Die Mainzer Quaggas, eine molekulare Reise in Vergangenheit und Zukunft

Ein Blick in die Ouagga Geschichte:

1842/43. Die Rheinische Naturforschende Gesellschaft, von Mainzer Bürgern im Jahr 1834 gegründet, kauft über die Tierhändler Ruhl (Wiesbaden) und Brandt (Hamburg) die Felle eines Zebrahengstes, zweier Stuten und eines kleinen Fohlens an. Der Präparator W. Nicolaus »stopft« diese in Mainz mit viel Geschick und nach den modernsten Techniken der damaligen Zeit aus.
Das Mainzer Quagga-Fohlen in einer Aufnahme von 1913. An von der Mainzer Firma Gerlich ausgeglühten und gebogenen Eisengestellen und den darüber von ihm mit Strohwicklungen geformten Körpern befestigt Nicolaus die von den Schreinern Moritz und Heiniger nach den Originalschädeln geschnitzten Holzschädel. Beim Fohlen wird sogar der Originalschädel verwandt. Dann überzieht er die Körper mit den von den Gerbereiarbeitern des Herrn Denninger »zubereiteten« Fellen.
So stehen in den Sammlungen der Gesellschaft von 1850 an vier Zebras, die sich durch eine Besonderheit auszeichnen: Bei allen ist die Zebrastreifung an den Beinen und im hinteren Körperbereich reduziert, und ihre Grundfärbung ist nicht weiß, sondern walnußbraun.
Sie kommen im südlichen Afrika zahlreich vor und werden nach den von ihnen ausgestoßenen Lauten »Kwacha« oder »Quagga« genannt.
Die in der Region siedelnden Buren betrachten diese Tiere als Nahrungskonkurrenz für ihre Herden und schießen sie ab. Das Fleisch wird den schwarzen Dienstboten vorgesetzt, aus den Fellen macht man Getreidesäcke.
Einige Quaggas gelangen lebend nach Europa, wo sie in Zoos gezeigt oder beispielsweise auch von einem Sheriff der City of London, einem gewissen Perkins, als Kutschpferde mißbraucht werden. Eine ebenfalls geringe Zahl von Fellen kommt wie die Mainzer Exemplare in Naturkundesammlungen.
Die Buren leisten ganze Arbeit. Bereits 1878 sind die letzten freilebenden Quaggas ausgerottet. Das letzte Tier in Gefangenschaft stirbt 1883 im Amsterdamer Zoo.
Die Burchell-Zebras, eine etwas weiter im Norden Südafrikas beheimatete und ebenfalls mit Streifenreduktion versehene Form ist 1910 im Freiland nicht mehr nachweisbar, das letzte Zootier geht 1911 in Hamburg ein.
Zu diesem Zeitpunkt sind die vier Mainzer Tiere (drei Quaggas und ein von Hilzheimer 1912 als Typusexemplar beschriebenes Burchell-Zebra) bereits Glanzstücke der Ausstellungen des neugegründeten Naturhistorischen Museums, das 1910 durch Übernahme der Sammlungen der Rheinischen Naturforschenden Gesellschaft durch die Stadt Mainz entstand.

