Wolfgang Schüssel machte die ÖVP wieder zur Kanzlerpartei
Wolfgang Schüssel

Lebensdaten

Aufzählung 7. Juni 1945 Wien, Jurist und Politiker (ÖVP)
Aufzählung 1968-1975 Sekretär des ÖVP-Parlamentsklubs
Aufzählung 1975-1991 Generalsekretär des Österreichischen Wirtschaftsbundes
Aufzählung 1979-1989, 1990, 1994, 1996 und 1999-2000 Abgeordneter zum Nationalrat
Aufzählung 1999-2000 Klubobmann der ÖVP
Aufzählung 1989-1995 Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten
Aufzählung Seit 1995 Bundesparteiobmann der ÖVP
Aufzählung 1995-2000 Vizekanzler und Außenminister
Aufzählung Seit 2000 Bundeskanzler der Republik Österreich

Beiträge

Aufzählung Wolfgang Schüssel (Biographie)

Links

Aufzählung Wolfgang Schüssel (ÖVP)
Aufzählung Bundeskanzleramt
 

Literatur

Aufzählung Peter Pelinka: Österreichs Kanzler, Von Leopold Figl bis Wolfgang Schüssel, Vorwort von Hugo Portisch, Ueberreuter, 2000.
 

Von Friedrich Weissensteiner

Nach seiner Wahl zum Parteiobmann am 22. April 1995 in der Wiener Hofburg stellte Wolfgang Schüssel für die Österreichische Volkspartei den politischen Führungsanspruch. "Ich will mit eurer Hilfe Bundeskanzler werden", rief der Wirtschaftsminister den Delegierten zu und erntete stürmischen Applaus. Am 4. Mai löste er dann auch den als Parteichef abgewählten Erhard Busek als Vizekanzler ab und übernahm dazu von Alois Mock das Außenministerium. Der neue Bundesparteiobmann machte sofort unmissverständlich klar, dass er die Partei straff zu führen gedenke. Monatelange öffentliche Diskussionen um die Parteiführung mit und zwischen den Bünden sollte es in Hinkunft nicht mehr geben. Seine Leadership ist bis heute in der Partei unbestritten.

In beiden Aufgabenbereichen - Partei- und Regierungsarbeit - nahm Schüssel Umgruppierungen vor oder stützte sich auf neue, unverbrauchte Kräfte. Maria Rauch- Kallat übernahm als Generalsekretärin die Führung der Parteizentrale. Staatssekretär Martin Bartenstein wurde Umwelt-, Johannes Ditz Wirtschaftsminister. Das Unterrichtsministerium vertraute er Elisabeth Gehrer an, Staatssekretärin im Außenministerium wurde Benita Ferrero-Waldner. Im Parlament zog der Partei-Ideologe Andreas Khol als Klubobmann der ÖVP-Fraktion die Fäden. An der Zusammenarbeit mit der SPÖ hielt Wolfgang Schüssel, dessen persönliche Trademark damals statt einer Krawatte bunte Mascherln waren, fest. Allerdings mit der erklärten Absicht, bei Gelegenheit zur Nummer Eins in der Regierung zu werden. Die Gelegenheit kam bald. Finanzminister Andreas Staribacher brachte kein Budget zustande, die ÖVP hatte seit Schüssels Parteiübernahme steigende Umfragewerte, die SPÖ war nach 25-jähriger Regierungstätigkeit erschöpft. Die Koalition zerbrach, für den 17. Dezember 1995 wurden Neuwahlen ausgeschrieben. Im Wahlkampf und den TV-Duellen mit seinen politischen Gegnern spielte Wolfgang seine Stärken aus: seine hohe Intelligenz, seine enorme Nervenstärke, seine druckreife Argumentations- und Formulierungskunst. Für einen Wahlsieg reichte es trotzdem nicht. Die ÖVP, die lediglich ein Mandat zulegte (53 statt 52), kam nur als Zweiter durch das Ziel. Die Vranitzky-SPÖ gewann sechs Mandate hinzu (von 65 auf 71). Die FPÖ, die Grünen und das Liberale Forum waren die Wahlverlierer.

