Freitag: Die Ost-West-Wochenzeitung     43   20.10.2000

  Barbara Jentzsch

Was würde Jesus tun?

 
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AMERIKA IN BEKENNERLAUNE*Religion und Wahlkampf - Gottvater, Sohn und Heiliger Geist sind immer dabei

Mit Gott ins Weiße Haus" - "Beten für den Sieg" - "Amerika für Christus", im Wahlkampf gehören solche Parolen zum Tagesgeschäft, besonders dann, wenn es um Abtreibung, Todesstrafe oder die Ehe für Homosexuelle geht. Amerika, die gläubigste aller westlichen Demokratien - "Gods own country" weiß, wie es seinen Schöpfer anspricht und was es ihm schuldig ist.

Was sich im laufenden Wahlkampf getan hat und immer noch tut - ganz abgesehen von der überraschenden, erstmaligen Nominierung eines Juden für das Amt des Vizepräsidenten - das sprengt sogar die Grenzen der herkömmlichen Pietät. Die schon immer von einer christlichen Nation träumende religiöse Rechte reibt sich die Hände - doch mehr Amerikaner bangen um die in der Verfassung festgeschriebene Trennung von Kirche und Staat, wenn der Kandidat George W. Bush als Gouverneur in Texas einen "Jesus Tag" einführt. Sie zucken zusammen, wenn Al Gores Vize, Joe Lieberman, nach einer "neuen Durchdringung der Politik mit Glauben" verlangt. Äußerungen wie diese haben eine heiße Debatte entfacht: Wie groß soll und darf der Einfluss von Religion auf Politik sein, wird mit Blick auf einen Wahlkampf gefragt, bei dem die Frömmigkeit der Bewerber keine bloße Zugabe ist, sondern Voraussetzung. Sogar Wahlveranstaltungen der Demokraten tragen heute Züge evangelikaler Erweckung. Ihr Kandidat Al Gore behauptet von sich, bei kniffligen politischen Problemen stets zu überlegen: "Was würde Jesus tun?"

George W. Bush, den Bannerträger des "mitfühlenden Konservatismus" (compassionate conservatism) soll Gott persönlich zum Präsidenten berufen haben. "He got the call". Aber das erzählt er nur im engsten Freundeskreis, vor auserwählten Christen. Bei einer Vorwahldebatte scheute er sich jedoch nicht, coram publico seinen Lieblingsphilosophen zu benennen: Jesus Christus. "Christus hat mich verändert. Wenn du dein Herz und dein Leben Christus zuwendest, wenn du an Christus als den Erlöser glaubst, dann verändert das dein Innerstes. Genau das ist mir passiert."

Demokraten und Republikaner konkurrieren wie selbstverständlich und oft schamlos in Sachen Gottesfurcht. Wer seinen religiösen Intimbereich vielleicht wahren möchte - wer seinen Glauben für eine Privatsache hält -, wie der in den Vorwahlen ausgeschiedene Demokrat Bill Bradley, der wirkt im Kreise dieser redseligen Christen "out of step". Nicht auf der Höhe der Zeit. Die Worte von John F. Kennedy - des ersten katholischen Präsidenten - sind vergessen. "Was ein Präsident über Religion denkt, sollte seine Privatsache sein. Ich bin kein katholischer Präsidentschaftskandidat. Ich bin in erster Linie der Kandidat der Demokratischen Partei - der außerdem auch Katholik ist."

Tempi passati. 40 Jahre später ist Amerika in Bekennerlaune. Nichts soll mehr privat sein. Voyeurismus ist in. Kein Wunder, dass die Stimmung der Bevölkerung "von Sorge um den moralischen Zusammenbruch der Nation" geprägt ist, heißt es in den Meinungsumfragen. Eine Zeit, die von alternden Babyboomern dominiert wird, die sich auf Suche nach einem sicheren spirituellen Hafen wähnen. Nur allzu bereit, sich nach schockierenden Ereignissen wie den blutigen Schulschießereien und dem Lewinsky-Skandal moralisch aufrichten zu lassen.

Aus welchen Quelle speisen die beiden Kandidaten ihren penetrant zur Schau gestellten Glauben? Wie ernst ist es ihnen wirklich damit? Doch viele Amerikaner interessiert das überhaupt nicht. Jahrelang dem doktrinären Staccato fundamentalistischer Christen ausgeliefert, reagieren sie auf die ähnlich aggressive Erweckungswelle im Jahr 2000 allergisch. Je weniger Gerede über Gott, desto besser. Dennoch, laut Newsweek interessieren sich immerhin 61 Prozent der Wahlberechtigten für die Religion und den Glauben ihrer Präsidentschaftsanwärter.

