Nederlands Deutsch English



Dezember 2005

29-12-2005

Zum Glück
ist nicht jeden Tag Weihnachten.
Denn dann würde ich
365 Kilo
schwerer werden.
Ist egal.
Zum Glück
ist es draußen herrlich.
Das, was man Natur nennt,
hat unseren Garten
in etwas Unbegreifliches verwandelt.
Ich kann noch keine Schneeflocke machen ,
lasse das,
was wir jetzt sehn, stehn.

Halte es kurz.
Ich geh schnell wieder nach draußen.
Wünsche Ihnen einen gesunden Jahreswechsel.
Entschuldige mich
für all die Faxe, Mails und Briefe,
die ich nicht beantworten konnte.
Da liegt ein Stapel
von hier bis da.
Wie auch immer, ich wünsche Ihnen
ein glückliches Neues Jahr.

Eva hängt noch ein Stückchen dran.

28. Dezember
Heute war ich im Mediapark in Hilversum.
Hier machten wir Auditions,
um den wahren Jan de Man zu finden.
Er bekommt im Juni und im Juli
eine eigene WM-Show.
Die präsentiert er zusammen mit Herman
und seiner besten Fußballfreundin,
Nena Kroes.
Auch sie haben wir gesucht.
Herman wollte aus Objektivitätsgründen
nicht dabei sein.
Also bin ich hingegangen.
Wir schreiben zusammen ein Buch
über Jan de Man.
Arbeitstitel: Probleme in den Wolken.
Ich weiß inzwischen
vielleicht ein bisschen mehr
von dem Männchen als er,
weil Jan
unter dem Bällchen meines Stifts
wächst.
Es ist, als ob er Tag für Tag
einen Finger hinzukriegt.
Oder vielleicht einen Zahn.
Doch etwas passender
in einem Fußballbuch.
Viele kleine Kerle haben wir gesehen.
Viele aufgeregte Männchen
im Alter von zehn bis elf.
Alle fußballbesessen.
Beim Kommentieren
eines Fußballspiels im Fernsehen
kamen die schönsten Fachausdrücke heraus.
Es wurde konzentriert gesehen.
“Das ist eine regelrechte Schwalbe”.
“Er hätte ihn besser hoch hereingeben sollen”.
“Der hat total die Haare eines Höhlenmenschen”.
“Er hatte ihn einfach paniert”.
Und ich dachte,
dass das nur Schnitzeln passiert.
Sie machten auch ein Interview
mit Johan Cruijff,
der von einem anmutigen Assistenten gespielt wurde.
Es wurde ein in vieler Hinsicht
echtes Tiefeninterview.
“Können Sie gegen sich verlieren?”
“Haben Sie Haustiere und Kinder?”
“Sagten sie mal früher zu Ihnen: Du machst es nicht richtig. Und das und das und das?”
Manche Mädchen wussten nicht mehr,
wer Johan Cruijff war.
Ist es ein alter Mann?
Herman van Veen ist doch auch ein alter Mann?
Tja, solche Sprüche bekommt man,
wenn man sein Weblog aus den Händen gibt.
Ich hab die leise Ahnung,
dass dies möglicherweise das letzte Mal ist,
dass ich den Stellvertreter spielen darf.
Wir haben viele schöne und liebe Kinder
vorbeikommen sehen,
und ich denke schon,
dass Nena und Jan darunter waren.
Im Sommer werden wir's sehen.
Bis dahin werden wir
an unserem Buch schreiben
und ich die wichtigsten Stellen
meinen elfjährigen Bruder testen lassen.
Er heißt Jan-Jelle
und spielt Volleyball.
Auch ein schöner Sport.
Eva Schuurman





20-12-2005

675.000 Euro.
Sie haben richtig gelesen.
Sechshundertfünfundsiebzigtausend Euro.
Kamen zusammen
beim Benefizkonzert,
das wir zum Saisonabschluss
in der Stadsschouwburg von Nimwegen spielten.
Zu Gunsten der Nimweger Offensive
gegen Krebs.
Ein phänomenaler Betrag.
Für einen notwendigen Anlass.
Bedanke mich sehr bei allen,
die die Formulare
so großzügig ausgefüllt haben.
Das wäre geschafft.

2005 wurde ein unvorstellbares Jahr.
Meine Kniegelenke knacken,
mein Rücken fühlt sich an wie eine Bambusstange,
mein Kiefer tut weh,
aber in meinem Herzen
singt es.
Dieses Geburtstagsjahr
nehme ich dahin mit,
wo immer wir auch
hingehen mögen.

Kämpfe mittlerweile
mit den Weiden im Garten,
die einfach weiterwachsen.
Als gäbe es keine anderen Bäume.
Ganz schöne Arbeit.

Um Weihnachten
sind wir noch
in einer Reihe von Weihnachtsprogrammen zu sehen.
Gestern Abend mit Marco Borsato
und Trijntje Oosterhuis
in der NCRV.
In einer Sendung,
in der wir über Kinderrechte
reden konnten.
Trijntje Oosterhuis
ist seit kurzem
UNICEF-Botschafterin,
Marco Borsato
setzt sich schon seit einiger Zeit
für War Child ein.
Es wurde eine angemessene Sendung.
Es ist nicht ganz einfach,
bei Jingle Bells und Kunstschnee
über das erschreckende Schicksal
von 1 Milliarde notleidender Kinder
zu diskutieren.
Nachdem sie sich 2000 Jahre lang
die Weihnachtsgeschichte erzählt hat,
hat unsere westliche Welt
furchtbar wenig
von dem Kind in der Krippe begriffen.
Ich sitze auf einer Couch mit tauben Augen.
Tu mein Bestes
und hoffe,
dass es verstanden wird.
Jos Brink,
der Mann, mit dem wir redeten,
ist ein Schatz.

Zwischen all den Kiefernnadeln
seh ich mir die Zahlen
unserer kleinen Firma an.
Bin immer froh,
dass ich die Gehälter
offensichtlich immer wieder bezahlen kann.
Man singt nicht nur,
man ist auch ein Arbeitgeber.
Das vergessen die Leute noch zuweilen.
“Lebens-Unternehmer”
müsste in meinem Pass stehen.
Jetzt steht da “Clown”.
Das erzeugt immer ein Lächeln.
So verdächtig ich auch aussehe.

Seit der Iran
zu Buschs Achse des Bösen gehört,
fühl ich mich in Flugzeugen
neben Fatemeh Derakhshan,
der Chefin unserer Firma,
immer sicherer.
Fa kommt aus dem Iran.

Wenn alles so läuft, wie ich hoffe,
knallt unsere Internetsite
in den nächsten Tagen
in die Zukunft.
Alles wird übersichtlicher,
die Klicks kürzer,
die Zeiten schneller.
Wir werden Webcasten,
sobald es grünes Licht gibt.
Es ist geplant,
dass das noch in diesem Jahr passiert.
Wenn sie in Seeland auf Zack sind.
Dort sitzt die Internetfirma,
die den Umbau durchführt.
Bin gespannt auf Ihre Reaktion,
wenn es soweit ist.
Im nächsten Jahr
können Sie, wenn's funktioniert,
bei uns zum Beispiel
die Jan de Man WK Show sehen.
Und, wenn nichts dazwischen kommt,
jede Woche eine Folge
von Alfred Jodocus Kwak.
Man wird allerhand in unserem Web fangen können.
Vieles umsonst, vieles für ein paar Euro.
Sie klicken dann auf www.hermanvanveen.com ,
dann auf webcasting,
so kommen Sie auf age-n-dubbeljoe networks,
die alternativen Komkurrenten
von Ted Turner Networks.
Freu mich
auf den digitalen Spaß.

Suche mein Knieband,
versuche, die Treppe rauf zu laufen,
um zu sehen,
wie das Wetter
Weihnachten wird.
Wünsche Ihnen
das Aller-aller-Schönste.





