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6.2.2003
Vor 50 Jahren: ''Schlag gegen Spekulanten und Saboteure'' - Die Vertreibung von Hausbesitzern aus Kleinmachnow
Gerald Endres

Am 11. Februar 1953 verkündet ein Richter am Bezirksgericht Potsdam das Urteil gegen sogenannte "Schädlinge und Saboteure":

Es werden verurteilt wegen Durchkreuzung wirtschaftlicher Maßnahmen der Deutschen Demokratischen Republik in Tateinheit mit gewissenloser Spekulation zum Schaden der Allgemeinheit der Angeklagte Willi Stein zu zehn Jahren Zuchthaus, der Angeklagte Reinhard Felsch zu sechs Jahren Zuchthaus, der Angeklagte Paul Sinnreich zu fünf Jahren Zuchthaus, der Angeklagte Fritz Rosenbaum zu sechs Jahren Zuchthaus. Das Vermögen der Angeklagten wird eingezogen.

Insgesamt 46 Jahre Zuchthaus verhängt das Gericht gegen neun Angeklagte. Das Urteil erregt Aufsehen in Ost und West. Der Bundestagsabgeordnete und Ausschussvorsitzende Herbert Wehner protestiert:

Der gegenwärtig in Berlin tagende Bundestagsausschuss für gesamtdeutsche Fragen hat mit Erschütterung und Empörung von dem Terrorurteil der sowjetzonalen Justiz gegen Bewohner Kleinmachnows Kenntnis genommen.

Die Verurteilten kamen alle aus Kleinmachnow, einer Gemeinde südwestlich von Berlin, die zum DDR-Bezirk Potsdam gehörte. Das Gemeindegebiet ragt wie ein Keil nach Westberlin hinein. Kleinmachnow gehörte postalisch zum Westberliner Bezirk Zehlendorf, auch die Telefone der Kleinmachnower waren über die Berliner Vorwahl zu erreichen, und mehrmals sollte Kleinmachnow nach Berlin eingemeindet werden. Doch die Kleinmachnower hatten sich dagegen gewehrt, weil die Steuern im Kreis Teltow niedriger waren als in der Großstadt - ein verhängnisvoller Widerstand, denn 1945 gehörte Kleinmachnow auf einmal zur Sowjetischen Besatzungszone, das von drei Seiten umgebende Zehlendorf aber zum amerikanischen Sektor von Westberlin.

Anfangs war das noch kein Problem. Die Kleinmachnower gingen wie eh und je zum direkt hinter der Stadtgrenze gelegenen Bahnhof Düppel und fuhren von da zu ihrem Arbeitsplatz in Berlin, zum Einkaufen oder zu ihren Freunden und Verwandten. Dann galten plötzlich unterschiedliche Währungen in Kleinmachnow und Zehlendorf, aus dem Grünstreifen zwischen den Orten wurde ein Grenzstreifen, an der Straße zum Bahnhof Düppel stand jetzt ein Grenzposten, und die Kleinmachnower mussten alltäglich Kontrollen über sich ergehen lassen. Auf Westberliner Seite blühte das kleine Grenzgeschäft:

Da hatte sich ja ne ganze Ladenstraße entwickelt, da am Bahnhof Düppel, wo sich immer die Kleinmachnower mit den Berlinern trafen, wo se einkauften, und so weiter, ne kleine Kneipe war da, ja

