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Band II (1990)Spalten 960-963 Autor: Friedrich Wilhelm Bautz

HOFFMANN, Gottlieb Wilhelm, Gründer der pietistischen landeskirchenfreien Gemeinde Korntal bei Calw und ihrer Tochtersiedlung Wilhelmsdorf bei Ravensburg, * 19.12. 1771 als Pfarrerssohn in Ostelsheim bei Calw, † 29.1. 1846 in Korntal. - H. machte beim Stadtschreiber in Calw eine vierjährige Lehrzeit durch und kam dann als Gehilfe zum Amtsschreiber in Merklingen bei Leonberg. Dort erlebte er seine Bekehrung und wurde innerlich gefördert durch regen Umgang mit Gemeinschaftsgliedern, besonders mit den Pfarrern Gottlieb Machtolf (s.d.) in Möttlingen bei Calw und Johann Friedrich Flattich (s.d.) in Münchingen bei Leonberg. Als Gehilfe des Stadtschreibers in Leonberg erwarb sich H. das Vertrauen der Bürger in solchem Maß, daß, er zum kaiserlichen Notar ernannt, zum Amtsbürgermeister gewählt und im Lauf der Jahre mit einer Reihe städtischer Ämter betraut wurde. 1815-26 war H. Abgeordneter in der Ständeversammlung und während der Kriegszeit Landeskommissar. Durch Immediateingabe vom 28.2. 1817 schlug H. Wilhelm I., der ihn persönlich kannte und hochschätzte, die Gründung selbständiger, nicht unter staatlichem Kirchenregiment stehender Gemeinden vor, um dadurch der durch Einführung des Gesangbuchs von 1791 und der Agende von 1809 bedingten lebhaften Auswanderungsbewegung der württembergischen Pietisten nach Rußland entgegenzuwirken. H. wurde unter dem 1.4. 1817 vom Oberkonsistorium aufgefordert, seine Pläne eingehender vorzutragen. Er legte unter dem 14.4. einen ausführlichen "Entwurf zur äußeren und inneren Einrichtung religiöser Gemeinden nach dem Muster der sogenannten Brüdergemeinde" vor, mußte aber lange auf die königliche Entschließung warten. Durch Erlaß vom 1.10. 1818 sicherte Wilhelm I. einer etwa sich bildenden "religiös-politischen Gemeinde" die Erteilung eines "Privilegs", einer Sondergenehmigung, zu. H. berief am 13.10. 1818 zur Vorbereitung der Gemeindegründung aus führenden Pietisten des Landes ein "Brüderkollegium", zu dem auch Johann Michael Hahn (s.d.) gehörte, und erwarb am 12.1. 1819 das etwa 300 Hektar große Rittergut Korntal. Eine Woche später starb Hahn, den man zum Vorsteher der zu gründenden Gemeinde ausersehen hatte. Man begann mit den Bauarbeiten. Es wurden zunächst 68 Familien angesiedelt. Am 9.7. 1819 legte man den Grundstein zum Großen Saal, dem gottesdienstlichen Raum der Gemeinde, der schon am 7.11. 1819 eingeweiht werden konnte. Inzwischen war die Fundations-Urkunde vom 22.8. 1919 eingetroffen, die Genehmigung des Königs zur Gründung der Gemeinde. Ihr erster Pfarrer wurde Johann Jakob Friedrich. Die Gemeinde Korntal nahm als ihr Bekenntnis die Augsburgische Konfession ohne die Verdammungsurteile gegen Andersgläubige an. H. legte seine Ämter in Leonberg nieder und zog nach Korntal. Er leitete das Gemeindegasthaus und besorgte auch eine Zeitlang die Gemeindehandlung und die Post. Von der Gemeinde nahm H. keine Besoldung. Ihm war kurz nach seiner Übersiedlung nach Korntal eine Vermögensverwaltung übertragen worden, von der er mit seiner Familie bescheiden leben konnte. H. wurde 1820 Vorsteheramtsverweser und 1831 Gemeindevorsteher. Er war ein Mann von großer Regierungsgabe und organisatorischem Talent. Die Hoffnung auf die baldige Aufrichtung des Tausendjährigen Reiches