Oskar Werner
Der Schauspieler als Rebell


(13. November 1922 - 23. Oktober 1984)

Oskar Werner galt gleichermaßen als Genie wie als Schwieriger. Dem unwirklich schönen, fast feminin anmutenden Jüngling brachten sein Talent, gepaart mit einem enormen Sendungsbewußt-sein, frühen Ruhm. Die Sensibilität und die Kompromißlosigkeit, die seine Größe ausmachten, trugen aber auch zum vorzeitigen Zerbrechen des Menschen und des Künstlers bei. Werner war nicht nur der klassische Theaterheld, sondern auch ein österrei-chischer Filmschauspieler, der in den 50er und 60er Jahren zum internationa-len Star aufstieg, ohne jemals seinen künstlerischen Anspruch aufzugeben. Für die Darstellung des Schiffsarztes in Stanley Kramers “Ship of Fools” (USA 1964) wurde er als bester Hauptdarsteller für den “Oscar” nominiert.

Seine Herkunft aus kleinbürgerlichen Wiener Verhältnissen als Oskar Bschließmayer legte ihm den Erfolg keineswegs in die Wiege. Aus Verehrung für sein Bühnenidol Werner Krauss nannte er sich Oskar Werner, und bereits 19jährig hatte er den Burgthea-tervertrag in der Tasche. Das Burgtheater, für viele Endziel ihres Lebens, war für ihn zweimal nur Durchgangsstation. Er dachte nicht daran, sich auf seinen Lorbeeren als “Torquato Tasso”, “Hamlet” oder “Don Carlos” auszuruhen. Seine Anhänger drängten sich ebenso bei seinen Vorstellungen an den Spitzenbühnen des deutschen Sprachraums wie auch bei seinen Theatertourneen und Rezitationsabenden: das unverkennbare Timbre seiner Stimme faszinierte die Menschen.

1955 hatte er auf der Bühne seinen Zenith erreicht: Bei der feierlichen Wiedereröffnung des im Krieg zerstörten Burgtheaters gab er den “Don Carlos”. Das aufkommende Regietheater ging allerdings gegen sein künstlerisches Credo, denn für ihn waren der Schauspieler und das Dichterwort die oberste Instanz - sonst niemand. Oskar Werners Vorbild war der große Theaterzauberer Max Reinhardt, aus dessen “Rede über den Schauspieler” er gerne zitierte: “Das Heil kann nur vom Schauspieler kommen, denn ihm und keinem anderen gehört das Theater.”


Ein Star gegen Hollywood

Auch bei seinen Filmen legte Werner strengste Maßstäbe an. Er weigerte sich, einen Nazi zu spielen, genauso wie Richard Wagner in Viscontis “Ludwig II”: “Ich habe es abgelehnt, weil ich Richard Wagner hasse wie die Pest . . . Wenn es ein Genie des Kitsches gibt - was in sich schon ein Widerspruch ist -, dann ist es Wagner . . . Meine Bedingung für den Part war, Wagner so zu spielen, wie er wirklich war: ein O-beiniger Sachse, der ein richtiger Schweinehund war und alle Leute ausgenutzt hat.” (zitiert nach: Marc Hairapetian: “Charmant, besessen, unbestechlich. Eine Erinnerung an Oskar Werner” in “filmwärts”, Nr. 4/1992, Hannover, p. 52). Oskar Werner, der als “Schwieriger” galt und mit seiner Weltfremdheit einen Kult trieb, betonte immer wieder, er sei nur ein “Unbestechlicher”.

Bereits 1939 spielte er eine winzige Rolle, einen Liftboy, in dem Spionagefilm “Hotel Sacher”, einen der letzten österreichischen Filme vor der Gründung der “Wien-Film” im Dritten Reich. In dieser Zeit war Oskar Werner am Burgtheater engagiert.

Karl Hartl, der ehemalige “Wien-Film”-Direktor, holte ihn 1948 für die Rolle eines fanatischen Nationalsozialisten in “Der Engel mit der Posaune”, die Geschichte der Klavierbauerfamilie Alt von der Monarchie bis in die (damalige) Gegenwart, der der erste österreichische Film, der sich allerdings sehr zaghaft auch mit den kritischen Jahren während des Nationalsozialismus beschäftigte. Bei dem damals gefeierten Prestigeprojekt spielte eine Reihe prominenter österreichischer Schauspieler mit: Paula Wessely, Attila und Paul Hörbiger, sowie Maria Schell und Curd Jürgens, die ebenso wie Werner am Beginn einer internationalen Karriere standen. Als er - ohne Beurlaubung - zur Synchronisation nach London reiste, wurde er vom Burgtheater entlassen. Die englische Fassung unter dem Titel “The Angel with the Trumpet” wurde von dem britischen Filmtycoon Alexander Korda produziert, dessen Verbindung mit Österreich aus den zwanziger Jahren herrührte, als er als Regisseur für den FilmpionierGraf Sascha Kolowrat arbeitete. Wenig später ließ Korda den späteren Welthit “The Third Man” (1949) mit Orson Welles in Wien drehen.

