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MATTHIAS BRANDT - BESSER SPÄT ALS NIE

ARTE FILM


DIE ZWEITE FRAU
Freitag • 21. November • 21.00

Matthias Brandt spielt Erwin Kobarek. Einen Mann, der mit 40 endlich erwachsen werden möchte. Doch dazu braucht er eine Frau. Und keine Mutter mehr. Ein Interview über die Geschichte einer Emanzipation.

Seine erste große Filmrolle war die des Spions Günter Guillaume, dessen Enttarnung 1974 unter anderem zum Rücktritt seines Vaters Willy Brandt führte. Matthias Brandt ist der jüngste Sohn des Altkanzlers und er ist ein bemerkenswerter, vielfach ausgezeichneter Schauspieler – im Theater ebenso wie im Film. Auf ARTE ist der bescheidene Star in diesem Monat in Hans Steinbichlers „Die zweite Frau“ als Muttersöhnchen Erwin Kobarek zu sehen, der mit 40 Jahren ein unbeschriebenes Blatt in Liebesdingen ist und nun beschließt, dies zu ändern. Mit dem ARTE Magazin sprach Matthias Brandt über Spätzünder wie Erwin und seine Liebe zur Kamera.

ARTE: In „Die zweite Frau“ spielen Sie Erwin Kobarek, der mit 40 nicht nur die Selbstständigkeit, sondern auch die Liebe lernen muss. Was ist das für ein Mensch?
Matthias Brandt: Einer der wesentlichen Ansätze dieser Rolle war für mich der Versuch, einen 17-Jährigen im Körper eines 40-Jährigen zu spielen. Jemanden, an dem bestimmte Dinge vorbeigegangen sind, ohne dass man das als Beschränkung bezeichnen könnte. Der Regisseur Hans Steinbichler und ich haben immer gesagt: „Für den haben sich ganz bestimmte Dinge im Leben noch nicht ergeben“, – die man normalerweise in diesem Alter natürlich längst erlebt hat.

ARTE: Was haben Sie für ein Verhältnis zu solchen Spätzündern wie Erwin einer ist?
Matthias Brandt: Ich habe ein Faible für Außenseiter, finde Eigenheiten, Merkwürdigkeiten interessant und sympathisch. Mir sind Normen dafür, wie ein Leben abzulaufen hat – zumal ein Liebesleben – zutiefst fremd. Erwin Kobarek gehört zu den Leuten, die es im Leben nicht leicht haben und die für ihr So-Sein verspottet werden, aber bei allen komischen Facetten dieser Geschichte war es mir sehr wichtig, diese Figur nie bloß-zustellen, sie nicht der Lächerlichkeit preiszugeben.

ARTE: Mit seiner Mutter beschließt er, sich an eine Heiratsvermittlung zu wenden. So lernt er die junge
Rumänin Irina kennen. Was bewirkt diese Frau in Erwin?
Matthias Brandt: Erwin wacht auf, er erlebt zum ersten Mal die Liebe. Bei jemandem, der schon so lange ohne dieses Gefühl gelebt hat, hat das natürlich auch eine große Verunsicherung und Ungeschütztheit zur Folge.

ARTE: Was ist die wichtigste Veränderung?
Matthias Brandt: Es ist schön zu beobachten, wie ein sehr ängstlicher Mensch wie Erwin auf einmal seine Angst verliert. Das zu sehen, nicht nur bei dieser Figur, sondern grundsätzlich, ist ein Vorgang, der für mich anrührend ist. Erwin wird an einen Punkt getrieben, an dem er nichts mehr zu verlieren hat. Wahrscheinlich brauchte er diesen Moment, um aufzuwachen. Und zu handeln.

ARTE: Man schaut den Film und weiß nie, ob er eine Komödie oder eine Tragödie ist – in welche Richtung die Handlung in der nächsten Minute geht. Weil die Gefühle der Protagonisten so unberechenbar sind. Wie schafft es der Regisseur, die Schauspieler zu solch schauspielerischen Leistungen zu bewegen?
Matthias Brandt: Hans Steinbichler ist ein sehr genauer Beobachter und hat den Anspruch der emotionalen Glaubwürdigkeit. Er weiß genau, was er will, und lässt den Schauspieler auch nicht mit weniger davonkommen. Ich habe auch schon Regisseure erlebt, bei denen konnte man – mit den Worten eines Hochspringers gesprochen – auch mal unter der Latte durchlaufen. Bei Hans Steinbichler muss man schon drüber springen. Dafür liebt er einen dann aber auch.

