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Josef Winkler |
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Winkler, der hinter einer Ich-Figur immer wieder hervorlugt, gelegentlich mit ihr zu verschmelzen scheint (aber man sollte nicht hereinfallen und das als pure Berichte lesen), betreibt in dieser Prosa die intensive, zornige, verstörende und fast selbstzerstörerische, gleichzeitig dezidiert moralische Auseinandersetzung mit seiner Kindheit in Kärnten, dem kreuzförmig geformte[n] Dorf mit zweihundert Menschenseelen Kamering, erzählt von seinem Vater, diesem autoritären, dominanten, geliebten und gehassten Ackermann, seiner irgendwann in Depression erstarrenden Mutter und einer zutiefst menschen- und lebensfeindlichen Dorfgesellschaft und deren Mystizismus. Die immer wiederkehrenden Bilder, manchmal fast redundant, mit einer expressiven und wuchtigen Intensität, mit Wörtern, die treffen wie die sprichwörtliche Axt im Gefrorenen – das Leiden des Erzählers an dieser engstirnigen, hässlichen, vom Katholizismus verunstalteten Welt (hier auch eine Parallele zu Bernhard) bekommt nicht nur eine hohe Authentizität (das alleine wäre noch gar nichts). Es geht um mehr, Winkler ist fasziniert und abgestossen vom Tod und – das ist das Paradoxon – auch gleichzeitig vom Leben. Wenn andere wegsehen, zoomt Winkler näher auf das Objekt; verdichtet die Perspektive. Er will, nein: er muss sich und uns quälen durch den genauen Blick, das immer wieder und wieder erzeugte, herbeiphantasierte, umkreiste Bild. Und fast "nebenbei" erzeugt diese Prosa eine moralische Katharsis beim Leser. Winkler zeigt sich bloss und schutzlos. Mit nichts anderem ausgerüstet als seiner Wahrnehmung – und dem Schreiben. Wenn Winkler über die Selbsttötung der beiden Jungen Jakob und Robert paraphrasiert, die, weil sie es nicht mehr aushielten ob ihrer Homosexualität im Dorf denunziert zu werden, mit einem drei Meter langen Kalbstrick über eine Holzleiter des Pfarrhofstadels zu einem Trambaum stiegen, das Seil um ihn legten und die beiden Seilenden hinter ihren linken Ohren verknoteten, dann lässt einem dieses Bild, die Szene lange nicht los. Ihre Hände flochten sich zu einem Zopf ineinander, immer schneller im Kreis sich drehend, wirbelten sie wieder auseinander kamen vor ihren blutunterlaufenen Augen zum Stehen. Und dann dieses Motiv immer wieder und wieder und dann das nachträgliche Töten mit Worten dieser armen Burschen durch die Dörfler, dieses Verhindern des Begrabens in "geweihter Erde" und – ja, das ist natürlich der Auslöser oder schwingt wenigstens mit – das parallele Outing (Selbst-Outing) des Ich-Erzählers, der, fast aus einer gewissen Solidarität, aber auch mit Angst seine Homosexualität an sich entdeckt. Eine vordergründige Lesart eines Bashing einer archaischen Dorfkultur wäre viel zu kurz gegriffen. Winkler bzw. die Ich-Figur erleidet all das. Er sitzt nicht im Ohrensessel und schimpft, sondern steckt mittendrin – selbst beim Schreiben. Seine unmittelbaren literarischen Vorbilder (ohne epigonal zu sein) sind Jean Genet (dem er in einem kleinen Buch ein Denkmal setzt) und Hans Henny Jahnn. Winkler ist von all dem abgestossen und – das merkt man beispielsweise an der Setzung seiner Kirchensymbolik, deren grandioser Höhepunkt ihm 2001 in der Novelle "Natura morta" in der Darstellung einer "wandelnden Pietà" (Winkler im Gespräch mit Matthias Prangel) gelingt – gleichzeitig fasziniert. Bei allem Furor - es bleibt immer auch Ambivalenz; Sehnsucht. Nach einem längeren Italienaufenthalt erscheint 