Laudatio
auf den Wilhelm-Busch-Preisträger Vicco von Bülow
Dr. Martin Tschechne
Stadthagen, 23. Oktober 2007
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen aus der Jury des Wilhelm-Busch-Preises, sehr verehrter, wenngleich
sehr abwesender Preisträger
Geboren in Norddeutschland – das ist schon mal ein sehr,
sehr guter Anfang. Das prägt die Weltsicht und den Witz, friesischer Frohsinn,
hannöversche Hintergründigkeit, märkische Markanz,
der baltische Blick für Blödheit und Borniertheit …
Aber ich verzettele mich schon, kaum dass ich angefangen
habe. Geboren also in Norddeutschland, und – so viel bleibt hier festzuhalten:
das prägt. Den trockenen Witz, die Nüchternheit in der Betrachtung, die
Zurückhaltung im persönlichen Auftritt. Wir werden darauf zurückkommen.
Dann aber, in jedem Fall: weit herumgekommen, ein bisschen
vom Schicksal getrieben, ein bisschen von Neigung gelockt, quer durch
Deutschland, hin und zurück; die Kunstakademie besucht, mit Malerei begonnen,
ganz ernsthaft, aber populär geworden als Zeichner, ungeheuer populär, jedem
Kind im Lande ein Begriff. Und das schon im mittleren Alter. Alsdann, im
weiteren Verlauf des Lebens: das Medium gewechselt, vom Zeichnen zum Schreiben
gefunden, auch da mit spitzer Feder und präziser Beobachtung die kleine Form zu
großer Kunst erhoben, Gedichte geschrieben, Stücke inszeniert oder eigentlich
eher Sketche, Dramen und Dramoletts aus der Tiefebene
des wirklichen Lebens auf die große Bühne gebracht. Na, Sie merken schon, von
wem hier die Rede ist. Er definiert schließlich den Anlass, zu dem wir hier
zusammen gekommen sind: Ganz genau, wir sprechen natürlich von – Wilhelm Busch.
Heute Abend wird der Wilhelm-Busch-Preis verliehen, doch er
wird verliehen – wieder einmal, nach Robert Gernhardt
im vergangenen Jahr – an einen Mann, dessen Leben und Werk, vor allem aber:
dessen Weltsicht und Humor so viel mit Wilhelm Busch zu tun haben, dass man
entweder a) verblüfft den Unterkiefer sinken lassen oder sich b) eingeladen
fühlen kann, Muster dahinter zu suchen, Regelmäßigkeiten zu entdecken, zu
versuchen, dem Witz zu seinen Wurzeln zu folgen.
Das fängt an bei den ganz erstaunlichen Parallelen in den
Biografien. Sie werden das natürlich sofort bemerkt haben, wir haben ja heute
Abend hier unsere Humor-Antennen auf volle Empfangsstärke eingestellt: Die
eingangs angeführten biografischen Eckdaten – geboren in Norddeutschland, die
relativ früh erreichte Popularität, der Wechsel der Genres – das alles trifft
auf Wilhelm Busch genauso zu wie auf den, der hier heute Abend zu ehren ist,
auf Bernhard Victor Christoph-Carl von Bülow, besser bekannt als Vicco von
Bülow, noch besser als Loriot.
1923 geboren in Brandenburg, also da, wo Preußen am entschiedensten preußisch ist. Aufgewachsen dort, in Berlin
und in Stuttgart, Abitur in Northeim, Studium der Malerei und Grafik an der
Kunstakademie in Hamburg. Zunächst Arbeit als Werbegrafiker, dann erfand er das
Männchen mit der charakteristischen Knollennase, arbeitete für den Stern, für
Weltbild und Quick – und war schon in den fünfziger Jahren ein berühmter
Cartoonist. Sagen Sie bloß nicht, Sie hätten nie von „Reinhold dem Nashorn“
gehört, Sie kennen nicht den albernen, aber so über die Maßen enthüllenden
Rollentausch von Herr und Hund in „Auf den Hund gekommen“ – Vorwort: Wolfgang
Hildesheimer, vom Verlag angekündigt als "heiter bis boshaft", und
das paßte: Die Verbindung zum Diogenes Verlag steht
seit über 50 Jahren. Und natürlich kennen Sie die Kochrezepte für „Dackel im
Schlafrock“, „Jäger im Reisrand“ oder die unentbehrlichen Ratschläge für das
Benehmen in besseren Kreisen. Denn genau darum kreiste damals ja alles Sinnen
und Trachten der deutschen Mittelschicht: um den Aufstieg von der mittleren mittleren in die obere mittlere Kategorie, um Opel Rekord
statt Käfer, um Missgunst und kleines Karo, um den Drang, der schmählichen
Biederkeit zu entfliehen und die Sehnsucht, ein Leben in Noblesse, Eleganz und
Stil zu genießen. Wir sind schließlich wer.
Von heute aus sieht das alles ziemlich lächerlich aus. Warum
wir es so lächerlich finden? Das hat auch mit Loriot zu tun. Wir kommen darauf
zurück.
