No. 4. Provinzial-Correspondenz.
Zehnter Jahrgang.
24. Januar 1872.

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Der Wechsel im Kultus-Ministerium.

Die von dem seitherigen Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten Dr. von Mühler erbetene Entlassung ist demselben von Sr. Majestät dem Kaiser und König durch folgenden Allerhöchsten Erlaß ertheilt worden:

Auf Ihren Antrag vom 12. d. M. will Ich Ihnen die von Ihnen nachgesuchte Entlassung aus Ihrem jetzigen Amte unter dankbarer Anerkennung der Mir geleisteten Dienste, von welchen später wieder Gebrauch zu machen Ich Mir vorbehalte, unter Bewilligung der reglementsmäßigen Pension und unter Belassung des Titels und Ranges eines Staats-Ministers hierdurch ertheilen und habe dies dem Staats-Ministerium bekannt gemacht.

Berlin, den 17. Januar 1872.

(gez.) Wilhelm.

(gegengez.) v. Bismarck.

Zum Nachfolger des Herrn von Mühler ist von Sr. Majestät am 22. Januar c. der Geheime Ober-Justiz-Rath Dr. Falk ernannt worden.

Der neu ernannte Kultus-Minister Dr. Falk hat in seiner bisherigen Wirksamkeit auf juristischem und staatsrechtlichem Gebiete, namentlich durch seine hervorragende Mitwirkung an den großen gesetzgeberischen Arbeiten des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches eine seltene Begabung und Tüchtigkeit, eine große wissenschaftliche Klarheit und praktische Umsicht, sowie eine ernste Auffassung der staatlichen Aufgaben bewährt und ein großes Vertrauen in den politischen Kreisen erworben. Hierauf beruht die Zuversicht, daß er auch berufen sein werde, die umfassenden und schwierigen Aufgaben, welche seiner auf den verschiedenen Gebieten der ihm übertragenen Verwaltung harren, in ersprießlicher Weise zu erfüllen.

Je tiefer die kirchlichen Bewegungen dieser Zeit auch die Beziehungen des Staates zur Kirche berühren, desto mehr kommt es darauf an, daß in der staatlichen Leitung der Kirchen- und Schulverwaltung ein Geist walte, welcher nach allen Seiten die Bürgschaften voller Unbefangenheit und Gerechtigkeit, sowie des ernsten Willens gewähren, ebenso sehr die unveräußerlichen Rechte des Staates, wie die Ansprüche der sittlichen und religiösen Volksinteressen zu wahren.

Um diese schwierige Aufgabe zu erfüllen, ist ein festes Zusammengehen und volle Uebereinstimmung aller betheiligten Staatsgewalten unerläßlich.

Möge das Vertrauen, welches der neue Minister auch innerhalb der Landesvertretung zu finden hoffen darf, ihm und der gesammten Staatsregierung bei der Durchführung ihrer Aufgabe eine zuverlässige Stütze sein.


Ein nationales Doppelfest.

Das alte preußische Krönungsfest hat seit dem vorigen Jahre eine erhöhte, eine doppelte Bedeutung gewonnen. Der 18. Januar ist nicht mehr blos der Erinnerung an das Jahr 1701, an den Ursprung der preußischen Königswürde geweiht: mit dieser Feier ist fortan in Preußen und in ganz Deutschland das Andenken an jene große Stunde in Versailles verknüpft, in welcher sich mit Preußens Beruf zugleich das Sehnen Deutschlands erfüllte.

Wie aber das alte Krönungs- und Ordensfest in Preußen seine Bedeutung nicht blos in der Erinnerung an das Aufsteigen des Hohenzollernschen Hauses zu höherem Glanz und höherer Macht hatte, sondern zugleich in der Bethätigung der innigen Gemeinschaft zwischen Herrscher und Volk und jener Ueberlieferungen des Vertrauens und echter Treue, unter deren Segen Preußen immer mehr zu Ruhm und Macht emporgestiegen ist, so lag auch die Bedeutung des großen Festtages von Versailles nicht vorzugsweise in dem Gewinn einer äußeren Machtstellung: seine höchste Weihe ward ihm durch das Bewußtsein der in ernster Stunde allseitig erprobten Treue, durch die Ueberzeugung, daß die Lebensgemeinschaft des deutschen Volkes in den neuen Gestaltungen nur ihren wahren Ausdruck erhalten, und durch die Zuversicht, daß Deutschland auf so festen

Grundlagen gegen alle äußeren und inneren Gefahren unanfechtbar dastehe.

