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SeiteninhaltZum Tode von Frau Prof. Dr. Ray-Güde Mertin*19. Juli 1943 †13. Januar 2007
Das Institut für Romanische Sprachen und Literaturen der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main trauert um Ray-Güde Mertin. Mit ihr verlieren wir eine Kollegin, die seit 1984 als Lehrbeauftragte und seit 1996 als Honorarprofessorin in den Bereichen der Lusitanistik, der Hispanistik und der Übersetzungswissenschaft Einmaliges leistete und die Studierenden für die Literatur Brasiliens, Portugals, Hispanoamerikas und Spaniens nachhaltig begeisterte.
Das wissenschaftliche Interesse Ray-Güde Mertins richtete sich hauptsächlich auf die brasilianische Gegenwartsliteratur, wobei sie Fragen wie die Präsenz der afrikanischen Kultur in Brasilien in den Mittelpunkt des Forschungsinteresses stellte. Ein weiterer Schwerpunkt war die Entstehung und Entwicklung der Stadtliteratur in Brasilien. Die von Horst Baader in Köln betreute und als "opus eximium" bewertete Dissertation ist dem Roman A Pedra do Reino des Professors für Ästhetik Ariano Suassuna gewidmet. Methodische Genauigkeit und interpretative Sensibilität zeichnen auch die Aufsätze, Kommentare, Nachworte, Vorträge und Rezensionen aus, die Ray-Güde Mertin über lusophone und hispanophone Literatur verfaßt hat. Die Vermittlung dieser Literatur in den deutschsprachigen Kulturraum ist eine Kunst, die ein hohes Maß an theoretischem und kulturgeschichtlichem Wissen erfordert, sowie die Fähigkeit, das Eigentümliche dieser Literaturen zu erfassen und zu formulieren. Ob es sich um Machado de Assis, João Ubaldo Ribeiro, António Tôrres, Euclides da Cunha, den Nobelpreisträger José Saramago oder einen anderen der zahllosen Autoren handelt, über die Ray-Güde Mertin geschrieben hat, immer wird der Leser gefesselt von der Anschaulichkeit und Präzision der Darstellung.
Dass Ray-Güde Mertin eine der erfolgreichsten literarischen Übersetzerinnen aus dem Portugiesischen und dem Spanischen werden konnte, erklärt sich zweifelsfrei aus ihrem wissenschaftlich exakten Vorgehen. Wer in der Lage ist, Romane von Clarice Lispector, Ignácio de Loyola Brandão, João Ubaldo Ribeiro, António Lobo Antunes oder Agustina Bessa-Luis zu übertragen, muß über methodische Strenge, kulturhistorisches Wissen, Ausdauer, Fleiß und großes Talent verfügen. Die von ihr übersetzten Romane sind bei führenden literarischen Verlagen wie Suhrkamp, Hanser, Kiepenheuer & Witsch oder Piper erschienen. Eine wichtige Komponente ihrer Übersetzertätigkeit ist die theoretische und methodische Reflexion. Ray-Güde Mertin hielt regelmäßig Vorträge über die Problematik des Übersetzens und leitete eine ganze Reihe von Übersetzertreffen (z.B. im Europäischen Übersetzerkollegium Straelen) und Wochenendworkshops für Übersetzer.
Als sie nach achtjährigem Aufenthalt in São Paulo und nach fünf Jahren in New York 1982 nach Deutschland zurückkehrte, machte sie sich als Literaturagentin für Schriftsteller aus Brasilien, Portugal, dem lusophonen Afrika, aus Hispanoamerika und aus Spanien selbständig. Ihr Ziel war nicht der rasche Vertragsabschluss, sondern der lebendige Kulturaustausch. Seit 1982 arrangierte, übersetzte und moderierte sie eine nicht abreißende Serie von Lesungen, Lesereisen und Präsentationen lusophoner und hispanophoner Autoren - in den Literaturhäusern von Frankfurt, Hamburg und Berlin, im Berliner Haus der Kulturen der Welt, im Kulturprogramm der Stadt Köln, in Wien, Salzburg, München, Duisburg oder Bad Homburg. Hervorzuheben sind ihr Beitrag zu den Internationalen Literaturtagen in Erlangen und die Vorbereitung und Mitgestaltung des literarischen Programms mehrerer Frankfurter Buchmessen (besonders der Brasilien-Buchmesse 1994). Schließlich war Ray-Güde Mertin durch ihre Mitarbeit in zahlreichen kulturellen Organisationen und Institutionen immer präsent, wenn es um die Vermittlung portugiesisch- und spanischsprachiger Literatur ging.
Von diesen Aktivitäten und Verbindungen hat das Institut für Romanische Sprachen und Literaturen seit 1984 laufend profitiert. Fast alle der von Ray-Güde Mertin betreuten Autoren haben in unserer Universität vorgetragen, gelesen und mit den Studierenden diskutiert, darunter auch José Saramago, der Nobelpreisträger für Literatur des Jahres 1998, den sie als Agentin vertreten hat. Ray-Güde Mertin hat durch ihre Vielseitigkeit als Wissenschaftlerin, Literaturkritikerin, Literaturagentin, Kulturmanagerin, Übersetzerin und Moderatorin die akademische mit der literarisch-kulturellen Praxis verbunden. Wo sie auftrat, wehte ein frischer Wind, herrschte Begeisterung für die Literatur, begannen die Texte zu leben und die Autoren Loblieder zu singen auf ihre ebenso tüchtige wie hinreißend charmante Freundin. Die gesamte deutsche Romanistik hat eine unersetzliche und unvergessliche Kollegin verloren.
Prof. Dr. Karsten Garscha
geändert am 16. Februar 2007 E-Mail: WebmasterM.Kunkel@em.uni-frankfurt.de | | Zur Navigationshilfe |
Druckversion: 16. Februar 2007, 18:46
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