«Was Lärm macht, bewilligen wir seltener»

Von Jean-Martin Büttner. Aktualisiert am 15.06.2009 14 Kommentare

Fünfzig Lärmklagen trafen am Wochenende bei der Stadtpolizei Zürich ein. Man nehme das Problem ernst, sagt Medienchef Marco Cortesi; die Bewilligungspraxis werde verschärft.

Vor allem wegen privater Partys wie hier auf einer Dachzinne im Zürcher Stadtkreis 6 rufen lärmgeplagte Einwohner die Polizei.

Vor allem wegen privater Partys wie hier auf einer Dachzinne im Zürcher Stadtkreis 6 rufen lärmgeplagte Einwohner die Polizei.
Bild: Doris Fanconi


Marco Cortesi: «Wer trinkt, wird lauter. Der Alkohol ist bei solchen Konflikten das grösste Problem.»

Marco Cortesi: «Wer trinkt, wird lauter. Der Alkohol ist bei solchen Konflikten das grösste Problem.» (Bild: Keystone)

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Zwischen Freitagabend und Sonntagmorgen seien fünfzig Lärmklagen eingetroffen, sagt Judith Hödl von der Zürcher Stadtpolizei auf Anfrage: «Das ist wirklich viel.» Umso mehr, als an diesem Wochenende wenig öffentliche Veranstaltungen stattgefunden haben. Das erkläre wohl, weshalb Klagen aus der ganzen Stadt gekommen seien und sich fast nur auf private Anlässe bezogen hätten. Also Feiern und Partys auf Terrassen und Balkonen, am See, aber auch bei Schulhäusern. In vielen Fällen sei die Polizei ausgerückt.

Im Kanton blieb es entschieden ruhiger; es seien an diesem Wochenende keine nennenswerten Klagen eingegangen, heisst es bei der Kantonspolizei.

Dass die Zürcher Stadtpolizei ihre Bewilligungen vermehrt vom Lärm abhängig macht, den ein Anlass in der Umgebung oder im Quartier bewirkt, zeigt die aktuelle Kontroverse um das Werdinsel-Openair. Die Veranstalter verlangten eine Bewilligung für zwei Tage, wie schon bei ihrem Zehnjahrjubiläum vor einem Jahr. Damals seien zu viele Lärmklagen eingetroffen, argumentierte die Polizei und beschränkte ihre Bewilligung auf einen Tag. Die Veranstalter verzichteten hierauf unter Protest auf den Anlass. (jmb.)

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Herr Cortesi, wo war es in Zürich dieses Wochenende am lautesten?
Die Klagen kamen aus der ganzen Stadt, vornehmlich wegen privater Anlässe. Allgemein lässt sich sagen: Laut wird es, wo es am meisten Leute hat. Alleine um das Seebecken herum treffen an einem schönen Wochenende über 100'000 Menschen zusammen, von morgens bis spätabends. Dazu kommen Grossanlässe in der ganzen Stadt, vom Hallenstadion bis zum Letzigrund. Und jene Orte in der Stadt, in denen es schneller laut wird als anderswo, an der Langstrasse etwa oder im Niederdorf.

Und wann wird es am lautesten?
Das hängt von der Jahreszeit ab. Im Frühling und vor allem im Sommer treffen bei uns bis zu fünfmal mehr Klagen gegen Lärm ein als sonst. Die Gartenwirtschaften haben geöffnet, Leute feiern auf den Balkonen oder haben die Fenster offen, dazu kommen Quartier- und Strassenfeste und die ganz grossen Veranstaltungen sowieso. Mit der Hitze kommt unweigerlich der Lärm.

Lärmgeplagte Anwohner reden von einer zunehmenden «Eventitis» in Zürich, die sie für übertrieben halten.
Nach jedem Grossanlass haben wir eine Flut von Lärmklagen. Gleichzeitig führt die Spassgesellschaft dazu, dass sich die Menschen in einer grossen, modernen Stadt gerne amüsieren. Solche Spannungen ergeben sich immer, wenn viele Menschen auf engem Raum zusammenleben. Den einen kommen die Klagen kleinlich vor, die anderen fühlen sich vom Lärm belästigt. Tatsache ist: Es gibt immer mehr Anlässe in Zürich, ausserdem leben mehr Leute hier als noch vor zehn Jahren. Beides fordert die Toleranz der Anwohner stärker heraus. Und zwar nicht nur beim Lärm, sondern auch beim Abfall, überhaupt bei der starken Nutzung des öffentlichen Raums.

Wie reagiert die Stadtpolizei darauf?
Wir achten in der letzten Zeit vermehrt darauf, wie laut ein Anlass werden könnte. Was Lärm macht, bewilligen wir seit einiger Zeit seltener als früher.