Die DDR-Obrigkeit hatte es schwer in Kleinmachnow. Der idyllische Ort mit seinen Siedlungshäusern und großbürgerlichen Villen war nicht gerade eine Hochburg der Kommunisten. Daran änderte sich auch nichts, als 1948 die SED-Parteihochschule in die ehemalige Reichspostakademie in Kleinmachnow zog. Allerdings häuften sich die Fälle, in denen Kleinmachnower ihr Haus zurücklassen und über die nahe Grenze nach Westberlin fliehen mussten. Die direkte Verbindung zum Feindgebiet so nahe an der Parteihochschule war der SED-Führung nicht geheuer. Am 2.Oktober 1952 teilte die Grenzpolizei dem Kleinmachnower Bürgermeister mit, dass ab sofort der Grenzübergang Düppel nur noch morgens und abends jeweils zwei Stunden für den Berufsverkehr geöffnet werde. Diese Sperrung bedeutete für viele Kleinmachnower lange Umwege über Teltow oder Babelsberg nach Westberlin und ins Ostberliner Zentrum. Entsprechend groß war die Empörung. Am 30 Oktober traf sich turnusmäßig die Gemeindevertretung. Normalerweise war die Veranstaltung schlecht besucht, doch diesmal lief alles anders: Auch die Grenzsperrung stand auf der Tagesordnung. Wegen des Publikumsandrangs zogen die Vertreter vom ursprünglichen Sitzungssaal in einer Schule in die Turnhalle um. Aber auch da reichte der Platz nicht aus.

Und auf einmal hieß es, die Versammlung findet im Kino statt, dann strömten die ganzen Massen los. Wir waren ziemlich bei den ersten noch, wir kamen rein ins Kino, da saßen schon hinten sozusagen Claqueure von der Parteihochschule, und wir strömten rein, und die wollten dann hinten die Türen dann zu, nachdem viele Menschen drin waren, dann haben wir von innen die Außentüren wieder aufgemacht, dann strömten die von außen noch rein.

Rund 2.000 Kleinmachnower standen in und vor dem Kino, die Stimmung war aufgeheizt, der Bürgermeister und die Gemeindevertreter auf dem Podium machten eine denkbar schlechte Figur.

Die sollten ja nu Auskunft geben, warum ist das so, und was sie da sagten, war so blöde, dass man sich schützen wollte vor Agenten, ja, dass nun allgemeines Hohngelächter war, das wurde ja nun überhaupt nicht akzeptiert. Was für ein Quatsch! Die waren einfach nicht vorbereitet, die hatten keine Argumente, und darum mussten sie abtreten, die sind runter wie vom Schafott.

Ein Offizier der Volkspolizei goss noch Öl ins Feuer, als er erklärte, er werde sich dafür einsetzen, dass das Schikanieren der Bevölkerung eingestellt werde. Aber was sollte die erregte Menge nun tun? Eine Resolution wurde vorgeschlagen und verabschiedet, ein Text, der mit Schwejkscher Listigkeit formuliert war:

Die seit September 1952 eingerichtete außerordentliche zeitliche Beschränkung des Verkehrs zwischen Kleinmachnow und Berlin ist geeignet, den Aufbau des Sozialismus in der DDR durch körperliche und außergewöhnliche Nervenanspannung der von diesen Maßnahmen Betroffenen zu gefährden. 65 % der Bewohner Kleinmachnows arbeiten im demokratischen Sektor Berlins und sind je nach ihrer Dienstzeit gezwungen, zum Hinweg oder zum Rückweg weite Umwege zu machen und sind außerdem in ihrer gesellschaftlichen und kulturellen Betätigung gehindert. Wenn die Sperrmaßnahmen ursprünglich damit begründet wurden, dass sie dem Schutz der DDR dienen sollten und dass sie eine Sperrmaßnahme gegen Westberlin sein sollten, so wirkt sich doch die Sperre ganz überwiegend nur zum Nachteil der 16.000 Kleinmachnower Einwohner aus, die von jeher als Randbevölkerung mit Berlin verwachsen sind. Im Namen der äußerst beunruhigten und um das Gedeihen des sozialistischen Aufbaus besorgte Bevölkerung fordern die am 30. Oktober 1952 im Kino in Kleinmachnow Versammelten einstimmig eine umgehende Beseitigung der Verkehrsbeschränkungen und dass der alte Zustand für alle Bürger Kleinmachnows wieder hergestellt wird. Ferner, dass nach demokratischem Recht derjenige genannt wird, der für diese Maßnahme zeichnet."

