150 JAHRE KUNSTGESCHICHTE AN DER UNIVERSITÄT WIEN

Mit der am 9. November 1852 erfolgten Ernennung von Rudolf Eitelberger von Edelberg (1817-1885) zum ao. Professor 'für Kunstgeschichte und Kunstarchäologie' beginnt die Geschichte der Kunstgeschichte als selbständiges Fach an der Universität Wien - und damit 150 Jahre Geschichte von Lehre und Forschung, in denen Wien zu einem der einflußreichsten Zentren dieser Wissenschaft wurde.

Die Wiener Lehrkanzel für Kunstgeschichte ist die zweitälteste im deutschen Sprachraum (nur in Berlin unterrichtete Gustav Waagen bereits seit 1844). Die Künste waren bis dahin nur im Rahmen des Lehrstuhls für Ästhetik, den bis 1849 der Professor für lateinische Philologie mitbetreut hatte, behandelt worden. Auch Eitelberger hatte Philosophie und die klassischen Sprachen studiert, sich aber dann im Kreis um Josef Daniel Böhm, den Direktor der Münzgraveurakademie, der Kunstgeschichte zugewandt und schon 1847 als Privatdozent Vorlesungen über 'Theorie und Geschichte der bildenden Kunst' gehalten. "Die Regeln der Theorie aus einer eindringlichen Betrachtung der Denkmale der Künste selbst zu entwickeln und nicht wie bisher eine auf abstraktem Wege gewonnene Theorie zur Würdigung der Kunstdenkmale anzuwenden": Mit dieser Absage an die allgemeine Ästhetik beschreibt 1851 Unterrichtsminister Graf Leo Thun - ganz im Sinne Eitelbergers - die Zielsetzung des neuen Extraordinariats für Kunstgeschichte. Für andere partielle Kunstwissenschaften wie Literaturgeschichte bzw. Geschichte und Ästhetik der Tonkunst wurden in den 1850er Jahren ebenfalls Lehrkanzeln eingerichtet; dennoch ist der universitären Erforschung der bildenden Künste und der Architektur die Bezeichnung generell als 'Kunstgeschichte' bis heute geblieben. Natürlich wurde Ästhetik weiterhin gelehrt und inspirierte, trotz aller Abgrenzung, die Kunstgeschichte; so wird sich Alois Riegl mit der 'Allgemeinen Ästhetik als Formwissenschaft' (1865) des Wiener Philosophieprofessors Robert Zimmermann auseinandersetzen.

Eitelberger wurde 1863 Ordinarius. Bekannt ist er durch die Herausgabe der 'Quellenschriften für Kunstgeschichte und Kunsttechnik des Mittelalters und der Renaissance' (ab 1871). Er engagierte sich auch in der aktuellen Kulturpolitik. So geht auf ihn die Gründung des Österreichischen Museums für Kunst und Industrie (heute: für Angewandte Kunst) zurück; 1864 wurde er Direktor dieses ersten Kunstgewerbemuseums außerhalb von England. Auf seine Initiative fand 1873 in Wien der allererste internationale Kongreß für Kunstgeschichte statt: Das neue Fach hatte innerhalb des 'Systems Wissenschaft' (Heinrich Dilly) volle Anerkennung gefunden.

 

Um Eitelberger zu entlasten, wurde Moritz Thausing (1838-1884), Leiter der Albertina und Verfasser einer Dürer-Monographie (1875), 1873 zum ao., 1879 zum o. Professor berufen. Sein Name steht nicht nur für den Austausch zwischen Hochschule und Sammlungen, der für die Lehrkanzel immer charakteristisch war (schon Eitelberger hatte im Museum 'Übungen im Erklären und Bestimmen von Kunstwerken' gehalten), sondern auch für die Verbindung mit dem Institut für Österreichische Geschichtsforschung (IÖG), das Thausing selbst (als erster Kunsthistoriker) absolviert hatte. Die Reorganisation unter Theodor von Sickel (1874) integrierte Kunstgeschichte als 'obligates' Fach in den dreijährigen Institutskurs, der speziell der Ausbildung von Archivaren, Bibliothekaren und Museumskustoden diente; daran wird bis heute festgehalten. Thausing war der erste Kunstgeschichte-Professor, der auch am IÖG lehrte. Die historisch-philologische Quellenkritik der mediävistischen Hilfswissenschaften blieb für die Wiener Kunstgeschichte eine grundlegende Orientierung. Die Beziehungen waren aber nicht nur institutioneller und methodischer, sondern auch örtlicher Natur: Als das von Heinrich von Ferstel - einem Freund Eitelbergers - errichtete neue Universitätsgebäude am Ring 1884 eröffnet wurde, bezog der 'Kunsthistorische Apparat' im Geschoß über dem IÖG an der Ecke Reichsratsstraße-Universitätsstraße einige Räume.