06-12-2005

Froh über die Martin Buber Plaquette
nzwischen wieder unterwegs
in deutschen Alleen,
Autobahnen und Städten.
In vier müssen wir noch reisen:
Castrop-Rauxel, Düsseldorf,
Düsseldorf, Düsseldorf -
in die wunderschöne Tonhalle.
Fürwahr einer der schönsten Säle
der Welt.
Werde dort Lenny Kuhr treffen.
Hab sie ewig nicht gesehen.
Sie gewann in alten harlekijnschen Tagen
mit uns einst den Grand Prix Eurovision de la Chanson.
Wir werden darüber reden,
was wir tun müssen
angesichts des Elends im Nahen Osten.
Im Rahmen von Music in ME.
 
Erfahre gerade,
dass Frits Philips gestorben ist.
Der tüchtige Mann aus Eindhoven,
der mal mein Chef war.
Als Polydor noch zu Philips gehörte.
So alt zu werden,
würde uns gefallen.
 
Für meinen Geschmack
dürfte das Wetter schöner sein.
Es ist draußen so grau
wie eine Schultafel.
Dieser Herbst ist kein Herbst.
Fünfzig Prozent der Blätter
sind noch an unseren Bäumen.
Dabei ist es schon fast Weihnachten.
Das werden wir in Ruhe
feiern.
Mit uns,
dem Weihnachtsbaum
und dem immer zu vielen Essen.
Das ist ein Problem für mich.
Kann mich nie beherrschen.
 
Vor dem Weihnachtsfest
spielen wir noch drei geschlossene Vorstellungen.
In Holthees, Amsterdam und Nijmegen.
Für gute Zwecke.
 
In der Weihnachtszeit
sind wir regelmäßig im niederländischen TV.
In etwas ungewöhnlichen Sendungen.
Zusammen mit Erik
in einer sehr schönen Show,
die "Theater van het sentiment" heißt.
Wir reden da, zusammen mit Henk Stuy,
über damals,
als wir noch Haare hatten.
Ich bin auch Gast
in einer NCRC-Sendung
mit Jos Brink.
Jemandem, den ich noch
von früher kenne.
Er war, bevor wir auch nur eine Note gesungen hatten,
im Raum Utrecht ziemlich berühmt.
Dann bin ich noch in einer Talkshow,
deren Name mir nicht einfällt,
anlässlich des Themas: Music in ME.
 
Im Januar
zurück nach Deutschland.
Wir werden dann dort
noch an die fünzig Male
unseren Hut abnehmen.
 
Am 31. Januar
gibt es wieder eins der berühmten
Schaapskooi-Konzerte.
Dieses Mal
spielt Gaëtane Bouchez
Mata Hari auf französisch,
mit Martin de Kok,
Ester Eenstroom
und Yoko El Edrisi.
Als Vorbereitung
der Vorstellungen in Wallonien,
Montreal-Quebec und Frankreich.
Es wird auch Babette mit ihrer Bigband
im Schaapskooi spielen.
Im Vorprogramm:
The Fur Coat.
Datum folgt.
 
Sollten Sie interessiert sein,
es gibt Eintrittskarten.
Begrenzt.
Es gehen nur 80 Leute rein.
Für 12,50 Euro
bei unserer Erika van der Wal.
erika@hermanvanveen.com

Sie hören noch von mir.
 
Schließlich möchte ich noch
alle grüßen,
bei denen ich mich noch nicht bedanken konnte
für schon wieder
so viele Karten, Briefe, Mails, Faxe
und Eintragungen ins Gästebuch,
für all die lieben Worte.
Möchte vor allem Sabine
mit all ihren Sorgen
ganz viel Stärke wünschen.





05-12-2005

4. Internationale
Martin Buber-Lesung

im Rahmen der Verleihung der Martin Buber-Plakette 2005 an Herman van Veen,
Gründer der „Herman van Veen Foundation”

von Werner Janssen


„ALLES WIRKLICHE LEBEN IST BEGEGNUNG“ ...

„Das innere Gefüge des menschlichen Zusammenlebens kann nur durch ein Neuwerden und Echtwerden der Beziehungen von Mensch zu Mensch, von Gruppe zu Gruppe und so auch von Volk zu Volk erneuert werden.“

Wenn wir die Europäische Union oder andere Bündnisse von Ländern oder Staaten im Lichte dieser Worte von Martin Buber betrachten, müssen wir wohl feststellen, dass wir von einem Zusammenleben, in dem es zwischen Menschen, Gruppen oder Völkern „echte, innere Beziehungen“ gibt, leider noch ziemlich weit entfernt sind. Natürlich gibt es ein Europa, in dem politisch, wirtschaftlich, juristisch vieles vertraglich festgelegt worden ist. In ihm sind sich die Menschen jedoch trotz formaler Aufhebung der Grenzen und einheitlicher Währung nicht wesentlich näher gekommen.
Hinter den Kulissen einer florierenden Wirtschaft, eines lebendigen Tourismus, eines geregelten Kulturaustausches erlebt man in diesem Europa nach wie vor eklatante Unterschiede, vor allem was die Alltagssituationen des Wohnens, der Sicherheit, der Ernährung und Gesundheit betrifft. Während auf der einen Seite in Reichtum und Wohlstand gelebt wird, herrschen auf der anderen Seite Armut und Ungerechtigkeit. Das gilt nicht nur für das Sozialgefälle innerhalb der Mitgliedsstaaten, sondern in einigen Fällen auch für das Verhältnis der Staaten untereinander. Wenn sich Unzufriedenheit, Ärger und Wut der Menschen am Rand der Gesellschaft so aufgestaut haben, dass sie aufbegehren, kommt es zu solchen Exzessen wie in den vergangenen Wochen in Frankreich: Junge Menschen lassen sich nicht mehr länger isolieren, machen auf ihr Leben in Arbeitslosigkeit, Armut, ohne Zukunftsperspektiven aufmerksam.
In anderen Ländern sind die Probleme ähnlich. In fast allen Großstädten gibt es Viertel, in denen abgeschobene und vergessene Menschen aus ihrer Not und Verzweiflung ausbrechen könnten. Solange sie in Schulen „aufgefangen“, polizeibehördlich „bewacht“ werden, rumort es vielleicht nur ab und zu in diesen Bezirken ... Die Frage ist jedoch, wie lange der Staat, die Städte sich diese Versorgung und Überwachung noch erlauben können. Gegen diese Realität nimmt sich das Bubersche Postulat „des Neuwerdens und Echtwerdens der Beziehungen von Mensch zu Mensch“ fast schon utopisch, lebensfremd oder naiv aus.

Wie kam Martin Buber dazu, solche Visionen zu entwickeln? Wo liegen die Wurzeln seines Denkens und Philosophierens? Nach der Trennung seiner Eltern kommt der dreijährige Martin zu seinen Großeltern. Bei ihnen, in ihrem Hause, auf dem Land, in der Dorfgemeinschaft erfährt er wirkliches Zusammenleben: Er wächst in einer Atmosphäre auf, die für jedes Kind von fundamentaler Bedeutung ist: in Geborgenheit und Vertrauen, mit der Gewissheit, dass immer einer da ist, der zuhört, mit dem man sprechen kann ...

Diese Erfahrung hat ihn entscheidend geprägt: Seine Philosophie stellt demzufolge das Gespräch in den Vordergrund, indem sie erkennt, dass alles beim Menschen aus der Begegnung mit dem Anderen hervorgeht: Begegnet man dem Anderen in Offenheit und Sympathie, lässt man sich von ihm ansprechen und geht auf ihn ein, werden die eigenen Worte immer zu Antworten auf den Anderen. Aus der beiderseits übernommenen Verantwortung erwächst im „Innewerden des Anderen“ – wie Martin Buber es formuliert – die echte ICH-DU-Beziehung.

In unserem Alltag, in einer Gesellschaft, die Wohlstand mit wirtschaftlichem Fortschritt gleichsetzt, haben wir jedoch kaum Zeit für die echte Begegnung, die bedeutet, dass man den Anderen wirklich wahr nimmt!
Meistens überprüfen Menschen sich gegenseitig auf Brauchbarkeit, Funktionalität. Ausgehend von einem ökonomisch orientierten ICH kommt der Andere als MENSCH kaum zur Geltung. Durch Eigeninteresse und großen Zeitdruck wird das mögliche Subjekt – DU – ignoriert und zum Objekt – ES – gemacht!
Martin Buber spricht in diesem Zusammenhang von dem „Untergang der Menschen, die ins Getriebe der Wirtschaft, in diesen ungeheuren Apparat mit ihren Kräften, mit ihrer Zeit einbezogen sind“.
Anderseits hebt er jedoch die große Sehnsucht der Menschen hervor, zusammenzuleben, eine Gemeinschaft zu bilden, „nicht eine Sehnsucht, die diese Welt sich erträumt hat, sondern die wesensmäßig in sie hineingelegt, schöpfungsmäßig in ihr angelegt ist“.

