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Band XXVII (2007) Spalten 1342-1347 Autor: Ursula Brauer

SCHMID, Siegfried, Schriftsteller, * 16. Dezember 1774 in Friedberg/Hessen † 10. April 1859 in Wien. - Siegfried Schmid stammt aus der kleinen Reichsstadt Friedberg in der Wetterau, wo sein Vater zu den angesehensten Bürgern gehörte und in mehreren Jahren Bürgermeister war. Der Sohn studierte erst in Gießen, dann in Jena Theologie. Von dort wurde er wegen Duellierens relegiert und mußte die Stadt verlassen. Ein Pfarramt hat er möglicherweise von Anfang an nicht angestrebt. Sein Ausgabenbuch, begonnen am Tag nach der Jenenser Immatrikulation (22. Oktober 1792) und während seiner ersten drei dortigen Semester geführt, ist eine ausgezeichnete Quelle für studentisches Leben in jener Zeit und weist außerdem Schmids besonders großzügigen Lebenszuschnitt aus: damals vom Vater erfüllte Ansprüche, die in späteren Jahren ein Lebensproblem für ihn werden sollten. - Nach der Relegation lebte er ohne Examen wieder im Haus seiner Eltern. In dieser Zeit entdeckte er in sich einen Dichter. Als solchen stellte er sich sogleich schriftlich Schiller und persönlich Goethe vor, von dem er durch Schiller erfahren hatte, daß er nach Frankfurt kommen werde. Schiller hielt ihn nach Brief und beigelegten Gedichten zunächst für eine förderungswürdige literarische Entdeckung in der nachgewachsenen Dichtergeneration, die er am 24. Juli 1797 Goethe empfahl als einen, der in harter Sprache doch tiefe Empfindung erkennen lasse, sich allerdings in der Form seiner Darstellung noch schleifen müsse. Bei diesem führte sich Schmid mit einem Brief voll diffuser Unendlichkeits-, Natur- und Kunstbegeisterung ein, mehr im Genuß des eigenen Gefühls als im Bemühen um dessen Gestaltung. Goethe urteilte in einem Brief vom 9. August 1797 an Schiller schroff ablehnend über den Besuch Schmids, dem er "philisterhaften Egoismus eines Exstudenten" attestiert, der doch Reinhold und Fichte gehört, aber nichts über sie gesagt habe und wieder fort gegangen sei, ohne das Gespräch wirklich zu suchen. Nach dieser deutlichen Ablehnung des jungen Poeten distanzierte sich auch Schiller von Schmid, ohne Goethe gegenüber einen Versuch zur Verteidigung seines zuerst so positiven Urteils zu machen. Er nahm aber vier Gedichte Schmids in seinen Musenalmanach für 1798 auf. In seinen Briefen an Goethe setzte er Schmid und Hölderlin auf den gleichen (niedrigen) Rang, einmal als "Leutchen", die es möglicherweise wagen würden, vor Goethe zu erscheinen, einmal als überspannte Poeten, die er nur "so spät als möglich aufgeben" wolle (28. Juli und 17. August 1797). - Wenige Wochen nach seinem Besuch bei Goethe reiste Schmid ohne klare Absicht nach Basel. Auf dem Weg dorthin besuchte er im Oktober 1797 Hölderlin in Frankfurt. Isaac von Sinclair (1775-1815) wird, wie viele andere, so auch diese Bekanntschaft in seinem Umfeld vermittelt haben. Schmid trug Hölderlin anscheinend etwa dasselbe über seine in sich gefühlte Berufung zum Dichter vor, wie er an Goethe geschrieben hatte, und klagte über einen Mangel an Liebe sowohl zu einer Frau wie zu einem Freund. Daß er tatsächlich meinte, nach einem Gespräch von nur zwei Stunden sei Hölderlin ihm zu diesem gesuchten Freund geworden, zeigen Brief und Regest des ersten Briefes, den er ihm bald danach schrieb. Die vertrauliche 'Bruder'-Anrede erschien ihm wohl nach der Lektüre des ihm mitgegebenen Hyperion erlaubt und drängte weiter zum 'Du'. Wie es Sinclair 1795 für wenige Frühlingswochen in Jena mit Hölderlin gelungen war, wie er es sich für 1796 mit diesem in Homburg erhoffte und wie Jakob Zwilling (1776-1809) 1803 zusammen mit Sinclair in enthusiastischem freundschaftlichem Begehren ein gemeinsames Leben sich vorstellte, so entwickelte Schmid bald Pläne für ein Zusammenleben mit Hölderlin in der französischen Schweiz. Von ihm fühlte er sich ganz erkannt. Wie Hölderlin über diesen erneuten Vereinnahmungsversuch durch einen Freund nach denen Sinclairs gedacht hat, ist nicht überliefert. - Die Begegnung zwischen