Karl-Heinz Kurras Gab Mielke ihm den Schießbefehl?

Hier strahlt Karl-Heinz Kurras (81) in die Kamera des BamS-Reporters. Der ehemalige Polizist erschoss 1967 den Studenten Benno Ohnesorg nach einer Demonstration gegen den Schah

Karl-Heinz Kurras: Gab Mielke ihm den Schießbefehl?
Der Ex-Stasi-Agent Karl-Heinz Kurras lacht, als der BamS-Reporter ihn in der Wohn-Siedlung in Berlin-Spandau auf seine SED-Vergangenheit anspricht: „Ich habe nichts zu verbergen.“ Auf seinem 3-stündigen Ausflug zeigt sich Kurras durstig, gönnt sich drei große Pils
Foto: Juri Reetz/Starpress
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Von RENA BEEG, MALTE BETZ, MARCUS HELLWIG, KATHARINA NACHTSHEIM und BURKHARD UHLENBROICH
BILD am SONNTAG

Es ist Samstagnachmittag, 15.30 Uhr. Deutschland im Bundesligafieber vor dem Fernseher. Aber Karl-Heinz Kurras (81), hier in der 60er-Jahre-Siedlung (5-stöckig, rote Metallbalkone) in Berlin-Spandau, will jetzt raus, ihm ist nach Bier. Durch den Türspion seiner Eigentumswohnung hat er noch einmal ins Treppenhaus gelugt, dann tritt er hinaus.

Er trägt eine beigefarbene Jacke, dunkle Stoffhose, blaues Hemd. Kurras wirkt gut aufgelegt. Es scheint ihn nicht zu stören, dass er der Mann ist, der am vergangenen Donnerstag als langjähriger Stasi-Agent enttarnt wurde. Er, der ehemalige West-Berliner Polizist, der am 2. Juni 1967 den Studeten Benno Ohnesorg erschossen hatte. Er, dessen Schüsse (aus anderthalb Metern! In den Hinterkopf!) maßgeblich zur Radikalisierung der linken Studenten beigetragen haben.

Der BamS-Reporter spricht Kurras auf seine Vergangenheit an. Er sagt: „Ja, ich war in der SED, soll ich mich deswegen etwa schämen?“

Und: Seine alte politische Gesinnung habe er „abgelegt ...“ Dann lacht der Todesschütze. Seine blauen Augen blitzen. „Niemand, auch der Staatsanwalt nicht, wird glauben, dass ich einen Mord begangen habe.“

Nach den Stasi-Enthüllungen hat Carl-Wolfgang Holzapfel, Vizechef der Vereinigung der Opfer des Stalinismus, Strafanzeige gegen Kurras gestellt, um ein neues Verfahren ins Rollen zu bringen.

Kurras: „Das kann doch nur ein Ostdeutscher gewesen sein. Den hätte Erich Honecker früher mal richtig verurteilen sollen.“

Kurras, der Todesschütze, fühlt sich unschuldig: „Ich bin rechtskräftig freigesprochen worden. Fertig.“

Die Aufregung um seine Person versteht er nicht. „Ich habe gerade einen schweren Sturz hinter mir.“ Im vergangenen Dezember“, erzählt Kurras, sei er beim Spaziergang mit seiner Frau auf die Kante des Bürgersteigs geknallt, habe sich dabei schwer am Kopf verletzt. „Ich war vier Monate in der Charité, wurde am Kopf operiert“, behauptet Kurras. Seitdem habe er Schwierigkeiten sich zu erinnern. „Ich leide unter Gedächtnisverlust.“ Der Rentner will los, „mir wird schwindlig, wenn ich zu lange stehe.“

Am Zeitungsstand des örtlichen Reichelt-Supermarktes informiert sich Kurras über Kurras. Er schnappt sich die Berliner Zeitung „B.Z.“ aus dem Ständer, liest die Geschichte über sich und legt das Blatt dann achtlos zur Seite. Er kauft Lebensmittel und ein Six-Pack „Wernesgrüner“-Pils.

Dann steuert er das türkische Bistro „Kaya“ an. Der Ober kennt ihn, bringt unaufgefordert ein großes 0,5 Liter „Warsteiner.“ Nach wenigen Sekunden bestellt er das zweite: „Und wenn schon. Und wenn ich für die Staatssicherheit gearbeitet habe? Was macht das schon. Das ändert nichts!“ Kurras lehnt sich zurück, grinst. „Von denen habe ich nie Geld bekommen. Das haben die sich sicher in die eigene Tasche gestopft“, sagt er und lacht. In Kurras’ Stasi-Akte steht etwas ganz anderes.

