Vor zehn Jahren starteten die ersten ICE von Berlin nach Hamburg. Damals fuhren die Züge mit 160 Stundenkilometern. Seit die Strecke Ende 2004 für Tempo 230 freigegeben wurde, steigen die Fahrgastzahlen stark. In den letzten zwölf Monaten um 47 Prozent.
Foto: dpa
Am 29. Mai 1997 eröffnete die Deutsche Bahn zwischen Hamburg und Berlin die ICE-Verbindung. Für das Unternehmen ist dies ein gutes Geschäft
Jean Baptiste Schumacher liebt schnelle Zugfahrten. Ohne sie könnte der
Deutsch-Franzose seine Arbeit auch kaum verrichten. Der Kaufmann wohnt in
Hamburg und handelt in Berlin mit Immobilien. Mindestens zwei Mal pro Woche
reist Schumacher zu Besichtigungsterminen und Besprechungen an die Spree.
Meist mit dem Intercityexpress (ICE) der Bahn.
Schumacher ist damit in großer Gesellschaft. Denn die Bahnverbindung
zwischen den Metropolen Berlin und Hamburg ist für die Bahn zu einer
Erfolgsgeschichte geworden. Auf der rund 290 Kilometer langen Strecke
zwischen den beiden größten Städten Deutschlands sind mittlerweile täglich
im Schnitt 10000 Fahrgäste unterwegs, eine Steigerung von 47 Prozent
gegenüber dem Vorjahr. An Wochenend- und Feiertagen, wie etwa zu Pfingsten,
wurden auch schon mal bis zu 13000 Passagiere registriert. Grund für die
Fahrgastzugewinne ist der Ausbau der Strecke zwischen 2002 und 2004 auf
Tempo 230, was die Fahrzeit von zuvor oft weit mehr als zwei Stunden auf bis
zu 90 Minuten verkürzte.
Als der ICE-Verkehr am 29. Mai 1997
zwischen Berlin und Hamburg aufgenommen wurde, nutzten in den Folgetagen die
Strecke dagegen oft nur 6000 Fahrgäste. Die Züge waren zu langsam, fuhren
damals maximal 160 Stundenkilometer. Vor 1997 wurde die Strecke sogar nur
mit Tempo 120 befahren. Wegen der deutschen Teilung war in die Gleise kaum
investiert worden.
Ende der 60er-Jahre betrug die Fahrzeit häufig bis zu sechs Stunden. An der
innerdeutschen Grenze hielten die von der Deutschen Reichsbahn betriebenen
Züge, Grenzsoldaten der DDR stiegen zu, um Reisende zu kontrollieren. Aber
auch wenn sich die Züge wieder in Bewegung setzten, war diese keine Garantie
für schnelles Vorankommen. Wegen der zahlreichen Baustellen fuhren die Züge
manchmal sogar Schritttempo.
Lange Fahrzeiten vor dem Mauerfall
Auch Jean Baptiste Schumacher kann sich an die langen Fahrzeiten vor dem
Mauerfall gut erinnern. Der Immobilienmakler diente bis 1989 in der
französischen Garnison im Westteil Berlins. Mitunter nutzte er für die
Heimreise einen Zug der amerikanischen Alliierten. Der fuhr zwar über
Helmstedt und Richtung Hannover, war aber auch nicht viel schneller. Nur
dass zu diesen Zügen DDR-Soldaten keinen Zutritt hatten. „Das war für die
wie verbotenes Gelände. Es war eine verrückte Zeit. Befährt man heute die
Strecke, erinnert daran fast nichts mehr“, sagt Schumacher, während der ICE
am Stationsschild von Wittenberge vorbeirast.
Lange Zeit waren die schnellen Geschwindigkeiten auf der Trasse keine
Selbstverständlichkeit. Der Ausbau auf Tempo 230 wurde durch die Pläne für
den Transrapid blockiert. Die Bundesregierung unter Altkanzler Helmut Kohl
(CDU) wollte dort eine „Referenzstrecke“ für den Verkauf der
Magnetschwebebahn errichten. Nach der jahrzehntelangen Erprobung des
Transrapid im Emsland sollte dieser im „alltäglichen nutzerorientierten
Betrieb seine Leistungsfähigkeit zeigen“, wie es in einer Broschüre des
Verkehrsministeriums damals hieß. Dafür war Tempo 300 vorgesehen und eine
Fahrzeit zwischen Hamburg und Berlin von um die 55 Minuten kalkuliert.