140 Jahre später: das Risiko einer Neupräparation gewagt

Die Überreste des Mainzer Quaggafohlens 1981 Die drei erwachsenen Mainzer Zebras überstanden die Totalzerstörung des Museumsgebäudes an der Mitternacht am 27. Februar 1945 relativ unbeschadet mit Schnittverletzungen der Häute durch die zerberstenden Vitrinengläser. Der Fohlenkörper verbrennt und es bleiben nur angekohlte Beine, ein Teil des Hinterleibs und der Kopf erhalten. Die adulten Exemplare werden seit 1962 im wiedereröffneten Museum präsentiert, aber die Schnitte verändern sich zu fortschreitenden Rissen, die Metallkonstruktion rostet und durchstößt an der Stirn der Tiere das Fell.
Schließlich entschließt man sich 140 Jahre nach der ersten Aufstellung nicht zuletzt wegen der extremen Seltenheit der Exponate, es gibt weltweit nur noch 23 Exemplare, zu einer Neupräparation.
In Kapstadt unternahm Reinhold Rau mit Erfolg die Neupräparation des Mainzer Quagga-Fohlens. Der Chefpräparator des South African Museum in Kapstadt, Reinhold Rau, der dort bereits das einzige in Südafrika verbliebene Tier, ein Fohlen, neu präpariert hat, kann gewonnen werden, das Risiko einer Neupräparation zu wagen. Das Quagga ist das Wappentier der South African Republic (SAR).
Finanziert von der Werbung der SWF GmbH macht er sich 1980/81 mit den Präparatoren der Mainzer Museumswerkstatt an die Arbeit. Nach vorsichtigem Ablösen und gründlichem Gerben der Häute werden diese auf neu erstellten Kunststoffkörpern aufgezogen. Dabei wird die bis dahin praktisch ungegerbte Haut einer Gerbung mit Chrom und Aluminiumsalzen unterzogen. Sie wird dünngeschnitten und dann in eine neue, gefälligere und anatomisch richtige Form gebracht. Auch das Fohlen wird, nachdem es in verkohlten Stücken 35 Jahre in einer Schublade verbrachte, restauriert, ergänzt und wieder ausgestellt.
So kann das Naturhistorische Museum Anfang 1984 eine umpräparierte Burchell-Stute und mit den drei Ouaggas eine ganze »Quagga-Familie« präsentieren. In neuem Glanz, aber mit der Gewißheit, daß nur eine klimatisierte Unterbringung auf Dauer den weiteren Zerfall aufhalten kann, stehen die Tiere gemeinsam mit weiteren Zebras im ehemaligen Kirchenschiff des Museums.
Temperatur und Feuchtigkeitsschwankungen setzen jedoch den Exemplaren zu, die kriegsbedingten Schnitte und Risse, aber auch die Nähte arbeiten und machen aufwendige Reparaturen erforderlich.
Dank des Einsatzes vieler Verantwortlicher, nicht zuletzt des Mainzer Kulturdezernenten Peter Krawietz, der Mittel von Stadt und Land, den Spenden und Hilfen von Firmen der Region und der finanziellen Unterstützung durch die Rheinische Naturforschende Gesellschaft ist es 1999 gelungen, die dringend erforderliche klimatisierte Ausstellungsvitrine zu realisieren.
Hier werden die drei berühmten Mainzer Quaggas und das ebenfalls wissenschaftlich bedeutende Burchell-Zebra zusammen mit anderen Steppenzebras sowie alle übrigen Zebraarten der Welt auch im nächsten Jahrtausend zu bewundern sein. Als Mahnung und Exempel für die fort schreitende Ausrottung von Tier und Pflanzenarten auf unserem Planeten, als bedeutende Objekte bahnbrechender wissenschaftlicher Forschung und als das, wofür sie vor 155 Jahren von der »Rheinischen« angeschafft wurden: als Schaustücke für das Mainzer Publikum.

Mainzer Quaggas ein Schlüssel zur Gentechnik

Bei der Neupräparation wird an den über 140 Jahre nicht gegerbten Häuten Bindegewebe und Blut erkannt und sicher gestellt. Dank der guten Kontakte von Reinhold Rau gelangen Proben dieses Materials an Oliver Ryder in San Diego und von dort in weitere bedeutende Genlabors in den U S A.
Möchte man die genetische Information solcher Proben ermitteln, ist es erforderlich, den genetischen Code zu vervielfältigen. Ryder und einem Team von Forschern der University of California in Berkeley gelingt dies 1983. Durch »Klonierung« wird die bruchstückhafte Quagga-Erbsubstanz über Bakterienkolonien vermehrt. Russel Higuchi, Barbara Bowman und dem »Vater der Gentechnik« Allan C. Wilson gelingt es, aus Mitochondrien also aus Organellen, die für die Energieversorgung der Zellen zuständig waren und die Vielfachkopien der DNA enthalten, klonierte Ouagga-DNA zu gewinnen.
Dem damit erstmals möglichen genetischen Vergleich mit anderen, heute noch lebenden Zebraarten zufolge war das Ouagga aufs Engste mit den Steppenzebras verwandt. Ein Ergebnis, das von den deutschen Wissenschaftlern immer so postuliert wurde, während man in der ganzen englischsprachigen Literatur diesen Sachverhalt verneinte. Zum ersten Mal wurde damit mit den Resten der Mainzer Quaggas gezeigt, daß Erbmaterial ausgestorbener Organismen erhalten sein kann und entwicklungsgeschichtliche Studien an totem Material angestellt werden können. Trotz dieses Anfangserfolgs sind mit den Proben keine weiterführenden Forschungen möglich, da bei der angewandten Technik aufgetretene »Kopierfehler« wegen der geringen Materialmenge nicht zu korrigieren waren.
Die Wende kommt, als Kary C. Mullis 1985 die »Polymerase-Kettenreaktion« erfindet. Dies ist ein Verfahren, das es erlaubt, ausgehend von einem einzigen Molekül der Erbsubstanz DNA in einem Reagenzglas mit einigen Zutaten und einer Wärmequelle an einem einzigen Nachmittag 100 Milliarden (!) Kopien des gewünschten Abschnitts zu erzeugen. Die DNA muß dabei noch nicht einmal in gereinigter Form vorliegen; ein Quentchen davon in einem hochkomplizierten Gemisch biologischer Substanzen genügt.
Das Mainzer Quagga-Fohlen nach der Neupräparation 1984 Bemerkenswert ist, daß Mullis garnicht nach einem Genkopierer gesucht hatte, sondern diesen eher zufällig bei anderen Forschungen erdachte. Dafür erhält er 1993 den Nobelpreis für Chemie. Die Patente verkauft er für 300 Millionen Dollar an das Schweizer pharmazeutische Unternehmen Hoffmann La Roche. Möglich werden damit Methoden, die heute zu unserem Alltag gehören, so zum Beispiel die leichte Bestimmung von Erbkrankheiten, die Bestimmung des Geschlechts von Embryonen und »der genetische Fingerabdruck«. Wilson ist sofort klar, daß die Polymerase-Kettenreaktion ausgezeichnet zur Vervielfältigung alten Erbguts geeignet ist, da man nur ein einziges Molekül an Ausgangssubstanz benötigt. Die Arbeitsgruppe beginnt sofort wieder mit dem Mainzer Quagga-Material zu experimentieren und kommt zu sehr guten Erfolgen, da jetzt Kopierfehler nur äußerst selten vorkommen. Auch der Münchner Forscher und Wilson Schüler Svante Pääbo führt weitere Untersuchungen an ausgestorbenem Material durch. Wie weit reicht nun der Blick mit der DNA-Analyse in die Vergangenheit: bis zu den Mumien der alten Ägypter oder gar bis zu den letzten Dinosauriern vor 65 Millionen Jahren? Es ist einzig eine Frage der Erhaltung des Materials und dies erscheint zum Beispiel durch den Einschluß in Bernstein besonders gut erreicht. So hat man vor einigen Jahren DNA-Bruchstücke von vor 40 Millionen Jahren im Bernstein eingeschlossenen Termiten gewinnen können. Zukünftig könnte es sogar möglich sein, ein komplettes Gen einer ausgestorbenen Art zu gewinnen. Daraus aber, wie im Film »Jurassic Park« gezeigt, ausgestorbene Lebewesen wieder zum Leben zu erwecken, ist unmöglich. Einmal ausgestorbene Arten sind und bleiben verloren.