Zwei Historiker der Birthler-Behörde brachten sie diese Woche ans Licht und veröffentlichten die Sensation: Bereits seit 1955 arbeitete der West-Berliner Polizist Karl-Heinz Kurras für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR. Sein Deckname: Otto Bohl. Sein Auftrag: Die West-Berliner Polizei auszuspionieren.

Sein Lohn: Am Anfang 550 Westmark, dann immer mehr, denn er stieg auf bei der Polizei und seine Informationen wurden immer wichtiger, und am Ende im Mai 1976 waren es plötzlich 1000 D-Mark.

Man muss sich das vorstellen. 1000 D-Mark, das entsprach in Ost-Mark der Kaufkraft von bis zu zehn Bauarbeiter-Monatslöhnen. Wofür war Kurras der Stasi so viel wert? Nähern wir uns dem Rätsel vom Anfang ...

Karl-Heinz Kurras stammt aus Barten in Ostpreußen, wurde im Dezember 1927 als Sohn eines Dorfpolizisten geboren. Er begeistert sich für Waffen. 1944 meldet sich Kurras freiwillig zum Kriegsdienst, wird nach Kriegsende von den Russen zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt, aber nach drei Jahren Haft in Sachsenhausen 1949 begnadigt. Ein Jahr nach seiner Freilassung ließ er sich in West-Berlin als Polizist ausbilden, arbeitete später in der Abteilung I für Staatsschutz. Sein Auftrag dort: West-Berlin vor der Stasi schützen. Unter den Kollegen galt er als ordentlich. Nur mit den Frauen lief es nicht so gut.

Zwei Monate vor der Hochzeit ließ ihn seine ehemalige Freundin „wegen seines verrückten Sauberkeitsfimmels“ sitzen. In einem Interview sagte sie: „Jedes Mal bevor er mit mir ausging, prüfte er genau, ob mein Rocksaum und die Strumpfnähte auch richtig saßen. Jedes Mal, wenn wir zusammen aßen, sagte er: ,Kleckere nicht.‘ Er hat mich nie geküsst. Er fand das unhygienisch.“

Es war der 19. April 1955, als Karl-Heinz Kurras beschloss, seinem Leben eine Wendung zu geben. Es war ein Dienstag, als der damals 27-jährige Polizeimeister Kurras sich in den Osten Berlins in der Wilhelm-Pieck-Straße aufmachte, um sich bei der Wache zu erkundigen, wie er Verbindungen zur Staatssicherheit aufnehmen könne. Um seine „Ehrlichkeit“ unter Beweis zu stellen, schlug ihm die Stasi vor, zunächst im Westen als Polizist weiterzuarbeiten, um dort den „Kampf für die Ziele der DDR zu führen“. Fortan lieferte Kurras wichtige Infos, später auch aus der Abteilung I der West-Berliner Polizei, die die Aktivitäten der Stasi im Westen beobachtete. Kurras war also der klassische Bock, der zum Gärtner wurde.

Zu seinen geheimen Treffen im Osten Berlins ließ sich Kurras meistens über den Übergang Friedrichstraße einschleusen. Getarnt mit Brille oder Hut traf er sich mit seinem Führungsoffizier. Seine Verkleidung vernichtete er, sobald er wieder in den Westen kam. Doch auch in West-Berlin traf er mit Stasi-Kontaktleuten zusammen. Seine Agentenführerin hieß „Lotti“, eine pummelige Stalinistin namens Charlotte Müller. Ihr Treffpunkt hatte den Decknamen „Trude“, der „Schleusenkrug“ im Bezirk Tiergarten.