Tja, und dann wussten 'se nicht mehr weiter und dann wurde die Sitzung geschlossen, und alles verließ dann den Raum, und es waren alle so happy und so vergnügt, die haben sich alle auf der Straße umarmt, weil man das so als Befreiung ... , jetzt hat man auch mal was gesagt, nich.

Wenig später tagte am 3. November 1952 in Berlin das Sekretariat des ZK der SED, und auf der Tagesordnung stand als Punkt 7: "Provokation in Kleinmachnow". Die Parteiführung beschloss, eine Kommission einzurichten. Ihr gehörten Vertreter der Partei an, darunter Kurt Hager sowie Vertreter der Zentralen Kommission Staatliche Kontrolle, des Staatsapparates und der Volkspolizei. Diese Kommission sollte die Zustände in Kleinmachnow untersuchen und für ordentliche Verhältnisse im Sinne der Partei sorgen. In ersten internen Berichten heißt es:

Klein-Machnow ist allgemein als reaktionär bekannt und gerade dort halten sich besonders die Agenten und sonstigen Schädlinge unseres Aufbaus auf.

Mit Kopfschütteln wurde zur Kenntnis genommen, dass bei 15.000 Kleinmachnower Einwohnern die SED gerade mal 220 Mitglieder zählte. Vor allem aber kümmerte sich die Kommission um die Immobilien derjenigen Kleinmachnower, die seit 1945 in den Westen gegangen waren. Viele dieser Häuser wurden von Kleinmachnower Maklern im Auftrag der Eigentümer verwaltet, und die Gemeindeverwaltung hatte mit diesen Maklern zusammengearbeitet.

Die demokratische Gesetzlichkeit muss auch in Kleinmachnow hergestellt werden.

In der folgenden Nacht begann eine Verhaftungswelle. Verhaftet wurden Einwohner, die bei der Versammlung in den Kammerspielen aufgefallen waren, Häusermakler aus dem Ort, aber auch eine Reihe von SED-Mitgliedern: Angestellte der Gemeindeverwaltung, der Bürgermeister und zwei seiner Vorgänger - Männer die bei der Veranstaltung in den Kammerspielen auf dem Podium die Regierungsmaßnahmen noch verteidigt hatten. Der Vorsteher der Gemeindevertretung hatte sich rechtzeitig in den Westen abgesetzt. Nach außen wurde die Aktion als Schlag gegen Spekulanten dargestellt, die die werktätige Bevölkerung ausbeuten und ihr den nötigen Wohnraum vorenthalten. Mietsenkungen wurden verkündet, Arbeitsgruppen gingen an die Erfassung und Verteilung leer stehender Häuser. Ein Rechenschaftsbericht listete im Januar 1953 auf:

Im Kollektiv vergeben wurden: An Spezialisten aus der Sowjetunion 10 Wohnungen An Parteihochschule 9 Wohnungen An Facharbeiter, Aktivisten, Intelligenz und Tbc-Kranke 21 Wohnungen An Wohnungssuchende 79 möblierte Zimmer An Volkspolizei 5 möblierte Zimmer

Die Häuser und Villen hatten offensichtlich Begehrlichkeiten geweckt. Am 9. Februar begann der Prozess gegen die Hauptbeschuldigten. Die Anklageschrift schwadroniert seitenlang über die bösartige Provokation in den Kammerspielen, konkret werden die Vorwürfe, wenn es um Immobilien geht. Aus der Verwaltung von Häusern im Westbesitz und den Improvisationen der Gemeindverwaltung in Notzeiten war ein schwerwiegendes Verbrechen geworden. Das Niveau der Vorwürfe belegt ein Zitat aus der Anklage:

Der Beschuldigte Stein führte zur Verwirklichung seiner Ziele eine besondere Kartei. Diese Kartei weist fast den gesamten Wohnraum von Kleinmachnow aus. Die Erfahrungen aus den letzten Prozessen zeigen, dass sich auch die westlichen Agentennester einer Kartei bedienen. Stein, als gelehriger Schüler seiner westlichen Auftraggeber, hat sich ebenso wie diese eine Kartei angelegt.