Schmid und ihm im Oktober 1797 blieb die einzige. Um so erstaunlicher ist es, daß Hölderlin dem ihm zwar sicher aus Erzählungen Sinclairs, möglicherweise aus Bemerkungen Goethes Bekannten (ihm hatte Hölderlin am 22. August 1797 in Frankfurt seine Aufwartung gemacht), persönlich aber Unbekannten ein privatestes Urteil anvertraute wie dies, daß die Kluft zwischen ihm und den Seinigen mit jedem Jahr größer werde (Große Stuttgarter Hölderlin-Ausgabe VII, Ba 66). Es mag sein, daß zuvor Schmid Hölderlin von den eigenen problematischen Beziehungen mit seinen Eltern erzählt hat. Im Frühjahr 1799 hat Hölderlin Schmids Eltern in Friedberg besucht, ein wohl erbetener Versuch der Vermittlung zwischen Sohn und Eltern, ein Freundesdienst. Schmids Vater, der sich später von dem überspannten Sohn lossagte, berichtete diesem bald danach erfreut darüber. - In Basel arbeitete Schmid kurze Zeit als Hofmeister. Danach trat er für wiederum nicht lange Zeit - mit 24 Jahren ein schon ältlicher Privatkadett (der Uniform und Ausrüstung selbst zu stellen hatte) - ins österreichische Heer ein. Nach einem Zwischenaufenthalt im elterlichen Haus folgten weitere Berufsversuche: Er bewarb sich zunächst um eine Professur "der Eloquenz und Beredsamkeit" in Gießen, ohne Examen, ohne akademischen Grad, ohne andere Veröffentlichungen als die vier Gedichte in Schillers Musenalmanach 1798; weder ein schnell auf eigene Kosten gedrucktes Drama Die Heroine noch eine von Hölderlin drängend erbetene und gefälligkeitshalber erhaltene Rezension des Stücks für die Jenaische Allgemeine Literaturzeitung verhalfen ihm zu dieser Anstellung (die Rezension wurde nicht veröffentlicht, lag aber der Giessener Universität im Manuskript vor). An Schiller, den Jenenser Professor, hatte Schmid mit dem ihm eigenen Leicht-Sinn geschrieben, dergleichen, also die angestrebte Professur, sollte er doch wohl versehen können. - Danach fand er eine Hofmeisterstelle bei einem Studenten, die auch ihm die Immatrikulation in Erlangen ermöglichte und das Studium dort 1802-1804. Als Dreißigjähriger war er promoviert, allerdings nicht aufgrund von wissenschaftlichen, sondern aufgrund seiner inzwischen erschienenen literarischen Arbeiten, und kehrte erneut ins Elternhaus zurück. Wiederum war er ohne Amt und also ohne Einkommen. Nun ließ der Vater seinen sich als Künstler fühlenden, alles Bürgerliche hochmütig verachtenden Sohn entmündigen und zu halbjährigem Besserungsaufenthalt nach Haina einweisen, das hessische Hospital für geisteskranke Landeskinder. - Danach leistete Sinclair dem im medizinischen Sinn nicht Geisteskranken überbrückende Hilfe bzw. seine Mutter tat es: Im September 1806 nahm sie ihn auf in ihrer Besitzung Proeckenmühle vor der Stadt Homburg. Im Juli 1808 vermittelte Sinclair den Wiedereintritt ins österreichische Heer. Bei dieser Gelegenheit wurde Schmid 'Jurist' genannt. Möglicherweise war er zeitweise in der homburgischen Verwaltung untergekommen. Dort hatte man sich nie leisten können, auf Qualifikationen besonders zu achten, und konnte es vermutlich in den Jahren der Mediatisierung (1806-1816) erst recht nicht; das kleine Land wurde von Darmstadt aus verwaltet. - Elf Jahre diente Schmid als Soldat, bis er 1819 als Halbinvalide pensioniert wurde. Als 46Jähriger konnte er nun die 40jährige Frau aus Erlangen heiraten, der ihr inzwischen verstorbener Vater es untersagt hatte, eine Ehe mit diesem Mann einzugehen, der von sich selbst unmäßig viel hielt, aber nicht in der Lage schien, sich und dazu noch eine Frau zu ernähren. In seiner Altersmuße schrieb Schmid noch zwei Bände Dramen. - Sinclair und Hölderlin haben Schmid beide überschätzt. Hölderlin widmete ihm 1800 als Wilkomm nach dem Kriege die Elegie Stutgard. Eine briefliche Danksagung Schmids dafür ist nicht überliefert. Möglicherweise hat er verborgen in seinem Briefroman Lothar Dank abgestattet: Was er dort über den Helden "T." sagt (Titan - Hyperion - Hölderlin), ist z. T. wörtlich seinem Brief an Hölderlin vom 8. Mai 1801 entnommen. Ob Hölderlin ihn erhalten hat, ist nicht bekannt.

