UNICEF-Foto
des Jahres 2008
Lebensmut im Angesicht des Elends
Eva Luise
Köhler ehrt Alice Smeets für Aufnahme aus
Haiti
Die junge belgische Fotografin Alice
Smeets ist Siegerin des internationalen Wettbewerbs
„UNICEF-Foto des Jahres“. Ihr Siegerbild
zeigt ein Mädchen im größten Slum der
haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince. Obwohl es zwischen
Dreck und Unrat leben muss, trägt das Kind ein
sauberes weißes Kleidchen und dazu passende Schleifen
im Haar, während es barfuß durch den Matsch
läuft. „Das Bild führt uns den Lebensmut
und die Energie eines Mädchens vor Augen, das mitten
im Elend aufwächst. Kinder in den ärmsten
Verhältnissen beweisen oft große Stärke“,
sagte UNICEF-Schirmherrin Eva Luise Köhler bei
der Preisverleihung am Donnerstag in Berlin. „Das
UNICEF-Foto des Jahres ist ein Appell, ihnen unsere
Aufmerksamkeit und unsere Unterstützung zu schenken."
Die 21-Jährige Fotografin
Alice Smeets aus Eupen im deutschsprachigen Ostbelgien
ist die jüngste Preisträgerin des seit dem
Jahr 2000 weltweit ausgeschriebenen Wettbewerbs. In
diesem Jahr reichten dafür 128 von internationalen
Experten vorgeschlagene Fotografen aus 31 Ländern
insgesamt 1450 Bilder ein. Die Jury unter dem Vorsitz
von Klaus Honnef, Professor für Theorie der Fotografie,
bestimmte einen ersten, zweiten und dritten Platz sowie
11 ehrenvolle Erwähnungen. UNICEF prämiert
mit der Auszeichnung zum neunten Mal Fotos von hohem
künstlerischem und fotojournalistischem Niveau,
die die Lebensumstände von Kindern illustrieren.
Der Wettbewerb wird unterstützt von der Zeitschrift
GEO und finanziert von der Citibank.
Fünfhundert Jahre
schon herrschen Unglück und Schrecken in
Haiti. Erst Kolonialismus und Sklaverei. Dann
die Diktaturen. Danach chronische politische Instabilität.
Tropische Wirbelstürme. Und immer: Mühsal.
Missgunst. Verrat. Armut. Schmutz. Zerstörung.
Krankheit. Willkür. Unterdrückung. Verfolgung.
Tod.
Menschen leben in stinkendem und brennendem Müll,
ohne Schutz, ohne Arbeit,ohne regelmäßigen
Strom, ohne trinkbares Wasser, ohne saubere Luft
zum Atmen, ohne Geld für die nächste
Mahlzeit. In den Verschlägen schlucken die
Ärmsten der Armen Dreck, um ihre Mägen
wenigstens mit irgendetwas zu füllen.In dieser
Umgebung wirkt ein Mädchen in einem weißen
Kleidchen wie ein verschreckter Engel, der in
der Unterwelt gelandet ist und dennoch entschlossen,
sich ein wenig Schönheit zu erkämpfen.
Eine Ahnung, wie es in der
Vorhölle aussehen könnte, überwältigte
bei ihrem ersten Aufenthalt in Haiti auch die
junge belgische Fotografin Alice Smeets. Doch
dieses Gefühl schwand, je öfter sie
sich in dem Land aufhielt. Ihr Erschrecken über
die Zustände wurde durch Mitgefühl und
einen starken Willen ersetzt, mit Hilfe ihrer
Fotos Aufmerksamkeit für die Geschundenen
und Erniedrigten zu erwirken.Alice Smeets sagt:
»Oft werde ich gefragt, warum ich immer
wieder nach Haiti zurückkehren möchte,
anstatt ein neues Land zu entdecken. Jeder hat
eine Wahl in seinem Leben. Philip Jones Griffith
(Fotograf der Agentur Magnum,verstorben 2008)
hat mir während meiner Zeit als seine Assistentin
etwas Wichtiges vermittelt: Fotografen können
entweder über eine Reihe von Situationen
weitläufig und flüchtig berichten, oder
sie beschäftigen sich mit einem Schauplatz
intensiv und tiefgründig. Beides sind Optionen,
doch die letztere Möglichkeit beinhaltet
die Chance, kontinuierlich visuelle Statements
zu kreieren, die hoffentlich zu Hilfeleistungen
für die Leidenden führen.«
Die Totenstarre einer Region
überträgt sich auf die Psyche der Lebenden:
Mindestens 70 000 Opfer verschlang am 12. Mai 2008 die
chinesische Erde bei einem apokalyptischen Beben in
der Provinz Sichuan. Fünfzehn Millionen Häuser
stürzten ein, nahezu sechs Millionen Menschen leben
seither in Notunterkünften. Der Katastrophe folgte
ein nicht minder leidvolles Seelenbeben. Die Innenwelt
der Überlebenden ist zutiefst erschüttert,
verletzt, traumatisiert; sie wird verfolgt von den Dämonen
des Schreckens.Und auch der Außenwelt fehlt jedwedes
sichere Fundament.
Auf einen Hauch von kindlicher
Unbeschwertheit traf der israelische Fotograf Oded Balilty
ganz selten.
Für wen ist das Korengal-Tal
in der Kunar-Provinz im Nordwesten von Afghanistan der
lebensdrohendste Aufenthaltsort der Welt? Sind es die
zwischen die Fronten geratenen Bergdorfbewohner, die
Kämpfer der Taliban und al-Qaeda oder die amerikanischen
Soldaten? Das Risiko ist grausam gleichmäßig
verteilt auf alle Beteiligte.
Der ungarische Fotograf Balazs
Gardi bewegt sich als neutraler Beobachter in dem ihm
fremden Terrain; er ist erschüttert über jeden
Toten, jeden Verletzten. Und er fragt sich, ob jemals
dieser Irrsinn enden wird – weil kein Sinn in
dem unendlichen Leid zu erkennen ist.
Kinder in Afghanistan werden
sowohl zufällig als auch gezielt Opfer der Gewalt.
Sie geraten zwischen die Fronten, wenn die von der Nato
geführten Sicherheitstruppen gegen Aufständische
vorgehen. Talibankämpfer greifen gezielt Schulen
an. Allein im Jahr 2008 gab es bis Mitte November 256
gewaltsame Angriffe vor allem auf Mädchenschulen.
Dabei kamen 58 Menschen ums Leben.
Foto:
Balazs
Gardi, Ungarn, VII Network, Alexia Foundation