Wagner und die Juden
Bayreuth, August 1998
1. Die Eröffnung
Israels Botschafter Avi Primor zum Auftakt des Symposiums "Wagner
und die Juden"
"EIN BELEG, DASS MAN DAS VERGANGENE
NICHT MEHR VERDRÄNGEN WILL"
Wolfgang Wagner: Haben versucht, das rein Menschliche in den Werken
Richard Wagners vorzustellen
Bayreuth (UBT). "Daß mit israelischer Beteiligung dieses Symposium zu Richard Wagners Verhältnis zu den Juden in Bayreuth stattfindet zeigt, daß man die Vergangenheit nicht mehr verdrängen will." Dieser heute mit viel Beifall aufgenommene Satz von Avi Primor, Israels Botschafter in Bonn, zum Auftakt dieser wissenschaftlichen Veranstaltung wirkte wie befreiend; denn das Thema lastete merklich schwer auf der Eröffnung des Symposiums, das im vergangenen Jahr ebenfalls bei einem Wagner-Symposium von dem Rektor der Universität Tel Aviv, Professor Dr. Yoram Dinstein, angeregt und nun von dessen Kollegen, israelischen Komponisten und Musikhistoriker Professor Ami Maayani zusammen mit dem Heidelberger Literaturwissenschaftler und Wagner-Experten Professor Dr. Dieter Borchmeyer und der Bayreuther Theaterwissenschaftlerin Professor Dr. Susanne Vill realisiert wurde.
OB Mronz: wahrhaft schwierige Fragestellung
Bereits am Anfang hatte Bayreuths Oberbürgermeister Dr. Dieter
Mronz auf die "wahrhaft schwierige Fragestellung" des Symposiums
hingewiesen und sein Zustandekommen in Bayreuth, dort wo Richard Wagner
gewirkt hatte, einen "Schritt von historischer Bedeutung" genannt. Es sei
eine Chance, die auch Bayreuth belastende Vergangenheit "abbauend zu
begegnen", denn es sei "nie zu spät, die notwendigen Lehren zu ziehen
und den nächsten Generationen zu vermitteln".
Dem pflichtete auch Bayerns Kultusminister und stellvertretende Ministerpräsident Hans Zehetmair bei, der davon sprach, die wissenschaftliche Veranstaltung sei geeignet, "Licht in das Thema" über diese "zwiespältige Persönlichkeit, die die Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts geprägt hat" zu bringen und es zu versachlichen. Dem Widersprach allerdings in gewisser Weise Ignatz Bubis, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, der die Vermutung äußerte, daß viel mehr als das bereits Bekannte während der sechstägigen Veranstaltung nicht herauskommen werde. Er sprach davon, daß der Antisemitismus so alt sei wie das Bestehen des Christentums und sich in den verschiedenen Zeitepochen nur unterschiedlich geäußert habe und forderte ,"ohne Emotionen" an das Thema heranzugehen.
"Komplizierte und zwiespältige Persönlichkeit"
Botschafter Primor hatte Richard Wagner zuvor als komplizierte und
zwiespältige Persönlichkeit beschrieben, der die Juden
einerseits angriff, anderseits mit Ihnen, etwa mit dem Dichter Heine, dem
Dirigenten Levy und dem Komponisten Meyerbeer, zusammenarbeitete. Nachdem
nach dem Krieg keine Kommunikation zwischen Deutschen und Israelis
möglich war, weil "die Deutschen ihre Vergangenheit verdrängten
- Bubis sprach später davon, auch die jüdischen Opfer
hätten die schreckliche Vergangenheit des Naziregimes vielfach
verdrängt - so sei das Symposium ein Signal für eine andere
Einstellung gegenüber der schwer lastenden Vergangenheit,
nämlich darauf bedacht, sie nicht zu verdrängen, sondern sie zu
verarbeiten.