In Europa ist dank zahlreicher Vereinbarungen, Verträge, Bündnisse zwar eine Europäische Union entstanden. Eine Gemeinschaft von Menschen ist Europa keineswegs.
Es sind – wie Buber es formuliert – „Scheingemeinschaften, Scheinbünde“ entstanden, „die, was immer sie an Gutem mit sich bringen, wahre Lebensgemeinschaften zu stiften nicht vermögen, die den Widerstreit, der nicht nur an der Oberfläche, sondern auch im Kern dieses Menschgeschlechts besteht, nicht zu überwinden imstande sind.“

Feindseligkeiten und Auseinandersetzungen, die auf einem fanatischen einseitigen Verständnis von Kultur, Religion, Tradition basieren, lassen sich nur beheben, wenn Menschen aufeinander zugehen, die gegenseitigen Positionen verstehen. Das Registrieren von Arbeitslosenzahlen, von ungenügenden Betreuungsmöglichkeiten und einem steigenden Bedarf an Sozialhilfe bringt uns nicht weiter. Das Wissen etwa um Arbeitslosigkeit, um das Fehlen von Schulen ist nicht entscheidend. Auch institutionalisierte Sozialhilfe oder Caritas auf der Basis von Überlegenheit und Reichtum können niemals eine Gemeinschaft hervorrufen. Nur die konkrete Wahrnehmung der existenziellen Not und Verzweiflung, die sich hinter diesen Zahlen verbergen, könnten zu Solidarität und Anteilnahme führen. Erst dann werden betroffene Menschen in dieser Gesellschaft das Gefühl haben, dass sie nicht ganz allein dastehen und wertlos sind. Betroffenheit alleine reicht nicht aus. Es geht um eine Fürsorge, die es wagt, den eigenen selbstverständlichen Wohlstand in Frage zu stellen, und aus dem Gefühl von Gemeinschaft zu einer gerechteren Verteilung von Mitteln kommt, die dazu dienen, jenen Menschen wieder eine Lebensperspektive zu eröffnen.

Der Mensch muss jedoch zunächst einmal die Bedeutung dieses Zusammenlebens gespürt haben, um solche Schritte gehen zu können. Martin Buber meint dazu: „Ich vermag an kein künftiges Gemeinwesen, an keine Wiedergeburt der Gemeinschaft ohne Wiedergeburt dieser Gemeinschaftszelle, der Familie, zu glauben, die blutsmäßig verbundene und schicksalsmäßig im engen Verband miteinander lebende Menschen umfasst“.

In der Geborgenheit der Familie lernt das Kind mit Selbstvertrauen, ohne Angst und Zweifel in das Leben zu gehen. Die von Buber angesprochenen „engen Verbände“ verwirklichen sich von dort aus in der Nachbarschaft, dem Freundeskreis, in Schule, Verein, am Arbeitsplatz. Sie sind Begegnungsstätten, in denen dieses Gemeinschaftsgefühl weiter ausgebaut und gefestigt werden könnte.
In solchen alltäglichen Begegnungen, worin der Mensch als Mitmensch gefordert wird, sieht Buber die Möglichkeit zur – wie er es formuliert – „Neuung“ des Menschen:

„Wenn Menschen miteinander wirklich etwas zu tun haben, miteinander erfahren und miteinander auf diese Erfahrung lebensmäßig antworten, wenn Menschen eine lebendige Mitte haben, um die sie gereiht sind, dann entsteht Gemeinschaft zwischen ihnen.“

Wesentlich für das Entstehen von Gemeinschaft ist also eine „gemeinsam erlebte, lebendige Mitte“. Schicksal, Tradition, Glaube, Kultur, der gemeinsame Wertekanon, aber auch Alltag, Wohnen und Essen können Mitte sein. Aus dieser Zuordnung leben und fühlen wir uns miteinander verbunden. Die Menschen bilden so – symbolisch gesprochen – einen „Kreis“, der nicht – wie Buber sagt – „von der Peripherie, sondern von der Mitte aus konstituiert wird“.
In diesem Kreis erleben wir Freude, Verbundenheit, aber auch Trauer und dann Trost. Hier „entsteht“ – wie Martin Buber es zusammenfasst – „Gemeinschaft, indem Gemeinschaft geschieht“.

Unabhängig von seiner kulturellen, historischen, religiösen, politischen Zugehörigkeit ist der Mensch, dem wir im Alltag begegnen, immer die eigentliche Herausforderung. Es gilt im Augenblick der Begegnung mit meinem Gegenüber seine eventuelle Not und sein Trostbedürfnis wahrzunehmen, ihm das Gefühl von Vertrauen und Respekt zu vermitteln. In diesem Moment wird der Andere zum lebendigen DU! Wir kennen alle die Fernsehbilder aus den Katastrophengebieten. Da wird aus der existen ziellen Not des Kindes, das seine Familie verloren hat und in panischer Verzweiflung, mit schreckensweiten Augen zwischen Trümmern herumirrt, ein einziger Schrei ... Können wir mit einem solchen Schrei einfach weiterleben? Wird uns hier nicht schmerzlichst bewusst, was ein Kind braucht, was wir ihm als Erwachsene schuldig sind?

Die größte Chance für unsere Gesellschaft als echte Gemeinschaft besteht in der positiven Erziehung des jungen Menschen in Familie und Schule.
Vor allem die Begegnung des Erziehers mit seinen „Zöglingen“ – wie Buber es in seiner Sprache sagte, kann für den jungen Menschen von entscheidender Bedeutung für sein weiteres Leben sein.
Buber fasst das wie folgt zusammen:

„Im Bereich der Charaktererziehung, der Ganzheitserziehung, gibt es nur einen Zugang zum Zögling, dessen Vertrauen.
Der Zögling fühlt, dass er diesem Menschen vertrauen darf; dass dieser Mensch nicht ein Geschäft an ihm betreibt, sondern an seinem Leben teilnimmt; dass dieser Mensch ihn bestätigt, ehe er ihn beeinflussen will. Und so lernt er fragen.“

Der Erzieher, der Lehrer, der mit Leib und Seele dabei ist, wird den Heranwachsenden als Freund ein Gefühl von Angenommensein und Lebensfreude vermitteln.
In dieser schulischen Gemeinschaft herrscht keine Langeweile, sondern Unbefangenheit, Offenheit und Ehrlichkeit. In ihr erleben die jungen Leute voller Neugierde den Lernstoff als inspirierend. Die Schule ist dann zu einer Begegnungsstätte geworden, in der man sich wohl fühlt, zu der man gerne hingeht, über die man zu Hause voller Begeisterung erzählt.
In einer solchen Schule geschieht oder ereignet sich Gemeinschaft ohne Vertrag, ohne Interesse an Noten, Beförderung, wirtschaftlichem Nutzen oder Profit. Hier verwirklicht der junge Mensch seine Aufgaben entsprechend seinen Gaben. Hier formt sich nicht nur die Persönlichkeit des Einzelnen, sondern auch im verantwortungs- und respektvollen Umgang mit dem jeweils Anderen Charakter.
Buber fasst diese Chancen wie folgt zusammen:

„Erziehung, die diesen Namen verdient, ist wesentlich Charaktererziehung. Denn der echte Erzieher hat nicht bloß einzelne Funktionen seines Zöglings im Auge, wie der, der ihm lediglich bestimmte Kenntnisse oder Fertigkeiten beizubringen beabsichtigt, sondern es ist ihm jedes Mal um den ganzen Menschen zu tun, und zwar um den ganzen Menschen sowohl seiner gegenwärtigen Tatsächlichkeit nach, in der er vor dir lebt, als auch seiner Möglichkeit nach, als was aus ihm werden kann.
Charakter ist etwas, an dessen Ausbildung mitzuwirken die größte Aufgabe des Erziehers ist; Persönlichkeit ist eine Vollendung, aber nur Charakter ist eine Aufgabe; eine Persönlichkeit darf man pflegen und fördern, zu einem Charakter kann und soll man erziehen.“