 

Als Thausings Nachfolger wurde 1885 Franz Wickhoff (1853-1909) zum Extraordinarius bestellt. Da Eitelberger im selben Jahr starb, mußte Wickhoff, ab 1891 Ordinarius, das Fach vorerst allein vertreten. War Eitelberger der 'Ahnherr', so ist Wickhoff der eigentliche Begründer der berühmten 'Wiener Schule der Kunstgeschichte' - eines durch mehrere Generationen lebendigen Traditions- und Diskussionszusammenhangs, der sich auf die Lehren von Wickhoff, Riegl, Dvořák und Schlosser bezog und auch über Wien und Österreich hinaus wesentlich die Ausbildung einer strengen kunstwissenschaftlichen Methodik befruchtete. Auch heute noch finden die systematischen Fragestellungen und das hohe theoretische Reflexionsniveau dieser Tradition international Beachtung, wie viele Neuübersetzungen (z. B. 'Vienna School Reader', New York 2000), zeigen. Im Rahmen dieser Chronik kann auf die Inhalte und die Bedeutung der Wiener Schule natürlich nicht in entsprechender Weise eingegangen werden. Für ihre universitäre Etablierung war die Bindung an das IÖG entscheidend (auch wenn Riegls oder Dvořáks universalhistorisch-teleologischer Ansatz und dessen Begriffshypostasen dem Positivismus des Instituts letztlich fremd sein mußten). Hatte das Professorenkollegium ursprünglich für die Nachfolge Eitelbergers einen schöngeistigen 'Generalisten' gesucht (zuerst verhandelte man mit Carl Justi, später dachte man an Georg Dehio oder Henry Thode), so setzten sich Wickhoff und seine Historiker-Kollegen schließlich durch: Mit Alois Riegl wurde 1894 ein Absolvent des IÖG zum ao., 1897 zum o. Professor ernannt; die erste Lehrkanzel war wieder besetzt.

Wickhoff initiierte zwei großangelegte Corpus-Projekte, an denen bis heute gearbeitet wird: die Katalogisierung der Bestände der Graphischen Sammlung Albertina, die er selbst mit den italienischen Handzeichnungen (1881-92) begann, sowie das 'Beschreibende Verzeichnis der illuminierten Handschriften in Österreich' (ab 1905). Sein wissenschaftliches Hauptwerk, bahnbrechend für die kunsthistorische Erzählforschung, ist 'Die Wiener Genesis' (1895): nicht nur ein Kommentar zu der spätantiken Zimelie der Hofbibliothek, sondern auch die erste Darstellung der antiken römischen Kunstgeschichte überhaupt. Für das antinormative Denken der Wiener Schule bezeichnend ist diese Neubewertung einer bis dahin vernachlässigten Kunstperiode, die Wickhoff aktualisierend, mit 'impressionistischer' Sensibilität, erfährt. Im Streit um die Deckenbilder Gustav Klimts für den Festsaal der Universität (1900) trat der Professor für Kunstgeschichte bezeichnenderweise für die Moderne ein.

 

Alois Riegl (1858-1905) war und ist der ohne Zweifel einfluß- reichste 'Klassiker' der Wiener Schule - auch außerhalb des Fachs, wie die Rezeption durch den wissenschaftstheoretischen Relativisten Paul Feyerabend, den Strukturalisten Claude Lévi-Strauss oder den Poststrukturalisten Gilles Deleuze zeigt. Riegls Formalismus, der die Kunst konsequent von den ästhetischen Dogmen Schönheit bzw. Naturnachahmung emanzipiert und Faktoren wie Material, Technik, Zweck als äußerlich negiert, soll in der Konzentration auf ein inneres Prinzip der künstlerischen Gestaltung (das 'Kunstwollen') die Autonomie nicht nur der künstlerischen Evolution, sondern auch der Kunstgeschichte als Wissenschaft sichern. Vor seiner Professur war Riegl (als Wickhoffs Nachfolger) Kustos in der Textilienabteilung des Museums für Kunst und Industrie. Von Sammlungsbeständen gehen seine beiden ersten großen Schriften - 'Stilfragen. Grundlegungen zu einer Geschichte der Ornamentik' (1893) und 'Die Spätrömische Kunstindustrie nach den Funden in Österreich-Ungarn' (1901) - aus, kühn den Bogen spannend von sachbezogener Objektanalyse zu einer universalhistorischen Konstruktion, die die entwicklungsgeschichtlich notwendige Funktion des Rankenornaments bzw. der vermeintlichen Dekadenz der Spätantike begründet. Einer anderen 'Verfallszeit', dem Barock, gelten seine späten Vorlesungen ('Die Entstehung der Barockkunst in Rom', 1907 posthum herausgegeben) sowie 'Das holländische Gruppenporträt' (1902), dessen Relevanz für eine rezeptionsästhetische Kunstwissenschaft in den letzten Jahren neu erkannt wurde. Seit 1903 Generalkonservator der 'k. k. Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und historischen Denkmale', setzte sich Riegl sowohl theoretisch ('Der moderne Denkmalkultus', 1903) als auch politisch-institutionell (Entwurf zum Denkmalschutzgesetz, 1903/05) für eine Neubestimmung der Denkmalpflege ein, die bis heute richtungsweisend ist.

