GEO Magazin Nr. 06/06 - Leonardo da Vinci Seite 1 von 4

Text von Rolf Bökemeier

Ein Kraut wirkt Wunder

500 Millionen Menschen erkranken in jedem Jahr an Malaria, allein in Afrika erliegen Hunderttausende von Kindern dem Todesfieber. Die herkömmlichen Medikamente wirken kaum noch. Doch jetzt ist Hoffnung: Eine unscheinbare Beifuß-Pflanze aus den Bergen Südchinas verspricht Heilung. Die Entdeckung von Artemisinin ist epochal wie die des Penizillins. Und zugleich ein tragisches Kapitel aus dem Ost-West-Konflikt


Nur eine halbe Stunde von Bangkok nach Mae Sot - und doch ein Flug in einen anderen Kosmos. Tropischer Bergwald, durch Brandrodung versengt, im Tal verwilderte Bananenstauden, überrannt von wucherndem Bambus, dazwischen der Fluss Moei, die Grenze zu Myanmar, früher Burma. Auf dem thailändischen Ufer steht das Feldlazarett "Shoklo Malaria Research Unit": eine Holzbaracke auf Pfählen, gegliedert in Nischen mit roh gezimmerten Pritschen, ein winziges Labor für Bluttests, zwei Latrinen und einen Ruheraum.

Ein fiebrig verschleierter Blick

Auf Bänken und dem nackten Boden lagern an diesem Morgen 54 Patienten beiderlei Geschlechts und jeden Alters, vom Säugling bis zum Greis. Es sind ausnahmslos Karen, Angehörige einer aufständischen Minderheit, in Myanmar verfolgt. Doch diese Karen erscheinen wie eine Schar lebloser Geister - teilnahmslos, mit fiebrig verschleiertem Blick: Anzeichen von Malaria tropica, einer im burmesischen Niemandsland endemischen Infektionskrankheit. Sie beginnt mit Fieber und Kopfschmerzen, führt zu Leber- und Nierenversagen und endet im Hirnkoma mit meist tödlichem Ausgang.

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Heilschlaf: Die Ärzte des Feldlazaretts in Mae Sot haben einem kranken Kind ein Artemisinin-Präparat gegeben. Es wird wieder zu Kräften kommen

Die Ambulanz ist ein Außenposten des Instituts für Tropenmedizin an der Mahidol-Universität in Bangkok. Es wird fachlich und finanziell unterstützt von der britischen Stiftung "Wellcome Trust" und der University of Oxford, die sich beide für die Bekämpfung der Malaria engagieren. Ihr Programm: bei der Behandlung burmesischer Flüchtlinge ein neues "Wundermittel" zu testen - Artemisinin, einen hochwirksamen Malariakiller auf pflanzlicher Basis. Das Sagen in der Ambulanz hat Win Htay Simon, 33, die Kareni, Burmesisch, Thai und Englisch spricht. "Je nach Alter, Geschlecht und Gewicht sowie dem Zustand des Patienten bemessen wir die Dosis und die Dauer der Einnahme des Mittels", erläutert Simon. "Wir haben mit Artemisinin ausgezeichnete Erfolge erzielt, besonders bei schwangeren Frauen, unserer Risikogruppe."

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Der Barfußdoktor Xu Wenxu heilt mit dem Wildkraut Qinghao. Die Bauern seines Heimatdorfes Changxin haben 35 Millionen Setzlinge gepflanzt