Durch den 18. Januar 1871 ist die welthistorische Bedeutung des 18. Januar 1701 erst in das hellste Licht gestellt worden.

Immer von Neuem trat die Besorgniß auf, daß Preußen nach der für sein Staatswesen gewonnenen Selbständigkeit seine eigenen Wege gehen und in eine Entfremdung oder gar in einen Gegensatz zu dem übrigen Deutschland gerathen könnte. In der That waren von den Gegnern der nationalen Sache unablässig alle Hebel in Bewegung gesetzt worden, um Zerwürfnisse zwischen den Fürsten Deutschlands zu erzeugen und die zur Lebensgemeinschaft berufenen Stämme zu trennen. Glücklicher Weise war das Einheitsgefühl der Nation stärker als alle natürlichen Schranken und alle künstlichen Hindernisse. Jedes Blatt der deutschen Geschichte bekundet, daß Preußen sich niemals von Deutschland abgewendet hat, daß vielmehr Fürst und Volk sich in dem Streben zusammenfanden, mit aller Kraft und aller Begeisterung für das Wohl und die Ehre der Nation einzutreten, damit die wachsende Macht des eigenen Staates dem großen Gesammtvaterlande zu Gute komme.

Andererseits behielt auch im übrigen Deutschland deutsche Treue die Oberhand über die Regungen der Absonderungslust und die Verlockungen des Auslandes. In der Stunde, wo die Gefahr des Vaterlandes offenbar ward, schlossen alle deutschen Stämme sich in enger Waffenbruderschaft an Preußen, und unter ihrem begeisterten Zuruf nahm König Wilhelm, der deutsche Oberfeldherr, die ihm von den deutschen Fürsten angebotene Kaiserkrone an.

So darf denn ganz Deutschland den 18. Januar in Wahrheit als ein Nationalfest vielfältigster Bedeutung begehen. Wie König Wilhelm hohen Sinnes erkannte, daß Preußen seinen geschichtlichen Beruf nicht herrlicher erfüllen und seinen Ehrentag nicht würdiger feiern könne, als durch die Wiederaufrichtung des deutschen Reiches, so ist allen deutschen Herzen der 18. Januar jetzt doppelt theuer geworden, und überall bricht sich die Einsicht Bahn, daß Preußens Emporkommen an Kraft und Würde eine Vorbedingung für die Wiedergeburt deutscher Einheit und deutscher Macht war.


Werders Kämpfe bei Montbéliard.
(Zur Erinnerung an die dritte Januarwoche 1871.)

Das Gedächtniß der Heldenkämpfe des Generals von Werder vor Belfort ist in der jüngst verflossenen Woche namentlich in Süddeutschland dankbar und begeistert gefeiert worden. Das deutsche Volk war ja kaum einem anderen militärischen Vorgange in dem ganzen Verlaufe des Krieges mit solcher Spannung gefolgt, wie dem Ausgange der dreitägigen Schlacht bei Montbéliard, durch welche der Plan Gambetta's gegen Elsaß und Süddeutschland vereitelt wurde.

Wenn sich jetzt die patriotische Erinnerung jenen ebenso sorgenvollen wie ruhmreichen Tagen zuwendet, so können wir, Dank den mannigfachen Aufklärungen über den inneren Zusammenhang der Ereignisse, ein klares Bild von den großartigen Operationen geben, durch welche der Krieg ebenso glänzend für die deutsche Heeresführung schloß, wie er 6 Monate zuvor begonnen hatte.

Gambetta's Plan war gegen Ende Dezember in französischen Blättern zuerst angekündigt worden. Wieviel man sich davon versprach, das deutete u. A. der »Moniteur« in folgenden Sätzen an:

»Es handelt sich um eine Diversion in den Vogesen zu dem Zwecke, die Ostlinie wieder zu nehmen, die den Preußen so große Dienste leistet, um dem Feinde die Verbindungen im Rücken abzuschneiden. Möge die Armee von Lyon, möge die Südarmee sich nach den Vogesen wenden. Kaum auf diesem Punkt angelangt, würde man die Preußen besorgt werden und schnell die Normandie, die Beauce, die Pieardie und alle jene reichen Provinzen aufgeben sehen, welche jetzt von ihnen ausgesaugt werden, und sie werden sich zurück nach dem Osten wenden. Sobald aber dieser gezwungene Rückzug erfolgte, würde General Trochu die preußischen Linien durchbrechen, und Paris wäre deblokirt. Im Osten liegt

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