Dann (und bitte achten Sie weiterhin auf die biografischen
Parallelen zu Wilhelm Busch, selbst wenn die sich zu verflüchtigen scheinen)
dann wechselte er das Medium, ging zum Fernsehen, erfand die
Zeichentrick-Figuren Wum und Wendelin für die Show
von Wim Thoelke im ZDF, vertonte sie auch selbst, schrieb Sketche für eigene
Shows und spielte sie mit der wundervollen Evelyn Hamann. Nach diesen Sketchen
übrigens bekam das berühmte Loriot-Sofa seinen Namen. Bitte lassen Sie sich das
auf der Zunge zergehen: ein Möbel, das nach einem Komiker benannt jedem sofort
ein Begriff ist! Er drehte Filme, schrieb Gedichte, Prosa und Reden zu allen
Gelegenheiten. Diese Reden! Keiner, der jemals eine Rede halten will, sollte
vorher gelesen haben, mit welch gnadenloser Noblesse Loriot hier eine ganze
Kulturtechnik der Lächerlichkeit preisgibt: Einer steht und spricht, und viele
hören zu. Einfach eine lächerliche Situation. Und lächerlicher Unfug, der dabei
verzapft wird! Wenn Sie’s bei Loriot lesen, können Sie nie wieder den Worten
eines Vereinsvorsitzenden lauschen, einer Laudatio, ohne dass dieses wissende,
maliziöse Lächeln um Ihre Mundwinkel zuckt. Haben Sie’s etwa gelesen? Zuckt
was? Ach ja: Loriot dirigierte sogar die Berliner Philharmoniker.
Also gut: Wilhelm Busch hat keine Filme gedreht, kein „Ödipussi“, kein „Pappa ante
Portas“, und seine Dramen hat er (mal abgesehen von einem frühen, peinlichen
Abstecher ans Dorftheater) als gezeichnete Bildergeschichten unters Volk
gebracht. Aber das ist nur und ausschließlich damit zu erklären, dass es zu
seinen Lebzeiten Film und Fernsehen noch nicht gab. Sonst – davon bin ich
überzeugt – sonst hätten die beiden sich Konkurrenz gemacht.
Ein paar Minuten zum Lob und zur Ehre des Preisträgers Vicco
von Bülow. Ein Kinderspiel, könnte man meinen, denn wirklich jeder kennt seine
Dramen und ihre Protagonisten, etwa den Herrn Müller-Lüdenscheid.
Das ist der eine der beiden Herren, die sich – einander wildfremd – in der
Badewanne begegnen und darüber zu streiten beginnen, ob das Gummi-Entchen mit
hereinkommt oder nicht. Oder den bedauernswerten Glückspilz Erwin Lindemann,
der im Lotto gewonnen hat und nun mit dem Papst in Wuppertal eine
Herren-Boutique aufmachen will (na ja, so ungefähr jedenfalls). Und jeder hat
in genussvoller Häme miterlebt, wie die Urlaubsfreundschaft zwischen zwei
Ehepaaren langsam umkippt und in eine wüste Pöbelei ausartet, weil sich ein
Kosakenzipfel aus Nougat und Marzipan so schlecht in vier gleiche Teile
zerlegen lässt…
Eine Laudatio auf Loriot also ein Kinderspiel? Von wegen! So
lustig ist das nämlich nicht mit dem Humor. Und so einfach auch nicht.
Versuchen Sie mal, bei einem fröhlichen Abend unter Freunden die Verwirrungen
des armen Erwin Lottemann nachzuerzählen, der erst mit seiner Tochter nach
Wuppertal reisen und dann mit dem Papst …, und Island … und die Herren-Boutique
… – also, ich garantiere Ihnen, dass Sie daran verzweifeln würden. Und, mit
allem Respekt: Ihre Zuhörer wahrscheinlich auch.
Die Parallelen zum Namensgeber des heute zu verleihenden
Preises enden ja nicht beim Breitenkreis der Geburtsorte und der künstlerischen
Not oder meinetwegen der Erkundungsfreude, mit der sie Medien und Formen
ausprobierten. „Die fromme Helene“ von Wilhelm Busch lässt sich auch nicht
nacherzählen, ebenso wenig der „Heilige Antonius von Padua“ oder die
Lebensgeschichte des dicklichen Herrn Knopp. Nicht mal „Max und Moritz“! Das
alles lässt sich nicht erzählen, weil wir es selbst erleben. Der Witz ist ein
Destillat dessen, was uns jeden Tag umgibt, und wovon wir – und dies ist der
entscheidende Punkt – wovon wir ein Teil sind. Das hat beinahe philosophische
Dimension. Wir sind zugleich Subjekt und Objekt dieser Verwirrungen. Wir beobachten,
sind eingeladen, am Spott teilzuhaben, hauen uns auf die Schenkel vor Vergnügen
– und sind es doch gleichzeitig selbst, über die wir da verhalten schmunzeln
oder brüllend lachen.
