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Patrick Müller ist der ungewöhnlichste aller Fernseh-Köche: In seiner Sendung "Silent Cooking" bereitet er Gerichte kommentarlos und völlig stumm zu

Liebesbeziehung zwischen Zutaten

Sieht mehr wie ein DJ als wie ein Koch aus – und schweigt am Herd: Patrick Müller.  Foto: ZDF/ORF

Sieht mehr wie ein DJ als wie ein Koch aus – und schweigt am Herd: Patrick Müller. Foto: ZDF/ORF

Von Verena Mayer

Patrick Müller schweigt und schnippelt. Erst Kartoffeln, dann Maiskolben, Petersilienwurzeln und drei Bündel Petersilie. Er schneidet die Haut einer Entenbrust ein, schält Karotten, hackt die Schokolade für die Nachspeise. Sein Gesicht sieht man nicht, sein Kopf ist über Pfannen und Töpfe gebeugt. Patrick Müller selbst aber sagt kein Wort. Man hört nur das Zischen des heißen Öls und das Klappern der Teller. Das wäre für einen Koch nicht weiter ungewöhnlich, in Müllers Fall hat es jedoch etwas fast Revolutionäres an sich: denn Patrick Müller ist Fernsehkoch.

"Silent Cooking" heißt seine Kochshow, die jeden Donnerstag Nacht auf 3sat läuft. Der Titel ist Programm. Eine gute Dreiviertelstunde lang gibt Müller keinen Mucks von sich, schaut nicht auf und hält nichts in die Kamera. Die wenigen unentbehrlichen Informationen werden in kurzen Text-Inserts wie "Kartoffeln herunter schneiden" oder "Wenden!" eingeblendet. Die meiste Zeit sieht man Müllers Hände. Wie sie sehr schnell ein sehr scharfes japanisches Messer führen, wie sie Fischstücke ins heiße Olivenöl gleiten lassen, eine Zitrone ausquetschen und danach blitzschnell einen Kern aus der Sauce holen. Die Hände des Kochs, feingliedrig und schmal, stehen in dieser Kochshow im Mittelpunkt, wie die Hände des Pianisten bei einem Klavierkonzert.

Beste Sendezeiten

Kochsendungen gibt es seit Beginn des Fernsehens. Hatte der erste deutsche Fernsehkoch, ein arbeitsloser Schauspieler, der unter dem Pseudonym Clemens Wilmenrod beim WDR Furore machte, 1953 gerade einmal eine Viertelstunde Zeit für ein dreigängiges Menü, belegen die Fernsehköche heute die beste Sendezeit. Sie haben ihre eigenen Sendungen, treten bei Johannes B. Kerner auf, führen Halbprominente in die Geheimnisse der Sterneküche ein. Und ob es bodenständig zugeht wie bei "Lafer! Lichter! Lecker!", proletarisch wie bei Tim Mälzer, oder ob sich die Köche mit mehr oder weniger Charme an ihr Publikum ranschmeißen wie in "Frisch gekocht" – in allen Kochshows wird pausenlos geredet. Über Nährstoffe und Vitamine, über das Einkaufen und die richtige Ernährung. Oder einfach darüber, wie lecker alles sei und wie einfach die Zubereitung.

Die Fernsehköche sind so etwas wie die Prediger des Medienzeitalters. Die Botschaft ist immer dieselbe: Jeder kann gesund leben, denn jeder kann alles nachkochen.