 

Nach Riegls Tod wurde 1905 der Tscheche Max Dvořák (1874-1921) - unter Protest der Deutschnationalen - zunächst nur als ao. Professor berufen. Der Tod Wickhoffs vier Jahre später führte zu einer Zäsur in der Institutsgeschichte. Wie in den 1880erJahren kam es zu einem Widerstreit von zwei gegensätzlichen Auffassungen von Kunstwissenschaft, den diesmal nur ein Kompromiß beenden konnte: Als Nachfolger Wickhoffs berief man mit Josef Strzygowski einen deklarierten Gegner der Wiener Schule, den vor allem die Naturwissenschaftler favorisierten. Im Gegenzug wurde Dvořák 1909 ebenfalls o. Professor, als Absolvent des IÖG übernahm er die bisher von Wickhoff betreute Lehre am Institutskurs der Historiker. Unüberwindbare Differenzen führten 1911 zu einer auch räumlichen Trennung: Strzygowskis 'I. Kunsthistorisches Institut' bezog eine angemietete Wohnung am Ring gegenüber der Universität (Wien 1, Franzensring 12; ab 1922 dann in Wien 9, Hörlgasse 6); Dvořáks 'Kunsthistorischer Apparat' blieb in den alten Räumen im Hauptgebäude und wurde 1920 zum 'II. Kunsthistorischen Institut' erhoben - eine irreführende Bezeichnung, da Dvořák als Nachfolger von Eitelberger und Riegl eigentlich die ältere Lehrkanzel besetzte.

In seinem ersten Hauptwerk 'Das Rätsel der Brüder Van Eyck' (1904) noch der entwicklungsgeschichtlichen Betrachtungsweise Wickhoffs und Riegls verpflichtet, unterzieht Dvořák diese ab 1912/14 - mit Blick auf Dilthey, die Kritik am Positivismus der Naturwissenschaften, auch auf Tendenzen der zeitgenössischen Kunst - einer Revision und versteht in seinen späten Aufsätzen 'Kunstgeschichte als Geistesgeschichte' (so der Titel eines 1923 posthum veröffentlichten Sammelbands). Er hält am Primat der Form fest, interpretiert diese aber als Ausdruck der Weltanschauung (hier werden sozialgeschichtlich-marxistisch orientierte Forscher wie Friedrich Antal und Arnold Hauser ansetzen). An die Stelle des universalhistorischen Kontinuums tritt eine katastrophische Geschichtsauffassung in Brüchen und Gegensätzen und die Erkenntnis der Historizität auch des Kunstbegriffs. Dvořák 'erfand' den Manierismus als kunstgeschichtliche Epoche, indem er ihn in aktualisierender Perspektive als spiritualistisch-expressionistische Krisenzeit deutete. Wie Riegl, dem er als Generalkonservator nachfolgte, engagierte sich auch Dvořák in der Denkmalpflege. Er begründete 1906 die Österreichische Kunsttopographie und wurde 1912 Leiter des neuen Kunsthistorischen Instituts des Staatsdenkmalamtes.

Den Ruf einer Schule machen nicht nur die Lehrer aus. Unter Wickhoff, Riegl und Dvořák lernten jene Kunsthistoriker, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Österreich an den Museen und in der Denkmalpflege tätig waren, etwa Hans Tietze  (1880-1956; seit 1908 auch Dozent, ab 1919 tit. ao. Professor an der Universität), Franz Martin Haberditzl, Gustav Glück, Alfred Stix, Ludwig von Baldaß, Leo Planiscig, Johannes Wilde oder Dagobert Frey, um nur einige zu nennen. Weniger bekannt ist, daß auch Wissenschaftler wie Robert Eisler, Wilhelm Köhler, Rudolf Paul Berliner, Hans Posse, Franz Stelé, Fritz Saxl, Friedrich Antal, Antonio Morassi in Wien studiert hatten. Mit Erika Tietze-Conrat promovierte 1905 die erste Frau zur Kunsthistorikerin, in den Jahren vor dem 1. Weltkrieg folgten ihr Karoline Fröhlich-Bum und Betty Kurth; in den 1920er und 30er Jahren erhöhte sich dann der Anteil der Absolventinnen. Mit der Collage "Das Wiener kunsthistorische Institut im Jahre 1204" (1904) und einem ebenso ironischen Lehrgedicht, dem "Vademecum für Kunsthistoriker" (1908), sind zwei interessante Dokumente des Lebens am Wiener Institut dieser Zeit erhalten.

