Die
administrative Verkürzung
der Studienzeiten für die
Masse (Bachelor-Studiengänge)
und die (Teil-)Privatisierung der Kosten für
die eigene Bildung sind zwei Seiten einer Medaille. In dem Maße
schließlich, wie sich der
Staat sowohl aus Finanzierung als auch aus der politischen Gestaltung
öffentlicher Bildung
zurückzieht, werden
Risiken der gesellschaftlichen Verhältnisse
auf die einzelnen Menschen übertragen
(vgl. Himpele 2003).
Ein
Schlüsselbegriff für
die programmatische Begründung
von Studienkonten- und Bildungsgutscheinmodellen ist die
»Eigenverantwortung«.
Die Einzelnen sollen durch diese Modelle »motiviert«
werden, mit ihren limitierten Bildungsguthaben »verantwortlich«
umzugehen. Hier ergibt sich die Frage, was das Ziel und der Inhalt
dieser Verantwortung sein und wo die Maßstäbe
dafür herkommen sollen. In
der wirtschaftsliberalen Bildungsökonomie
sind beispielsweise Studiengebühren
– ganz gleich ob direkt
gezahlt, kreditfinanziert oder »nachlaufend«
– individuelle Investitionen
in das eigene Humankapital, deren return on investment das künftige
Arbeitseinkommen ist. StudentInnen sollen auf diese Weise in der
Kalkulation des eigenen Studierverhaltens künftige
gesellschaftliche Situationen vorwegnehmen, etwa das Kriterium der
Verwertbarkeit der so erworbenen Qualifikation auf Arbeitsmärkten.
Relevant ist daher nicht, ob sie viel Wissen erwerben, sich gebildet
fühlen, komplexe
gesellschaftliche Probleme durchdenken können;
relevant ist, ob diese Qualifikation auch verkäuflich
ist. Wenn dies nicht gelingt, tragen sie in letzter Konsequenz das
Risiko selbst und/oder sie haben sich »falsch«
gebildet, also fehlinvestiert. Das Risiko für
den eigenen Bildungsweg wird demnach privatisiert, schon die Wahl des
Studienganges soll unter einem Investitionskalkül
erfolgen.
Solche
Modelle beschränken sich
nicht allein auf den bildungspolitischen Bereich. Vielmehr sind die
Maßnahmen Bestandteil
einer umfassenderen Strategie der Auflösung
des so genannten Normalarbeitsverhältnisses
und der Individualisierung gesellschaftlicher Risiken. Daher ist es
kein Zufall, dass das Wort »Eigenverantwortung«
auch in anderen Politikfeldern immer häufiger
auftaucht und eine Art Scharnierbegriff neoliberaler Praxis bildet,
weil es die Begleitmusik dafür
ist, dass sich die Politik aus immer mehr Bereichen
gesellschaftlicher Regelung zurückzieht
und diese stattdessen dem Markt überlässt.
Die Menschen sollen immer mehr »Eigenverantwortung«
übernehmen: für
ihre »passende«
Bildung, für ihre
Gesundheitsvorsorge, für
ihre künftige Rente oder
bei der Arbeitsplatzsuche (Hartz-Kommission, Agenda 2010).
Im
Allgemeinen spricht nichts gegen verantwortliches Handeln.
Handlungstheoretisch kann jemand jedoch nur für
Dinge Verantwortung übernehmen,
die er/sie auch durch eigenes Verhalten beeinflussen kann. Es ist
aber faktisch unmöglich,
bei der Entscheidung für
ein bestimmtes Studienfach vorherzusehen, wie der Arbeitsmarkt in
fünf Jahren aussehen wird.
Hinzu kommt aktuell, dass neoliberale Politik den Menschen Risiken
aufbürdet, die sie
objektiv immer weniger durch eigenes Handeln und Entscheiden
beeinflussen können. Dies
ist zynischerweise die Konsequenz der durch die gleiche Politik
betriebenen Deregulierung.
Auf
die Absurdität dieser
Verhältnisse muss die
Kritik an Studiengebührenmodellen
in letzter Konsequenz politisch gerichtet sein. Diese Modelle sind
nicht mehr allein als technokratisch isolierte Bildungspolitik
interpretierbar, sie repräsentieren
vielmehr ein umfassendes Gesellschaftskonzept. In einer mittel- und
langfristigen Perspektive muss diesem daher ein Entwurf
selbstbestimmten Lebens entgegengestellt werden, in dem die
solidarische Gestaltung von gesellschaftlichen Arbeitsprozessen und
Bildungsverhältnissen
enthalten ist.