Die Krankheit ist weiter auf dem Vormarsch

"Artemisinin ist hochpotent, schnell wirksam und gut verträglich", hat auch die internationale Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" festgestellt. "Bereits nach der ersten Dosis sind 90 Prozent der Erreger vernichtet." Ein solches Medikament wäre eine unschätzbare Errungenschaft bei der Bekämpfung der Menschheitsgeißel Malaria. Denn die Krankheit ist weiter auf dem Vormarsch: in Lateinamerika, in Südostasien, auf dem indischen Subkontinent; in erster Linie aber in Afrika. An dieser verlustreichsten Front mit 90 Prozent der weltweit 500 Millionen Malariainfizierten sterben alljährlich zwei Millionen Menschen an der Krankheit, mit steigender Tendenz. Die meisten Opfer sind werdende Mütter und Kinder unter fünf Jahren. Standardmittel wie das seit einem halben Jahrhundert verabreichte Chloroquin sowie dessen Nachfolger Fansidar sind inzwischen gegen den Malariaerreger Plasmodium falciparum mehr oder minder unwirksam geworden und haben überdies horrende Nebenwirkungen.

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Alle Hoffnung ruht nun auf dem neuen Wundermittel. Aber was ist Artemisinin und woher stammt es? Die Herkunft und Besonderheit des Wirkstoffs mit dem chinesischen Namen Qinghaosu, einer Kräuterarznei der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM), sind am mittleren Jangtse zu suchen. Eine lange Reise in die Wuling-Berge südlich von Chinas mächtigstem Fluss. Nach der Passage der Achtmillionen-Metropole Chongqing taucht der Jangtse in jene Landschaft ein, die den Strom zu einem Mythos hat werden lassen: schroffe Schluchten, nebelverhangene Gipfel und schwarz gähnende Höhlen an den Flanken des Flussbetts. Hier entsprang Chinas Machtsymbol, der fabelhafte Drache - Wächter des Ostens, Sinnbild der Naturkraft und Spender des Regens. Letzteres ist er immer noch, zehn Monate im Jahr.

Als die Existenz einer solch hochwirksamen Sorte der seit Urzeiten genutzten Fieberheilpflanze Qinghao ab Mitte der 1990er Jahre größeren Kreisen von westlichen Schulmedizinern bekannt wurde, entstand Hoffnung: War damit auch gegen die bösartigste aller Fieberkrankheiten ein dauerhaftes Kraut gewachsen? Das wäre die gute Nachricht gewesen. Aus der Sicht westlicher Ideologen allerdings auch eine schlechte: Würde nun ausgerechnet das kommunistische China als Retter Afrikas auftreten? In der Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit Sitz in Genf, die auch über die Vergabe von Geldern entscheidet, herrschte dieser Vorbehalt etlicher ihrer 192 Mitgliedstaaten vor - verbunden mit dem Misstrauen der überwiegend westlich geschulten WHO-Mediziner gegen die östliche Naturheilkunde.

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In Beijing erzeugt der Schweizer Pharmakonzern Novartis das Anti-Malaria-Mittel "Coartem"

Die Chronik der Ignoranz

Und so verhielt sich die Organisation gegenüber der Forderung von Experten, sie solle den globalen Einsatz von Artemisinin autorisieren, ausweichend und abwartend - wieder einmal. Denn zu diesem Zeitpunkt wussten die WHO-Funktionäre bereits seit anderthalb Jahrzehnten um das viel versprechende Malariamittel aus China. Und hatten immer aufs neue die Entscheidung umgangen, es für die Anwendung zu empfehlen. Die WHO-Bürokratie und die Heilpflanze Qinghao: eine Chronik der Ignoranz, Fehleinschätzung und Verschleppung.

"Auf schäbigem gelben Papier zwar und in etwas kuriosem Englisch, aber völlig exakt, war ein neuer Wirkstoff beschrieben, einschließlich klinischer Tests an Mäusen und Menschen" - so erinnert sich der britische Professor Nicholas White, 58, an den Artikel aus dem "Chinese Medical Journal", den er 1979 zufällig in die Hände bekommen hatte. Die Veröffentlichung galt einem erfolgreich gegen Malaria erprobten Artemisia-Präparat. Ihr Urheber war die Chinesische Akademie für Militärische Medizinwissenschaften in Beijing. Der Professor, heute Direktor des Südostasien-Institut Wellcome Trust in Bangkok: "Auf nur fünf Seiten stand all das, wofür eine westliche Pharmafirma 300 Millionen Dollar ausgegeben hätte."