Die Persönlichkeit steht nach Buber für sich. Der Charakter eines Menschen kann sich jedoch nur in der Begegnung, das heißt am anderen Menschen vollziehen und bewähren.
Auf der Basis dieser Überlegungen dürfte es möglich sein, an die Wiedergeburt unserer Gesellschaft zu glauben bzw. an ihr zu arbeiten. Zusammen mit dem unverbesserlichen Optimisten und unbeirrbaren Menschenfreund Martin Buber könnten wir dann voll Vertrauen in die Zukunft blicken und hoffen,

„dass die Völker in dieser Stunde ins Gespräch, in ein echtes Gespräch miteinander kommen können. Ein echtes Gespräch ist eines, in dem jeder der Partner den andern, auch wo er in einem Gegensatz zu ihm steht, als diesen existenten Andern wahrnimmt, bejaht und bestätigt; nur so kann der Gegensatz zwar nicht aus der Welt geschafft, aber menschlich ausgetragen und der Überwindung zugeführt werden“.

---

Laudatio

anlässlich der Verleihung der Martin Buber-Plakette 2005 an Herman van Veen,
am 29. November 2005 in der Abtei Rolduc, Kerkrade/EURODE

von Sabine Christansen


Lieber Alfred Jodocus Quak,

Ich bitte Prof. Janssen, unseren heutigen Ehrengast und die versammelten Damen und Herren um Nachsicht.

Alfred war immer mein Liebling. Alfred Jodocus Quak.
Herkunft: Holländischer Enterich.
Besondere Merkmale: Relativ klein, dafür ziemlich frech.
„Bin manchmal leicht neurotisch,
psychotisch und chaotisch,
war wirklich nie okotisch
doch heut bin ich ok – “

Sang Alfred und gewann mein Herz und das abertausender Kinder auf der ganzen
Welt.

Du hast uns immer verzaubert, lieber Herman, alle!
Als Sänger und Musiker, als Entertainer, als Geschichtenerzähler, Zauberer oder
Clown oder als Charmeur.

Heute hab’ ich ein zärtliches Gefühl – darf ich Dir das sagen ohne im Saal missverstanden zu werden? Du warst mein Held der Liedermacher in den 70er und 80er Jahren, Du hast immer so ein komisches Gefühl mit Deinen Liedern und bei Deinen Konzerten hinterlassen. Ich hatte danach immer viele gute Vorsätze und wollte unbedingt auch so ein besserer Mensch werden wie die in Deinen Liedern.

Was sind wir alle froh, dass Du die Musik für Dich entdeckt hast und irgendwann Deine geplante Fußballkarriere an den Nagel gehängt hast.

Böse Zungen sagen Dir übrigens nach, dass Du als Torschütze eine Katastrophe warst. Der Wechsel auf die Bühnen des Varietés war daher zu begrüßen.

Wäre er Fußballer geworden, gäbe es nicht den Herman van Veen, den wir kennen und der seit über dreißig Jahren der erfolgreichste niederländische Sänger und Kabarettist ist. Es gäbe keinen Alfred Jodokus Quak, die kleine Ente, die in einem Holzschuh wohnt und die, obwohl sie viele gefährliche Abenteuer erlebt, eigentlich immer fröhlich ist.

Mit Herman van Veen hat Alfred Jodokus Quak vieles gemeinsam. Das Wichtigste ist vielleicht, dass sie beide viel über lachen und weinen sprechen, am Ende behält der Humor aber doch immer die Oberhand.

Blicken wir zurück auf die Anfänge. Vieles von dem, was Herman van Veen heute
auf der Bühne vorträgt und was seinen Liedern und Texten ihren besonderen Reiz
verleiht, geht auf die Erinnerungen aus seiner Kindheit und auf die Betrachtung der
Welt mit den Augen eines Kindes zurück. Geboren am 14. März 1945, noch mitten im Krieg wächst Herman in Utrecht als Kind einer Arbeiterfamilie in einem Milieu aus Kaufleuten, Arbeitern und Marktleuten auf.
Die Adresse lautet Kievitdwarsstraat 52, ein schmales dreistöckiges Haus, in dem
nur ein Ofen steht, um den sich im Winter Familie van Veen versammelt und an dem sich Herman in den Wintermonaten regelmäßig die Beine verbrennt. Das Loch im WC, das seiner Meinung nach

in China endete, so tief, so lang dauerte es, bis man sein Häufchen plumpsen hörte,

befand sich im ersten Stock, der Dachboden war ein Sparrenwald ohne Bretter und Oberboden, da das ganze Holz bereits im Krieg verheizt worden war.

Herman van Veen berichtet darüber in seinem Buch „Unter einem Hut“ in dem
man nicht nur sehr viel über den Ort erfährt, an dem er seine Kindheit und Jugend
verlebte, sondern in dem man auch all die fein beobachteten, warmherzigen
Beschreibungen über die Familie van Veen, die Nachbarn, den Fußball, die Kirche, Hermans Entdeckung der Musik und vieles andere mehr aus dieser Zeit lesen kann.

In welcher familiären Geborgenheit und Liebe Herman aufwächst wird in einer
Episode erzählt, in der er beschreibt, dass er zum ersten Mal mit seinem Vater ins
Badehaus geht.

Etwas Bedeutendes lag in der Luft. Stell dir vor, ins Badehaus mit meinem Vater, wo all die großen Männer hingingen. Hieß das, dass ich jetzt groß war? Nächste Woche würde ich acht werden.
Hand in Hand gingen wir die schummrige Straße hinunter. An der Ecke bei der Pommesbude standen wie immer die meisten Kinder der Nachbarschaft.
„Herman“, rief Piet, „wollen wir Fußball spielen?“
„Nein, ich gehe ins Badehaus.“
Meine Worte müssen enorm viel Eindruck gemacht haben, denn genau in diesem Moment begannen die Kirchenglocken zu läuten.

Seine Liebe zur Musik entdeckt Herman bei einem Schulkonzert im Tivoli. Weil er
immer vor sich hinpfeift und ganz gerne singt, besorgt sein Lehrer Bram Mok ihm eine Geige, was zur Folge hat, dass er nach der Schulzeit noch Musikstunden an der Utrechter Musikschule bekommt. Gesang bei Frau de Vries und Geige bei Fräulein Doornekamp, in die er heimlich verliebt ist. Ein Problem denn er ist auch verliebt in Dineke Lagendijk.

Ich war stereoverliebt. Also ging ich zu meinem Vater und sagte: „Papa, ich bin verliebt in zwei Mädchen zur gleichen Zeit. Ist das schlimm?“ Und er sagte: „Nein, das wird dein ganzes Leben so bleiben“.
Ich war total erleichtert.

Aber da sind nicht nur die humorvollen, liebenswerten, manchmal auch skurrilen
Seiten von denen Herman van Veen berichtet. Da ist auch der Hungerwinter 1945, in dem die Familie van Veen nur mit Hilfe der Lebensmittel-Abwürfe der Alliierten Luftwaffe überleben kann, da sind die Erfahrungen in einem Kindersanatorium, aus dem er kranker als er hineingekommen ist zurückkehrt und wo er erlebt, wie fragil und gefährdet die Kindheit und das Erwachsenwerden sein können.

Vielleicht war dies der tiefere Grund dafür, dass er sich bereits im Alter von
siebzehn Jahren bei der niederländischen Unicef einschreibt. Mit neunzehn, das ist
1964, ist er der jüngste Unicef-Mitarbeiter in Holland, reist als Komitee-Mitglied kreuz und quer durch die Welt und betreut zahlreiche Unicef-Projekte im In- und Ausland. In diese Zeit fällt ein Ereignis, das vermutlich seine Entscheidung, sich mit ganzem Herzen und ganzer Seele für die Sache der Kinder einzusetzen, maßgeblich geprägt hat.