Der sichtlich bewegte Wagner Enkel und Leiter der Bayreuther Festspiele, Wolfgang Wagner, wies darauf hin, daß er und sein Bruder Wieland nach dem Krieg versucht hätten, "das Humane, das rein Menschliche in den Werken Richard Wagnrs vorzustellen". Er habe die Idee Professor Dinsteins, das Thema in Bayreuth zu behandeln, von Anfang an unterstützt. Auch Wagner beschwor, daß "nach der Katastrophe" die Vergangenheit nicht vergessen werde und daß man gerade den nachfolgenden Generationen vermitteln wolle, nie wieder so passiv gegenüber dem sein zu dürfen, "was gegen das Menschliche gerichtet ist".
Warum in Israel ein Bann auf Wagners Musik?
Ihn interessiere besonders, sagte Rektor Prof. Dinstein, warum in
Israel ein Bann auf Wagners Musik gelegt worden sei, der sich darin
ausdrücke, daß das israelische Symphonie Orchester keine Werke
Wagners spielen dürfe, Künstler wie Sasha Haifetz oder der
Komponist Zubin Mehta quasi mit Gewalt daran gehindert würden,
Kompositionen des umstrittenen Komponisten zu spielen, andererseits aber
die Werke Wagners auf CD, Schallplatte und Video käuflich zu erwerben
seien. Um die die Vielschichtigkeit der Thematik anzugehen, sei das
Symposium auch fachübergreifend angelegt, enthalte Beiträge von
Musik- und Literaturwissenschaftlern, von Psychologen und Philosophen
ebenso wie von Historikern.
Saul Friedländer (Tel
Aviv University/University of California, Los Angeles):
Bayreuth and the Redemptive Antisemitism
Wagners "Erlösungs-Antisemitismus" hatte Wirkung: Er wurde
beispielsweise in Houston Stewart Chamberleins "Grundlagen des 19.
Jahrhunderts" und vom "Bayreuther Kreis" rezipiert. Folgt man Robert
Gutman, so war Wagners Antisemitismus nichts weniger als ein "Leitmotiv"
seines Lebens und Schaffens, doch war dieser Antisemitismus sehr
widersprüchlich. Einerseits begegnen Judenkarikaturen in seinem
musikdramatischen Werk (Mime und Alberich im "Ring"), andererseits
arbeitete er mit jüdischen Künstlern zusammen. In seinem letzten
Werk, dem "Parsifal", wurde dieser Widerspruch, auch der Widerspruch zum
Vernichtungs-Antisemitismus, so deutlich, daß Wagners Einfluß
auf Hitler differenziert betrachtet werden muß.
Auffälligerweise bezog sich Hitler, der Wagner als die Kult-Figur des
3. Reichs installierte, an keiner einzigen Stelle auf Wagners
antisemitische Theorien. Er wird zwar gegen den Marxismus, doch nie gegen
die Juden zitiert, was unzweifelhaft mit der ideologischen Unstimmigkeit
von Wagners Werk zusammenhängt. Das letzte Wort der "Judenschrift"
von 1850 fordert zwar den "Untergang", aber diese Formel ist so
mehrdeutig, daß sie auch von Hitler unmöglich gebraucht werden
konnte.
Jens Malte Fischer
(Universität München):
Richard Wagners "Das Judentum in der Musik". Entstehung
- Kontext - Wirkung
Wagners Schrift "Das Judentum in der Musik" (publiziert im Jahr 1850)
steht zwar in der Tradition antisemitischen Schrifttums, wie es in der
ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts üblich war. Auch war die
Übertragung des parallel zur jüdischen Emanzipation
anschwellenden Frühantisemitismus (1800-1850) auf das Gebiet des
Musiklebens und der Musik nicht Wagners Erfindung. Die Schrift
unterscheidet sich aber in einem wesentlichen Punkt von ihm: Wagner betont
seine unwillkürliche, naturgegebene Abneigung gegenüber den
Juden. Mit "Das Judentum in der Musik" entlud sich sein antijüdischer
Affekt, der spätestens seit seinem ersten Parisaufenthalt (1839-1842)
vorhanden war. Mit dieser Schrift wurde gleichzeitig Giacomo Meyerbeer,
der erste Vertreter der "banquier-musikhurerei", und das ästhetische
System des Pariser Musiktheaters angegriffen. Ihr Neudruck im Jahre 1869 -
nur scheinbar motivationslos - folgte Wagners weiterentwickeltem
Antisemitismus. Sie ist nun in Zusammenhang mit den Schriften zu sehen,
die Wagner im Umkreis des bayerischen Königs Ludwig II. publizierte.