 

Nach Dvořáks Tod wurde 1922 Julius von Schlosser (1866-1938) zum neuen Ordinarius am II. Institut ernannt. Er war schon 1905 für die Nachfolge Riegls im Gespräch und zum tit. o. Professor ernannt worden, hatte aber stets einen Wechsel vom Kunsthistorischen Museum - wo er die Sammlung für Plastik und Kunstgewerbe leitete - abgelehnt. Jetzt sagte er doch zu, um die durch seinen Lehrer Wickhoff begründete Tradition zu sichern. Schlosser verfaßte die erste Geschichte der Wiener Schule (1934; bezeichnenderweise in den Mitteilungen des IÖG) und schrieb damit für das II. Institut - in Schlossers Worten das allein "in Wahrheit kunsthistorische Institut" - eine gegenüber Strzygowskis Lehrkanzel legitimierende Tradition fest. Die Entfremdung der beiden Institute hatte sich in den 1920er Jahren noch vertieft; nicht einmal Rigorosen wurden mehr gemeinsam abgenommen. In seinen Schriften hatte sich Schlosser zunächst, entsprechend der 'Wertfreiheit' der Wiener Schule, vor allem randständigen Themen zugewandt, die aus der Museumspraxis erwachsen waren ('Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance', 1908; 'Die Geschichte der Porträtbildnerei in Wachs', 1911) und deren Relevanz gerade in jüngster Zeit wiederentdeckt wird. Schlossers noch immer unübertroffenes Hauptwerk, die Frucht einer jahrelangen Beschäftigung mit den Quellen vom Mittelalter bis zum 18. Jahrhundert (etwa im Kommentar zu Lorenzo Ghibertis 'I Commentarii', 1912), ist 'Die Kunstliteratur' (1924). Mit der von seinen Freunden Benedetto Croce und Karl Vossler entlehnten Unterscheidung einer 'Stilgeschichte' der Kunst von bloßer 'Sprachgeschichte' (1935) versuchte Schlosser, den Rieglschen Entwicklungsbegriff zu überwinden und die Individualität der Künstlerpersönlichkeit bzw. des herausragenden Kunstwerks theoretisch zu retten.

Die Erkenntnis der komplexen Struktur des Einzelkunstwerks und der diese organisierenden Prinzipien stand im Mittelpunkt des Interesses von zwei Schlosser-Schülern, die man seit Meyer Schapiro als 'Neue Wiener Schule der Kunstgeschichte' bezeichnet: Hans Sedlmayr und Otto Pächt. Gemeinsam mit dem Archäologen Guido von Kaschnitz-Weinberg diskutierten sie eine versachlichte, ihre Methodik mit strenger Begrifflichkeit reflektierende Neuorientierung der Kunstwissenschaft, die sich kritisch auf Riegl bezog und Erkenntnisse der Gestaltpsychologie integrierte. Ihr intellektuelles Niveau - in der deutschsprachigen Kunstgeschichte vor 1933 nur mit der Warburg-Schule vergleichbar - wurde in Walter Benjamins Rezension zum ersten Band der 1931-33 von Pächt herausgegebenen 'Kunstwissenschaftlichen Forschungen' gewürdigt, der Schlüsseltexte wie Sedlmayrs 'Zu einer strengen Kunstwissenschaft' und Pächts 'Die historische Aufgabe Michael Pachers' enthielt. Neue Bereiche - 'Die Legende vom Künstler' (1934; gemeinsam mit Otto Kurz), die 'Bildnerei der Geisteskranken' (1936), die Psychologie der Karikatur - eröffnete auch ein anderer Schlosser-Schüler, Ernst Kris (1900-1957), der die psychoanalytische Interpretation schöpferischer Prozesse für die Kunstwissenschaft fruchtbar machte; mit ihm arbeitete der junge Ernst Gombrich (1909-2001) zusammen, bevor er nach England emigrierte.