Mehrere Angeklagte waren Juden. Westliche Beobachter vermuteten antisemitische Motive, denn die offizielle DDR-Linie stand zu dieser Zeit im Zeichen des Kampfes gegen den jüdischen "Kosmopolitismus". Ein parteiinterner Bericht vermerkte:

"Die Bezirksstaatsanwältin hat sehr gut gearbeitet und es ausgezeichnet verstanden, die Argumente der Verteidigung zu zerschlagen, die insbesondere bei den Angeklagten Rosenbaum und Pikarski (ehem. rassisch Verfolgte) versuchte, das Strafmass mit Hinweis darauf herabzudrücken, dass die Angeklagten in der Nazi-Zeit viel Leid ertragen mussten."

Zur selben Zeit wurde der Parteiapparat in den an Westberlin angrenzenden Gemeinden reorganisiert. , Groß Ziethen, Mahlow, Stahnsdorf, Dallgow, Staaken, Bergfelde, Glienicke und Velten bekamen hauptamtliche Parteisekretäre. In Kleinmachnow stieß die Parteiarbeit jedoch auf das Problem ...

... dass die Mehrzahl der Mitglieder eine Kandidatur als Gemeindevertreter ablehnt mit der Begründung, sie wollten nicht dasselbe erleben wie die alte Gemeindvertretung.

Der Zorn der Partei hatte SED-Mitglieder getroffen, die der CDU-Politiker Remmer noch als politische Gegner kennen gelernt hatte, bevor er schließlich in den Westen gegangen war.

Sie sind verurteilt worden, weil sie gutgläubig gestatteten, dass die Bevölkerung in ihrem verständlichen Unmut über diese wahnwitzige Absperrung dieses im Grunde zu Zehlendorf, also zu Westberlin gehörenden Wohnbezirks, öh, dagegen protestierten, das nicht schweigend hinnehmend konnten, deshalb sind sie bestraft worden, und man kann nur sagen, dass die Erschütterung des gesamtdeutschen Ausschusses des Bundestages über dieses Urteil mehr als begreiflich ist.

Der Grenzübergang Düppel wurde übrigens bald wieder geöffnet. Doch Kleinmachnow kam auch in den folgenden Jahren nicht zur Ruhe. Eingesessene Kleinmachnower erlebten diese Jahre so:

Dann setzten nachher die Repressalien ein gegen Leute, die eben noch in Westberlin Arbeitsstätten hatten, und die wurden ganz fürchterlich bedrängt, da kam dann fast jeden Tag einer, die dann eingeredet haben, die Stellung aufzugeben und so weiter, und da setzte dann eine Flucht ein, da gingen die Leute wirklich viel rüber. Von den alten Kleinmachnowern waren nach der Grenzziehung, also Mauerbau 61, vielleicht noch vierzig Prozent hier, alles andere hatte sich abgesetzt, beziehungsweise durch Neuzuzug waren hier eben Bürger erschienen, die eben in dieser Gegend völlig fremd waren.

... aber sie blieben im Lauf der Jahrzehnte nicht fremd, und nach dem Untergang der DDR wurde Kleinmachnow zum Musterfall eines Kampfes, der bis heute in den Berliner Umlandgemeinden nicht zur Ruhe gekommen ist. Es ist ein Kampf um die Häuser und Grundstücke, um Besitz und Rückgabe, - eine erbitterte Auseinandersetzung, deren Anfänge und Ursachen schon in den frühen Jahren der DDR liegen.
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