Verlag Traugott Bautz
www.bautz.de/bbkl
Zur Hauptseite
Bestellmöglichkeiten
Abkürzungsverzeichnis
Bibliographische Angaben für das Zitieren
Suche in den Texten des BBKL
Infobriefe des aktuellen Jahres

NEU: Unser E-News Service
Wir informieren Sie vierzehntägig über Neuigkeiten und Änderungen per E-Mail.

Helfen Sie uns, das BBKL aktuell zu halten!



Band XXV (2005) Spalten 42-46 Autor: Sabine Mangold

BECKER, Carl Heinrich, Orientalist und Kulturpolitiker, * 12. April 1876, Amsterdam, † 10. Februar 1933, Berlin. - Carl Heinrich Becker wurde als Sohn eines vermögenden Bankiers und Kaufmanns in eine protestantische Familie geboren. Zeitlebens ohne finanzielle Sorgen, pflegte er aufgrund dieser Herkunft trotz seiner nationalen Grundhaltung, die er mit der Mehrheit seiner Zeitgenossen teilte, stets eine gewisse Weltoffenheit, die auch die Wahl seines Studien- und Forschungsgebietes bestimmte. Seit 1895 studierte er zuerst in Lausanne, dann in Heidelberg Theologie und Orientalische Sprachen. Seine Dissertation über eine Handschrift des Ibn Jawzi zum Kalifen Omar II. reichte er 1899 bei dem Assyriologen Carl Bezold ein. Nach Reisen u.a. in den Orient (Kairo, Konstantinopel) habilitierte sich B. 1901 ebenfalls in Heidelberg mit "Beiträgen zur Geschichte Ägyptens unter dem Islam" für Semitische Philologie. Seine erste öffentliche Probevorlesung, in der er sich zur Rolle der Frau im Islam äußerte, zeigte bereits, daß sich sein orientalistisches Interesse von der herkömmlichen Philologie und erst recht von der Theologie deutlich entfernt hatte. In Heidelberg gehörte B. zwar dem sog. Eranos-Kreis um die Theologen Adolf Deißmann und Albrecht Dieterich an, zu dem u.a. auch Ernst Troeltsch, Max Weber und der Kirchenhistoriker Hans von Schubert zählten. Doch hier, wie in der Heidelberger "Samstagsgesellschaft" um Max Weber und Ernst Troeltsch, ging es weniger um theologische als um religionsgeschichtliche und religionssoziologische Fragen. B.s zentrales Interesse am Aufbau und der Entwicklung der abendländischen Kulturgeschichte geht auf diese Phase seines Lebens zurück. Nachdem B. sich als Privatdozent auf dem Gebiet der Religionsgeschichte, der Wirtschafts- und Kulturgeschichte profiliert hatte, wurde er 1908 zum Leiter des Instituts für Geschichte und Kultur des Orients am neu gegründeten Hamburger Kolonialinstitut berufen. B. wurde damit neben Eduard Sachau, dem Direktor des Berliner Seminars für Orientalische Sprachen, zum Protagonisten einer anwendungsorientierten Orientwissenschaft im Dienste kolonialer Interessen. Noch kurz vor dem Ersten Weltkrieg wurde B. 1913 nach Bonn berufen. Der Ernennungsurkunde zufolge sollte er dort neben den Sprachen auch die Geschichte des Orients vertreten. Damit gelang ihm zwar nicht die eigenständige Institutionalisierung der Islamkunde an einer deutschen Universität, doch trug B. unterstützt vom preußischen Kultusministerium die historische und kulturhistorische Methode in die Hochschul-Orientalistik. Den Orientalisten gilt er daher neben Ignaz Goldziher, Christiaan Snouck Hurgronje und Martin Hartmann als Mitbegründer der Islamkunde oder Islamwissenschaft, die die Orientalische Philologie um kultur- und religionsgeschichtliche wie soziologische Ansätze erweiterte. Obwohl B. als Gelehrter in Bonn am Ziel seiner akademischen Wünsche zu sein schien, verließ er diese Stelle bereits drei Jahre später wieder. Schon bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 hatte er sich über das Auswärtige Amt um die Versetzung in eine kriegsrelevantere Position bemüht. Da er als untauglich für den Militärdienst eingestuft wurde, konnte er jedoch nicht, wie z.B. sein Schüler Hellmut Ritter, im Orient oder an der Front eingesetzt werden. 1916 jedoch berief ihn das preußische Kultusministerium mit dem Auftrag, die Auslandsstudien auszubauen, zum Personalreferenten für die Universitäten. Was äußerlich wie ein Bruch aussah, stellte sich für B. nur als Austausch seiner Prioritäten dar. War er zuvor einer der Professoren, die während des Krieges durch ihre politische Tagespublizistik auffielen - im Falle B.s machte vor allem die Debatte mit seinem holländischen Fachkollegen Christiaan Snock Hurgronje zum "Gihad made in Germany" über die Disziplingrenzen hinaus Furore -, so gehörte er nun der seltenen Sorte Politiker an, die nebenher ernsthaft wissenschaftlich zu arbeiten bemüht waren. Bezeichnenderweise präsentierte B. seinen bis heute meistdiskutierten wissenschaftlichen Beitrag 1921 vor dem Deutschen Orientalistentag in Leipzig, als er gerade zum ersten Mal kurzzeitig (21. April-7. November 1921) preußischer Kultusminister war. - B. betrachtete den Wechsel in die Politik daher auch nicht als endgültigen Abschied von der Wissenschaft. Doch nach vier Jahren als Staatssekretär (1921-1925) und fünf Jahren als preußischer Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung (1925-30. Januar 1930) gelang es ihm nicht mehr, in die akademische Welt zurückzukehren. Tatsächlich lag B.s Stärke weniger in der stillen und detaillierten Forschungsarbeit, obwohl er auch das konnte. Doch bevorzugte er schnelle Entwürfe großer Entwicklungslinien und Synthesen. Dementsprechend sah er auch seine politische Aufgabe in einem gestaltenden Eingreifen über das politische Tagesgeschäft hinaus. Nicht zufällig gehörte B. in der Weimarer Republik zu den Protagonisten sowohl einer aktiven Außenkulturpolitik wie einer umfassenden Bildungs- und Universitätsreform. Sein Bekenntnis zu einer Wissenschaft, die zugleich weltpolitische Bildung und nationale Erneuerung zum Ziel haben sollte, korrespondierte dabei mit seinem Vernunftrepublikanismus, der weltoffen-liberale wie konservativ-nationale Züge trug. Vor diesem Hintergrund sind auch sein Engagement für die Institutionalisierung der Fach-Soziologie, aber auch seine Auseinandersetzungen mit wichtigen Intellektuellen der Weimarer Republik zu sehen. So bezog B. sowohl Position gegen Spenglers Untergangsprophezeiungen, als auch gegen Ernst Troeltschs "Europäismus".