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1969 begann die Pharmakologin Tu Youyou in den Büchern der Traditionellen Chinesischen Medizin nach Rezepten gegen Schüttelfrost und Fieber zu suchen

Ergebnis: ungenügend

White gab den Artikel an die Weltgesundheitsorganisation weiter. Doch der war ein Forschungsergebnis nach chinesischer Methodik nicht seriös genug. Die Genfer Funktionäre beauftragten daher das "Walter Reed Institute" der US-Army in Washington 1980 mit der Entwicklung eines eigenen WHO-Medikaments. Nach zehnjähriger Laborarbeit brachte das Reed-Institut 1992 eine erste Testreihe heraus. Ergebnis: ungenügend. Die WHO sah sich in ihrem Misstrauen gegenüber dem "Wundermittel" chinesischer Herkunft bestätigt. Dabei hatte Artemisinin in den 1970er Jahren seinen ersten Siegeszug vollbracht - in Südostasien. Während des Vietnamkriegs und der folgenden Bürgerkriegswirren in Kambodscha hatte sich in der Region eine Form der Malaria ausgebreitet, deren Erreger durch den massenhaften Einsatz der Gegenmittel Chloroquin und später Fansidar mehrfachresistent geworden war. Da setzten Vietnam, Kambodscha und Thailand auf eigene Faust und Rechnung chinesische Artemisinin-Präparate ein – eine Verzweiflungstat, die am Ende zahllosen Menschen das Leben rettete.

Wem gebührt die Ehre der Urheberschaft?

Doch wenn der Wirkstoff eine so bahnbrechende "Erfindung" ist - wem gebührt dann die Ehre der Urheberschaft? Die Spur führt zu Chinas Akademie für Traditionelle Chinesische Medizin in Beijing, genauer: zu der Pharmakologin Tu Youyou. Die 75 Jahre alte Entdeckerin von Artemisinin hat im Unterschied zu ihren bestens ausgerüsteten Institutskollegen keinen Computer und kein modernes Labor, stattdessen eine Professur auf Lebenszeit mit schmalem Gehalt - und ihre Erinnerungen. Die sind, zusammen mit einer fußhohen Artemisia-Pflanze in Alkohol, in einem Metallschränkchen eingesperrt: die Dokumente nationaler und internationaler Preise, darunter der "Albert Einstein World Sciences Price" von 1987.

In den Jahren der Kulturrevolution von 1966 bis 1969 und des Vietnamkriegs von 1964 bis 1975 hatte Tu ihre große Zeit. Als der Vietcong mehr Soldaten durch Malaria als durch Feindberührung mit den Amerikanern einbüßte, bat der nordvietnamesische Präsident Ho Chi Minh seinen damaligen Verbündeten Mao Zedong um die Hilfe der östlichen Medizin. So entstand 1967 das hochgeheime "Projekt 523. Der Auftrag, unverzüglich "ein schnell wirkendes Medikament ohne Resistenzen und Nebenwirkungen gegen Malaria" zu finden, brachte mehr als 500 Wissenschaftler der Volksrepublik zusammen. Sie probierten nicht weniger als 40.000 Wirkstoffe aus - ohne jeden Erfolg. Da wurde die Herausforderung 1969 an die TCM-Akademie in Beijing weitergereicht und landete bei der vielseitigen Forscherin Tu Youyou. "Ich habe 640 einschlägige Rezepte in Chinas alter Hausapotheke gefunden, darunter auch die früheste Erwähnung von Qinghao aus dem Jahr 168 vor Christus", erzählt die Professorin. "Aber erst drei Jahre später stieß ich auf den entscheidenden Hinweis."

