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Band XXV (2005) Spalten 1575-1579 Autor: Karl Schwarz

ZERBST, Fritz Wilhelm Erich, * 14.1. 1909 in Schubin (Provinz Posen, heute Polen), † 2.12. 1994 in Baden bei Wien (Österreich). - Z. entstammt einer lutherischen Familie, die ihr konfessionelles Bewußtsein in der Kirche der Altpreußischen Union bewahrt hatte. Nach der Volksschule besuchte er in Wongrowitz (Provinz Posen) das humanistische Gymnasium, er mußte aber infolge der durch die Grenzziehung nach dem Ersten Weltkrieg veranlaßten Emigration der Familie nach Görlitz/Schlesien wechseln, er absolvierte nach dem "kleinen Abitur" eine unbezahlte Banklehre, um danach eine prominente humanistische Ausbildungsstätte zu besuchen, das Pädagogium in Züllichau, das er als Primus omnium und als Preisträger der Reichsregierung 1930 abschloß. Nach dem plötzlichen Unfalltod des Vaters (Erich Zerbst in Berlin, 17.5. 1931) mußte er seine ursprünglich sehr breit angelegten Studien der Philosophie, Nationalökonomie, Tierpsychologie und evangelischen Theologie, denen er an den Universitäten Berlin (Nikolai Hartmann, Dietrich Bonhoeffer), Marburg/Lahn (Wilhelm Röpke, Karl Löwith, Rudolf Bultmann) und Wien (Moritz Schlick, Robert Reininger, Karl Bühler, Othmar Spann) oblag, auf die Theologie konzentrieren. Im März 1934 legte er in Wien mit sehr gutem Erfolg das Examen pro candidatura ab. Nach kurzem Vertretungsdienst in Kärnten und Burgenland wurde er als Vikar in Wien-Leopoldstadt eingesetzt und ihm gemeinsam mit Helmut Gollwitzer die Leitung einer Arbeitsgemeinschaft für Vikare aufgetragen. Er erwarb nach Verzicht auf die deutsche Reichsbürgerschaft die österreichische Staatsbürgerschaft und die Heimatberechtigung in Riedlingsdorf/Burgenland (4.6. 1934), 1936 heiratete er die Juristin Dr. Maria Babisch aus Zwettl/Niederösterreich, die seine Hinwendung nach Österreich veranlaßt hatte. In demselben Jahr hatte er auch das Examen pro ministerio abgelegt (21.1. 1936) und wurde er zum Pfarrer von Weißbriach/ Kärnten gewählt. Die Ordination zum geistlichen Amt und die Installation erfolgten am 14.6.1936 durch Superintendent D. Johannes Heinzelmann. An übergemeindlichen Aufgaben wurden ihm vor allem die pastoraltheologische Verantwortung für Vikare und Pfarrer sowie der Vorsitz im Kärntner Gustav-Adolf-Verein übertragen. Nebenbei arbeitete er an einer amtstheologischen Dissertation, mit der er aufgrund neutestamentlicher Schriftbelege die Nichtzulässigkeit der Ordination von Frauen postulierte. Er schloß die Arbeit während des Krieges (1940) ab, konnte sie aber erst nach Kriegsende verteidigen, die Rigorosen ablegen und promoviert werden (11.12. 1945). Die Arbeit wurde ins Englische übersetzt (1955) und bestimmte die ablehnende Haltung der Lutherischen Missouri-Synode gegen die Frauenordination. 1939 zeitweise zur Wehrmacht eingezogen, wirkte er beim Aufbau einer Panzerabwehr gegen Italien, 1943-1945 als Wehrmachtspfarrer im Nebenamt in Lienz. Den Nationalsozialismus lehnte er seit seinem 17. Geburtstag auf allen Ebenen entschieden ab, nach 1945 plädierte er für Maßnahmen der Kirchenzucht gegen eine allzu rasche Wiederaufnahme der während der NS-Diktatur aus der Kirche Ausgetretenen. - Am 28.4. 1946 wählten ihn die Presbyterien der Kärntner evangelischen Gemeinden zum Superintendenten, am 15.5. 1946 die Villacher Gemeinde zum amtsführenden Pfarrer. Von der Synode A.B. wurde er zum geistlichen Vizepräsidenten gewählt (1949-1955), weiters wirkte er in zahlreichen gesamtkirchlichen Gremien (Synodalausschuß A.B., Finanz- und Bauausschuß, Religionspädagogischer Ausschuß, Agenden- und Liturgischer Ausschuß); an der in Österreich durchgeführten Diskussion über die Anliegen von Berneuchen und der Michaelsbruderschaft, die er wegen ihrer katholisierenden Tendenzen in seiner amtstheologischen Studie äußerst kritisch rezensiert hatte, war er maßgeblich beteiligt. Neben seiner pastoralen Tätigkeit oblag ihm die Zusammenarbeit mit der Kärntner Landesregierung und der britischen Besatzungsmacht in sozial-diakonischen Arbeitsfeldern (Hilfswerk, Flüchtlingsarbeit, Rotes Kreuz), der Aufbau der kirchlichen Öffentlichkeits- und Rundfunkarbeit, vor allem der Religionsunterricht in der Oberstufe des Villacher Gymnasiums. Diesen Unterricht vermochte er so packend zu gestalten, daß im Laufe dieser Jahre zwölf Schüler den Beruf ihres Lehrers ergriffen. Er errichtete in Villach ein Schülerheim, auf seine Idee ging die Umgestaltung des Toleranzbethauses in Fresach zu einem Diözesanmuseum zurück, er unternahm noch anfangs der 50er-Jahre die ersten Schritte zur Bildung eines Kuratoriums für eine zu errichtende Hochschule in Klagenfurt mit dem Schwerpunkt "Soziologie". 