Ihre Neugier wird nun befriedigt. Die investigativen Medien sind fündig geworden, ohne groß geschürft zu haben. Die offiziellen Wahlkampfbiografien beider Kandidaten verraten eher zuviel als zu wenig. Ihre bunte Mischung aus New Age, Old Time Religion und evangelikalem Protestantismus ist leichte Kost, verfasst in so anspruchslosem Vokabular, dass auch dem zu Verballhornungen neigenden Republikaner nichts abverlangt wird. Der Methodist George W. Bush habe die "eher unkomplizierte Form der Kommunikation" in seiner texanischen Heimatstadt Midland gelernt, schreibt die Washington Post. Obwohl er nie zu einer der riesigen Vorstadt-Mega-Kirchen gehört habe, sei er ihr typisches Produkt: "Diese überall zu findenden Gotteshäuser offerieren eine ganze Latte von Selbsthilfegruppen: für Trauerarbeit, sexuelle Abhängigkeit oder Post-Abtreibungs-Pflege - auch wenn vor solchen Sünden mächtig gewarnt wird."

Die ersten 40 Jahre mochte das Innenleben in Ruhe gelassen werden - George W. Bush lebte in den Tag hinein als der gar nicht so liebenswerte, glücklose Taugenichts der Familie. Er suchte vergebens nach Öl, versagte als Geschäftsmann, trank und rauchte zuviel. Deus ex machina, der Evangelist Billy Graham - das "Maschinengewehr Gottes" - kam zu Hilfe. Über das schicksalhafte Treffen mit Graham am Feriensitz der Familie 1985 in Kennebunkport (Maine) schreibt Bush: "Wir haben am Kamin gesessen und uns unterhalten. Seine Worte trafen mich ins Herz. Gott, der Herr, sprach so klar aus ihm, in seiner liebevollen Art."

"Bist du auf dem richtigen Weg zu Gott?" soll Graham den verlorenen Sohn gefragt haben. "Nein, aber ich wäre es gern." Alsbald hört George W. auf zu trinken, besucht Bibelkurse und predigt, wenn Not am Mann ist, in der Sonntagsschule. Gestärkt an Leib und Seele zieht Bush jun. 1988 nach Washington, um dem verehrten Herrn Papa zu beweisen, dass er doch etwas taugt. Er darf im Kampf ums Weiße Haus als Scharnier zu den rechten Christen dienen. In diesen Jahren lernt er, die fundamentalistische Bewegung zu steuern. Eine Hand wäscht die andere, man braucht und gebraucht sich gegenseitig.

Zwölf Jahre später, nun selbst Kandidat, lässt sich Bush jun. von einem Religionsbeauftragten beraten. Marvin Olasky, einst Marxist, inzwischen radikal konservativ, leitet Bushs Policy committee for Religion. Bei Olasky holt sich der Gouverneur Rat, wenn die Todesstrafe aufs Tapet kommt. Wird er gefragt, wie sich sein mitfühlender Konservatismus mit dem Amt als Henker von Texas vereinbaren lässt - der Bundesstaat hält den Rekord an Hinrichtungen -, kommt die Antwort jedes Mal schnell und glatt und mit einem abschließenden Peptalk für das eigene "pro life" (Anti-Abtreibungslager): "In einer perfekten Welt gibt und nimmt nur Gott das Leben. Eines Tages wird unsere Gesellschaft hoffentlich das Leben respektieren. Das volle Spektrum - von den ungeborenen Kindern bis zu den alten Menschen."

Rivale Al Gore lässt den Allmächtigen auch nicht ruhen - die Demokraten haben sogar in aller Öffentlichkeit davon gesprochen, Gott für die Partei zurückerobern zu wollen. Joe Lieberman, das Gewissen des Senats, soll dazu verhelfen, die mit Clinton aufgebrochene Pietätslücke zu überwinden. Doch auch solo - ohne den frommen Lieberman - kann der Baptist Al Gore seinem republikanischen Rivalen in Sachen Religion und Politik Paroli bieten. Er betet zwar nicht wie Bush mit Billy Graham am Handy, aber dafür kennt er sich mit europäischen Theologen und Philosophen aus. Merleau-Ponty, Teilhard de Chardin, Reinhold Niebuhr, Edmund Husserl gehen ihm glatt von der Zunge. "... ein sehr individuelles Christentum, mit ethischen und intellektuellen Zügen, ohne doktrinäre Ausrichtung", urteilt die New York Times.

Früher, in Gores Kindheit, war die Sache mit dem Glauben viel einfacher. Im heimatlichen Tennessee auf dem Land habe er regelmäßig an christlichen Revivals teilgenommen, verbreitet der Kandidat vor Journalisten. Bereits als Knabe wollte er sich im Gebet zu Gott bekennen. Dem Wehrdienst in Vietnam folgen gar einige Semester Theologie. Und an Tennessees linker Vanderbilt Universität wird sein Interesse am Schutz der gepeinigten Umwelt geweckt, verquicken sich Religion und Politik für ihn zum ersten Mal. Das dem neuen Testament entlehnte Konzept der Stewardship - der Anwaltschaft für Gott - wird verinnerlicht. Stewardship lehrt, dass die Erde die Domäne Gottes ist. Dass der Mensch gegenüber Gott die Pflicht hat, die Erde zu erhalten - Umweltschutz zur Ehre Gottes, zur Rettung von Mensch und Erde wird Al Gores Thema Nummer eins. Als er mit 28 in den Kongress einzieht, tritt er genauso sozial konservativ auf wie ein Republikaner. Der christlich engagierte Abgeordnete aus Tennessee votiert gegen Abtreibung und setzt sich dafür ein, dass Schulen Creationism lehren dürfen - in Amerikas Süden und im Mittleren Westen (dem sogenannten Bibelgürtel) jene populäre Schöpfungslehre, die Darwin ausspart und den Menschen Adam und Eva als Urahnen beschert. Als progressiver Vizepräsident der Clinton-Ära kann sich Gore solche Eskapaden dann freilich nicht mehr leisten. Adam und Eva müssen gehen, das Recht auf Abtreibung wird unterstützt.