Patrick Müller hat dafür nichts übrig. "Ich habe keine Mission, ich will nichts erreichen. Und wie sich das Land ernährt, ist mir total wurscht." Müller sitzt in der Wiener Marx Restauration, für die er als Koch arbeitet, und in der auch die Kochshow aufgezeichnet wird. Er ist 28 Jahre alt, trägt Jeans und ein verwaschenes T-Shirt, auf dem Tisch liegt eine schwarze Baseballkappe – seine Kochmütze. Das dunkle Haar steht in Dreadlocks vom Kopf ab. Patrick Müller wirkt wie ein DJ mit einem sehr abseitigen Musikgeschmack. Auch im Interview verliert er nicht viele Worte. Fragen beantwortet er in kargen Sätzen, erst, als es um Zutaten geht, taut er ein wenig auf. "Zweierkombinationen mag ich. Tomaten und Koriander, Koriander und Karotten, Kaninchen und Kaffee zum Beispiel. Oder Meeresfisch und Obst, das sind Klassiker." Er spricht von "Liebesbeziehungen zwischen zwei Zutaten" .

Zum Kochen ist er zufällig gekommen. Zwei Monate vor der Matura hat er das Gymnasium abgebrochen und zu jobben begonnen. Er hat Lackfässer ausgewaschen, später hat er es in einer Küche versucht. "Ich habe gar nichts gekonnt, ich habe nicht einmal gewusst, wie eine Rindssuppe geht." Er verschlang Kochbücher und brachte sich die Grundlagen der Wiener Küche bei. Irgendwann landete er im Restaurant "Molina". Nach drei Wochen kam jemand vom "Gault Millau" vorbei. Patrick Müller kochte ein Wild-Gericht, das er sich selbst ausgedacht hatte. Und bekam dafür eine Haube.

Wie er so schnell geschafft habe, worauf andere Köche ein Leben lang hinarbeiten? Patrick Müller zuckt mit den Schultern und zündet sich seine dritte Marlboro an. "Ich glaube, es ist Talent." Er hat dann noch im Sheraton Hotel und in kleineren Wiener Spitzenrestaurants gearbeitet. Seit drei Jahren ist er Küchenchef der Marx Restauration.

Das Restaurant liegt auf dem Gelände des ehemaligen Schlachthofs St. Marx, dort, wo Wien wie eine abgezehrte osteuropäische Stadt wirkt. Noch. Irgendwann wird das vermutlich ein angesagter Ort sein, ein "Media Quarter" gibt es schon. Einstweilen ist auf dem riesigen Areal aber nur die ehemalige Betriebskantine der Fleischhauer in Betrieb – und genau sie ist jetzt die Marx Restauration.

Charakter einer Kantine

Das Lokal ist auf eine unaufdringliche Weise schick, dunkle Wände, die Küche ragt in den Raum hinein, durch einen Schlitz kann man den Köchen beim Arbeiten zusehen. An der Wand steht ein Büfett mit dem Mittagsmenü, es gibt Frittatensuppe, Szegediner Kraut mit Cidre, als Nachspeise Bananenbrot. Man habe den Charakter einer Kantine aufrecht erhalten wollen, sagt Patrick Müller. Das Restaurant lebt vom Mittagsgeschäft, das Müller als "Wirtshausküche light" bezeichnet. Ansonsten koche er "kreative österreichische Küche ohne Rindssuppe" .

Bei seinen Gerichten erschließt sich, allen Kombinationen zum Trotz, sofort der Charakter jeder einzelnen Zutat. Bei der kalten Tomatensuppe mit Heilbutt und Krabben lenkt nichts vom wässrig-klaren Inneren der Tomaten ab, der Rostbraten mit Apfel, Zwiebel und Wurzelgemüse ist eine strenge Inszenierung, in der alle Elemente zur Entfaltung kommen. "Etwas ist dann gut, wenn eine spannende Idee dahintersteckt, wenn alle Bestandteile einen Sinn ergeben" , sagt Patrick Müller. Nur Mehlspeisen, das tragende Element der Wiener Küche, macht Patrick Müller nicht gerne. Weil er die Dinge nicht mehr beeinflussen könne, sobald sie im Backrohr sind.