Hier geht es um eine neue deutsche Kultur vor der Reichsgründung und
der zunehmenden, von Wagner als unheilvoll empfundenen Tendenz, die Juden
zu assimilieren - eine Tatsache, von der sein Verfolgungswahn provoziert
wurde. In einem neuen Nachwort werden Wagners radikalisierte Ansichten
deutlich (eine gewaltsame Vertreibung der Juden erscheint wohl nicht mehr
als unwahrscheinlich). In Wagners späten Jahren wandte sich Wagner
vom tagespolitischen Antisemitismus ab. Stattdessen pflegte er einen sehr
persönlichen Antisemitismus, der in der "Regenerationslehre" ins
Allgemeinere und Philosophische gehoben wurde. Die in der Forschung oft
zitierte Abkehr vom Antisemitismus war somit lediglich eine Kritik am
"vulgären Bierkneipen-Antisemiten" der siebziger und achtziger Jahre.
Peter Gay (New York Public
Library):
Wagner from a Psychoanalytic Perspective
Eine Möglichkeit, Wagners Antisemitismus zu analysieren, besteht
in der Analyse von Wagners widersprüchlichem Charakter.
Offensichtlich ist, daß die politischen Schriften der späten
40er Jahre ("Das Judentum in der Musik" entstand 1850) auf Phantasien
hinweisen, die Sigmund Freud als "Weltuntergangsphantasien" bezeichnete.
Wagner sah sich als Welt-Zerstörer, der von seinen Freunden
bedingungslos angebetet werden sollte. Sein Widerstand gegen die moderne
Kultur paarte sich mit dem Antisemitismus: für die Krankheiten seiner
Zeit (oder das, was Wagner dafür hielt) und Wagners Erfolglosigkeit
sollten allein die Juden verantwortlich sein.
Psychologisch auffällig ist dabei der Umstand, daß Wagner
den Juden jene Eigenschaften unterstellte, die er bei sich selbst
entdecken konnte: Geldgier, der Hang zur Schmeichelei, Luxussucht. In
diesem Sinn erhält das Erlösungsmotiv seiner Musikdramen eine
eigene Färbung: der an seinen Krankheiten und der Umwelt leidende
Wagner konnte, so sehr er es auch versuchte, niemals seinem Charakter
entrinnen, der mit dem des Ahasver, des ruhelos umherziehenden Juden, eine
gewisse Ähnlichkeit aufweist.
3. Ausgewählte Beiträge des dritten und vierten Kongreßtages
Udo Bermbach
(Universität Hamburg):
Antisemitismus als ästhetisches Programm.
Wagners "Das Judentum in der Musik" im Kontext der "Zürcher
Kunstschriften"
Wagners Schrift "Das Judentum in der Musik" wird üblicherweise als
impulsiver Schlag gegen den Konkurrenten Giacomo Meyerbeer gedeutet.
Möglicherweise ist sie jedoch nur im Vergleich mit den gleichzeitig
verfaßten "Zürcher Kunstschriften" angemessen zu
interpretieren. Somit nimmt sie poetologische und politische Gedanken auf,
die in Zusammenhang mit dem neu zu schaffenden "Musikdrama" relevant sind.
Die Sprache und der Volksbegriff hängen bei Wagner so eng
zusammen, daß die in der Judenschrift denunziatorisch kritisierte
"Sprechweise" der Juden wesentlich dazu beiträgt, sie von der
zukünftigen Kunst auszuschließen. Politisch aber gibt es
durchaus, interpretiert man den Schlußsatz der Judenschrift nur
richtig, durchaus eine Hoffnung für die Juden, gemeinsam mit den
Nicht-Juden "erlöst" zu werden. Der "Untergang", das ist in Wagners
Sicht die Aufhebung der gesellschaftlichen Sonderexistenz der Juden durch
Revolutionierung der Gesellschaft insgesamt. Der Begriff "Erlösung"
meint die politisch-gesellschaftliche Revolution, die ihre Entsprechung
auf dem Gebiet der Ästhetik des Gesamtkunstwerks hat.