Durch “The Angel with the Trumpet” wurde der internationale Film auf Oskar Werner aufmerksam. Darryl F. Zanuck, Chef von Twentieth Century-Fox, engagierte ihn für “Decision before Dawn” (Entscheidung im Morgengrauen, USA 1951) unter der Regie von Anatole Litvak. Damals gingen die Hollywood-Studios dazu über, an den Originalschauplätzen in Europa zu drehen. Dafür sprachen nicht nur devisenrechtliche Gründe, sondern in auch die Tatsache, daß die Film-, Licht- und Tonapparaturen immer kleiner, leichter und damit flexibler für den Einsatz außerhalb der Studios geworden waren.
Die Handlung spielt in den letzten Kriegstagen in Deutschland: Ein amerikanischer Leutnant (Richard Basehart) ist mit den beiden deutschen Kriegsgefangenen, dem idealistischen “Happy” (Oskar Werner) und dem opportunistischen “Tiger” (Hans Werner Blech) auf einer gefährlichen Erkundungsfahrt hinter den deutschen Linien unterwegs. Ein SS-Mann beauftragt Hilde (Hildegard Knef), “Happy” zu überwachen.

Nicht nur der Schauplatz dieses Films war europäisch, sondern auch viele seiner künstlerischen Gestalter, die einen Film voll packendem Realismus weitab von Hollywoods Studiowelt schufen. Das Drehbuch stammte von Peter Viertel, dem Sohn des österreichischen Regisseurs Berthold Viertel und Salka Viertel-Steuermann, deren Haus in der Mabery Road in Santa Monica während des Zweiten Weltkriegs zum Treffpunkt der deutschen Emigranten in Hollywood geworden war.
Auch der Kameramann, Franz (Frank) Planer (geb. 1894 in Karlsbad, gest. 1963 in Hollywood), einer der großen Bildgestalter Hollywoods, stammte aus Österreich, wo er bereits in der Zwischenkriegszeit unter anderem mit dem großen Willi-Forst Erfolg “Maskerade” (1934), mit Paula Wessely und Adolf Wohlbrück, zu den Größen seiner Branche zählte. In “Decision before Dawn” brachte Franz Planer durch seine Kameraführung die sensible Persönlichkeit Oskar Werners durch Nahaufnahmen zur Geltung.

“Decision before Dawn” wurde nicht nur von der Kritik gefeiert, sondern auch ein Publikumshit. Als damals einziger Österreicher wurde Oskar Werner gebeten, sich vor Sid Grauman’s Chinese Theatre am Hollywood Boulevard am 13. Dezember 1951 mit seinen Hand- und Fußabdrücken zu verewigen.
Nach diesem Erfolg bot ihm Darryl F. Zanuck den üblichen Sieben-Jahres-Vertrag an. Bereits 1953 zerriß Oskar Werner das Papier vor den Augen der mächtigen Studiobosse, nachdem man ihm nur Filmrollen angeboten hatte, die er als “Verrat am guten Geschmack” bezeichnete. Noch vor James Dean und Marlon Brando wagte er es, sich dem amerikanischen Studiosystem zu widersetzen, das seine Stars zwar mit Luxusgagen verwöhnte, ihnen aber die Filmrollen wie unmündigen Personen vorschrieb.