Pech nur für die Politik, dass die Deutsche Bahn dabei nicht mitspielte. In
dem von Ex-Verkehrsminister Matthias Wissmann (CDU) unterstützten Vorhaben
sollte die Bahn den Magnetzug betreiben. Doch Vorstandschef Hartmut Mehdorn
lehnte ab. Der Transrapid sei „niemals profitabel“ zu betreiben, weil der
dafür notwendige Streckenausbau zu teuer sei, sagte der Bahnchef. Keine
Übertreibung. Die Referenzstrecke war mit mehr als zwölf Milliarden Mark
veranschlagt. Ähnlich utopisch war die Fahrgastprognose. Mehr als 40000
Passagiere erwartete das Magnetbahnkonsortium – täglich. Eine allzu
optimistische Annahme, die die rot-grüne Bundesregierung nicht mittragen
wollte. Sie entschied, das Vorhaben zu stoppen.
Streckenausbau für Tempo 230
Nachdem das Transrapid-Projekt im Jahr 2000 politisch beerdigt wurde,
entschied die Bahn, die Strecke für ihre regulären Züge für Tempo 230
auszubauen. 57 Bahnübergänge wurden dafür beseitigt. Die Investition dafür
nahm sich im Vergleich zum Transrapid geradezu läppisch aus: 630 Millionen
Euro. Am 12. Dezember 2004 war es dann so weit: Die ICE-Züge absolvierten
die Strecke in 90 Minuten. Sie sind dabei nur eine knappe halbe Stunde
länger unterwegs, als es der Transrapid gewesen wäre. Eine zum Auto
konkurrenzlos kurze Zeit.
Als sieben Jahr zuvor, am 29. Mai 1997, der planmäßige ICE-Verkehr zwischen
Berlin und Hamburg aufgenommen wurde, betrug die Fahrzeit noch 2 Stunden 15
Minuten, mitunter auch 2 Stunden 30 Minuten. Ein Wert, der bereits vor dem
Zweiten Weltkrieg erreicht wurde. Damals legte der legendäre
Schnelltriebwagen „Fliegender Hamburger“ die Distanz in 2 Stunden 18 Minuten
zurück. Selbst heute sind einige Züge nicht viel schneller. So benötigt etwa
der EC um 15.18 von Berlin-Hauptbahnhof nach Hamburg-Hauptbahnhof 1 Stunde
59 Minuten.
Während die schnellsten Bahnen auf der Strecke zwischen Berlin-Spandau und
Hamburg nicht halten, legen die anderen schon mal einen Stopp ein. Etwa in
Wittenberge, obwohl dort oft nur ein halbes Dutzend Passagiere zusteigt. Die
weitgehend deindustrialisierte Stadt hat nur noch um die 20000 Einwohner und
entsprechend wenig potenzielle Kunden. Ein für die Bahn kaum rentables
Geschäft. „Das Herunterbremsen und Beschleunigen eines ICE ist so teuer,
dass dies mit so wenig zusteigenden Passagieren nicht gerechtfertigt ist“,
sagte Bahnchef Hartmut Mehdorn, als der Ausbau der Strecke für Tempo 230
begann. Doch Mehdorn wurde durch die Politik überstimmt. „Es geht nicht,
dass wir das Land gänzlich von der Schiene abkoppeln“, sagte Brandenburgs
Ministerpräsident Platzeck (SPD). Und er setzte sich durch.
Seither halten wenigstens einige der ICE,
Intercitys und Eurocitys in Wittenberge. Der Rest der brandenburgischen
Städte entlang der Trasse zwischen Berlin-Spandau und Hamburg bleibt dagegen
von den schnellen Zügen abgekoppelt. Wo einst wegen Bahnübergängen nicht
schneller als 160 gefahren werden durfte, sprinten die Züge nun im Eiltempo
vorbei. Auf den kleineren Provinzbahnhöfen schützen Absperrgitter auf den
Bahnsteigen wartende Passagiere. Eine nötige Schutzvorrichtung: Die ICE
durchqueren die Stationen mit 230 Stundenkilometern.
Jean Baptiste Schumacher bekommt davon meist wenig mit. Unterwegs arbeitet
der Immobilienmakler oft mit seinem Laptop, erarbeitet Exposés oder setzt
Schreiben auf. Als er am Freitag im Zug nach Hamburg sitzt, hat neben ihm
eine junge Mutter mit ihrem Sohn Platz genommen. Seit dem Ausbau der Strecke
auf Tempo 230 fährt sie oft mit der Bahn nach Hamburg, wo ihr Freund wohnt.
Meist bucht sie den ICE – wegen des „supersuperschnellen Verkehrs“.