Werke: Kulturpolitische Aufgaben des Reiches, Leipzig 1919; Gedanken zur Hochschulreform, Leipzig 1919; Kant und die Bildungskrise der Gegenwart, Leipzig 1924; Vom Wesen der deutschen Universität, Leipzig 1925; Die pädagogische Akademie im Aufbau unseres nationalen Bildungswesens, Leipzig 1926; Das Problem der Bildung in der Kulturkrise der Gegenwart, Leipzig 1930; Islamstudien. Vom Werden und Wesen der islamischen Welt, 2 Bde., Leipzig 1924-1932, darin auch das Verzeichnis sämtlicher islamkundlicher Arbeiten Beckers; Der soziale Wandel und die Erziehung auf dem Hintergrunde der Verschiedenheit der Völker, in: Pädagogisches Zentralblatt 3, 1932, 1-8; Ludmila Hanisch (Hrsg.): Islamkunde und Islamwissenschaft im Deutschen Kaiserreich. Der Briefwechsel zwischen Carl Heinrich Becker und Martin Hartmann (1900-1918), Leiden 1992.

Nachlaß: Carl Heinrich Becker, Geheimes Staatsarchiv, Preußischer Kulturbesitz, Berlin, Rep. 92.

Lit.: Hans Heinrich Schaeder (Hrsg.): Carl Heinrich Becker. Ein Gedenkbuch, Göttingen 1950; - Erich Wende: C.H. Becker. Mensch und Politiker. Ein biographischer Beitrag zur Kulturgeschichte der Weimarer Republik, Stuttgart 1959; - Jean-Jacques Waardenburg; L'Islam dans le Miroir de l'Occident, Paris 1962; - Hellmuth Ritter: Dem Andenken an C.H. Becker, den Begründer dieser Zeitschrift, in: Der Islam 38, 1963, 272-282; - Hellmuth Becker: Portrait eines Kultusministers, in: Merkur 30, 1976, 365-376; - Josef van Ess: From Wellhausen to Becker: The Emergence of "Kulturgeschichte" in Islamic Studies, in: Malcolm H. Kerr (Ed.): Levi della Vida Conferences VII: Islamic Studies: A Tradition and its Problems, Los Angeles 1979, 27-51; - Marc Batunsky: Carl Heinrich Becker: From Old to Modern Islamology, in: International Journal of Middle Eastern Studies 13, 1981, 287-310; - Peter Heine: C. Snouck Hurgronje versus C.H. Becker. Ein Beitrag zur Geschichte der angewandten Orientalistik, in: Die Welt des Islam 23/24, 1984, 378-387; - Wolfgang W. Wittmer: Carl Heinrich Becker, in: Wolfgang Treue/Karlfried Gründer (Hrsg.): Berlinische Lebensbilder. Wissenschaftspolitik in Berlin, Berlin 1987, 251-268; - Cornelia Essner/Gerd Winkelhane: Carl Heinrich Becker (1876-1933), Orientalist und Kulturpolitiker, in: Die Welt des Islam 28, 1988, 154-177; - Guido Müller: Weltpolitische Bildung und akademische Reform: Carl Heinrich Beckers Wissenschafts- und Hochschulpolitik 1908-1930, Köln 1991.

Sabine Mangold

Literaturergänzung:

Alexander Haridi, Das Paradigma der "islamischen Zivilisation". Oder die Begründung d. dt. Islamwiss. durch Carl Heinrich Becker (1876-1933). Würzburg 2005 (=MISK; 19).

Letzte Änderung: 10.12.2005