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In den Bergen südlich des Jangtse-Flusses gedeiht neben Getreide die wirkstoffreichste Artemisia-Sorte

Das Schlüsselwort war "Auspressen"

Er lautete: "Weiche eine Hand voll Qinghao in zwei Liter Wasser ein, presse den Sud aus und trinke ihn ganz." Tus Durchbruch war nicht nur der Pflanze Qinghao zu verdanken. Das Schlüsselwort war "Auspressen". Tu begann zu experimentieren. 1972 war Artemisinin als Wirkstoff verfügbar, und 1973 konnten rund 3000 Malariakranke in klinischen Versuchen völlig geheilt werden. Auf dem "4. Weltsymposion für die Chemotherapie von Malaria", einberufen von der WHO im Oktober 1981 in Beijing, trug die Hauptreferentin Tu Youyou den Experten vor, wie man die Seuche mit Artemisinin in den Griff bekommen und womöglich Afrika retten könnte. Die UN-Vertreter im Dienst der Weltgesundheit unternahmen nichts. Nach Bekanntwerden der Erfolge von Artemisinin in Südostasien sah sich die WHO schließlich zu einer eigenen Initiative genötigt: dem Hilfsprogramm "Roll Back Malaria". Es sollte die Zahl der Malariatoten weltweit im Zeitraum von 1998 bis 2010 halbieren. Schon bei Halbzeit aber war klar: Das aufwendige Projekt würde sein Ziel mangels sachkundiger Ausführung nie erreichen.

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Die getrockneten Blütenblätter werden als Allheilmittel in Chinas Apoptheken verkauft

So schwenkte die WHO 2001 um und empfahl nun eine Therapie mit Kombipräparaten auf der Basis von Artemisinin (ACT). Doch der Global Fund, die Organisation der internationalen Geldspender, verweigerte, auch auf Druck der USA, die Finanzierung: Der Pflanzenwirkstoff sei zehnmal so teuer wie eine herkömmliche synthetische Arznei. Die WHO fügte sich: Weil Artemisinin noch nicht reif sei für den Königsweg, müssten weiterhin konventionelle Mittel genügen. Obwohl den Genfern längst Untersuchungen vorlagen, wonach zum Beispiel unter 100 malariakranken Patienten in Ostafrika 64 gegen Chloroquin und 45 gegen Sulfadoxin-Pyrimethanin resistent waren - und mithin todgeweiht. Schließlich klagten 13 international angesehene Malariaforscher den Global Fund und die Beamten der WHO des "schweren Amtsvergehens" an. Der Angriff schreckte die WHO endlich auf: Noch im selben Jahr erklärte sie den Einsatz von Artemisinin zur gültigen Richtlinie.

Der Startschuss für die Jagd internationaler Pharma-Unternehmen nach dem Naturheilstoff

Das war der Startschuss für die Jagd internationaler Pharma-Unternehmen nach dem Naturheilstoff in den Wuling-Bergen. Ihnen ist der chinesische Pharmakonzern Holley zuvorgekommen. Dessen medizinischer Direktor Nelson Tan, ein einheimischer Artemisia-Experte und westlich studierter Arzt, nimmt seit dem Jahr 2000 den Qinghao-Anbau rund um die Kreisstadt Youyang in Beschlag. Statt ihre Felder aufzukaufen, lässt Holley den Bauern ihren Landbesitz und stellt sie als Pflanzer des Heilkrauts an, samt Familie und Gesinde. "Der eigene Herr wirtschaftet besser als ein Mietknecht", sagt Nelson Tan. Dabei sollen die Bauern Qinghao nur auf jenen Äckern ziehen, die sie nicht für die Selbstversorgung mit Feldfrüchten benötigen. Holley zahlt für die Bestellung der Qinghao- Felder mit umgerechnet zwei Euro das Doppelte des Tagelohns, den die Arbeiter auf den Tabakplantagen erhalten. Und 20 Euro pro Mu, 666 Quadratmeter Acker, für die Saison von Januar bis August.