Für Wagner ist in diesem Zusammenhang die Frage der
Judenemanzipation vor allem eine künstlerische. Indem er die Juden
auffordert, an dem "durch Selbstvernichtung wiedergebärenden
Erlösungswerk" (also der Revolution) teilzunehmen, lädt er sie
dazu ein, mit den Deutschen zusammen die in den "Kunstschriften"
entwickelte Perspektive einer aktiv gestaltenden Kunst zu verwirklichen.
Wolf-Dieter Hartwich
(Universität Heidelberg):
Das Judentum in Wagners Spätwerk: Kunstreligion
und Kabbala
Die Erlösung des Judentums durch die Kunstreligion erfährt in
Wagners letztem Werk, dem "Parsifal", eine Behandlung, die sich Wagners
Beschäftigung mit den Büchern August Friedrich Gfrörers
verdankt, insbesondere mit der "Kritischen Geschichte des Urchristentums"
(1835) und der "Geschichte des Urchristentums" (1838). Gfrörer
befasste sich u.a. mit den Geheimlehrern des antiken Judentums, der sog.
Kabbala. Viele charakteristische Ideen des "Parsifal", die meist auf
Wagners Beschäftigung mit dem Buddhismus zurückgeführt
werden, haben Entsprechungen in dieser Lehre.
Die meisten Züge der Gralsgemeinde finden sich etwa bei den
jüdischen Therapeuten wieder. Auch das Gottesbild im "Parsifal" ist
auf den Einfluß des esoterischen Judentums zurückzuführen;
der Gral hat seine mystische Entsprechung in der jüdischen
Theosophie. Die Mittlerrolle Titurels zwischen Gott und den Menschen
entspricht der des Moses, während der "neue Moses" in Parsifal, dem
Wiederhersteller des Gralskults, wiederkehrt. Der Karfreitagszauber
entspricht der Lehre der Palingenesie (der Widerherstellung des
Paradieses). Das Schicksal der nach Erlösung suchenden Kundry findet
sich in der kabbalistischen Lehre des Gilgul.
So finden sich wesentliche Elemente des "Parsifal" in der
jüdischen Geheimlehrer wieder - ein Hinweis darauf, daß Wagner,
der das Judentum als religiöse und gesellschaftliche Erscheinung
bekämpfte, an eine totale Integration des Judentums jenseits von
religiösen, nationalistischen oder rassistischen Begriffen glaubte:
im Sinne einer "ästhetischen Kabbala".
Hermann Danuser:
Jüdische Charakterzeichnung in Wagners Werk?
Dramaturgische und musikalische Aspekte
Bekanntlich hat Richard Wagner niemals eine seiner Bühnenfiguren
als jüdisch bezeichnet. Gleichwohl wurde immer wieder behauptet,
daß Figuren wie Mime, Alberich, Beckmesser und Kundry
Judenporträts bzw. -karikaturen darstellen, da Wagners Texte zur
jüdischen Frage die Subtextualisierung der musikdramatischen Werke
förmlich provozieren.
Was Figuren wie den Zwerg Mime betrifft, so
sind diese negativ gezeichneten Charaktere nicht als Judenkarikaturen,
sondern als allgemeine Darstellungen des Bösen aufzufassen. Mime ist
schon deswegen kein Jude, weil auch er den Stabreim benutzt, den Wagner
als Grundlage der deutschen Sprache ansah.
Tatsache ist, daß Wagner selbst seinen "Fliegenden
Holländer" und die Kundry des "Parsifal" in die Nähe des
"Ahasver", also des unerlöst umherziehenden Juden, gerückt hat.
Allerdings wird diese jüdisch-mythische Figur von ihm in das
Allgemein-Menschliche gehoben: beide erfahren am Ende die positiv
aufgefasste "Erlösung". Dies ist auch musikalisch zu belegen; die
charakteristische Notenfolge in den jeweiligen Finali weist auf die
allgemeine Dimension der Erlösungsproblematik hin.