Auf Loriot bezogen, hat der Roman- und Drehbuchautor Patrick
Süskind das so formuliert: Loriot verwendet nicht komische Mittel, um
gesellschaftliche Zustände und menschliche Verhaltensweisen zu beschreiben,
sondern umgekehrt: Er beobachtet und benutzt gesellschaftliche und individuelle
Gegebenheiten, um Komik zu erzeugen. Mit anderen Worten: Wir lachen, weil und
sobald wir uns selbst erkennen. Das trifft zu auf die komischen und zugleich
schrecklichen Szenen, in denen Loriot seine Protagonisten immer wieder und
meilenweit aneinander vorbei reden lässt – und ebenso auf die genüsslich
ausgebreitete Bigotterie, die Spießigkeit, die Boshaftigkeit und bisweilen auch
die Misanthropie der Dümmels und Noltes, der Schmöcks und Schlichs und Sauerbrots bei Wilhelm Busch.
Lustig? Vicco von Bülow selbst sieht sich als einen
ausgesprochen ernsten Menschen. Sein Auftreten ist zurückhaltend, bisweilen gar
schüchtern, seine Grundhaltung nachdenklich, zögerlich, formvollendet,
distanziert und leise. Und wie er sein Handwerk ausübt, das hat natürlich
Ähnlichkeit mit diesem seinem Wesen. Vor einiger Zeit führte er im Fernsehen
vor, bei Johannes B. Kerner, wie kleinkariert und zäh es ist, sich auf die
Fährte des Witzes zu setzen, der sich im alltäglichen Nebeneinander und
Gegeneinander verbirgt, ihn zu verfolgen, einzukreisen und schließlich zur Strecke
zu bringen.
Zur Strecke bringen heißt, den Witz in seiner klarsten und
knappsten Form zu präsentieren. Wie reinen Alkohol, ätzend, scharf und kaum
erträglich: ein Ehepaar, das sich in hoffnungslosem Wortwechsel verheddert,
weil das Frühstücksei mal zu weich und mal zu hart ist, obwohl die Frau darauf
beharrt, es immer genau vier Minuten zu kochen – immer schriller wird das
Gekeife, bis uns dämmert, dass es sich um gefühlte vier Minuten handelt, also
je nach Gemütsverfassung der Hausfrau mal um vier, mal aber auch um zwei oder
sechs Minuten. Oder das andere Paar, das sich auf einen Konzertabend
vorbereitet und nun darüber zankt, welches Kleid ihm an ihr gefalle und warum
sie sich erst jetzt und immer noch in aller Ruhe die Fingernägel lackiere.
Haargenau bildet er die zwischenmenschliche Realität ab, die Unmöglichkeit der
Verständigung: Du magst das grüne Kleid, das ich anhabe? Dann gefällt Dir wohl
das rote nicht, das Du mir neulich geschenkt hast. Es könnte genau so in einem
Lehrbuch für pathologische Formen der Kommunikation stehen. Oder in einem Stück
absurden Theaters von Beckett oder Harold Pinter:
Keiner der Beteiligten hat eine Chance. Man möchte schreiend aus dem Zimmer
laufen. „Woran merken Sie, was lustig ist?“, wurde Loriot in der Sendung gefragt,
und er reagierte wie einer, der so gründlich missverstanden wurde, wie einer
nur missverstanden werden kann: „Lustig? Überhaupt nicht! Es muss ernst sein.“
Und trotzdem: Wir lachen. Wir können gar nicht anders. Es
ist ein simpler Mechanismus, aber nur ganz große Humoristen wie Loriot und
Wilhelm Busch und übrigens auch der viel zu früh verstorbene Robert Gernhardt, der Loriot im Jahr 2004 in einer Laudatio zum
Jakob-Grimm-Preis für Deutsche Sprache ehrte – nur die Komiker dieser
Königsklasse schaffen es, diesen Mechanismus in Bewegung zu setzen und uns
gerade über die Schrecken unserer eigenen Banalität lachen zu lassen. Wie es
funktioniert? Eigentlich ganz einfach: Beobachte die Leute in der
Vergeblichkeit ihrer Bemühungen, in der Plattheit ihrer Träume, in ihrer
Lächerlichkeit. Das allein ist so grotesk, dass sie lachen werden. Tränen
lachen über sich selbst.
Und das Schönste daran ist: Dieses Lachen befreit, zumindest
für Augenblicke, von aller Erdenschwere. Ein Zitat: „Selbstkritischer Humor ist
nicht das, was man dem deutschen Volksgeist nachgesagt hatte“, schreibt der
Historiker Christoph Stölzl über unsere neu
gewonnenen Lachgewohnheiten seit 1945. Aber es gibt ihn, diesen
selbstkritischen Humor. Wir haben ein paar, die das hinkriegen. „Wohltäter der
Entkrampfung“ nennt Stölzl sie. Einen von ihnen ehren
wir heute Abend, einen Wohltäter der Entkrampfung: Herzlichen Glückwunsch,
Vicco von Bülow.