Redaktion der russischen Tageszeitung "Nowaja Gaseta"






Redaktion der russischen Tageszeitung "Nowaja Gaseta"

Für ihr engagiertes Eintreten für die Pressefreiheit wird die Redaktion der russischen Tageszeitung "Nowaja Gaseta" mit dem diesjährigen Henri Nannen Preis ausgezeichnet. Der renommierte Journalistenpreis wird am 11. Mai im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg vom Verlag Gruner + Jahr und dem stern vergeben.

Ausgezeichnet wird die gesamte in Moskau beheimatete Redaktion der "Nowaja Gaseta". Beharrlich berichtet sie über Korruption, Menschenrechtsverletzungen und Einschränkungen der Pressefreiheit in Russland und widersteht zahlreichen Einschüchterungsversuchen. Erst im Oktober 2006 wurde zum dritten Mal ein Redaktionsmitglied des Blattes ermordet: Anna Politkowskaja. Während des Tschetschenien-Krieges hatte sie Verbrechen der russischen Armee und der mit ihr verbündeten paramilitärischen tschetschenischen Gruppen aufgedeckt. Im Mai 2000 wurde Igor Domnikow erschlagen, im Juli 2003 starb Jurij Schekoschichina aus ungeklärten Gründen.

Die "Nowaja Gaseta" ist Russlands bekanntestes oppositionelles Blatt und damit der wohl wichtigste Gegenpol zu den staatlich kontrollierten Massenmedien. Andere Medien werden direkt oder indirekt vom Staat kontrolliert, die "Nowaja Gaseta" nicht. Das Blatt erscheint zweimal wöchentlich mit einer Auflage von rund 171.000 Exemplaren. 70.000 Leser klicken täglich seine Internetseite an. Einnahmen aus Anzeigen hat die "Nowaja Gaseta" praktisch nicht, weil sie von Unternehmen – auch von vielen europäischen Firmen auf dem russischen Markt – gemieden wird.

Dmitrij Muratow ist Chefredakteur der "Nowaja Gaseta" und wird am 11. Mai 2007 den Preis stellvertretend für das Redaktionsteam entgegennehmen. Er gehört zum Kreis jener russischen Intellektuellen, die seit der Perestrojka für Demokratie und Menschenrechte kämpfen. Muratow ist 45 Jahre alt und gründete vor 14 Jahren zusammen mit wenigen Journalisten, die bis dahin für die sowjetische Jugendzeitung "Komsomolskaja Prawda" geschrieben hatten, eine der ersten unabhängigen russischen Tageszeitungen. Daraus ging 1999 die „Nowaja Gaseta“, zu Deutsch "Neue Zeitung", hervor. Zur Redaktion gehören viele erfolgreiche und prominente Mitarbeiter, wie die Schriftstellerin Julij Latynina, der international renommierte Militärexperte Pawel Felgenhauer oder der ehemalige Armeeoffizier Wjatscheslaw Ismailow.

stern-Chefredakteur Andreas Petzold: "Mit Respekt und Bewunderung verfolgen wir seit Jahren den Kampf, den die Redaktion der 'Nowaja Gaseta' für Demokratie und Menschenrechte führt, gegen alle Versuche, die Medien ihres Landes unter Regierungskontrolle zu bringen und die Wahrheit in vielen Fällen zu verschleiern. Wenn es jemanden gibt, der in dieser Zeit einen ganz besonderen Einsatz für die Freiheit und Unabhängigkeit der journalistischen Berichterstattung leistet, dann sind das Dmitrij Muratow und sein Redaktionsteam."

Die Redaktion hat sich viele Feinde gemacht mit ihren Enthüllungsgeschichten, von denen sich manche wie Thriller lesen. Ihr gesellschaftliches Verdienst besteht vor allem darin, dass die Journalisten Informationen veröffentlichen, die sonst allenfalls Auslandskorrespondenten verbreiten. Von der Organisation "Reporter ohne Grenzen" wird Russland in einer weltweiten Rangliste der Pressefreiheit auf Platz 147 geführt und ist nach dem Irak das für Journalisten gefährlichste Land der Welt. In den vergangenen 15 Jahren wurden dort 211 Medienangehörige ermordet.

Anlässlich der Verleihung des Henri Nannen Preises brachte der stern in seiner Ausgabe 18 vom 26. April 2007 ein Porträt über die "Novaja Gaseta" mit dem Titel "Die letzte freie Stimme Russlands". In den Anfängen der "Novaja Gaseta", so erzählte der Chefredakteur, quetschten sich 30 Journalisten in einen Raum und schrieben auf Knien, denn für Schreibtische hätten Platz und Geld gefehlt. Umso mehr überraschte es die Redakteure, als Muratow nach dem Tod von Anna Politkowskaja mit dem Gedanken spielte, die "Nowaja Gaseta" aufzulösen. Die Zeitung wurde nicht eingestellt. Stattdessen verkaufte Muratow 49 Prozent der Redaktionsaktien an Ex-Präsident Michail Gorbatschow und an den Bankier Alexander Lebedew. Die Redaktion trotzt weiter den Vorfällen und benannte nach jedem der drei Toten jeweils ein Ressort; das für investigative Recherchen trägt nun den Namen "Anna Politkowskaja".