 

Von 1909 bis 1933 leitete Josef Strzygowski (1862-1941; 1892-1909 erster Ordinarius für Kunstgeschichte an der Universität Graz) das I. Kunsthistorische Institut. Sein polemischer Stil, die spekulativ-unhistorische Dogmatik der Methode, der unsägliche Rassismus seines indogermanischen 'Nordstandpunkts' machen seine Schriften, vor allem die späteren, heute nur mehr schwer lesbar. Dennoch darf seine Professur nicht, wie in der offiziellen Lesart seit Schlosser, als 'schwarzer Fleck' aus der Geschichte der Wiener Kunstgeschichte ausgeblendet werden. In den 20er Jahren hatte sein I. Institut viel mehr Absolventen als Schlosser. Strzygowski - der zu vielen Vortragsreisen, auch in die USA, eingeladen wurde, lange eine Gastprofessur in Finnland innehatte und mit Thomas Mann und Emile Mâle in eine Kommission des Völkerbunds gewählt wurde - war damals zweifellos der international bekannteste Wiener Kunsthistoriker. Sein 'Blick nach Osten' (später vor allem: der Mystifikation eines Ursprungs im Nordosten) war die Konsequenz einer gegen die antik-humanistische Tradition gerichteten Ideologie ('Rom oder Orient', 1901) und zeitigte allzuoft unhaltbare Hypothesen. Strzygowskis Verdienst ist jedoch die Erschließung neuer Forschungsgebiete, wie der koptischen, der byzantinischen oder der islamischen Kunst, über die in Wien auch sein Schüler Ernst Diez lehrte (1878-1961; 1919 Dozent, 1926-39 Professor in Bryn Mawr, 1939-43 wieder in Wien als apl. Professor, 1943-49 erster Professor für Kunstgeschichte in Ankara). Der Eurozentrismus der Wiener Schule (aber nicht nur dieser) wurde von Strzygowski in Richtung einer vergleichenden Weltkunstgeschichte verlassen. Der Plan eines 'Forschungsinstituts für die Kunst Ost-, Südosteuropas und Asiens' (mit Außenstellen in Teheran und Peking) scheiterte 1912 an der Finanzierung. Strzygowski organisierte jedoch vor dem 1. Weltkrieg Studienreisen in den Iran, nach Sibirien und Japan, Serbien und Bulgarien sowie nach Armenien (sein Werk 'Die Baukunst der Armenier und Europa', 1918, gilt noch heute als Pioniertat). Seine Interessen umfaßten auch - wie die Themen der von ihm vergebenen Dissertationen zeigen - zeitgenössische Kunst, Volkskunst und Kunstpädagogik (er selbst hielt Vorlesungen am Pädagogischen Institut der Stadt Wien).

Nach Strzygowskis Emeritierung wurde seine Lehrkanzel eingespart, das I. Institut 1934 aufgelöst. Um seine Ideen weiterzuführen, gründeten Schüler Strzygowskis die ‚Gesellschaft für vergleichende Kunstforschung' als bewußte Gegenposition zu der von Schlosser vertretenen historisch-philologischen ‚Wiener Schule'. Es entbehrt nicht der Ironie, daß heute, in historisierender Distanz, in den Mitteilungen eben dieser Gesellschaft eine Darstellung der Wiener Kunstgeschichte erscheint, in der Strzygowski seinen Platz neben Riegl oder Schlosser gefunden hat.

Schlossers Nachfolge trat 1936 als nunmehr einziger Ordinarius für Kunstgeschichte Hans Sedlmayr (1896-1984)an, der mit ‚Das erste mittelalterliche Architektursystem' (1933) und 'Die Macchia Bruegels' (1934) exemplarisch die Methode der Strukturanalyse vorgestellt hatte. - Pächt, der andere Exponent der 'Neuen Wiener Schule', hatte 1933 in Heidelberg habilitiert ('Gestaltungsprinzipien der westlichen Malerei des 15. Jahrhunderts'), durfte als Jude seine Antrittsvorlesung aber nicht mehr halten; 1936 emigrierte er nach England. - Nach dem Anschluß Österreichs an Nazi-Deutschland 1938 vollzog Sedlmayr, politisch großdeutsch gesinnt und bereits 1930-32 bei der NSDAP, seine ideologische Gleichschaltung in Schriften wie 'Die politische Bedeutung des deutschen Barock' (1938) und 'Die Kugel als Gebäude, oder: Das Bodenlose' (1940), wo mit antisemitischer Verhöhnung der Moderne, gegen die das Berliner Olympia-Stadion als Beispiel deutscher, 'menschlicher' Architektur gesetzt wird, Kerngedanken seiner späteren umstrittenen Schrift 'Verlust der Mitte' (1948) vorweggenommen werden. Gleichzeitig - von der Antrittsvorlesung 1936 bis zu ‚Die Entstehung der Kathedrale' (1950) - konstruierte Sedlmayr die gotische Kathedrale, Abbild des Himmlischen Jerusalem, als rückwärtsgewandte Utopie.