1990 eines sein vielleicht bestes Buch: "Friedhof der bitteren Orangen". Auch hier lässt ihn seine nekrophile Neugier keine Ruhe. Und alles, was er sieht und wahrnimmt, auf dem Markt, auf den Strassen, in den Wohnungen, findet Niederschlag in seinem Strassennotizbuch, auf dem die eingetrockneten und eingekleideten Leichen der Bischhöfe und Kardinäle aus den Kapuzinerkatakomben in Palermo abgebildet sind. Man kann, wenn man erst einmal in dieses Buch hineingefunden hat, diesem Sog gar nicht mehr entgehen und wird zum Mit-Flaneur in Winklers Welt. Winkler wechselt dann einige Jahre später in seinem Indien-Roman "Domra – Am Ufer des Ganges" zwar nicht das Sujet, aber die Kultur – und auch ein bisschen seinen Stil. Das expressive, wuchtige Erzählen weicht meist zu Gunsten einer fast kontemplativen, aber bei aller Ruhe durchaus weiterhin bilderintensiven und genau beobachtenden Sprache. Während bisher personalisierter Furor und das Schauen eine Synthese eingingen, die nicht voneinander zu trennen waren (und beispielsweise eine Verfilmung zur Reduzierung auf nur eine Ebene geführt und somit unweigerlich zum holzschnittartigen Abfilmen geführt hätte), schildert Winkler nun mit schier unendlicher Ausdauer einen Ich-Erzähler, der die Vorbereitungen, ritualisierten Zeremonien und skurrilen Begebenheiten bei der Einäscherung von Leichen am Ufer des Ganges akribisch notiert. Insofern wird ein deutlich stärker eidetischer Standpunkt eingenommen. Wer hier übrigens skandalträchtiges herausliest, etwa in den plastischen Schilderungen von brennenden Menschenkörpern, aufplatzenden Gehirnen, herausquellenden Eingeweiden oder mit noch heissen Leichenteilen herumlaufenden Hunden, übersieht, dass Winkler keine Provokation auslösen will. Es geht darum, so schreibt er, die unzähligen kleinen Beobachtungen genau und detailliert in meine Notizbücher ein[zu]tragen, um sie einerseits festzuhalten, nie zu vergessen, andererseits aber, um sie loszuwerden, von mir zu stoßen. Es geht letztlich um die Interdependenz zwischen Leben und Tod und diese Reflexionen sind unabhängig vom tatsächlichen Ort, ob in Kamering, in Rom oder am Ufer des Ganges. Hierin liegt die Verbindung zwischen den Büchern, die in Kärnten und Italien spielen und jenen Bilderzählungen aus Indien. Die Emanzipation vom eigenen Leid, diese Form der Distanzierung, die sich mit den Indien-Büchern zeigt, setzt sich auch in Winklers neuestem Buch "Roppongi" fort. Und der Untertitel "Requiem für einen Vater" lässt ahnen, was geschehen ist. Der Ackermann aus Kärnten ist 99jährig gestorben. Der Ich-Erzähler, der auch schon mal Josef Winkler heisst, erfährt dies bei einer Lese- und Vortragsreise in Japan; in einem Vorort Tokios mit dem Namen Roppongi. Winkler entwickelt in Rückblenden aus der jüngeren Vergangenheit und durchaus selbstkritischen Einsichten zum Furor seiner Kärnten-Trilogie noch einmal bekannte Motive. Er nimmt aber auch beispielsweise den Ausspruch seines Vaters, dass er, Winkler, nach seinem Tod keinen Gegenstand mehr habe, über das er schreiben könne, auf. Wie überhaupt der Leser mehr über die Resonanz von Winklers Büchern im Dorf und in der Familie erfährt. Seltsam auch dieses Zitat seines Vaters "Du kannst über mich schreiben, was Du willst, wenn es Dir nur hilft, aber lass die beiden erhängten Buben im Dorf in Ruh!" (und er lässt sie in Ruh, dieses Motiv fehlt im neuen Buch). In diese Richtung geht auch des Vaters Diktum: Ich sage dir eines, mein Sohn. Wenn es soweit ist, ich möchte nicht, dass du zu meinem Begräbnis kommst. Vorderhand