Was wiederum Reklamationen der Veranstalter provozieren dürfte.
Natürlich. Das Problem ist, dass sofort Vergleiche gezogen werden. Aktuelles Beispiel: Die verweigerte Bewilligung für das Werdinsel-Openair. Wer keine Bewilligung bekommen hat, ärgert sich über einen Konkurrenten, dessen Anlass bewilligt wurde. Und wer seinen Anlass im letzten Jahr durchführen konnte, kann nicht verstehen, dass er jetzt plötzlich nicht mehr darf. Dazu kommen Sportanlässe, die regelmässig stattfinden und die man nicht plötzlich verbieten kann. Trotzdem ist für die Stadtpolizei klar, dass sie die Lärmklagen der Bevölkerung ernst nehmen muss. Das fängt an bei den Bewilligungen.

Hat sich diese neue Praxis schon ausgewirkt?
Ja, zumindest deutet das die Statistik der letzten beiden Jahre an. Im letzten Jahr gingen die Lärmklagen zum ersten Mal seit langem wieder zurück, wenn auch auf weiterhin hohem Niveau. Es trafen 4300 Klagen bei uns ein, das sind 300 weniger als im Rekordjahr 2007.

Ausgerechnet im Euro-Jahr.
Ja, diese Zahl erstaunt mich selber. Möglicherweise liefert die Euro selbst eine Erklärung: Weil Menschen, die vermehrt unter dem Lärm leiden, Zürich in jenen Wochen gemieden haben, trafen insgesamt weniger Beschwerden ein. Als Indiz dafür lässt sich der Kreis 1 anführen, wo die Lärmklagen von 450 im vorletzten Jahr auf 380 im Euro-Jahr zurückgingen. Dafür nahmen sie in anderen Quartieren weiter zu, namentlich in den Kreisen 5, 6, 8 und 12.

Wie reagieren eigentlich die Lärmenden, wenn die Polizei ausrückt?
Unsere Leute sind psychologisch geschult und suchen immer zuerst das Gespräch mit beiden Seiten, also mit den Betroffenen und mit den Verursachern. Manchmal lässt sich so eine einvernehmliche Lösung treffen. Weit häufiger ist aber das blanke Unverständnis bei denen, die Lärm machen. Das hat entscheidend mit dem Alkoholpegel zu tun. Der schafft bei solchen Konflikten ohnehin das grösste Problem, und zwar gleich doppelt: Wer trinkt, wird lauter – und ist zugleich schwerer anzusprechen. So kommt es immer wieder dazu, dass die Situation eskaliert und unsere Leute sogar tätlich angegriffen werden. Solche Zustände können wir natürlich nicht tolerieren. Wir reagieren darauf mit Verzeigungen, die empfindliche Bussen nach sich ziehen können.

Mit Marco Cortesi sprach Jean-Martin Büttner

(Tages-Anzeiger)

Erstellt: 14.06.2009, 22:46 Uhr

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14 KOMMENTARE

Ruedi Reding

16.06.2009, 19:11 Uhr

Hr. Cortesi: "..., ärgert sich über einen Konkurrenten..." Dies sind keine Konkurrenten, sondern Gleichgesinnte!! Nämlich Menschen welche freude am Zusammenleben in der Stadt haben. Dies ist zumindest beim Werdinsel Openair der Fall. Leider geht es der Schweiz trotz Wirtschaftskrise zu gut, dass sogar Gratisanlässe von der Stadt eingeschränkt werden! Und dies unter dem Label "Züri" !?!?! SCHADE!


andreas helbling

16.06.2009, 10:26 Uhr

wie schön gibt es in dieser stadt noch leben! ...und nicht nur stihl-geräte, für die keine lärmbeschränkungen zu gelten scheinen...


Tina Violante

16.06.2009, 06:25 Uhr

Diese Menschen die immer Reklamieren soloten sich eine andere Beschäftigung suchen!Was gibt es schöneres wenn Leute auf dem Balkon Lachen?Oder wäre es lieber sie streiten?Was ist braucht Ihr mehr Verbote?Habt Ihr nicht genug?Hört doch auf!Reden mit den Menschen und Probleme lösen nicht Frust rauslassen.Für Frust gibt es Fachleute dafür!


Michael Huber

15.06.2009, 16:01 Uhr

Es ist einfach nur lächerlich. Zürich ist jetzt schon langweilig, die Leute vegetieren vor sich hin (@Romeo). Wenn man kein Spass mehr haben kann, dann fangen die Jungen eben an zu randalieren (durch die Langeweile, etc.). Und dann kommen dann noch die, welche behaupten das Zürich eine urbane Weltstadt sei - das ich nicht lache!