ARTE: Sie haben lange Zeit nur Theater gemacht, von 1985 an. Seit 2000 spielen Sie vor allem für Film und Fernsehen – sind Sie ein „Zelluloid-Spätzünder“…?
Matthias Brandt: Ja, wenn man so will. Ich bin nach den Maßstäben des deutschen Fernsehens als Methusalem hinzugekommen.

ARTE: Welche Vor- oder Nachteile sehen Sie darin?
Matthias Brandt: Durch eine relativ lange Zeit am Theater habe ich mein Handwerk gelernt. Mehr Berufs- und Lebenserfahrung tut ganz gut, um bestimmte Aufgeregtheiten im Fernsehgewerbe ein bisschen nüchterner betrachten zu können.

ARTE: Was ist für Sie der größte Unterschied zwischen Theaterbühne und Filmset?
Matthias Brandt: Das Theater hat den unglaublichen Luxus Zeit. Es ist schon schön, im Regelfall acht Wochen für die Proben zu haben. Film ist oft Hetze. Auf der anderen Seite ist das Gefühl auch toll, wenn eine Szene gelungen ist, zu wissen, die Kamera ist gelaufen, alles ist festgehalten. Im Theater kann ich mich zwar nach der Vorstellung freuen, wenn es gut war, aber ich weiß: Am nächsten Abend muss ich das wieder herstellen und weiß nie, ob mir das gelingt. Für mich war es eine Entdeckung festzustellen: Ich mag die Kamera! Weil sie so genau hinschaut. Ich muss beispielsweise keine Übersetzung für einen seelischen Vorgang finden, damit man den auch in der 20. Reihe noch sieht. Es ist interessant, dass es beim Film sehr oft darum geht, eben gar nicht mehr zu spielen, sondern nur noch darum, präzise zu denken. Das bildet sich dann ab. Ohne, dass man das ausspricht oder dafür eine große Geste findet.

ARTE: Was sind Ihre aktuellen Projekte?
Matthias Brandt: Ich habe gerade mit großem Spaß einen Film mit Hape Kerkeling gedreht.

ARTE: Ist das der, in dem Sie auf einem Elch reiten?
Matthias Brandt: (lacht) Ja, das war wirklich witzig! Es ist die Verfilmung eines Drehbuchs von Hape Kerkeling, das er mit den Regisseuren Angelo Colagrossi und Angelina Maccarone geschrieben hat. Es spielt in Norwegen und heißt „Ein Mann, ein Fjord“. Es war ein sehr erfolgreiches Hörbuch, das er selbst eingelesen hat.

ARTE: In welcher Rolle kann man über Sie lachen?
Matthias Brandt: Ich spiele zusammen mit Johanna Gastdorf ein Tierarztehepaar am Rande des Nervenzusammenbruchs.

ARTE: Gibt es eine Rolle, die Sie gerne einmal spielen würden?
Matthias Brandt: Das ist irre schwierig zu sagen. Ich hänge eher an Konstellationen und Leuten, mit denen ich gerne arbeite, z.B. Juliane Köhler, Jan-Gregor Kremp, Götz George. Oder so feine Regisseure wie Matti Geschonneck, Stefan Wagner, Claudia Garde. Steinbichler natürlich. Gegenüber Wunschrollen bin ich skeptisch. Vom Theater her weiß ich, dass Wunschrollen mich befangen machen, wenn ich sie dann endlich spielen darf. Eine gewisse Distanz der Rolle gegenüber tut der Arbeit meistens gut.

ARTE-Gastautorin Dorothea Grass für das ARTE Magazin

ARTE PLUS

KURZBIOGRAFIE MATTHIAS BRANDT:
geb. am 7. Okt. 1961 in Berlin; jüngster Sohn von Rut und Willy Brandt; Schauspielstudium in Hannover; ab 1985 Engagements an Theatern, u. a. in Mannheim, Bochum, Frankfurt und Zürich; ab 2000 Fernsehrollen.

AUSZEICHNUNGEN: 2006 Bayerischer Fernsehpreis für „In Sachen Kaminski“; 2007 Adolf Grimme-Preis für „Amies Welt“; 2008 u. a. Goldene Kamera als Bester deutscher Schauspieler

Erstellt: 23-10-08
Letzte Änderung: 30-10-08