1952 starb seine Frau, die ihm vier Kinder zwischen vier und 15 Jahren hinterließ. In der Folge heiratete er die Theologin Christiane de Martin (1915-1987), die zu den ersten Kandidatinnen und Absolventinnen des Examens pro ministerio gehörte und 1941 in Wien als Personalvikarin installiert, aber nicht ordiniert worden war. Sie war hauptsächlich im Unterricht an Gymnasien und an der Evangelischen Frauenschule für kirchlichen und sozialen Dienst tätig, verfaßte ein weit verbreitetes Schulbuch ("Bibelkunde") und war für die Studentinnen-Seelsorge an den Wiener Hochschulen zuständig. - 1955 wurde Zerbst als Nachfolger von Gustav Entz nach Wien berufen: zum Ordinarius für Praktische Theologie an der Evangelisch-theologischen Fakultät und hatte als einziger Fachvertreter alle Teildisziplinen (Homiletik, Liturgik, Religionspädagogik, Seelsorge, Religionsgeschichte, Diakonik, Ökumenik und Missionswissenschaften) zu lehren. Infolge dieser einzigartigen Konstellation prägte er durch mehr als zwanzig Jahre den geistlichen Nachwuchs der Evangelischen Kirche in Österreich im Sinne eines konservativen Luthertums. Als Präsident des Diakonischen Werkes in Österreich (1956-1972) vertrat er das Modell einer diakonischen Kirche, auch dabei mochten Neuendettelsau und Wilhelm Loehe (1808-1872) stimulierend gewirkt haben. Im Internationalen Verband für Innere Mission und Diakonie bekleidete er hohe Funktionen (Vizepräsident 1958-1972), die durch das Kronenkreuz in Gold bedankt wurde (1972). War Zerbst als österr. Delegierter bei der Gründung des LWB in Lund/Schweden (1947) und des ÖRK in Amsterdam (1948) dabei, so vertrat er seine Kirche auch bei den Weltkonferenzen des LWB in Hannover (1952), Minneapolis (1957) und Helsinki (1963) und des ÖRK in New-Delhi (1961) und Uppsala (1968). Seine Fakultät wählte ihn wiederholt zum Dekan (1958/59, 1963/64, 1968/69, 1975/76), acht Jahre gehörte er dem Akademischen Senat der Universität an, 1969/70 war er Rektor 1970/71 Prorektor der Universität Wien, zugleich Vorsitzender der Österreichischen Rektorenkonferenz bzw. dessen Stellvertreter, 1969/70 auch Vizepräsident der osteuropäischen Rektorenkonferenz. Er war der zweite evangelische Theologe (nach dem lutherischen Systematiker Erwin Eugen Schneider [1892-1969] im Studienjahr 1958/59), dem diese hohe akademische Funktion an der Alma Mater Rudolfina zuteil wurde - und dies in einer Zeit heftiger Proteste und Studentenunruhen, die sich insbesondere gegen das universitäre Establishment richteten, als deren Exponent Zerbst gegolten hat. 1963 und 1966 organisierte und leitete Zerbst die Theologenkongresse in Wien, 1969 oblag ihm als Rektor die Eröffnung des Ersten Europäischen Theologenkongresses. 1972/73 führten ihn zwei Forschungsreisen in den Süden Afrikas zu Feldstudien über die Buschmänner, seinem letzten wissenschaftlichen Forschungsprojekt. 1976 wurde Zerbst aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig emeritiert und zog sich nach Kärnten (Tschöran, Villach) zurück, zuletzt in die klimatisch begünstigte Thermenregion nach Baden bei Wien. Zu seinem 70. Geburtstag wurde ihm eine Festschrift gewidmet "Theologia scientia eminens practica", die sein Nachfolger im Lehramt für Praktische Theologie Hans-Christoph Schmidt-Lauber herausgab. Weiters wurde er mit dem Österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse sowie der Goldenen Ehrenmedaille der Bundeshauptstadt Wien (beide 1979), zuletzt mit dem Großen Ehrenzeichen des Landes Kärnten (1990) ausgezeichnet. Bestattet wurde er am Waldfriedhof in Villach.