und die erste Auferstehung beseelte ihn bis an sein Ende. Seine Stellung zu den verschiedenen Richtungen unter den Gemeindschaften kommt in seinem Wort zum Ausdruck: "Ich bin als Pregizerianer erweckt worden (in der frohen Erfahrung der Gnade), ich möchte als Michelianer wandeln (mit rechtem Heiligungsernst) und als Herrnhuter sterben (im alleinigen Vertrauen auf das Opfer Christi)". Korntal wurde weiteren Kreisen bekannt durch seine Schulen und Schüler- und Kinderheime. Noch im Gründungsjahr begann diese Arbeit klein und unscheinbar. Der Lehrer Johannes Kullen (s. d.), der in Metzingen ein kleines privates Schülerinternat leitete, folgte der Einladung der Brüder, mit seinen Zöglingen nach Korntal überzusiedeln. Im November 1819 kam er mit seinen beiden Schwestern und 13 Lateinschülern in Korntal an. Das war der Anfang der Korntaler höheren Schule für Jungen. 1821 war die Zahl der Schüler schon auf 40 gestiegen. H. gründete 1821 die Töchteranstalt, die Kullen, nachdem er 1836 ihre Leitung übernommen hatte, zu einer ausschließlich höheren Mädchenbildungsanstalt umgestaltete. Darum errichtete H. 1836 eine Mittelanstalt, eine Art Vorläuferin einerseits der heutigen Mittelschulen und andererseits der Haushaltungs- und Frauenarbeitsschulen bzw. der hauswirtschaftlichen Berufsschulen. 1823 kam es zur Gründung einer Kinderrettungsanstalt. Über ihre Vorgeschichte berichtet Sixt Karl Kapff (s.d.), der 1833-43 Pfarrer in Korntal war: Als an einem Sonntag im Jahr 1822 viele fremde Gäste bei Hoffmann zu Mittag speisten, trat ein Bettelknabe von etwa fünf bis sechs Jahren aus einem benachbarten Ort ein und bat um eine Gabe. Hoffmann äußerte sein Bedauern, daß Kinder schon in früher Jugend dem Bettel überlassen seien, wodurch sie nach und nach zu Müßiggängern und Dieben heranwachsen. Wenn er ein vermögender Mann wäre, würde er ein Haus für solche verwahrlosten Kinder erbauen, wo sie unterrichtet, genährt und zur Arbeit angeleitet würden; so aber sei es ihm nicht möglich". Nachdem die Gesellschaft lange über diesen Gegenstand gesprochen und sich vom Essen erhoben hatte, trat einer der Gäste zu ihm, gab ihm ein 24-Kreuzer-Stück in die Hand und sagte: "Lassen Sie den Gedanken nicht mehr fahren, für verwahrloste Kinder ein Haus zu bauen!" In einem gedruckten Aufruf gab H. seine Absicht bekannt, in der Gemeinde Korntal eine Anstalt zu errichten, in welcher ganz arme, verlassene und verwaiste Kinder oder auch Kinder schlechter Eltern ganz unentgeltlich oder gegen sehr geringes Kost- und Kleidergeld zur Erziehung aufgenommen werden sollen, und warb um Spenden und tatkräftige Mitarbeit zur Verwirklichung seines Planes. Das Echo war ermutigend. Brüder aus den benachbarten Orten führten unentgeltlich Steine herbei, erzählt Kapff, vieler Edlen Edelsteine verwandelten sich in Mauersteine, ihr Gold in Holz, ihr Silber in Eisen. Handwerker brachten die Erzeugnisse ihres Kunstfleisses, Landleute die Früchte ihrer Felder, zarte Hände die Arbeiten ihrer Nadeln. Selten verließ ein Gast unser stilles Tal, ohne einen Beitrag für die werdende Anstalt gegeben zu haben. Am 9.11. 