doch kein Kübel, sondern bloß ein Pöttchen! Allerdings gab es im obscenen Zusammenhang ein Gefäß mit Namen lacus, das als Trog für allerlei Flüssigkeit, auch zur Viehtränke, sogar als Wanne im Bade und als "Nachtgefäß" diente, wobei auch das Dolium (Tonfaß) genannt ist 17).

Mit Pott und sterquilinium allein freilich, das versteht sich, ließen sich die "schmutzigen Produkte" eines städtischen Gemeinwesens nicht entsorgen. Die Kloaken hatten zu tun. Auch in Schwarzenacker ging es damit ziemlich großkalibrig über Strecken unterirdisch. In großen Städten gab es die von den Magistraten verpachtete "Harnwerke". Gewerbe, vor allem die der Tuchwalker, gehörten ins Klientel und wollten den Stoff unverdünnt. Frischgewebtes Wolltuch wurde damit in einem Bottich oder Kübel geschmeidig getrampelt. Poetisch: Tanz der Fullonen. Manches in Schwarzenacker spricht dafür, dass allmorgendlich die besseren Adressen mit Kübelkarren abgeklappert wurden, um Betriebsstoff für die Walkerei zu haben. In den größerem Häusern der Handelsherren und Gewerbebosse fehlten die Merkmale von Abtritten überall. Das Geschäft mit dem Magister der Fullonen fand sicherlich statt und das damit verdiente Geld stank nicht mehr. "Non olet!", pflegte der Römer zu sagen. In Schwarzenacker wurde tatsächlich die Einrichtung einer Tuchwalkerei entdeckt und paradoxer- und bezeichnenderweise vis-à-vis der Häuser mit den Abtritten in der Fullonengasse18), wo es dementsprechend von beiden Seiten her riechen konnte.

Anmerkungen

1) W. Binsfeld, Vasa obscena, in: Trierer Zeit- schrift 57, 1994, S. 129 - 131
2) H. Blümner, Die römischen Privataltertümer (1911) , S. 147 f. 3) Binsfeld, a.a.O., S. 131
4) A. Kolling, Die Römerstadt in Homburg- Schwarzenacker (1993), S. 50 mit Taf. 77
5) Blümner, a.a.O., S. 49 f.
6) H. Koethe, Die Bäder römischer Villen im Trierer Bezirk, in: Bericht d. römisch- germanischen Kommission 30, 1941, S. 102 f.
7) ebda., S. 47
8) ebda., S. 46
9) ebda., S. 62
10) ebda., S. 90
11) ebda., S. 60
12) H. Koethe, Römische Villa bei Oberweis, in: Trierer Zeitschrift 9, 1934, S. 33
13) Blümner, a.a.O., S. 50 mit Anm. 6
14) Kolling, a.a.O., S. 50 mit Taf. 77
15) E. Gose, Gefäßtypen der römischen Keramik im Rheinland, in: Bonner Jahrbücher, Beiheft 1 (1950), Nr. 516; nach F. Oelmann, Die Keramik des Kastells Niederbieber. Materialien zur römisch-germanischen Keramik I (1914), Typus 96
16) W. Hilgers, Lateinische Gefäßnamen, in: Bonner Jahrbücher, Beiheft 31 (1969), Nr. 205 mit Bild 41
17) Hilgers, a.a.O., Nr. 203
18) Kolling, a.a.O., S 54 mit Taf. 93

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