Joseph Horowitz:
Wagner and the American Jew - a personal
reflection
Wagner war seit Ende des 19. Jahrhunderts im amerikanischen Musikleben
präsent, u.a. durch den Einsatz des Dirigenten Anton Seidl.
Auffällig ist, daß Wagners Antisemitismus auch und gerade unter
den jüdischen Musikfreunden kein diskussionswürdiges Thema war.
Wagners Rassismus passte zwar zum kulturellen Nationalismus der
Jahrhundertwende, doch enthielt der amerikanische Wagnerianismus niemals
rassistische Elemente.
Da Wagner ein Meister darin war, Figuren der Heimatlosigkeit (der
Holländer) und der Verfolgung (Siegmund) zu erfinden, wurde er
ge-rade von den Juden verstanden. Emotional labile Figuren wie Kundry,
Senta oder Sieglinde waren erstklassige Identifikationsobjekte für
das weibliche Publikum. Auch Gestalten wie der ironische Loge, die
normalerweise nicht als jüdisch klassifiziert werden, scheinen
"jüdische" Eigenschaften zu besitzen. Umgekehrt sind die Figuren,
deren jüdischer Charakter von vielen Forschern diskutiert wird,
höchst menschlich, weil sie bemitleidenswert sind.
In Wagners Werk treten also nicht die "bösen Juden" und die
"guten Germanen" auf, sondern vor allem Außenseiter verschiedener
Art. So identifizierte Wagner sich selbst mehr mit Loge und Mime als mit
Siegfrieds nordischer Vollkommenheit. Fazit: Der Antisemitismus ist nicht
der einzige Bezugspunkt zwischen Wagner und den Juden.
Sieghart Döhring
(Universität Bayreuth):
Die Rezeption von Meyerbeers und Wagners
Musiktheater
Giacomo Meyerbeer gilt als der große Gegenspielers Richard
Wagners. Diese Gegnerschaft beschäftigte Wagner bis zu seinem Tod;
nur im Traum wagte er es, sich öffentlich für sein Verhalten
gegenüber Meyerbeer zu entschuldigen, wie es in "Das Judentum in der
Musik" zum Ausdruck kommt. Meyerbeer selbst war, allen Legenden der
Wagnerianer zum Trotz, niemals ein erbitterter Gegner Richard Wagners.
Allerdings war es erst Meyerbeer, der es Wagner ermöglichte, in
"Oper und Drama" eine Grundlegung seiner eigenen, gegen das System der
alten Oper gerichtete Musikdramatik vorzunehmen - die Meyerbeers Kunst bis
hin zum katastrophischen Finale des "Ring" einiges verdankt! Bei Wagners
Ästhetik handelt es sich um eine interpretierende Weiterentwicklung
von Meyerbeers Musiktheater. Schon Wagners Zeitgenossen erkannten,
daß Wagners Kunst von französischer Herkunft sei. Wagner selbst
stellte in seiner Schrift fest (sowenig er Meyerbeers Opern insgesamt
schätzte, nachdem er sie in seinen Pariser Jahren gefeiert hatte),
daß Meyerbeers Werke die Brücke von der älteren zur neuen
Oper schlugen. Erst in Auseinandersetzung mit dem Riesenerfolg des
"Prophete" (1849) fand Wagner die Kraft, sich von Meyerbeer abzuwenden.
Paul Lawrence Rose (Pennsylvania State
University):
Wagner and Hitler after the Holocaust
Richard Wagner dachte niemals über seine Vorurteile gegenüber
den Juden nach. Sowenig er selbst sein Verhältnis zu den Juden
kritisch reflektierte, sosehr muß ein Nachdenken über seinen
Antisemitismus im Licht des Holocaust problematisiert werden.
Zwar hätte Wagner - da er seine antisemitische Position
ausschließlich als Künstler errichtete - wohl kaum Hitlers
politischen Antisemitismus unterstützt, doch ist nicht zu leugnen,
daß er sich in die Geschichte des deutschen Antisemitismus
eingliedert, wie er seit dem Mittelalter üblich war. Zumindest luden
bestimmte Elemente seines Werkes dazu ein, von der nationalsozialistischen
Vernichtungsideologie aufgegriffen zu werden. Die "Doktrin der Auswerfung"
weist etwa darauf hin, daß Wagners Gedanken im Sinne einer
historischen Prophezeiung aufgefasst werden müssen.