Jetzt im Wahlkampf darf sich der Kandidat glücklich schätzen, mit dem überaus populären Lieberman über einen Flankenschutz zu verfügen, um nicht mit dem Clinton-Lewinsky-Skandal behelligt zu werden. Der Senator Lieberman war der Demokrat mit der denkwürdigen Strafpredigt für Clinton. Seine Worte verschafften Gore die nötige Distanz zum Präsidenten. Dass der orthodoxe Jude Lieberman, wenn er die spirituelle Wiedererweckung der Nation am Wickel hat, genauso klingt wie ein Mitglied der rechten Christen - dafür von seiner Partei aber nicht kritisiert wird -, stößt nicht nur den Republikanern sauer auf, es hat vor allem die Juden in der Anti-Defamation League (ADL) verstimmt.

Als Gores Vize im August in einer schwarzen Kirche von Detroit die Nation zu noch größerer Gottgläubigkeit aufrief, außerdem verkündete, dass die Verfassung Religionsfreiheit und nicht Freiheit von Religion garantiere, und als er dann noch das George-Washington-Zitat offerierte "Moralität ohne Glauben gibt es nicht", da forderte ADL-Direktor Abraham Foxman Lieberman schriftlich auf, bei Wahlreden die Betonung seines Glaubens in Zukunft bitte herunterzuschrauben. Im Wahlkampf an religiöse Gefühle zu appellieren, widerspräche dem amerikanischen Ideal, Kirche und Staat zu trennen: "Das Schöne an diesem Land und unserem Prinzip der Religionsfreiheit ist, dass wir Religion mit voller Absicht, aber sehr vorsichtig, von Politik und Regierung getrennt haben."

Die Gründerväter der Vereinigten Staaten vermerkten das in der Verfassung gleich zweimal - im Artikel VI und im ersten Zusatzparagraphen. In besagtem Artikel heißt es: "Die Senatoren und Abgeordneten, die Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaften der Einzelstaaten und alle Verwaltungs- und Justizbeamten sowohl der Vereinigten Staaten als auch der Einzelstaaten haben sich durch Eid oder Gelöbnis zur Wahrung dieser Verfassung zu verpflichten. Doch darf niemals ein religiöser Bekenntnisakt zur Bedingung für den Antritt eines Amtes oder einer öffentlichen Vertrauensstellung im Dienst der Vereinigten Staaten gemacht werden." Und im ersten Zusatzartikel heißt es: "Der Kongress darf kein Gesetz erlassen, das die Einführung einer Staatsreligion zum Gegenstand hat oder die freie Religionsausübung verbietet".

Klare Worte. Doch unverdrossen sucht die christliche Rechte immer noch und immer wieder, die Trennung von Kirche und Staat aufzuweichen. Auch wenn sie von acht Jahren Clinton frustriert sind und an Schwung und Einigkeit sichtbar eingebüßt haben, lassen die konservativen Christen ihr Fernziel nicht aus den Augen: Amerika soll sich offiziell als christliche Nation bekennen. Ein solches Unterfangen lässt sich nur mit einem republikanischen Präsidenten ansteuern. Daher heißt das Nahziel der rechten Christen: "Pray to Win - Vote for Bush". Rund 20 Millionen Dollar hat der Fundamentalistenführer Jerry Falwell in seine Wahlkampagne 2000 gesteckt, um Millionen Wähler zu animieren, einen Kandidaten zu wählen, der das ungeborene Leben schützt, keine Skrupel bei der Todesstrafe kennt, Homosexuelle nicht heiraten lässt, Jungfräulichkeit und die Schöpfungslehre propagiert. Bush erfülle diese Voraussetzungen, seine Chancen bei den evangelikalen Wählern seien exzellent, verbreitete der christliche Fernsehkanal CBN (Christian Broadcasting Network): "Unter Evangelikalen, die wahrscheinlich zur Wahl gehen werden und sich schon für einen Kandidaten entschieden haben, liegt Bush mit überwältigendem Abstand vor Gore: mit 81:13 Prozent - das sagen die Umfragen."

Bis zur Wahl am 7. November kann noch einiges passieren - der Himmel weiß es! Aber eigentlich ist alles gesagt. Und jeder hat sich auf seine Weise artikuliert. Das Gewissen des Senats, Joe Lieberman, zu später Stunde im Nachtfernsehen: Er stellt sich in Positur, atmet durch und intoniert Frankie Boy Sinatras "I did it my way ..."

   
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