Karin Resetarits ist die Besitzerin des Restaurants. An diesem Abend findet eine geschlossene Veranstaltung statt. Karin bespricht mit Patrick noch einmal kurz den Ablauf. Was er kochen werde, erkundigt sie sich. Patrick zuckt mit den Schultern. "Das, wozu ich Lust hab’." Die Chefin nickt. Müller sagt, dass er nicht vordenken könne. Er komme von den Zutaten zum Gericht, von dem, was er auf dem Markt sehe. "Schönes Gemüse ist inspirierend." Ansonsten sieht er sich gerne Fotos an, "ich brauche das Visuelle" . Bilder seien ihm wichtig, auch Kunst. Er schreibt sich daher auch keine Rezepte auf, sondern fotografiert seine Gerichte.

Eines Tages trat man an ihn mit der Idee einer Kochsendung heran. Patrick Müller willigte unter der Bedingung ein, nichts sagen zu müssen. "Ich will niemandem etwas beibringen. Ich arbeite von Teller zu Teller. Kurz bevor man etwas angerichtet hat, kosten und sagen: Das ist gut." Die Redaktion hat die Stille im Nachhinein mit Ambiance-Musik unterlegt, wenn etwas besonders heftig brutzelt, hört man ein paar Gitarrenriffs. Den TV-Verantwortlichen gefiel das Ganze immerhin so gut, dass sie "Silent Cooking" einen Sendeplatz auf 3sat kurz vor ein Uhr in der Nacht einräumten.

Patrick Müller selbst sagt mit typischer Wiener Selbstironie, die eine Mischung aus Schüchternheit und Größenwahn in sich hat, dass seine Sendung wahrscheinlich nur von "Kiffern" gesehen werde. Das stimmt nicht ganz. "Silent Cooking" genießt inzwischen, wie man in diversen Blogs nachlesen kann, selbst unter Kochprofis Kultstatus.

Keine Dekoration

Der Erfolg dieses Fernsehkochs beruht kurioserweise auf der Verweigerung von allem, was fernsehtauglich ist. Patrick Müller schweigt nicht nur, sein Tempo entspricht auch realen Produktionsbedingungen einer Restaurantküche. Da sind keine Schalen vorbereitet, da wird kein Ablauf übersprungen – wenn fünf Karotten zu schälen und zu schneiden sind, dann werden fünf Karotten geschält und geschnitten. Nichts lenkt vom Akt des Kochens ab, und der kann eben auch ziemlich lang und manchmal ein wenig langweilig sein.

In "Silent Cooking" gibt es keine Dekoration, keine Assistenten, ja nicht einmal Mengenangaben. Es wird auch nicht mit Freunden oder den Produktionsleuten zusammen gesessen, wie etwa bei Jamie Oliver oder Tim Mälzer. Wenn Patrick Müller mit einem seiner drei Gänge fertig ist, stellt er den Teller in eine Durchreiche.

Aber spätestens dann, wenn Müller in atemberaubendem Tempo vor sich hin hackt oder ein paar Tropfen eines völlig überflüssig wirkenden Suds einem Püree beimengt, weil das eine Verbindung zwischen den beiden Zutaten herstellt – spätestens dann wird klar, dass man eben nicht alles nachmachen kann, wie einem das die anderen Fernsehköche suggerieren. Bei Patrick Müller lernt man, dass Kochen eine Kunst ist wie Klavierspielen. Eine Kunst, die man sich vielleicht autodidaktisch beibringen kann, für die aber Talent die wichtigste Voraussetzung ist – und, ja, natürlich auch ein bisschen Genie.

"Silent Cooking", jeden Donnerstag gegen 0.30 Uhr auf 3sat. http://www.3sat.de

MARX Restauration, Maria Jacobi Gasse 1, 1030 Wien, Tel. 51 500 500.

Verena Mayer, geboren 1972 in Wien, lebt seit 1999 als Journalistin in Berlin. Im "extra" schreibt sie regelmäßig die Kolumne "wien/berlin". Zuletzt ist von ihr (gemeinsam mit Roland Koberg) das (Taschen-)Buch "Elfriede Jelinek. Ein Porträt" im Rowohlt Verlag erschienen.

Freitag, 25. Jänner 2008

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