Helgoland: 18. April 1947: Die Sprengung
So sehen die alten Helgoländer dann auch den nächsten Schlag auf sich und die Insel zukommen: Auf der Festungsinsel lagern noch Tausende Tonnen Munition. Und mehr und mehr Bomben werden vom Festland hergeschafft. Hier geht der Krieg weiter. Denn auf der kleinen Insel wird eine der größten Explosionen der Weltgeschichte vorbereitet. Halb so groß wie die Atombomben-Explosion von Hiroshima. Die Briten transportieren kistenweise Handgranaten und Sprengstoff in die Bunker und bringen Zünder für die Sprengung an.
Brian Butler war 1947 Marine-Leutnant. Er bewachte Helgoland von See aus, er half, die Sprengung vorzubereiten, und er fotografierte: "Ich habe damals nicht gedacht, dass das gefährlich ist. Obwohl wir wirklich Blödsinn gemacht haben. Wir haben diese Sprengstoffkisten einfach mit einer Axt aufgeschlagen und in den Bunker geworfen. ... Ich denke, es ist ein wunderbarer Ort. Der Sandstein, der Fels, die ganze Insel ist sehr interessant."
Niemand weiß, ob die Insel nach der Sprengung wieder bewohnbar sein wird. Davon hängt das Schicksal Tausender Helgoländer ab, die sehnsüchtig auf die Rückkehr auf ihre Insel warten. Der ehemalige Marine-Leutnant Brian Butler erinnert sich: "Wir fuhren mit unserem Boot zehn Meilen von der Insel weg und warteten. Das war so um 10 Uhr morgens. Wir wurden immer aufgeregter. Wie wird die Explosion sein? Funktioniert alles? Wird das eine erfolgreiche Operation?"
Ein Grollen, eine Rauchwolke, ein mächtiger Druck – bei der Detonation sind 6,7 Tonnen Sprengstoff auf der Insel in die Luft gegangen. Brian Butler denkt zurück: "Ein wenig später konnte ich sehen wie sich die Wasseroberfläche kräuselte. Das Meer war sehr ruhig an dem Tag. Und dann spürten wir eine sehr warme Böe und schließlich einen leichten Wind, der das Meer weiter kräuselte. Das war dann wirklich alles, was wir noch sahen und hörten."
Die Helgoländer denken, ihre Insel sei total zerstört. Doch die Form der Insel blieb einigermaßen erhalten und auch die Lange Anna stand noch an der Spitze. "Da waren wir natürlich alle froh. Deet lövet noch haben wir gesagt – es lebt noch", sagt Anna Symicek. Für Erna Rickmers war es sozusagen ein Geschenk: "Das erleichterte uns unheimlich. ... Da wussten wir, irgendwann geht's wieder zurück. Die Hoffnung starb nie."
Ein riesiger Trichter an der Südspitze der Insel - das ist die sichtbarste Folge der Sprengung, bis heute. Dort war Hitlers Bollwerk in den Fels gehauen, ein Labyrinth, Hunderte Meter lang. Nur das ist gesprengt und verschwunden, aber es hält sich ein Mythos wie René Leudesdorff weiß: "Es gibt bis heute noch die Meinung, dass die Insel als ganze zerstört werden sollte und dem Erdboden, dem Meeresboden gleich gemacht werden sollte. Das ist nie der Fall gewesen. Es hat niemals einen Befehl gegeben, die Insel total zu sprengen. Der Befehl lautet auf die Zerstörung der militärischen Anlagen auf Helgoland."
Die Insel war nach der großen Sprengung gründlich entmilitarisiert und keine Gefahr für den Frieden. Ein menschenleerer Fels in der Nordsee. Für die Helgoländer gab es da nur noch einen Gedanken: "Ja, es kann wieder angefangen werden. So haben wir es zumindest geglaubt. Nun können wir wieder anfangen. Aber es war nicht so. Und dann ging ja der Kampf erst richtig los", sagt Anna Symicek.
Dass der Kampf erst richtig los ging, lag an der britischen Besatzungsmacht. Auch zwei Jahre nach dem eigentlichen Kriegsende ist Helgoland für die britischen Weltkriegssieger nicht Heimat von Menschen, sondern "ein hervorragendes Bombenziel", wie René Leudesdorff weiß: "Umgeben von 50, 60 Kilometern Wasserfläche zum Festland hin. Schön aus dem Meer herausragend. Und vor allem kein eigenes Gelände. Fünf Jahre nach dem Krieg wäre jeder britische General, der ein britisches Gelände oder eine britische Insel statt einer deutschen Insel bombardiert hätte, von der öffentlichen Meinung weggefegt worden. Das muss man einfach psychologisch einmal so verstehen. So schlimm es für unsere Seite war."
So ist Helgoland der einzige Teil Deutschlands, der weiter bombardiert wird. Hier ist der Krieg nicht zuende. Aber nun wird die deutsche Öffentlichkeit aufmerksam. Im April 1950 berichtet die Deutsche Wochenschau: "Deutschlands schönste Insel der Nordsee – Helgoland – steht in diesen Tagen erneut im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Die Insel ist menschenleer, ihre Oberfläche gleicht einer Kraterlandschaft. Unterland und Düne veranschaulichen die Verwandlung Helgolands in eine Toteninsel."