Ende Mai ist es gemäß dem TCM-Pflanzungszyklus Zeit, die knöchelhohen Setzlinge zu trennen. 35 Millionen Setzlinge habe man dieses Jahr auf den rund 500 Hektar gezogen, erzählt Ran Tingju, der Bürgermeister. Und Nelson Tans organisierte Kultivierung von Qinghao hat nicht nur bescheidenen Wohlstand in die Gegend gebracht. Sie tut auch der Landschaft wohl. Denn Holleys Produktionsmethoden sind umweltschonend und nachhaltig. Für die Extrahierung von Artemisinin werden nur die Blüten des Qinghao-Strauchs benötigt. Der große Rest bleibt den Bauern: getrocknet als Stallstreu und Brennmaterial sowie in unterirdischen Silos zu Viehfutter und Gründünger vergoren. 10.000 Quadratmeter mit Qinghao bepflanzte Anbaufläche ergeben nur 100 Kilogramm pharmazeutisch nutzbare Blütenblätter - und die gerade mal ein Kilogramm des Wirkstoffs Artemisinin. Davon hat Holley im Jahr 2004 zwölf Tonnen bereitgestellt. Genug zwar für die Produktion der hauseigenen Malariamittel "Artekin" und "Cotec-xin", zu wenig aber für die steigende Nachfrage - angekurbelt von der WHO, die plötzlich einen ungeheuren Nachholeifer an den Tag legt.

Vorhersagen ins Blaue

In Beijings Vorort Changping wehen die Flaggen Chinas, der Schweiz und von Beijing Novartis Pharma Ltd. über einer Fabrik mittelständischer Größenordnung. Darin wird ein Kombipräparat hergestellt, gemixt aus Artemether, einem Abkömmling des Artemisinin, und Lumefantrin im Verhältnis eins zu sechs, abgepackt jeweils zu einer Behandlungseinheit gegen Malaria tropica. Als "Coartem" ist das Produkt heute in 79 Ländern zugelassen, in Deutschland unter der Bezeichnung "Riamet". 2001, nach der ersten WHO-Empfehlung für den Einsatz von Artemisinin, vereinbarten die Weltgesundheitsbeamten mit Novartis eine Lieferung von zwei Millionen Behandlungseinheiten Coartem bis zum Jahr 2005, erhöhten im 2006 auf 100 Millionen. So ungeprüft wie ihre Angaben über die Zahl der Malariakranken weltweit, zuletzt laut WHO 300 bis 500 Millionen, so wenig fundiert erscheinen auch die WHO-Kalkulationen beim Pillenbedarf. Es seien "Vorhersagen ins Blaue, und das obendrein auch noch unverbindlich für die Hersteller", sagt Anna Wang, die Treuhänderin von "Medicines for Malaria Venture" (MMV) mit Sitz in Genf.

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In der Ambulanz erhält jeder Patient einen Gesundheitspass. Die Angaben helfen, das Artemisinin-Medikament optimal zu dosieren

Die Nonprofit-Organisation wurde 1999 ins Leben gerufen, um "durch effektive Partnerschaften erschwingliche Antimalaria-Mittel zu entdecken, zu entwickeln und zu liefern". MMV nimmt sich unbürokratischer Initiativen zur Weiterentwicklung von Artemisinin-Präparaten an, speziell unter den Fittichen von Anna Wang. Die chinesische Managerin kümmert sich weltweit um ihre Schützlinge, zum Beispiel in Bangkok, am Institut für Tropenmedizin der Mahidol-Universität, wo MMV ein Testprogramm von Artemisinin-Medikamenten an Malariakranken sponsert. "Die Pioniere an der Malariafront brauchen Geld, aber auch Rückenstärkung", sagt die 37-Jährige. "Die Behandlung ist kosten- und risikolos", sagt Khun Noppadon, der 36-jährige Supervisor. "Nach drei Tagen sind die Kranken kuriert. Wir behalten sie jedoch vier Wochen hier. Erholung für die Leute, Zeit für uns zum Testen."