Der Vorstand der Herman van Veen Stiftung in Deutschland, Werner Neske,
berichtete mir davon. Es war auf einer Afrikareise auf der Herman van Veen unter
anderem auch ein Krankenhausprojekt zu besuchen hatte. Er trug an diesem Tag einen weißen Anzug. Da erschien eine Frau mit einem Kind auf dem Arm, die dringend nach Hilfe suchte. Sie vermutete wohl, dass der Herr in dem weißen Anzug einer der Ärzte des Krankenhauses sei, ging direkt auf ihn zu und legte ihm das Kind hilfesuchend auf den Arm. Doch das Kind, das er da in seinen Armen hielt, war bereits tot.

Vermutlich sind es Erfahrungen wie diese, die Herman van Veen zu dem gemacht
haben, als der er heute vor uns steht.

Ich habe mir nie etwas ausgedacht, ...

sagt er über seine Lieder, Texte und Balladen

... ich habe mich immer nur erinnert.

Mein Repertoire war immer: Baum. Haus. Straße. Papa. Mama. Frau. Mann. Mein Repertoire war nie mehr als eine Welt, die es überall gibt. Von dort, von diesem Punkt der Wärme, der Sicherheit aus sehe ich die Welt.

Und so heißt es in einem Gedicht, das er eigens für den Weltkindertag im Jahr 2004 schrieb:

Wenn du so wie ich in einem Krieg geboren bist, brauchst du Hilfe.
Denn das Haus ist kaputt.
Dein Vater ist kämpfen.
Deine Mutter zu mager, um dir die Brust zu geben.
Dann bist du froh, wenn in den Garten aus einem Flugzeug
eine Dose mit Keksen fällt ...
Aber für so viele Kinder Gibt es sie heute nicht.
Und mit „so viel“ meine ich Nicht eine Schulklasse,
sondern fast eine Milliarde.
Das ist unvorstellbar viel.
Dafür braucht man enorm viel Verstand
und Geld.
Wir müssen es doch gemeinsam Schaffen können,
die Kinder zu retten.

Das lernt im Übrigen auch Alfred Jodokus Quak:

Wir sind zu klein und zu schwach,

ruft er verzweifelt, als der geldgierige Bürgermeister Rokodil aus Habgier sämtliche Fische im weiten Umkreis fangen und noch an Bord seines Superschiffes „Gloria“ zu Konserven verarbeiten will.

Wenn du denkst, dass du zu klein und schwach bist,

antwortet ihm da der Krebs,

lässt du dir von jemandem helfen, der groß und stark ist.

Und so hat Hermann van Veen es immer gehalten. Auch Alfred ist inzwischen in die Jahre gekommen und, wenn mich nicht alles täuscht, wurde er gerade ein Twen. Er hat viel gelernt und vermutlich um es seinem Vater, von dem nur irrtümlich angenommen wird, dass er ein Maulwurf ist, nachzutun, hat auch er eine Stiftung gegründet und lässt sich von Herman dabei helfen, denn mit Stiftungen kennt Herman van Veen sich bestens aus.

Ich erwähne die Colombine-Stiftung: Das Colombine Haus in Holland, ein Erholungs- und Ferienhaus für Kinder mit schwersten Behinderungen – es wurde 1991 geplant.

Jetzt plant die Herman van Veen Stiftung in Goch am Niederrhein ein zweites Haus für schwerstbehinderte Kinder mit einem Biosphärenhaus auf dem Wasser und 8 Doppelhaushälften am See, wo die Eltern mit ihren Kindern Urlaub machen können und das im Jahr 2010 bezugsfertig sein soll.

1989 verkündet die UNICEF-Sonderbotschafterin Audrey Hepburn in New York die Kinderrechts-Konvention. Ein Jahr später, auf dem ersten Weltgipfel für Kinder am 29. September 1990 konkretisieren 181 Länder die Konvention. Zusammen mit Sir Peter Ustinov pflanzt Herman van Veen an diesem Tag im Garten der Vereinten Nationen in New York einen „Baum für das Leben“, als Symbol für Wachstum und für Entwicklung.

Zusammen mit Nelson Mandela wird ihm einige Jahre später der Planetary Consciousness Award, der Nobelpreis für Mitmenschlichkeit vom Club of Budapest verliehen. Ich sehe gerade, dass Alfreds Bilderbuch: Lachen verboten, ihm, Nelson Mandela, gewidmet ist.

Soll ich weiter über die Auszeichnungen und Ehrungen sprechen?

Darüber, dass Herman van Veen 1993 von Königin Beatrix zum Ritter des Ordens von Oranje Nassau geschlagen wurde und 1999 im Namen des deutschen Bundespräsidenten das Bundesverdienstkreuz für seine Verdienste um die deutsch-niederländischen Beziehungen bekam? Darüber, dass ihm im letzten Jahr die World Peace Flame überreicht wurde, ein Symbol für Freiheit, Einheit und Wahrheit?

Seit 2005 ist Herman van Veen Botschafter der Stiftung Music in the Middle East, einem Projekt, für das er Jugendliche aus sieben Ländern zusammenbrachte. Junge Israelis und Araber sprechen und musizieren hier miteinander in verschiedenen Ländern Europas, den USA und in Kürze auch in Nahost. Vielleicht verbindet ihn gerade diese seine jüngste Arbeit ganz besonders mit dem Geist der Martin Buber-Plakette.

Nach Helmut Schmidt im Jahre 2002, Richard von Weizsäcker, 2003 und Karlheinz Böhm 2004 erhält Herman van Veen nun als Vierter der Staffel die Martin Buber- Plakette und wie wir alle nur betonen können: zu Recht! In den Statuten der Euriade Stiftung, die sie vergibt, steht:

Die Zielsetzung ist es, auf der Basis von Begegnung und Dialog zwischen Menschen den Respekt vor- und füreinander zu fördern.

Das hat Herman van Veen mit seiner Musik, mit seinen Texten und mit seinem sozialen Handeln immer mit ganzem Leib und ganzer Seele getan. Wenn ein Künstler im Sinne der Ideen von Martin Buber, im Sinne der Verständigung der Menschen untereinander und im Sinne der Verständigung zwischen den Völkern gehandelt hat, dann war es Herman van Veen.

Und wenn er hier immer wieder mit der Flickenjacke des Harlekins auftritt, dann hat auch dies seinen tieferen Grund.

Clowns sind unvermeidlich ...

Sagt er.

... sie sind es deshalb, weil sie auf ihre ganz eigene Weise das große System verdeutlichen. Sie helfen uns jeden Tag, uns selbst zu erkennen und einzugestehen, wie blöd wir manchmal doch selber sind.

Dem bleibt eigentlich nichts hinzuzufügen.

---

Rede des Preistragers
Herman van Veen

Anlässlich der Verleihung der Martin Buber-Plakette 2005


Als ich ein kleiner Junge war, erzählte mir mal mein Vater,
dass man sich, wenn man eine Sternschnuppe sähe,
etwas wünschen dürfte,
und das würde, wenn man's für sich behielt,
auch in Erfüllung gehen.
Ich wünsche mir jetzt seit ungefähr fünfzig Jahren jedesmal,
wenn ich eine Sternschnuppe sehe,
etwas, das ich für mich behalte
und nur denke.
Aber keiner dieser Wünsche
wurde mir je erfüllt.

Mein erster Wunsch war ein Fahrrad.
Ein rotes.
Mit dem ich trainieren könnte,
um später mal
die Tour de France zu gewinnen.
Der Wunsch wurde nicht erfüllt,
das heißt...
ich bekam zwar eins,
aber das war ein Damenfahrrad aus dritter Hand von meiner Oma,
meiner Tante, meiner Schwester.
Mein Vater hatte extra für mich
Klötze auf die Pedale montiert,
damit ich mit den Füßen dran konnte.
Für mich war es nur ein Weiberrad.

Bei der nächsten Sternschnuppe
wünschte ich Fußballschuhe.
Auch aus diesem Wunsch wurde nichts.
Ich bekam zwar ein paar getragene Latschen
von meinem Onkel Frans,
Fußballstiefel mit Stahlkappen.
Aber die waren so krumm,
dass ich damit nur
Kerzen schießen konnte.