Bring back the Quagga - wenigstens als Phänotyp

Südafrikanische Wissenschaftler arbeiten gegenwärtig gemeinsam mit dem Kapstädter Präparator und Quaggakenner Reinhold Rau an einem außergewöhnlichen Projekt. Wenn es schon nicht gelingt, aus totem Ouaggamaterial lebendige Quaggas zu machen, warum nicht die Rückzüchtung der vor über 120 Jahren im Freiland ausgestorbenen Quaggas. Da wir dank der Untersuchungen an den Mainzer Tieren wissen, daß es sich beim Quagga um eine Unterart des Steppenzebras handelt kein Problem?
Im Frühjahr 1987 werden von Reinhold Rau im Naturreservat Etoscha und aus dem Zululand aus Tausenden von Tieren neun Exemplare mit Streifenreduktionen an den Beinen ausgewählt. 200 Kilometer nordöstlich von Kapstadt im Naturreservat Vrolijkheid, wo die Tiere gehalten werden, stellt sich bald Nachwuchs ein und bereits 1993 wird das erste Fohlen der dritten Generation geboren. Es weist Quagga-Merkmale auf. Statt einer weißen Grundfarbe ist es wahlnußbraun, es hat weniger Streifen als ein »normales« Steppenzebra und es besitzt einen weißen Schwanz.
Inzwischen gibt es vier Zuchtorte in Südafrika und Reinhold Rau träumt davon, daß eines Tages zumindest im Phänotyp (=äußeres Erscheinungsbild) wieder »Quaggas« in einem Naturpark an Zeiten erinnern, wo sie als südlichste Form der Steppenzebras die dornstrauchbestandene Karoo bevölkerten.

Forschung aktuell. Kam die Fohlenmutter nach Rußland?

Zurück zu den Mainzer Quaggas. Wir versuchen zur Zeit gemeinsam mit Reinhold Rau, mögliche Verwandtschaftsverhältnisse der weltweit noch vorhandenen 23 Tiere zu ermitteln. Besonders interessant ist dabei das Mainzer Fohlen, das als Foetus, das heißt als Ungeborenes betrachtet werden muß, da die Hufe keinerlei Abnutzungserscheinungen aufweisen, wie dies bereits wenige Minuten nach der Geburt auf dem harten Boden der Karoo auftritt. Möglicherweise ist sogar eines der noch existierenden Tiere, die Stute in Kazan (Rußland), die Mutter unseres Fohlens. Der Grund für diese Annahme: Sie wurde zur gleichen Zeit vom gleichen Tierhändler erworben und es gibt Berichte über Milchreste im Gesäuge des Tieres.
Dank der Polymerase-Kettenreaktion würde eine winzig kleine Menge Haut genügen, um diese Vermutung von Mutter in Kazan und Kind in Mainz aufklären zu können. Bislang sind unsere Versuche, an Material der Stute zu gelangen, aber noch nicht von Erfolg gekrönt.



 

link: Das Quagga Projekt


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