Letzte Große Koalition

Franz Vranitzky bildete eine neue Regierung, Wolfgang Schüssel blieb Vizekanzler und Außenminister. Daran änderte sich auch nichts, als der SPÖ-Langzeitkanzler zweieinhalb Monate nach der Wahl sein Amt an Viktor Klima übergab. Eine Erfolgsstory war die (vorläufig) letzte Ausgabe der Großen Koalition keineswegs. Es gab schwer wiegende Differenzen in der Sicherheitspolitik, mühsame Kompromisse bei der Pensionsreform 1997 und in anderen sozial- und wirtschaftspolitischen Bereichen. Der Außenminister kam im Sommer 1997 durch einen verbalen Ausrutscher, der ihm am Rande einer EU-Tagung in einem Amsterdamer Hotel über einen prominenten deutschen Banker passierte, unter schweren journalistischen Beschuss und geriet innerhalb der eigenen Partei und innenpolitisch in eine Krise. Im Jahr darauf machte er während der EU-Präsidentschaft Österreichs durch seinen engagierten Einsatz und als unbeirrbarer Befürworter für die Aufnahme der ehemaligen Ostblockstaaten in die Europäische Gemeinschaft den Imageverlust wieder wett. Für die im Herbst 1999 fälligen Nationalratswahlen standen die Chancen der ÖVP auf einen Wahlerfolg schlecht. Zwei Wochen vor dem Wahltag, dem 3. Oktober, sagten ihr die Meinungsforscher einen Stimmenanteil von unter 25 Prozent voraus. Durch rhetorisch glanzvolle TV-Auftritte und die Ankündigung, dass er die Volkspartei in die Opposition führen werde, sollte sie hinter der FPÖ auf dem dritten Platz landen, konnte er im letzten Augenblick noch viele ÖVP-Wähler bei der Stange halten. Für Rang zwei reichte es dennoch nicht. Die Volkspartei wurde von den Freiheitlichen mit 415 Stimmen überrundet. Beide Parteien erreichten 26,91 Prozent. Die ÖVP erzielte das schlechteste Ergebnis seit 1945, die FPÖ ihr bestes. Die SPÖ blieb mit 33,16 Prozent wohl stärkste Partei, aber auch sie hatte nie schlechter abgeschnitten.

Taktisches Meisterstück

In dem rund vier Monate dauernden Gesprächs- und Verhandlungsmarathon, der den Wahlen folgte, gelang Wolfgang Schüssel ein Meisterstück an zielgerichteter Taktik. Er rückte zum richtigen Zeitpunkt vom Oppositionskurs ab, trat in Verhandlungen mit den Sozialdemokraten ein und stellte zuletzt Forderungen, die Viktor Klima nicht annahm. Die Gespräche scheiterten. Der ÖVP-Chef verhandelte ohne Auftrag des Bundespräsidenten mit der FPÖ und kam mit Jörg Haider zu einer raschen Einigung. Beide Politiker stellten Thomas Klestil, der mehrmals in der Öffentlichkeit für eine "breite Zusammenarbeit" eingetreten war, vor vollendete Tatsachen. Der Bundespräsident gelobte die schwarz-blaue Regierungsmannschaft am 4. Februar 2000 mit eisiger Miene an. Nach dreißig Jahren gab es wieder einen Bundeskanzler aus den Reihen der Österreichischen Volkspartei. Die neue ÖVP-FPÖ-Regierung stieß bei den Regierungschefs der übrigen 14 EU - Mitgliedsstaaten auf Ablehnung. Sie beschlossen, die bilateralen Beziehungen mit Österreich einzustellen. Diese politisch unkluge Maßnahme wurde am 12. September 2000 formell wieder zurückgenommen.

Die "Wenderegierung", die sich einem rigorosen Spar- und Reformkurs verschrieb, setzte unterdessen die ersten Maßnahmen. "Speed kills" lautete die Devise. Finanzminister Karl-Heinz Grasser (FPÖ) ließ binnen kurzer Zeit die Budgets für die Jahre 2000 und 2001 erstellen. Das Doppelbudget sah Abgaben- und Steuererhöhungen, die Einfuhr von Studiengebühren, die Besteuerung der Unfallrenten, eine Ambulanzgebühr, die Privatisierung von Staatsbetrieben, den Abbau von rund 13.000 Beamten und eine Pensionsreform vor. Das Frühpensionsalter wurde schrittweise um eineinhalb Jahre angehoben. Andererseits wurde das Kindergeld eingeführt. Die Arbeiter wurden den Angestellten sozialrechtlich gleichgestellt und zum Zweck der Entschädigung ehemaliger NS-Zwangsarbeiter ein mit 6 Mrd. Schilling dotierter Fonds eingerichtet. Die hiefür nötigen Gesetze wurden vom Nationalrat rasch verabschiedet. Einige waren nicht verfassungskonform und wurden auf Antrag der Opposition vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben. Das erklärte Ziel des Sparprogramms wurde von der Regierung öffentlichkeitswirksam als "Nulldefizit" bezeichnet. Es wurde nur vorübergehend erreicht.

