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Porträt

Die Leiden der Seyran Ates

Nach gewalttätigen Übergriffen schließt die Berliner Anwältin und Islamkritikerin ihre Kanzlei. Eine Kämpferin für Menschenrechte resigniert.

Von Mariam Lau

Nun gibt sie auf. Seyran Ates, Anwältin, Autorin, Menschenrechtsaktivistin, war am vergangenen Mittwoch auf dem Weg vom Gerichtsgebäude in Berlin Kreuzberg an einem U-Bahnhof vom schreienden Ehemann einer Mandantin angegriffen worden. "Du Hure", habe der Mann gebrüllt, "welche Flausen setzt du meiner Frau in den Kopf?" Niemand half, als Mehmet O. auf Ates, ihre Mandantin und eine weitere Frau einschlug.

Nun zieht die 42-Jährige die Konsequenzen. Sie hat ihre Zulassung als Anwältin zurückgegeben, und auch die Mitgliedschaft in der Frauenrechtsorganisation Terre de femmes. "Aufgrund einer akuten Bedrohungssituation ist mir wieder mal allzu deutlich vor Augen geführt worden, wie gefährlich die Arbeit als Rechtsanwältin ist und wie wenig ich als Einzelperson geschützt war und bin", erklärt Ates.

Die "Flausen", von denen der eifersüchtige Ehemann sprach, sind Teil des biografischen Abenteuers, das die Autorin Seyran Ates mit ihren Kolleginnen Necla Kelek, Serap Cileli oder Ayaan Hirsi Ali verbindet. Lange bevor sie "Feminismus" als das hätten nennen können, was sie umtrieb, war ihr Freiheitsdrang eigentlich ein kleines Wunder. Wer kann schon erklären, warum von den vielen Mädchen aus Anatolien, die mit ihren Müttern den Vätern hinterher ins Eldorado Deutschland aufbrachen, gerade diese sich entschlossen, alles über Bord zu werfen, was sie gekannt und gelernt hatten? Plötzlich grausam zu finden, was für Generationen vor ihnen schlichte Normalität war - Beschneidungen der Jungen, Hochzeitsnächte mit blutigem Laken, die von den Beteiligten in Angst und Schrecken absolviert werden, Schläge, sadistische Exzesse, Zwangsehen, Demütigungen und schlechte Witze? Wie entsteht plötzlich Individualität, wo vorher nur ein Kollektiv war?

Kaum ein Rezensent hat erkannt, dass diese Bücher nicht die "kitschige Betroffenheitsliteratur" sind, als die sie die sogenannten "Migrationsforscher" gern abqualifiziert haben, sondern der klassische Typus des Entwicklungsromans. Die Leiden der jungen A.

Zehn Jahre war Seyran Ates alt, als ihr klar war, dass das Leben in einer Einzimmerwohnung im Berliner Wedding unter der Tyrannei ihres Bruders Kemal und eines ratlosen Vaters, den die Erfahrungen als glückloser Gastarbeiter um sein Selbstwertgefühl gebracht hatten, für sie die Hölle war. "Große Reise ins Feuer" heißt das Buch mit ihren Erinnerungen, ein Titel, der eine Übersetzung ihres Namens darstellt.

Die Dankbarkeit gegenüber der deutschen Gesellschaft, in der man Klassensprecherin werden, Aufsätze schreiben und dann Jura studieren kann, auch gegen den Willen der Eltern, wurde ihnen allen vom Juste Milieu als Verrat ausgelegt. "Haben Sie keine Angst", wurde Ates in einem Interview gefragt, "von konservativen Politikern als Kronzeugin für repressive Maßnahmen angeführt zu werden?" Nein, hatte sie nicht. Man müsse über Sanktionen gegen Zwangsehen nachdenken, und gegen einen Fragebogen, in dem sich 17 von 30 Fragen mit Frauenrechten beschäftigen, hatte sie auch nichts einzuwenden, auch wenn sie ihn nicht für ein effizientes Mittel zur Bekämpfung von Extremisten hält.

Der Anwaltsberuf, den sie jetzt an den Nagel hängt, war ein Mädchentraum von Seyran Ates, seit sie 15 Jahre alt war. Damals war sie in der gesamten Familie und der Nachbarschaft als Übersetzerin von Behördenschreiben bekannt, sie führte die Korrespondenzen, sie erkundigte sich nach der Rechtslage. Es war das Strafrecht, sagt Ates, das sie geradezu "angesprungen" habe. "Es ist die Krone der Härte". Ates hat, wie ihre Mitstreiterinnen auch, einen Rochus auf alle, die die Einwanderer romantisiert und die Brutalität unter ihnen als "kulturelle Besonderheit" durchgehen lassen wollen. "Kreuzberg ist bunt, weil die Deutschen dort bunt sind; die türkische Kultur dort ist grau. Niemand schaut nach oben. Dort sieht man die Frauen, die auf keinen Fall mitmachen dürfen, die gucken hinter den Gardinen zu. Frauen, die manchmal gar nicht wissen, wo sie sind, eingesperrt." Gerade die Grünen, die sich die türkischen Feministinnen doch als die "richtigen Patriotinnen" ans Revers hätten heften können, halten sich auch auf ihrem "Zukunftskongreß" vom Wochenende lieber an Migrantinnen, die vom Rassismus der Deutschen sprechen wollen. Ehrenmord wurde vor deutschen Gerichten lange nur als Totschlag geahndet - weil die kulturelle Prägung als mildernder Umstand gewertet wurde.

1984 war Ates schon einmal angegriffen worden - bei einem Anschlag der rechtsgerichteten Organisation "Graue Wölfe" auf einen Frauenladen. Sie erlitt einen Streifschuss, die Frau neben Ates starb. Anders als Kelek, die in ihren Büchern vor allem den Islam selbst und die Unterwerfung der Einzelnen durch die Gesetze des Clans herausstellt - unter der Frauen ebenso zu leiden hätten wie Männer - steht für Ates die Frauenfrage und das Thema Sexualität im Vordergrund. "Wir leben immer noch in patriarchalen Strukturen. Überall auf der Welt, auch in Deutschland. Die Unterdrückung der Frau durch den Mann haben alle Weltreligionen festgeschrieben. Wie lange durften Jüdinnen die Thora nicht lesen und nicht Rabbiner werden? Wie lange hat es gedauert, bis Christinnen lesen und schreiben lernen dürften?" Für sie hat die Ermordung von Hatun Sürücu durch ihre Brüder ("weil sie lebte wie eine Deutsche") in erster Linie mit sozialer Deklassierung zu tun. "Meine Brüder", erinnert sich Seyran Ates, haben mich in der Türkei nicht geschlagen. Wir kannten Armut, aber nicht Gewalt. Mein Vater ist noch damit groß geworden, dass man Frauen und Kinder nun mal zu schlagen hat, das hat er weitergegeben in einer Situation, in der er selber erniedrigt war als Gastarbeiter und umso mehr seine Familie schützen wollte gegen die bösen Deutschen. In der Türkei selbst wird heute offen über häusliche Gewalt debattiert." Die Mädchen sind erfolgreicher in Deutschland. Dafür rächt man sich an ihnen.

Artikel erschienen am 04.09.2006


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