Das Jahr 1938 bedeutete für die Wiener Kunstgeschichte einen schweren Einschnitt. Die Liste jener, die am Institut studiert hatten und jetzt aus 'rassischen' oder politischen Gründen fliehen mußten bzw. schon in den Jahren davor emigiriert waren, ist lang. Hier seien genannt: Friedrich Antal, Otto Benesch, Rudolf Berliner, Wolfgang Born, Ernst Buschbeck, Otto Demus, Franziska Fried-Boxer, Otto Fröhlich, Karoline Fröhlich-Bum, Bruno Fürst, Gustav Glück, Ludwig Goldscheider, Ernst H. Gombrich, Fritz Grossmann, Felix Horb, Otto Kallir-Nirenstein, Emil Kaufmann, Ernst Kris, Betti Kurth, Hilde Kurz (Schüller), Otto Kurz, Gerhart Ladner, Susanne Lang, Gertrude Langer (Fröschel), Ludwig Münz, Otto Pächt, Adolph K. Placzek, Kurt Rathe, Felix Reichmann, Fritz Saxl, Otto (Naftali) Schneid, Heinrich Schwarz, Kurt L. Schwarz, Berta Segall, Hans Tietze, Erica Tietze-Conrat, Karl von Tolnay, Johannes Wilde, Julia Wilde (Gyárfás), Karl With, Alma Stefanie Wittlin-Frischauer, Alice Wolfe (Frisch), Hilde Zaloscer.

Nach 1945 kehrten nur Benesch, Buschbeck, Demus und Münz zurück. Sedlmayr wurde 1945 als NSDAP-Mitglied zwangsemeritiert, aus demselben Grund wurde Bruno Grimschitz (1892-1964; 1937 Dozent, 1941 apl. Professor) und Karl Oettinger (1906-1979; 1936 Dozent, 1942 apl. Professor) die Venia aberkannt (Grimschitz erhielt sie 1957 wieder verliehen; Oettinger wurde 1954 Professor in Erlangen). Sedlmayr wurde dann 1951-64 Ordinarius in München, 1964-1969 Gast- bzw. Honorarprofessor in Salzburg. Eine neuerliche Berufung nach Wien stieß 1962 auf so starken Widerstand, daß Sedlmayr absagte.

 

Das Institut wurde 1945 provisorisch von Wladimir Sas-Zaloziecki (1896-1959; 1935-39 Professor in Lemberg, ab 1940 ao. Professor in Wien) geleitet, einem Spezialisten für osteuropäische und byzantinische Kunstgeschichte, ab 1949 Professor in Graz. 1946 berief man als neuen Ordinarius Karl Maria Swoboda (1889-1977), der in Wien Assistent Dvořáks und Dozent, ab 1930 auch ao. Professor gewesen war und 1934-1945 an der Deutschen Universität Prag gelehrt hatte. Swobodas Forschungen galten speziell der spätantiken und frühmittelalterlichen Architektur ('Römische und romanische Paläste', 1918) sowie der romanischen Malerei. In seinen Vorlesungen (nach Mitschriften 1976-1984 als 'Geschichte der bildenden Kunst' veröffentlicht) ging es ihm um eine Gesamtschau der Kunstgeschichte und ihrer immanenten Gesetzlichkeit - angesichts zunehmender Spezialisierung der Wissenschaft ein letzter universalhistorischer Versuch im Rekurs auf Riegl und Dvořák. In diese synthetische Sicht integrierte Swoboda, um Ausgleich zwischen der Wiener Schule und Strzygowskis 'vergleichender Kunstforschung' bemüht, auch die außereuropäische Kunst ('Berührungen der christlich-abendländischen Kunst mit der des Islam', 1952). 1962, im letzten Jahr von Swobodas Professur, übersiedelte das Institut aus den zu eng gewordenen Räumlichkeiten im Hauptgebäude am Ring in den 6. Stock des Neuen Institutsgebäudes (Wien 1, Universitätsstraße 7). Neben Swoboda lehrten auch an den Museen tätige Gelehrte wie Ludwig Baldaß (1887-1963; 1926 Dozent, 1935 tit. ao. Professor), Otto Benesch (1896-1964; 1948 ao. Professor), und Fritz Novotny (1903-1983; 1938 Dozent, 1948 ao., 1978 tit. o. Professor), der als Fachmann für die Malerei des 19. und frühen 20. Jahrhunderts ('Cézanne und das Ende der wissenschaftlichen Perspektive', 1938; ‚Painting and Sculpture in Europe 1780 to 1880', 1960) noch bis in die 1970er Jahre Vorlesungen hielt.