Oskar Werner verließ Beverly Hills und siedelte sich in Triesen im Fürstentum Liechtenstein an Österreichs Westgrenze an, wo er sich in seinem festungsartigen Haus förmlich verbarrikadierte. Seine Ehe mit der Burgschauspielerin Elisabeth Kallina war längst zerbrochen; 1954 heiratete er Anne Powers, die Stieftochter von Hollywood-Star Tyrone Power. Felix Werner ist der Sohn des Schauspielers aus seiner Verbindung mit der Amerikanerin Diane Anderson. Schließlich war die Schauspielerin Antje Weisgerber seine langjährige Gefährtin.
Nach seiner Rückkehr aus Hollywood war Oskar Werner Mitte der fünfziger Jahre in Österreich nicht nur am Theater, sondern auch im Film am Höhepunkt seiner Popularität angelangt. In der Zeit der Kaiser- und Heimatfilme schaffte er es, in einer Reihe von österreichischen und deutschen Filmen zu spielen, die inzwischen zu den Klassikern zählen.
Walter Kolm-Veltée, der Sohn der österreichischen Filmpioniere Anton und Luise Kolm, der Gründer des Rosenhügel-Studios, holte ihn für die Rolle von Beethovens Neffen an der Seite von Ewald Balser für “Eroica” (1949), ein Film, der sich wohltuend von dem üblichen Musikfilmkitsch, der beileibe nicht auf Österreich beschränkt ist, abhebt.
1955 kamen zwei bemerkenswerte österreichische Filme heraus, in denen Oskar Werner jeweils zwar nicht die Hauptrolle, aber eine Schlüsselfigur spielte. “Der letzte Akt”, von G.W. Pabst, ebenfalls einem Österreicher, der Filmgeschichte geschrieben hatte, behandelt die letzten Tage Adolf Hitlers im Führerbunker. Oskar Werner spielt die erfundene Figur des Hauptmanns Wüst, der Hitler (Albin Skoda) von seinen wahnsinnigen Befehlen abhalten will. Wüst wird schließlich als Verräter erschossen. Marlon Brando soll diese Todesszene immer wieder studiert haben.
In Franz Antels Spionagethriller rund um den wahren Fall des Oberst Redl zur Zeit des Ersten Weltkriegs, “Spionage” (1955), spielte Oskar Werner den homosexuellen Freund von Oberst Redl (Ewald Balser). Redl wird schließlich als russischer Spion enttarnt. Das Drehbuch stammte von Alexander Lernet-Holenia, einem der eminentesten Literaten seiner Zeit, der sich in seinem umfangreichen Werk eingehend mit der militärischen Seite der k. u. k. Zeit auseinandergesetzt hat. Der Realismus von “Spionage” unterscheidet sich von der üblichen Beschäftigung mit der Monarchie in den vielen operettenhaften Kaiserfilmen.

In Karl Hartls etwas melodramatischen Film “Mozart” (Titel in Deutschland: “Reich mir die Hand mein Leben”, 1955) verkörperte Oskar Werner die Titelrolle. Dieser Film sollte sein letzter in Österreich sein.
1955 spielte er auch in der französisch-deutschen Coproduktion unter Regisseur Max Ophüls einen schüchternen Studenten, der sich in die skandalumwitterte Tänzerin “Lola Montez” in dem gleichnamigen Film verliebt. “Lola Montez” schaffte es damals beinahe, den Verleih zu ruinieren (der sich nur durch die Heimatfilme wieder retten konnte); heute zählt der Film zu den Meisterwerken von Max Ophüls.
Oskar Werners dritte Filmkarriere, die ihn in den Zenith eines Schauspielerlebens führen sollte, begann, als ihn François Truffaut für “Jules et Jim” (1961) holte. In den Verwirrungen des Herzens zeigt Oskar Werner als der deutsche Freund Jules ironische Distanziertheit. Ein zweites Mal arbeitete er 1966 mit Truffaut bei “Fahrenheit 451” in der Rolle des Feuerwehrmannes Montag zusammen. Den Höhepunkt seiner Karriere erreichte er mit der Darstellung des Schiffsarztes Dr. Schumann in Stanley Kramers “Ship of Fools” (Das Narrenschiff), 1964. Damit wurde er nicht nur für den “Oscar” nominiert, sondern auch mit dem New York Film Critics-Award ausgezeichnet. Im britischen Thriller “The Spy who came in from the Cold” (Der Spion, der aus der Kälte kam, Großbritannien1965), spielte er neben Richard Burton den jüdischen Kommunisten Fiedler. “The Shoes of the Fisherman” (In den Schuhen des Fischers, USA 1968), eine in Rom gedrehte Monsterproduktion um den Vatikan, in der Oskar Werner einen progressiven Geistlichen verkörperte, brachte Metro-Goldwyn-Mayer allerdings an den Rand des Ruins. 1976 stand er das letzter Mal in Stuart Rosenbergs Flüchtlingsfilm “Voyage of the Damned” vor der Kamera.


Oskar Werner: Ein Epilog

Seine kompromißlose, unbestechliche Haltung stand immer mehr in Widerspruch zur Realität. Depressionen, Alkoholprobleme, nicht durchgeführte Theaterprojekte, und ein Debakel mit seinem Wachau-Festival 1983 kennzeichnen seine letzten Jahre. Oskar Werner-Deklamationen klassischer Werke machten aber nach wie vor Furore. Auf der Vorbereitung für eine Lesetournee durch die Bundesrepublik Deutschland starb er am 23. Oktober 1984 in Marburg an Herzversagen.
Seine stetige Suche nach innerer Wahrheit und seine kompromißlose Verfolgung des höchsten Berufsethos kennzeichneten Oskar Werner sein Leben lang. In seinen Rollen schuf er mit seiner sensitiven Ausstrahlung das Idealbild des “neuen Mannes”, bevor man diesen Begriff überhaupt kannte. Mit seiner unverwechselbaren Stimme, aber auch mit seinem Pathos wußte er die Menschen zu bezaubern. Oskar Werner war über das Gewöhnliche erhaben - und deshalb liebte ihn sein Publikum.

(Dr. Gertraud Steiner)