Werke (nur selbständige Publikationen): Evangelisches Christentum. Eine kurze Hilfe für kirchliche Unterweisung (gemeinsam mit Helmut Gollwitzer, Margarete Hoffer, Herbert Krimm), Wien (1935); Amt und Frau in der Kirche, ev.-theol. Diss. Wien 1945; Friede und Freude. Zwei Predigten, Villach 1948; Vom geistlichen Amt (= Schriftenreihe für evangelische Theologie und Kirche 1), Wien (1950); Das Amt der Frau in der Kirche (= Schriftenreihe für evangelische Theologie und Kirche 2), Wien (1950); Konfirmandenbüchlein, hg. im Auftrag des Religionspädagogischen Ausschusses der Evang. Kirche A.u.H.B. in Österreich, Villach 1951, Wien 21956; The Office of Woman in the Church, St. Louis 1955; (gemeinsam mit Gottfried Fitzer) Gottes Wort über Ehe und Familie (= Der Christ in der Welt 7), Wien 1956, 19562; Steinzeit Heute. Gelbe Buschmänner im Süden Afrikas und die europäische Vorzeit, Wien-Köln-Graz 1983.

Lit.: Wilhelm Kühnert, Professor Dr. Fritz Zerbst. Rektor der Universität Wien im Studienjahr 1969/70, in: Amt und Gemeinde 1969, 65-67; - Paul Pellar, Dr. Fritz Zerbst. Superintendent 1947-1956, in: Die evangelische Kirche in Kärnten einst und heute, hrsg. von der Superintendentur Kärnten, Klagenfurt 1981, 187 (Portrait); - Nachrufe in: Die Presse 14.12.1994; Amtsblatt der Ev. Kirche A.u.H.B. in Österreich 1994/12, 150 f.; - Karl Schwarz, Die evangelische Kirche zwischen "Gottesgericht" und Identitätssuche, in: Helmut Rumpler (Hrsg.), Kärnten. Von der deutschen Grenzmark zum österreichischen Bundesland (= Geschichte der österreichischen Bundesländer seit 1945 2), Wien-Köln-Weimar 1998, 719-747; - ders., 50 Jahre Ev. Superintendenz A.B. Kärnten, in: Neues aus Alt-Villach 35 (1998) 41-50; - Johannes Dantine, Fritz Zerbst - Erinnerung an einen Theologen der evangelischen Kirche in Österreich, in: Jahrbuch für die Geschichte des Protestantismus in Österreich 115 (1999) 142-156.

Karl Schwarz

Letzte Änderung: 09.10.2005