1823 wurde der erste Bauabschnitt der Kinderrettungsanstalt eingeweiht. Man nahm zunächst nur 10 Kinder auf. 1825 wurde der zweite Bauabschnitt vollendet. Das Haus gab nun 57 Kindern eine Heimat; von 1828 an waren es etwa 70 Kinder. Darum mußte an eine Erweiterung des Hauses gedacht werden. H. war der Ansicht, daß sie, am besten und zweckmäßigsten geschähe, wenn die kleinen Kinder, vom 6. Lebensjahr an abwärts, in einer besonderen Anstalt verpflegt würden. So wurde 1829 aus einem alten Jägerhaus. auf der von Korntal eine halbe Stunde entfernten Schlotwiese in Zuffenhausen durch entsprechende Umbauarbeiten eine Kleinkinderanstalt, die 1846 nach Korntal verlegt wurde. H. rief 1824 als Tochtersiedlung von Korntal die Gemeinde Wilhelmsdorf im Lengenweiler Moor ins Leben, deren Gründung Wilhelm I. nur unter der Bedingung erlaubte, daß die Siedler das sumpfige Moorgebiet urbar machten. H. hat in Wilhelmsdorf drei Kinderheime gegründet: 1830 eine Rettungsanstalt für Knaben, 1835 eine für Mädchen und 1857 ein Säuglingsheim. 1837 entstand in Wilhelmsdorf außerdem eine Besserungsanstalt für entlassene weibliche Strafgefangene. Dieser Arbeitszweig konnte aber nicht gehalten werden. H. rief ebenfalls im Jahr 1837 eine Taubstummenanstalt ins Leben. Wie August Hermann Francke (s.d.) gründete H. diese Anstalten, die vor allem von freiwilligen Gaben lebten, im Vertrauen auf Gottes Durchhilfe und die Opferwilligkeit der christlichen Kreise des Landes. Er durfte immer wiederwunderbare Durchhilfen erfahren: Oft war die Kasse leer; aber zur rechten Stunde floß wieder etwas darein, berichtet Kapff. Oft war kein Vorrat mehr da, und es schien, man werde hungern müssen; aber der Herr gab Speise zur rechten Zeit. Während die Gemeinde Korntal und ihre Anstalten einen für H. erfreulichen Entwicklungsverlauf nahmen, blieb Wilhelmsdorf sein Sorgenkind bis an sein Lebensende. Die Gemeinde Wilhelmsdorf stand 1846 vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch. H. diktierte noch auf dem Sterbebett einen herzlichen und dringenden Aufruf an alle Brüder im Lande, Wilhelmsdorf doch nicht im Stich zu lassen. Mehr als 40 000 Gulden kamen zusammen, bei dem damaligen Geldwert eine schier unglaublich hohe Summe. Korntals Tochtersiedlung war gerettet und nahm nach jener Krise einen guten Aufstieg. Wilhelmsdorf wurde 1850 von der Regierung als selbständige Gemeinde anerkannt.

Werke: Gesch. und Veranlassung zu der Bitte des Kgl. Notars und Bgm. G. W. H. zu Leonberg um Erlaubnis zur Gründung und Anlegung religiöser Gemeinden unabhängig vom Consistorium mit den darnach folgenden Resolutionen, dem Plan zur Einrichtung und des Glaubensbekenntnis dieser Gemeinde, 1818.

Lit.: Erinnerungen an G. W. H., in: Christusbote, 1870 u. 1871; - Christoph Hoffmann, Mein Weg nach Jerusalem I, 1881, 30 ff.; - Johann Hesse, Korntal einst und jetzt, 1910; - Ders., 3 Vorträge über Korntal, 1934; - Wilhelm Claus, Württembergische Väter II, 1933, 359 ff.; - O. Kühler, G. W. H., der Gründer Korntals und Wilhelmdorfs, 1946;- Fritz Grünzweig, Die ev. Brüdergemeinde Korntal, 1957, 30 ff.; - Ders., G. W. H., in: Lebensbilder aus Schwaben und Franken XI, 1969; - Julius Roeßle, Von Bengel bis Blumhardt, Gestalten und Bilder aus d. Gesch. des schwäb. Pietismus, 1959; - Die Ev. Brüdergemeinde Korntal gestern und heute, Zu ihrem 150j. Bestehen, 1969; - Heimatbuch der Stadt Korntal, 1969; - Hartmut Lehmann, Pietismus und weltl. Ordnung in Württemberg, 1969; - Joachim Trautwein, Die Theosophie M. Hahns, 1969; - ADB XII, 593 f.; - NDB IX, 393-394; - CKL 1, 870-871; - LThKV, 415;- RGG III, 414-415.

Letzte Änderung: 20.02.2002