So muß auch die Frage, ob sich antijüdische Elemente in
seinen musikdramatischen Werken befinden, mit einem klaren Ja beantwortet
werden, doch bedeutet dies nicht notwendigerweise, daß Wagner
für Adolf Hitler verantwortlich ist. Problematisch bleibt, daß
zwischen Wagner und Auschwitz ein sehr indirekter Weg verläuft.
Ebensowenig ist ein Wagner-Hörer automatisch ein Antisemit, doch sind
die antisemitischen Elemente auch seiner Bühnenwerke so stark,
daß das Verbot von Wagner-Aufführungen durch das Israel
Philharmonoc Orchestra nicht aufgehoben werden sollte.
Anmerkung: Gegen dieses Referat erhob sich von seiten vieler
Teilnehmer des Symposiums Protest: Rose würde nicht nur die
widersprüchlichen Elemente, die in Wagners Nachdenken über das
Judentum enthalten sind, ignorieren, sondern auch ahistorisch verfahren,
indem er die Geschichte gleichsam von hinten betrachtet.
Dinah Porat (Tel Aviv
University):
The Impact of Wagners Concepts on the Nazi
Movement
Die Tatsache, daß Wagner betreffs der Judenfrage sich oft sehr
undeutlich geäußert hat, ermöglichte es Adolf Hitler, sich
für seinen eigenen Antisemitismus die Elemente herauszusuchen, die
ihm opportun erschienen. Öffentlich jedoch äußerte er sich
niemals über den Antisemiten Wagner, sondern stets nur über den
Künstler, wobei auffällt, daß er seine
Äußerungen auf den kleinen Kreis beschränkte.
Für Hitler war Wagner zunächst eine künstlerische und
ästhetische Erfahrung, also eine kulturelle Größe.
Politisch wurde Hitlers Annahme der wagnerschen Kunst in dem Augenblick,
als er Wagner als einen "kulturellen Trommler" interpretierte - so wie er
selbst der "politische Trommler" sein wollte. Indem er sich mit Rienzi,
dem Volkstribun von Wagners dritter Oper, identifizierte, benutzte er
Wagners Werk: Wagner verursachte sehr früh in ihm das Gefühl der
Erwähltheit für die politische Aufgabe der Reichsführung.
Es war vor allem die Ästhetisierung der Politik, die Hitler an
Wagner interessierte und seinerseits zum Regierungsstil erhob (darauf
weist das Schlagwort der Forschung hin, daß Hitler aus Deutschland
eine Wagner-Oper gemacht habe). Bei Wagner fand Hitler auch den
Volksgedanken, den er zur Legitimation seiner Partei brauchte. In diesem
Sinn benutzte er Wagners Opern als emotionssteigerndes Mittel, um die
"Volksgenossen" zu mobilisieren.
Abschlußdiskussion
Wagners Antisemitismus bzw. Antijudaismus bleibt vieldeutig und widersprüchlich, weil Wagners Schriften in mehr als einer Richtung interpretierbar sind. Unbezweifelbar ist, daß Wagner auf jüdische Anregungen immer angewiesen blieb, sie geradezu benötigte, um sich selbst und seinen Standpunkt zu definieren (so Joseph Horowitz); seine Verleugnung dieser nicht unbedeutenden Einflüsse bleibt ein unaufgelöster Widerspruch. "Wagner ist nicht nur ein Problem für die Juden, sondern auch für die Deutschen" - mit diesem Statement charakterisierte Yirmiyahu Yovel (Jerusalem) das Ergebnis des Symposiums. Auch das Verhältnis der Deutschen zu Wagner müsse normalisiert werden. Gerade Bayreuth müsse entkulterisiert und ein Platz der "reinen Musik" werden. Mit dem Charakter Bayreuths als "Kultstätte" im "Dritten Reich" hängt auch die Frage nach dem Zusammenhang der Judenvernichtung durch die Nazis mit dem Wagnerschen Antisemitismus zusammen, eine Frage, die auch nach diesem Symposium offen bleiben muß.