Von 1963 bis 1972 wurde die Kunstgeschichte zum ersten Mal seit dreißig Jahren wieder von zwei Ordinarien vertreten: Otto Demus (1902-1990) und Otto Pächt (1902-1981), beides Persönlichkeiten, die in ihrer Lehre die Summe nicht nur ihres eigenen Forscherlebens, sondern in gewissem Sinn auch der bisherigen Entwicklung der Wiener Kunstgeschichte im 20. Jahrhundert weitergaben. Demus, nach seiner Remigration aus England 1946-1963 Präsident des Bundesdenkmalamts, folgte seinem Lehrer Strzygowski - freilich ohne dessen methodische Zwangsvorstellungen - im Interesse für die mittel- und spätbyzantinische Kunst und ihre Beziehungen zum Abendland, zu deren international bekanntesten Spezialisten er zählte ('Byzantine Mosaic Decoration', 1948; 'Byzantine Art and the West', 1970); weitere Schwerpunkte seiner Arbeit waren romanische Wandmalerei und spätgotische Tafelbilder. Mit Pächt kehrte aus Oxford - wo er die Handschriften der Bodleian Library bearbeitet und an der Universität unterrichtet hatte - ein Vertreter der 'Neuen Wiener Schule' nach Wien zurück, der in druckreif formulierten Vorlesungen zeigte, wie größte Nähe zum Gegenstand, Versenkung in die anschauliche Gegebenheit des Kunstwerks sich mit begrifflicher Klarheit verbinden kann (veröffentlicht wurden 'Methodisches zur kunsthistorischen Praxis', 'Einführung in die mittelalterliche Buchmalerei', 'Van Eyck', 'Die altniederländische Malerei', 'Rembrandt', ‚Venezianische Malerei des 15. Jahrhunderts'). Unter den beiden 'Ottonen', wie man Demus und Pächt mit Verehrung nannte, wurde das Wiener Institut in den 1960er und frühen 70er Jahren zu einem Mekka der Mittelalterkunstgeschichte, das viele ausländische Studierende anzog. Nach der Emeritierung leitete Pächt das von Wickhoff initiierte Verzeichnis der illuminierten Handschriften der Österreichischen Nationalbibliothek, das er 1969 wiederaufgenommen hatte, Demus vollendete umfassende Werke zu den Mosaiken von San Marco in Venedig (1984), den byzantinischen Mosaikikonen und den spätgotischen Altären in Kärnten (beide 1991 posthum erschienen).

 

Wie an anderen Universitäten expandierte auch in Wien das Fach Kunstgeschichte seit den 1960er Jahren. In rascher Folge wurden zwei weitere Lehrkanzeln eingerichtet, die beide mit Swoboda-Schülern besetzt wurden. Renate Wagner-Rieger (1921-1980), die 1964 ao., 1971 o. Professorin für österreichische Kunstgeschichte wurde, war eine ausgesprochene Architekturspezialistin. Das breite Themenspektrum ihrer Arbeiten reicht vom Mittelalter bis in das frühe 20. Jahrhundert und umfaßt die Baukunst nicht nur in Österreich und Mitteleuropa, sondern auch in Italien ('Die italienische Baukunst zu Beginn der Gotik', 1956; 'Das Wiener Bürgerhaus des Barock und Klassizismus', 1957; 'Mittelalterliche Architektur in Österreich', 1988 posthum erschienen). Bahnbrechend war ihr Eintreten für die Neubewertung und wissenschaftliche Erschließung der Kunst des 19. Jahrhunderts ('Wiens Architektur im 19. Jahrhundert', 1970), der das von ihr geleitete interdisziplinäre Projekt zur Wiener Ringstraße wesentliche Impulse gab.

 

Gerhard Schmidt (geb. 1924) seit 1964 Extraordinarius, wurde 1968 zum Ordinarius ernannt. Seine Forschungen, die vor allem der stilisti- schen Physiognomie der Kunstwerke und ihrer entwicklungsgeschicht- lichen Bedeutung gelten, konzentrieren sich auf die Skulptur und Malerei, speziell Buchmalerei, der Gotik in Mitteleuropa und in Frankreich ('Die Armenbibeln des 14. Jahrhunderts', 1959; 'Die Malerschule von St. Florian', 1962; gesammelte Aufsätze in 'Gotische Bildwerke und ihre Meister', 1992), sein Interesse gilt aber ebenso der Kunst des 20. Jahrhunderts ('Neue Malerei in Österreich', 1956).

1988 übernahm er von Pächt die Betreuung des Handschriften-Verzeichnisses der Nationalbibliothek. Schmidt wurde 1992 emeritiert.