Die größtenteils unpopulären Maßnahmen des schwarz-blauen Kabinetts lösten Proteste und von den Gewerkschaften organisierte Streiks aus. Aber auch von Jörg Haider, der am 1. Mai 2000 den Parteivorsitz an die Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer abgegeben hatte, kamen aus Kärnten immer wieder Querschüsse. Die FPÖ sackte nach der Regierungsbeteiligung in der Wählergunst ab und verlor eine Landtagswahl nach der anderen. Als im Sommer 2002 die Regierung beschloss, statt der für 2003 vorgesehenen Steuerreform nach einem verheerenden Hochwasser Katastrophenhilfe zu leisten, übte Haider bei einer FPÖ-Delegiertenversammlung in Knittelfeld heftige Kritik an der Arbeit des freiheitlichen Regierungsteams. Die Folgen für die Partei waren desaströs. Die Vizekanzlerin, der Finanzminister und der Klubobmann der FPÖ-Parlamentsfraktion, Peter Westenthaler, erklärten am 8. September 2002 ihren Rücktritt.

Die Chance genützt

Der Bundeskanzler nützte die Chance, die ihm eine total konfuse FPÖ in die Hände spielte. Er nahm Kurs auf Neuwahlen. Am 20. September 2002 beschloss der Nationalrat seine Auflösung. Als Wahltag wurde der 24. November festgesetzt. Wolfgang Schüssel führte auch diesen Wahlkampf clever und mit großem taktischen Geschick. Im Endspurt wartete er mit einem besonders effektiven Schachzug auf. Er teilte mit, dass Karl - Heinz Grasser in einer von ihm geführten Regierung als parteifreier Finanzminister tätig sein werde.

Der triumphale Wahlsieg der Volkspartei kam dennoch überraschend. Die ÖVP kam knapp an die absolute Mehrheit heran, die SPÖ verlor ihre Position als stärkste Partei, die FPÖ erlitt eine katastrophale Niederlage, die Grünen legten unerheblich zu. In Mandaten ausgedrückt hieß das: ÖVP 79, SPÖ 69, FPÖ 18, Grüne 17. Der Wendekanzler konnte sich seinen Koalitionspartner aussuchen. Er entschied sich für eine weitere Zusammenarbeit mit der FPÖ. Die Regierung Schüssel II wurde am 28. Februar 2003 angelobt. Sie setzt ihren konfliktreichen Reformkurs gegen zum Teil heftigen Widerstand (Streiks der Eisenbahner, der AHS- Lehrer etc.) mit gedrosselter Geschwindigkeit fort und hat seither weitere wichtige Vorhaben durchgesetzt bzw. beschlossen: die Reform der Gesundheitsorganisation, die Pensionsharmonisierung, die Universitätsreform, die Zusammenlegung von Polizei und Gendarmerie, die Steuerreform 2005. Einige dieser Maßnahmen sind so tief reichend, dass manche Politologen bereits voreilig von einer "Ära Schüssel" sprechen.

Wolfgang Schüssel, am 7. Juni 1945 in Wien geboren, stammt aus kleinbürgerlichem Milieu. Der Vater war von Beruf Journalist, die Mutter Handarbeitslehrerin. Die Eltern ließen sich scheiden, als Wolfgang drei Jahre alt war. Eine Tante des Vaters, eine tief gläubige Katholikin und Mittelschulprofessorin, ermöglichte dem begabten Buben finanziell den Besuch des renommierten Wiener Schottengymnasiums. Durch sie und die Benediktiner wurde der junge Mann weltanschaulich geprägt. Wolfgang Schüssel betätigte sich in der katholischen Jugend und während des Studiums an der Wiener Universität (Volkswirtschaftslehre, Jus, Dr. juris 1968) bei der Katholischen Studentischen Jugend. Einmal pro Jahr unterzieht sich der Kanzler auch heute noch einem "Einkehrwochenende" bei den Benediktinern in Stift Seckau in der Steiermark.

Ein Politprofi

Wolfgang Schüssel ist ein Politprofi. Noch im Jahr seines Studienabschlusses wurde er Sekretär des ÖVP-Parlamentsklubs, 1975 bis 1989 war er Generalsekretär des Österreichischen Wirtschaftsbundes. Mit Rudolf Sallinger, dem langjährigen Chef der Vereinigung, verband ihn eine Vater-Sohn-Beziehung. Von 1979 bis 1996 war Schüssel mit Unterbrechungen Abgeordneter zum Nationalrat, 1989 stieg der redegewandte Politiker, der einen bescheidenen Lebensstil pflegt, als Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten zum Spitzenpolitiker auf.

Wolfgang Schüssel ist mit einer Kinderpsychologin verheiratet und Vater einer Tochter (geb. 1973) und eines Sohnes (geb. 1987). Der schlagfertige Mann mit den stählernen Nerven und der blitzschnellen Auffassungsgabe hat auch Hobbys: Er spielt gerne Fußball wie Violoncello und ist ein begabter Karikaturist.

Erschienen am: 12.02.2005

Verweis Österreichs Kanzler und Präsidenten