Nachlaß: viele Manuskripte verschollen.Gesamtausgabe: nicht vorhanden.

Werke: Phantasien, Erlangen 1802 (enthalten auch der Briefroman Lothar oder Liebe löst den Widerstreit); Der Knabe Antonio; Ein Mährchen; Die Verwandten; Lothar oder Liebe lößt den Widerstreit, Phantasien und Erzählungen, Erlangen 1818 (Mikrofiche-Ausgabe München [u. a.] 1994; Dramatische Werke, 2 Bd., Leipzig 1842/43.

Lit.: Christian Waas, Philipp Siegfried Schmid, in: Hess. Biographien Bd. II, 1927, 451-455; - Ders., Siegfried Schmid, Der Freund Hölderlins (1774-1859), Darmstadt 1928 (Hess. Volksbücher 66-69); - Paul Raabe, Die Briefe Hölderlins. Studien zur Entwicklung und Persönlichkeit des Dichters, Stuttgart 1963; - Kurzbiographie in: Große Stuttgarter Hölderlin-Ausgabe Bd. VII, 1, 1968, 49f; - Herfried Münkler, Siegfried Schmids erzwungene Vernünftigkeit. Eine biographische Alternative zum Wahnsinn Hölderlins, in: Le pauvre Holterling, Blätter zur Frankfurter Ausgabe 7, 1984, 41-54; - Dietrich Uffhausen, "Weh! Närrisch machen sie mich". Hölderlins Internierung im Autenriethschen Klinikum (Tübingen 1806/07) als die entscheidende Wende seines Lebens, in: Hölderlin-Jahrbuch 24, 1984/85, 306-365; - Christina Vanja, Siegfried Schmid, Dichter und Freund Hölderlins in Haina 1806, in: 800 Jahre Haina. Kloster, Hospital, Forst, Kassel 1986; - Johannes Weber, Goethe und die Jungen. Über die Grenze der Poesie und vom Vorrang des wirklichen Lebens (Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte 48), Tübingen 1989; - Herfried Münkler, Prätendierte Genialität in kleinstädtischer Enge. Der Friedberger Dichter Siegfried Schmid, ein Freund Hölderlins, in: Die Wetterau. Landschaft zwischen Tradition und Fortschritt, Friedberg 1990, 373-389; - Ursula Brauer, Isaac von Sinclair. Eine Biographie (Schriften der Hölderlin-Gesellschaft 15), Stuttgart 1995); - Theodore Ziolkowski, Das Wunderjahr in Jena. Geist und Gesellschaft 1794/95, Stuttgart 1998; - Angelika Schmitz, "... wir trafen uns in den höchsten Regionen ...". Hölderlins Freundschaft mit dem 'Dichterkollegen' Schmid aus Friedberg, in: Bad Homburger Hölderlin-Vorträge 1996/97, 82-115; - Gerhard Kurz, Siegfried Schmid, in: Walter Killy, Literaturlexikon, Autoren und Werke deutscher Sprache, Digitale Bibliothek 9, Directmedia, 2. Ausgabe, Berlin 2000, 17.551f; - Hölderlin-Texturen, hrsg. von der Hölderlin-Gesellschaft Tübingen in Zusammenarbeit mit der Deutschen Schillergesellschaft Marbach (Schriften der Hölderlin-Gesellschaft 20.4: "Wo sind jezt Dichter?" Homburg, Stuttgart 1798-1800, hrsg. von Ulrich Gaier, Valérie Lawitschka, Stefan Mezger, Wolfgang Rapp, Violetta Waibel [u.a.], [Tübingen] 2002; - Hölderlin und der deutsche Idealismus: Dokumente und Kommentare zu Hölderlins philosophischer Entwicklung und den philosophisch-kulturellen Kontexten seiner Zeit, dargestellt und herausgegeben von Christoph Jamme und Frank Völkel, Bd. 1-4, (Specula 3), Stuttgart-Bad Cannstatt, 2003; - Meusel X, 596; XI, 673; XV 333; - Hess. Biogr. II, 451-455; - Raßmann Pantheon 294, Scriba I, 361; Kurzbiographie Große Stuttgarter Hölderlin-Ausgabe VII, 1, 50.

Ursula Brauer

Letzte Änderung: 18.02.2007