 

Als Nachfolger Pächts wurde 1974 Hermann Fillitz (geb. 1924) zum o. Professor berufen, der 1959-1965 Leiter der Sammlung für Plastik und Kunstgewerbe, dann 1967-1974 Professor in Basel gewesen war. Ein Spezialist für die Kunst des frühen und hohen Mittelalters, mit besonderem Schwerpunkt auf der Schatzkunst ('Propyläen-Kunstgeschichte Mittelalter I', 1969; 'Die Schatzkammer in Wien', 1985; 'Schatzkunst', 1987, mit Martina Pippal), engagierte sich Fillitz auch in der aktuellen Museumspolitik (entscheidend war sein Einsatz für die Gründung des Museums moderner Kunst Stiftung Ludwig 1979) und kehrte 1982-1990 an das Kunsthistorische Museum als Erster Direktor und Leiter der Gemäldegalerie zurück, übte daneben aber weiterhin seine Professur aus. 1983 veranstaltete er - 110 Jahre nach der von Eitelberger initiierten ersten Tagung - den 25. Internationalen Kunsthistoriker-Kongreß in Wien. Fillitz wurde 1994 emeritiert. 

 

Auf die nach Demus vakante vierte Lehrkanzel wurde 1976 Günther Heinz (1927-1992) berufen. Vorher Kustos an der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums, verband er Sensibilität für die individuelle Handschrift des Künstlers mit umfassender humanistischer Bildung. Seine Studien zur Malerei und Skulptur vor allem des Barock in Österreich, Italien und den Niederlanden ('Porträtmalerei an den Höfen der österreichischen Erblande', 1962; 'Realismus und Rhetorik im Werk des Bartolomeo Passarotti', 1972; 'Geistliches Blumenbild und dekoratives Stilleben', 1973; gesammelte Aufsätze in ‚Virtuosentum versus Pedanterie') zeigen ihn im Erfassen des Symptomatischen vermeintlich peripherer Phänomene jener Richtung der Wiener Schule verpflichtet, wie sie Schlosser vertreten hatte.

Von 1975 bis zu seiner Pensionierung 2002 lehrte Helmut Buschhausen als ao. Professor (später: Professor) byzantinische Kunstgeschichte an den Instituten für Kunstgeschichte und für Byzantinistik. Mit seinem besonderen Interesse für die Kunst des ‚christlichen Orients' setzt Buschhausen eine von der Strzygowski-Schule begründete Tradition fort. Forschungsschwerpunkte sind die armenische Buchmalerei (‚Die illuminierten Handschriften der Mechitaristen-Congregation in Wien', 1976, gemeinsam mit Heide Buschhausen; ‚Das Etschmiadzin-Evangeliar', 2001), die Kunst des koptischen Ägypten (Ausgrabungen in Dair Abu Fana) und der Kreuzfahrerstaaten (‚Die süditalienische Bauplastik im Königreich Jerusalem', 1979).

 

Die Chronik des Kunsthistorischen Instituts an der Universität Wien - in den 1970er Jahren umbenannt zu 'Institut für Kunstgeschichte' - hat damit jene Zeit erreicht, die durch die Lehrenden und ihre Schüler und Schülerinnen bereits in die unmittelbare Gegenwart hineinwirkt. Hier seien daher nur mehr die 'genealogischen' Daten genannt (für weitere Informationen zu den Professoren, Dozenten und anderen Lehrenden siehe hier).

 

Nach dem Tod Wagner-Riegers wurde Artur Rosenauer, schon seit 1976 ao. Professor, 1982 als o. Professor berufen. In den 1990er Jahren erfolgte, nach jahrelanger Vakanz, eine weitgehende Neubesetzung der Ordinariate. Nachfolger des 1992 verstorbenen Günther Heinz wurde 1994 Friedrich Teja Bach. Den Emeriti Fillitz und Schmidt folgten 1997 Hellmut Lorenz und 1998 Michael Viktor Schwarz. 1996 wurde ein neues Extraordinariat (jetzt: Professur) für außereuropäische Kunstgeschichte eingerichtet, auf das Deborah Klimburg-Salter berufen wurde. Als Nachfolgerin von Helmut Buschhausen wurde Lioba Theis 2005 Professorin für byzantinische Kunstgeschichte.

 

Aus dem akademischen 'Mittelbau' kamen die ao. Professorinnen und ao. Professoren: Walter Krause, Peter HaikoMartina Pippal., Monika Dachs, Hans Aurenhammer, Michaela Krieger, Ingeborg Schemper-Sparholz.

 

Die wenigen Zimmer im Ferstel-Gebäude am Ring hatten dem Institut fast 80 Jahre lang genügt. Im seit 1962 bezogenen Neuen Institutsgebäude führte die sprunghaft angestiegene Zahl der Studierenden, die Zunahme der Lehrenden und der nichtwissenschaftlichen Mitarbeiter sowie die ständig wachsende Bibliothek schon nach zwei Jahrzehnten zu einem gravierenden Platzmangel. 1997 übersiedelte das Institut für Kunstgeschichte daher in die großzügigen Räumlichkeiten im Hof 9 des Universitätscampus im ehemaligen Allgemeinen Krankenhaus.

 

Hans Aurenhammer