Entweder war die Geschichte von meinem Vater
ein Märchen
oder ich dachte meine Wünsche falsch.

Ich war sieben.
Meine Mutter hatte Geburtstag.
Alle saßen im Vorzimmer
in der Runde
mit Kremschnittchen
und Kaffee.
Die Frauen redeten über dieses und jenes,
die Männer über den Krieg und die Moffen.
Ich saß auf dem Boden,
hörte mit halbem Ohr zu,
während ich versuchte,
mit den Augen
eine Ameise im hochflorigen Teppich
zu verfolgen.
Ich hörte meinen Namen.
“Das war kurz nachdem Herman geboren wurde,” sagte meine Mutter.
“Was war da?” fragte ich.
”Da war der Krieg zu Ende
und wir wurden befreit durch die Kanadier,
Polen und Yankees.“
Bei Yankees dachte ich immer an Jan und Kees.
„Da gab's zum Glück wieder was zu essen.”
“Ich konnte das Wort ‘Steckrübe’ oder ‘Zuckerrübe’ nicht mehr hören“,
grinste mein Onkel Henk.
Es wurde gelacht.
Steckrübensuppe, Steckrübenbrei, Steckrübensalat, Steckrübenbrot,
Steckrübensteine, um sie in die Fensterscheiben der NSB-er zu schmeißen,
alles machten wir daraus.
Ohne die Steckrübe wären wir alle mausetot.

“Da siehst du mal, mein Junge,” murmelte Onkel Frans,
“du bist nicht aus einem Blumenkohl gekommen, sondern aus einer Steckrübe.”

Abends spät im Bett
fragte ich meinen Vater,
ob ich ohne Steckrübe
wirklich gestorben wäre.

“Das werden wir nie herauskriegen,
weil wir befreit sind.
Ohne die Hilfe der Alliierten
hätte es uns allen
ganz anders ergehen können.”

Nachts träumte ich vom Krieg.
Von den Bomben und Granaten.
Von den Juden, von den Zügen
und dass ich eine Steckrübe wäre.
In einem Feld,
auf dem schwer gekämpft wurde.
Mein Mutter schnitt mich
mit dem Küchenmesser ab
und ließ mich beim Weglaufen
aus Versehen fallen.
Ich rollte gegen eine Granate
und wurde mit einem Zauberschlag
so klein wie eine Ameise.
Ich versteckte mich so schnell wie ich konnte im hochflorigen Teppich.
Soldatenstiefel
trampelten auf mir herum.
Ich muss geschrien haben wie ein Spanferkel.

“Du hattest einen Albtraum,” sagte mein Vater. “Es ist nur ein Traum.
Morgen werden wir beide angeln gehn.
Träum lieber vom Zwerg Piggelmee.”
“Ich träumte,” sagte ich,
“vom Krieg.
Ich war eine Ameise.”
“Ja, mein Junge, der Krieg ist schlimm.
Der Krieg darf nie mehr geschehen.”
Mein Vater gab mir einen Kuss auf die Stirn.
Er zog danach leise den Vorhang
zwischen der Bettnische und dem Eltern-Schlafzimmer zu
und kroch wieder zu meiner Mutter ins Bett.

“Er träumte vom Krieg,
dass er eine Ameise wäre
und zuerst eine Steckrübe,” sagte mein Vater leise.
Aber nicht so leise,
dass ich es nicht hören konnte.

In Zukunft würde ich, wenn ich eine Sternschnuppe sehen würde,
Frieden auf Erden wünschen.
Und nicht mehr etwas für mich allein.
Aber meine Wünsche
gingen nicht in Erfüllung.
Wie sehr ich auch wünschte,
wieviel Sternschnuppen ich auch sah.

In der ersten Klasse der Realschule
saß Bennie neben mir.
Er wäre jetzt – wie ich –
ebenfalls sechzig.
Aber er wurde auf seinem Fahrrad
von einem Lastwagen überfahren.
Bennie wurde in Bilthoven begraben.
Wir waren mit der ganzen Klasse dabei.
Ich war noch nie auf einer Beerdigung gewesen.
Ich wusste gar nicht,
dass große Menschen
so weinen konnten.
In der Schule erklärte unser Mentor,
was geschehen war.
Es regnete.
Bennie fuhr vielleicht zu weit
in der Mitte des Wegs.
Das Auto fuhr zu schnell.
Der Bürgersteig war zu hoch
und die Ampel gelb.
Ein fatales Zusammenkommen
verschiedener Gegebenheiten.
“Vorbeugen ist besser als heilen,“
sagte der Mentor.
“Ampeln springen nicht umsonst
auf rot.”

Wir redeten über das Wörtchen ‘wenn’.
Wenn, wenn, wenn....
dann hätte Bennie noch gelebt.
Ich fuhr hinter ihm
und flitzte auch immer bei gelb weiter.
Wenn ich...
wenn der Fahrer...
Puzzelteile setzten sich zusammen.
Die Ampel ist für mich,
damit ich und du
und wer nicht aufpasst
oder für sich selber sorgen kann,
wenn, wenn, wenn...
dann muss man sagen:
Da steht 50 Kilometer,
denk an Bennie;
das arme Kind im Kongo,
denk an Bennie;
sorge dafür, dass Kindern
nichts passieren kann,
dann, dann, dann...

Herr van IJssel,
unser Englischlehrer,
der aus Surinam kam,
schrieb an die Tafel:
“Somebody turned the radio down,
nobody said a word.
Auschwitz, Buchenwald and Belsen,
it couldn’t happen here,
they said.“
Die Wörter echoten in meinem Kopf.

Versuchte mit einer anderen Einstellung
mein Taschengeld durch Gelegenheitsjobs aufzubessern.
Ging mit der Sammelbüchse
von Haus zu Haus
fürs Rote Kreuz.
Und den Krebsfonds.
Verkaufte Briefmarken
für die armen Kinder in den Kolonien.
Picco bello, fand mein Vater.
Unicef.
Ich wurde Mitglied.

Man meldet sich an als ehrenamtlicher Mitarbeiter.
Mit siebzehn saß ich zwischen
vornehmen Damen und einem Bankier
im Comité van Regio Utrecht.
Nicht viel später
mit einer Kronprinzessin
bei der Regierung.

Lernte langsam
die Rechte des Kindes.
Las, wie sie Wort für Wort,
Sinn für Sinn,
auf meine Netzhaut kamen.
War dabei
und sah zu in New York,
als die Kinderrechte
in einem Vertrag
so viele Jahre später
von der ganzen Welt,
bis auf einige Grobiane,
unterzeichnet wurden.
Hörte die schönen Worte,
Versprechungen und Absichtserklärungen.
Sah, dass danach damit
kaum etwas geschah.
Pervers.
Ich bin, trotz
einer fast weltweiten Apathie,
immer mehr davon überzeugt,
dass mit der Sorge für Kinder
der Frieden beginnt.

Ich arbeite deshalb
ein Leben lang
mit Patern,
Ärzten,
Lehrern,
Männern und Frauen
mit Herz
und Portemonnaie
am rechten Fleck.

Seit vierzig Jahren
reise ich um die Welt.
Mit Lied, Geige und Kumpeln.
Ich weiß durch Fallen und Aufstehen,
dass mein Glück nur bei einem anderen
beginnen kann.
Dass ich nicht ohne den anderen
leben werde.
Dass ich allem, was wehrlos ist,
Tribut zolle.
Dass das der einzige Wert ist.

Ich kann jetzt, da ich sechzig bin, sagen:
Ja.
Weltfrieden ist keine Utopie,
wenn wir für die Kinder sorgen.
Dann, dann, dann ...
Denk an Bennie.
Tu etwas, wie mein Vater und meine Mutter
und die Schule etwas taten.
Ja, dann wird Frieden
auf Erden sein.
Dann gibt es Sternschnuppen
und erfüllen sich meine Wünsche.
Ich danke Ihnen.

Herman van Veen
Sommer 2005

(Deutscher Text: Thomas Woitkewitsch)





01-12-2005

Ein Mensch. So wie er sein sollte: menschlich
Herman van Veen, so vielseitig wie das Leben. Vielerorts engagiert, von den Problemen der Welt tief berührt: "Wir müssen die hungernden Kinder retten."