Christoph Geiser

15.06.2009, 13:59 Uhr

Wieso muss der Lärm in der Stadt stattfinden? Sind eh grösstenteilös Auswärtige die her kommen, weil sie hier niemand erkennt. Zuhause getrauen sie sich ja nicht. Ich hab jetzt auch einen neuen Nachbarn, seit letztem Jahr macht der jeden Freitag und Samstag Party bis morgens um vier. An Schlaf ist nicht zu denken. Lärm verkürzt die Lebensspanne, eigentlich ist es Körperverletzung...


Selina Villiger

15.06.2009, 12:31 Uhr

Wer Ruhe will, soll aufs Land ziehen. Aber danke, liebe langweilige und konservative Stadtbewohner, dank euch wird die Stadt immer langweiliger. Zürich eine Weltstadt? Lebensqualität? Wer hat denn diese Statistik gefälscht? Die Einschränkungen durch die Polizei verunmöglichen fast ein freies Leben in Zürich.


Romeo Mueller

15.06.2009, 11:49 Uhr

Lärmklagen bei der Polizei ?! das ist ja lächerlich. Die Leute haben zuwenig Probleme, vielleich leben Sie im geiste gar nicht mehr, sondern vegetieren in "ruhe" vor sich hin. pfuiiii


Andreas Steiger

15.06.2009, 10:21 Uhr

Wieso werden Sportanlässen und Musikveranstaltungen offenbar unterschiedlich gewertet bei der Bewilligungserteilung? Ich sehe da keine grossen Unterschiede im Lärmpotential, dafür umso mehr in der möglichen Gewalt...


Adrian Müller

15.06.2009, 10:10 Uhr

Toleranz wäre nett. Tatsache ist, dass die eigene FREIHEIT das ist was zählt, und dafür wird über alle hinweggetreten oder diese gesundgheitlich verletzt. Als Arzt muss ich darauf hinweisen, dass alleine Verkehrslärm im Jahr über 1 MIA Gesundheitskosten (gemäss Studien) verursachen. Was heisst Land: Die Stadtbevölkerung exportiert ihr Lärm zum Spass mit Motorrädern und Ausfahrten usw überall hin!


Daniel Keller

15.06.2009, 09:48 Uhr

@ Richard & Reto: Wenn auf dem Land ein besoffener in der Nacht rumbrüllt, in einem Mehrfamilienhausquartier jedes Sommerwochenende eine andere Familie mit Freunden bis 02:00h laut auf dem Balkon oder der Sitzplatzwiese feiert, dann gibt es Klagen, genau wie in der Stadt. Das Unverständnis der Feiernden hat mit dem Alkoholpegel, und häufig wohl auch mit Egoismus und Rücksichtslosigkeit zu tun.


Jens Gloor

15.06.2009, 09:12 Uhr

Wer in eine Stadt (dicht besiedeltes Gebiet) umzieht, muss grundsätzlich mit Emissionen rechnen - sonst bitte auf dem Land bleiben! Wer jedoch in der Stadt wohnt und andere mit einem übersteigerten Rühebedürfnis unnötig nervt, sollte ebenfalls wegen unangemessenem Verhalten gebüsst werden. Missbrauch muss auf beiden Seiten strafbar sein. Eine Stadt ist kein Sanatorium.


tobias Tobias Stahel

15.06.2009, 08:43 Uhr

verschärfung der praxis? noch restriktiver werden? zürichs augangs und jugendkultur liegt ja bereits seit jahren im sterben. zürich wird ja im ausland jetzt schon als langweilig angeschaut. kein wunder wenn man das niederdorf als bsp heranzieht. anderorts ist die altstadt aushängeschild - auch in sachen beizenkultur und ausgang! bei uns gleicht sie einem friedhof (nach 12uhr bzw 2uhr am weekend).


Marcel Zufferey

15.06.2009, 08:43 Uhr

Die eigene Freiheit endet an der Grenze des anderen Freiheit. Durfte man in den letzten Jahren noch ungestört vor sich hinlärmen, was andere wiederum nur noch in Form von Lärm wahrgenommen haben (weshalb man sie auch gerne und völlig egoistisch "Bünzlis" nenen- und natürlich weiterlärmen durfte), so wird man sich jetzt wieder auf ein vernünftiges Mass an Rücksicht zurück besinnen müssen. Gut so!


Richard Reto

15.06.2009, 08:26 Uhr

Wer im Zentrum einer grossen Stadt wohnt muss sich nicht wundern, wenn es nicht totenstill ist. Ruhe gibts auf dem Land.




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