Kurras galt bei der Stasi als Spitzenkraft. Als er als West-Polizist ein Ehepaar, das in West-Berlin unter DDR-Spionageverdacht stand, verhören musste, wollte er die beiden zunächst decken. Doch die Frau war sofort geständig und verriet sogar noch ihren Mann. Kurras war empört, bot seinem Führungsoffizier an: „Gebt mir den Auftrag, die würde ich umbringen, so eine Verräterin.“

Zu Waffen hatte Kurras offenbar ein engeres Verhältnis als zu Menschen. Regelmäßig besuchte er den Schießstand der Schießabteilung des Berliner Polizeisportvereins, dessen Mitglied er bis heute ist. Gern ging er zur Jagd, reiste dafür nach Spanien und Österreich. Die Stasi wird später über ihn notieren, dass seine „charakterliche Schwäche“ darin bestand, „dass er für sein Hobby und auch um auf die Jagd gehen zu können, die Interessen anderer Menschen nicht beachtet.“

Berlin 1967: Stasi-Spion Karl-Heinz Kurras erschießt Benno Ohnesorg
Foto: Ullstein

Im Jahr 1967, fällt der Schuss auf Benno Ohnesorg. Der junge Student, der am 2. Juni das erste Mal in seinem Leben eine Demonstration besucht, wird aus eineinhalb Metern Entfernung in den Hinterkopf getroffen.

Kurras sagt später im Prozess aus, er habe nur zwei Warnschüsse abgegeben. Sei außerdem von Messerstechern angegriffen worden. Kurras kommt frei und bleibt nach kurzzeitiger Suspendierung bis1987 im Polizeidienst. Zu seiner Tat befragt, sagte er 2007 in einem „Stern“-Interview: „Fehler? Ich hätte hinhalten sollen, dass die Fetzen geflogen wären, nicht nur ein Mal; fünf, sechs Mal hätte ich hinhalten sollen. Wer mich angreift, wird vernichtet. Aus. Feierabend. So ist das zu sehen.“ Es ist die gleiche Diktion, wie in seiner Offerte, die verräterische Stasi-Genossin zu liquidieren.

Nach dem Tod von Benno Ohnesorg setzt die Stasi den Kontakt zu Kurras aus, vermutlich zur Schadensbegrenzung.

„Material sofort vernichten. Vorerst Arbeit einstellen“, befiehlt Ost-Berlin am 8. Juni. Weiteres Material, das Aufschluss über den Kontakt zwischen Kurras und der Stasi geben könnte, fehlt in der Akte. Erst neun Jahre später, im März 1976, ist wieder ein Treffen zwischen Kurras und dem MfS in Ost-Berlin notiert. Sein Führungsoffizier Werner Eiserbeck vermerkt: „Der Kurras verhielt sich so, als ob das letzte Zusammentreffen erst vor wenigen Tagen stattgefunden habe.“ Gern würde Kurras wieder mit der Stasi zusammenarbeiten, er sei inzwischen sogar bei der Polizei befördert worden. Doch für die Stasi gilt der Mann inzwischen als Problemfall. Das Ende der Akte.

Was bleibt, sind viele offene Fragen. War die Stasi an den Todesschüssen auf Benno Ohnesorg beteiligt? Gab Erich Mielke, der DDR-Minister für Staatssicherheit, dem Polizisten Kurras den Schießbefehl?

Dr. Helmut Müller-Enbergs, der in der Birthler-Behörde die brisante Akte fand: „Die gefundenen Aktenbestände über die inoffizielle Tätigkeit für das MfS von Kurras sind im Wesentlichen vollständig, nur für Mai/Juni 1967 deutlich ausgedünnt. Besonders die Unterlagen um die Ohnesorg-Vorgänge im Juni 1967 fehlen vollständig.“ Der Experte: „Die Stasi-Bürokratie hat die offenkundig problematischen ,Innereien‘ der Akte entfernt.“

SED-Forscher Dr. Jochen Staadt von der FU Berlin: „Es ist durchaus vorstellbar, dass die Stasi Herrn Kurras nahegelegt hat, die Situation für die West-Berliner Polizei ein wenig zu verschärfen und unangenehm zu machen. Das war ja auch in ihrem Interesse.

Ziel der SED-Führung war es damals, West-Berlin vom Bundesgebiet zu lösen und zu einer „Freien Stadt“ werden zu lassen. Deshalb wollte sie West-Berlin unbedingt destabilisieren und ein negatives Image anhaften.“

In den nächsten Wochen wird die Staatsanwaltschaft Berlin prüfen, ob gegen Kurras ein neues Verfahren eingeleitet wird. Eine Strafe trifft ihn bereits heute: Sein Schießverein hat ihm ab sofort Hausverbot erteilt.


Fall Benno Ohnesorg
War der Mörder
ein Stasi-Mann?
Todesschütze Kurras
Er entdeckte
die Stasi-Akten

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