Von unserem Redakteur
Bernd Büttgens

Kerkrade/Aachen. Der Mann ist keiner für die Schublade. Man kann ihn also nicht mit einem Satz beschreiben. Dieser Artikel reicht übrigens auch nicht.
Das vorab.

Was will er? Wer ist er? Der Blick in die Archive enthüllt die Fülle: Die, die bislang über ihn schrieben, nennen ihn Clown, Weltverbesserer, Moralist, Sänger, Tänzer, Poet, Entertainer. Sie haben alle Recht.
Und seine Botschaft? Herman van Veen lacht. "Ganz ehrlich, ich habe keine Rezepte parat", sagt er im Gespräch mit unserer Zeitung vor der Verleihung der Martin-Buber-Plakette in Kerkrade. "Es gibt keine Message, es sei denn
diese: Der gelebte Tag ist reicher als jeder verbalisierte Gedanke daran." Und überhaupt: Für eine einzige Botschaft sei die Welt doch viel zu komplex.
Da bedürfe es schon vieler Botschaften und messerscharfer Analysen.
Seit drei Jahrzehnten hat Herman van Veen seinen Platz im Showgeschäft. Weil er sich nicht einordnen lässt, ist dieser Platz herausgehoben: die anderen und Herman.

Ein Nonkonformist, der über das Leben singt? Ein Zeitgeistverweigerer, der dem Publikum den Spiegel vorhält? Er zögert und lächelt. "Komm, vergiss es!" Diese eine Beschreibung gefällt ihm dann doch: "Ein Mensch, wie er sein
sollte: menschlich."

Die Basis für alles Besondere an diesem Multitalent ist sein Können. Er ist exzellent ausgebildet, in Tanz, Gesang, an der Geige, er ist ein virtuoser Autor, der das entwaffnend gerade Wort spricht. Um noch besser zu sein, hat er sich mit anderen Könnern umgeben. Wer an den Pianisten Erik van der Wurff denkt und an die Gitarristin Edith Leerkes, findet diese These sogleich bestätigt.

Van Veens Herz ist sein Kapital. Darin liegt die Liebe zu den Menschen verankert. Ob Unicef-Botschafter oder Impulsgeber für vier eigene Stiftungen, die sich für die Kinderrechte stark machen: Der rastlose Romantiker macht immer weiter und kann nun, mit 60, auch gute Ernte einfahren, die er wiederum den hilfsbedürftigen Menschen weitergibt. Wie zuletzt bei seinem bewegenden Geburtstagskonzert in der Essener Philharmonie. Mit dem Erlös kann er nun in Gocht am Niederrhein ein Erholungshaus für schwerstbehinderte Kinder und ihre Eltern bauen. Es sind überschaubare Projekte, die van Veen anstößt. "Kleine Schritte müssen wir gehen", sagt er, "weltweit." Das Motto ist unumstößlich: "Es muss immer Hilfe sein, die nicht abhängig macht, Hilfe zur Selbsthilfe."

Die Aktivitäten sind verwirrend vielfältig, Herman van Veen überall, von daher sollte man gar nicht den Anspruch erheben, das von ihm Geleistete vollständig zu rekonstruieren. Viel wertvoller ist zu beschreiben, dass dieser Mann auch in der persönlichen Begegnung so ist, wie man sich das gewünscht hat: witzig, sprühend, melancholisch, nachdenklich und sehr aufmerksam. Er ist ein guter Zuhörer. Und ein ebenso guter Erzähler. Das erfährt man, wenn er den Krieg besingt. Dann spricht er von dem verzweifelten Bemühen der Mutter, ihren verschollenen Sohn zu finden. Wenn er den Hunger in der Welt thematisiert, haben die leidenden Kinder Namen.
Das berührt.

Seine Richtschnur ist die Menschlichkeit. Und sie zu predigen, wird er nicht müde. Er verschafft anderen Gehör. Van Veen lässt ein Ensemble von Alltagsfiguren auftreten, denen er Respekt entgegenbringt. Es sind Menschen, die er ernst nimmt, deren Geschichten er erzählt, um damit beim Zuhörer Anteilnahme durch Nähe zu erzeugen. All das Leid, all die Freude, Geburt und Tod ­ van Veen spiegelt das Leben auf seine Art. "Ich habe mir nie etwas ausgedacht, ich habe mich immer nur erinnert. Mein Repertoire war immer:
Baum. Haus. Straße. Papa. Mama. Es war nie mehr als eine Welt, die es überall gibt."

Doch die Kunst alleine reicht ihm nicht. Er packt auch mit an. Weil ihn so vieles wütend macht. Etwa der Hunger in der Welt: "Nicht eine Schulklasse hungert da, sondern fast eine Milliarde Menschen. Das ist unvorstellbar viel. Dafür braucht man enorm viel Geld und Verstand. Aber wir müssen es doch gemeinsam schaffen können, die Kinder zu retten." Van Veen ist der Narr. Er spricht die klare Sprache, die man versteht, lehnt sich dabei ebenso gerne wie bewusst weit aus dem Fenster. Einer wie er nimmt kein Blatt vor den Mund. Alfred Jodocus Kwak, der kleine holländische Enterich, der Liebling aller Kinder und van Veens Alter Ego, tut das auch.
Sein "Papa" beschreibt ihn so: "Er ist der dumme August, der gegen die Willkür und korrupte Obrigkeit quakt, ohne Rücksicht auf seine eigene Sicherheit."

Und woher nimmt Herman van Veen die Kraft, seine Geschichten immer weiter zu erzählen? "Das Vermögen, das ich besitze, ist die Erinnerung an meine Eltern", sagt er und wird ganz leise. Dieses Kapital gibt ihm die nötige Energie, "von diesem Punkt der Wärme aus sehe ich die Welt".
Dass der Vater von vier Kindern sein Leben als erfüllt und glücklich bezeichnet, wundert nicht. In einem Bauernhaus in Soest, einem kleinen Dorf in der Nähe seines Geburtsortes Utrecht, lebt er. Von dort aus steuert er zahllose Kulturprojekte seiner Firma Harlekijn sowie die caritativen Aktivitäten seiner Stiftungen.

Van Veen kann ausgelassen sein und fröhlich, aber auch traurig und sentimental. Ein großer Mann, ein empfindsamer Mann. Ein Künstlerleben auf dem schmalen Grat: zwischen Klamauk und Kunst, zwischen Melancholie und schrillen Tönen, zwischen Tränen und Heiterkeit. Seine Wirkung ist großartig. Einen wie ihn hat man gerne als Verbündeten.
Was sagt das: 140 Platten in fünf Sprachen, neun DVDs, rund 60 Bücher, TV- und Kinofilme, sein Alfred Jodocus Kwak, zwölf Theaterstücke, ungezählte Projekte für Kinder!? Das ist nicht mehr als eine Bestandsaufnahme, die schon morgen überholt sein wird. So kommt man ihm nicht bei. Sein Liedermacher-Kollege Heinz Rudolf Kunze sagt: "Er brennt, leuchtet, sendet, tobt."

Genug der Worte, man muss ihn erleben. Diesen sonderbaren, diesen wunderbaren Menschen.

QUELLE: AACHENER ZEITUNG - SEITE SPEZIAL; 1. Dezember 2005

---

"Ich bin nur die Stimme von einer Gruppe von Freunden"
Sabine Christiansen würdigt van Veen für seine Bereitschaft zum Dialog

Kerkrade. Herman van Veen hat schon viele Preise bekommen. Goldene Kameras und Silberne Bären pflastern seinen Weg, auch haben ihn die Staatsoberhäupter der Niederlande und der Bundesrepublik mit höchsten Orden dekoriert.
Und doch bedeutet dem niederländischen Künstler die Martin-Buber-Plakette der Euriade-Stichting sehr viel. "Weil sie eine Auszeichnung für den Dialog zwischen Menschen ist", sagt van Veen ­ und weil er diese Preisverleihung auch genau so nutzen kann: als Podium, um mit anderen Menschen ins Gespräch zu kommen.