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Nach drei Tagen Behandlung sind die Patientinnen der Bangkoker Mahidol-Tropenklinik kuriert

Alle paar Stunden gehen Blutproben ins Labor

Zum Beispiel für die Patientin Sa, 20, Tochter eines burmesischen Landarbeiters vom Volk der Mon. Sie ist eine Stunde zuvor eingeliefert worden - hochfiebrig, völlig apathisch, mit glasigen Augen. Sa wird eine Blutprobe entnommen. Deren eingefärbter Ausstrich kommt unter das Mikroskop. Der Blick durchs Okular zeigt die in hellem Plasma schwebenden roten Blutkörperchen, transparente Kreise in Rosablau. In fünf der zwei Dutzend sichtbaren Erythrozyten sind je ein bis zwei Protozoen zu erkennen, einzellige Tierchen, wie die schwarzen Köpfe von Maden in einer Frucht. Unterdessen ist der Patientin Sa das Kombipräparat Artesunat-Mefloquin verabreicht worden, zweimal täglich eine Tablette. Alle paar Stunden gehen weitere Blutproben ins Labor.

"Ich fühle mich schon viel besser", sagt die junge Burmesin am vierten Tag. Fieberfrei ist Sa bereits zwölf Stunden nach Einnahme der ersten Dosis gewesen - ist sie jetzt auch schon geheilt? "Im Prinzip ja", sagt Porntip Klangsuwat, 53, die behandelnde Ärztin. "Der Killerjob ist getan, dank Artesunat. Damit die Wirkung anhält, muss Mefloquin nun den Rest verrichten." Während Artesunat, ein reines Artemisinin- Derivat, gut verträglich ist, verursacht Mefloquin Erbrechen, Schwindel und Kopfschmerzen. Die Nebeneffekte einzuschränken oder gar zu vermeiden, vielleicht durch eine andere Kombination, daran arbeiten die Mahidol-Universität und ihr Partnerinstitut an der University of Oxford. "Das gemeinsame Ziel bleibt die Entwicklung eines für Arme erschwinglichen Mittels", sagt Anna Wang, "an erster Stelle in Afrika." Dort darf eine Behandlungseinheit nicht teurer als einen halben Dollar sein, das lehrt die Erfahrung von Ärzte ohne Grenzen.

Erste Resistenzen gemeldet

Unterdessen werden, zumindest in Laborexperimenten, erste Hinweise auf Resistenzen gegen Artemisinin-Derivate gemeldet. In Blutproben von Malariapatienten in Senegal und Französisch-Guayana erwies sich ein Teil der Krankheitserreger als weitgehend unempfindlich gegen zwei Artemisinin-Abkömmlinge. In Kambodscha hingegen, wo der Wirkstoff in einer Kombination mit Mefloquin verabreicht wird, traten keine Resistenzen auf. Ist die Mahidol-Universität mit ihrer Mefloquin-Beimischung auf dem richtigen Weg? "So oder so - wir haben keine Zeit", erklärt Nicholas White, der Veteran an der Malariafront. "Auch das wirksamste Mittel kann nicht verhindern, dass der Parasit eine Resistenz entwickelt. Wir können die Evolution nicht schlagen, wir können nur versuchen, ihr um eine Nasenlänge voraus zu sein." Daran arbeiten mit Hochdruck Wellcome Trust, MMV und Novartis. Die Schweizer werden ihre Produktion von Coartem dieses Jahr auf 100 Millionen Einheiten steigern. Das ist zwar weniger als die Hälfte des für 2006 veranschlagten Bedarfs von 300 Millionen Dosierungen. Doch der weltweite Kampf gegen die Malaria hat neue Vorreiter und gehörig an Tempo gewonnen - auch ohne den Segen der WHO.

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