stellt der Vater dies als Schutzmassnahme für den Sohn dar, dessen Schilderung einer Dorfszene offensichtlich zu eindeutigen Drohungen gegen den Schriftsteller führte. Winkler erwähnt diesen Gedanken nur einmal – im weiteren Verlauf interpretiert er diese Aussage zwischen Fluch, Wunsch und Vermächtnis. Dazwischen schieben sich immer wieder Elemente aus seinen Indienreisen, von den Einäscherungsplätzen. Und besonders bizarr (in diesem Sinne aber typisch) am Anfang die fast wissenschaftlich anmutende, letztlich jedoch allegorische Epopöe über den Tod von Millionen von Geiern in den letzten Jahren in Indien, Pakistan und Nepal – wegen des Schmerzmittels Diclofenac, welches auch in der Veterinärmedizin der Länder eingesetzt wurde, und welches die Geier über den Verzehr der Kadaver aufnahmen. Dieses Schmerzmittel verursachte jedoch bei den Vögeln nach wenigen Tagen ein absolutes Nierenversagen und führte zum Massensterben der Tiere. Nach der Gewissheit des Todes des Vaters (ein paar Stunden bleibt dies in der Schwebe, da man in der Botschaft zunächst nur von einem Todesfall in der Familie spricht), reflektiert Winkler tausende von Kilometern entfernt über all die Konfrontationen mit Toten und den zahlreichen Beerdigungen, die er in Kamering seit seinen frühesten Kindertagen erlebt hat. Er phantasiert teilweise diese Beerdigung vor seinem geistigen Auge. Es ist ihm nicht mehr möglich, direkt teilzunehmen; es findet sich so schnell kein Rückflug. Unverhofft erfüllt sich der Wunsch des Vaters. Diese reflexiven, wieder-holenden Passagen der fast unzähligen Beerdigungen zu Kamering und deren bis ins Kleinste ritualisierten Abläufe sind die stärksten in diesem Buch. Und weit mehr als in seinen Büchern vorher wird hier eine Sehnsucht fassbar. Und die Unmöglichkeit, diese jemals erfüllt zu bekommen. So hat der Abschied von seinem Vater durchaus etwas von einer Liturgie. Nur, dass dieses eines Wort, welches die Seele gesund macht, offensichtlich nie gesprochen wurde. In Varanasi, so schreibt Winkler am Schluss, wird der Tod weder geleugnet noch gefürchtet, sondern als lang erwarteter Gast willkommen geheißen. Und sofort die Reflexion: Abends, wenn es bereits finster ist und immer noch, bis weit in die Nacht hinein, die Toten eingeäschert werden, hört man zur immerselben Stunde ringsum von den Tempeln, wenn die heiligen Rituale beginnen und die Götter ausgeweckt werden sollen, das Geläute der Glocken. Nicht selten, besonders abends, meistens gegen sieben Uhr, stand ich in Angst, manchmal auch in Todesangst am Ufer der Ganga und erinnerte mich an die Glocken meines Heimatdorfes, vor allem an das abendliche Betläuten und an das Zügenläuten mit der kleinsten Glocke, wenn im Dorf kundgetan werden soll, dass jemand gestorben ist, man bei der Stallarbeit der Kopf hob und horchte, froh war, selber noch am Leben zu sein, […] uns fragten, wer denn wohl gestorben sein könnte, wer todkrank oder wer der Älteste ist, und wer denn nun, wie es in der Partezettelsprache heißt, allzu früh von uns gegangen ist.
Erst mit dem
eigenen Tod, dessen Zügenläuten man nicht mehr hört, löst sich die
Todesangst auf. Man muss erst sterben, um keine Angst mehr vor dem Tod
zu haben. Dieses Paradoxon und der unauflösbare Widerspruch, den Tod
einerseits als willkommen zu nehmen, anzunehmen, und andererseits der
Erleichterung, selber noch am Leben zu sein, speist die Literatur
von Josef Winkler. Und ich hoffe, noch vieles hierzu von ihm zu lesen.
Lothar Struck |
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