Am Nachmittag hat er noch jungen Leuten in der Herzogenrather Burg Rode erklärt, "dass die Wahrheit viel rätselhafter und schöner sein kann als die Phantasie". Jetzt, am Abend bei der Preisverleihung in der Abtei Rolduc, verblüfft er zu Beginn seiner Dankesrede mit einem simplen Satz auf all die lobenden Worte in den vorangegangenen Ansprachen: "So muss es sich anfühlen, wenn man tot ist!" Um sich dann artig für die Laudatio von TV-Moderatorin Sabine Christiansen zu bedanken und anzufügen: "Den Preis verstehe ich als Auszeichnung für all meine Mitstreiter, ich bin nur die Stimme von einer Gruppe von Freunden . . ."

Es sind zwei feierliche Stunden, die Werner Janssen, Martin Bloemers, Martha Klems, Andreas Frölich und das Euriade-Team sorgfältig vorbereitet haben. Von der Musik bis zur Bühnendekoration ein stimmiges Bild.
Sabine Christiansen trifft den Ton in ihrer sehr persönlich gehaltenen Laudatio exakt. Gemeinsame Unicef-Aktivitäten erwähnt sie, gemeinsame Anliegen, sie skizziert die Biographie van Veens und hebt seine vier Stiftungen für Kinder hervor. Im Sinne Bubers sagt die Laudatorin: "Herman macht das, auf der Basis von Begegnung und Dialog zwischen Menschen den Respekt vor- und füreinander zu fördern." Was ihr an van Veen imponiert:
seine Zielstrebigkeit, die Ernsthaftigkeit ­ und das alles im Gewand des Narren. "Clowns sind unvermeidlich", zitiert sie van Veen zum Abschluss selbst. "Sie sind es deshalb, weil sie auf ihre ganz eigene Weise das große System verdeutlichen. Sie helfen uns jeden Tag, uns selbst zu erkennen und einzugestehen, wie blöd wir manchmal doch selber sind."

Nachdenkenswerte Aspekte schneidet Euriade-Intendant Werner Janssen, der gemeinsam mit seinen Vorstandskollegen van Veen auszeichnet, in seiner Martin-Buber-Vorlesung an. Janssen würdigt den Philosophen und unterstreicht die Aktualität des "dialogischen Prinzips". Wie stellt sich Europa im Moment dar? "Trotz formaler Aufhebung der Grenzen und einheitlicher Währung sind sich die Menschen nicht wesentlich näher gekommen", sagt der Intendant. Auch er schlägt wie van Veen den Bogen zu den Kindern und greift Bubers These auf, dass nur über Vertrauen eine gute Charaktererziehung möglich ist: "Die größte Chance für unsere Gesellschaft als echte Gemeinschaft besteht in der positiven Erziehung des jungen Menschen in Familie und Schule", so Janssen.(bb)

QUELLE: AACHENER ZEITUNG - SEITE SPEZIAL; 1. Dezember 2005

---

"Mein Glück beginnt bei dem anderen"

Am Ende seiner Ansprache versagt Herman van Veen die Stimme. Er kürzt seine Dankesrede ab, zu tief berührt ihn dieses Thema, das er so optimistisch mit "Der Weltfrieden ist machbar" überschreibt. Den ganzen Tag über hat er schon davon gesprochen, dass sich die Gemeinschaft der Völker nicht darauf ausruhen dürfe, Kinderrechte verankert zu haben. "Es wird Zeit, dass die Erwachsenen den Kindern gegenüber auch Pflichten übernehmen", sagt er im Gespräch.

Herz am rechten Fleck
Den Bogen schlägt er am Abend bei seiner Rede. Die Kernaussage: "Ich bin trotz einer weltweiten Apathie immer mehr davon überzeugt, dass mit der Sorge für Kinder der Frieden beginnt. Ich arbeite deshalb ein Leben lang mit Patern, Ärzten, Männern und Frauen mit Herz und Portemonnaie am rechten Fleck.
Seit 40 Jahren reise ich um die Welt. Mit Lied, Geige und Kumpeln. Ich weiß durch Fallen und Aufstehen, dass mein Glück nur bei einem anderen beginnen kann. Dass ich nicht ohne den anderen leben werde. Dass ich allem, was wehrlos ist, Tribut zolle.
Ich kann jetzt, wo ich 60 bin, sagen: Ja. Weltfrieden ist keine Utopie, wenn wir für die Kinder sorgen."

QUELLE: AACHENER ZEITUNG - SEITE SPEZIAL; 1. Dezember 2005

---

"Engagier' Dich ehrenamtlich ­ egal wo!"
Herman van Veen appellierte vor der Verleihung der Martin-Buber-Plakette an Jugendliche, in ihrem Umfeld etwas zu tun

Von unserem Mitarbeiter
Christian Rein

Aachen/Herzogenrath. Die Verleihung der Martin-Buber-Plakette durch die Stiftung Euriade geht einher mit dem Projekt "Jugend im Dialog": Eine Woche lang lernen rund 60 Jugendliche zwischen 16 und 19 Jahren aus den Niederlanden, Belgien, Österreich und Deutschland in der ehemaligen Abtei Rolduc die Philosophie Martin Bubers kennen und leben nach ihr. Mit dabei sind in diesem Jahr auch Schüler des Anne-Frank- und des Rhein-Maas-Gymnasiums. Einer der Höhepunkte der Begegnungswoche ist das Treffen mit dem Preisträger.

So saß Herman van Veen am Nachmittag vor der Preisverleihung auf Burg Rode in Herzogenrath auf dem Podium, das er mit Laudatorin und TV-Moderatorin Sabine Christiansen und den Schirmherren von "Jugend im Dialog", der Ministerin für Kultur und Jugendfürsorge der Provinz Limburg, Odile Wolf, und dem Kölner Regierungspräsident a. D., Jürgen Roters, teilte. Auch Euriade-Gründer Dr. Werner Janssen und die Bürgermeister von Herzogenrath und Kerkrade, Gerd Zimmermann und Jos Som, saßen mit an der langen Tafel.

Die Jugendlichen hatten sich auf das Treffen gut vorbereitet, und schnell ging es ans Eingemachte. "Ich werde nicht damit fertig", antwortete van Veen auf die Frage, wie er das, was er in Afrika erlebt habe, verarbeite. "Ich habe Dinge gesehen, von denen ich finde, dass es sie nicht geben sollte.
Aber was soll man über ein paar Kinderaugen sagen, die schon so viel gesehen haben und von denen ich weiß, dass sie bald nicht mehr sehen werden?" Van Veen hat vier Organisationen gegründet, die sich mit Projekten in Entwicklungsländern und Europa für die Rechte von Kindern stark machen.

Trotzdem macht den Unicef-Botschafter das, was er sieht, immer noch betroffen: "Kinderrechte sind artikuliert, aber die Pflichten für Erwachsene nicht, weshalb niemand belangt werden kann. Wen muss ich anrufen, wenn in einem Land 60000 Kinder sterben?" Nein, kollektive Verantwortung werde nicht wahrgenommen.

Solche Aussagen klingen wenig hoffnungsfroh. Was soll man da tun, "besonders, da wir weder reich noch mächtig sind", wie eine junge Fragerin feststellte? Doch van Veen, schaffte es durchaus, mit wenigen Sätzen auch Mut zu machen: "Engagier¹ dich ehrenamtlich ­ bei welcher Organisation auch immer. Und geh´ in deiner eigenen Straße nicht weiter, wenn du etwas siehst, das dir nicht gefällt." Das Credo, das van Veen den Jugendlichen mitgab, klang einfach und brachte doch auch sein Selbstverständnis auf den Punkt: "Du kannst die Welt nicht verändern ­ dieser Wunsch wäre pathetisch. Aber du kannst in deinem Umfeld etwas tun."

Mit dieser Unmittelbarkeit hatte er die Jugendlichen schnell für sich gewonnen ­ und sie ihn wohl auch für sich. Denn nichts wirkte natürlicher, als der Moment am Ende des Treffens, in dem van Veen sich inmitten der Jugendlichen platzierte.

QUELLE: AACHENER ZEITUNG - LOKALES; 1. Dezember 2005