Wissenschaftlerinnen und Techniker bewegen sich bei ihrer Arbeit in einem
vielschichtigen Geflecht von gesellschaftlichen Orientierungen, Wertvorstellungen
und Interessen. Diese gesellschaftlichen Einflüsse geraten, obwohl
sie für die Entwicklung wissenschaftlicher Theorien und technischer
Geräte von großer Bedeutung sind, nur schwer in den Blick. Eine
Geschichtsschreibung, die diese Einflüsse auf wissenschaftlich-technische
Erkenntnis- und Gestaltungsprozesse zum Thema macht, ermöglicht es
Wissenschaftlern und Technikerinnen, sich als Akteure in einem Spannungsfeld
gesellschaftlicher Bedingungen wahrzunehmen und kann so einen Beitrag zu
einer aktiven Wissenschafts- und Technikgestaltung leisten.
Ziele
Ausgehend von diesem Anliegen wurde 1993 das auf vier Jahre angelegte Interdisziplinäre
Forschungsprojekt "Sozialgeschichte der Informatik" ins Leben gerufen.
In Zusammenarbeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Informatik,
Sozial- und Geisteswissenschaften werden hier sowohl Theorien und Techniken
der Informatik als auch die Informatik als wissenschaftliche Disziplin
auf ihre Prägung durch gesellschaftliche Prozesse hin untersucht.
Aufbauend auf einem besseren Verständnis der sozialen Gewordenheit
der Informatik und ihrer Produkte sollen Konzepte zur Gestaltung informatischer
Theorie und Technik entwickelt werden, die der sozialen Bedingtheit dieses
Gestaltungsprozesses Rechnung tragen. Die Ergebnisse der Projektarbeit
werden auch als Beitrag zur aktuellen Diskussion um Selbstverständnis
und Orientierung der Informatik verstanden.
Arbeitsprogramm
Ein Arbeitsbereich befaßt sich mit der Genese von Theorien und Techniken
der Informatik und insbesondere der Softwareentwicklung. Im Zentrum steht
hier die Frage, inwieweit das Bild des Computers als zeichenverarbeitendes
System und die Entwicklung von Programmiersprachen und Softwareentwicklungsmethoden
von allgemein geteilten Vorstellungen zu Sprache, Kommunikation und dem
damit verbundenen Menschenbild beeinflußt waren.
Ein weiterer Arbeitsbereich untersucht die Institutionalisierung der Informatik
in der Bundesrepublik Deutschland. Hier sollen gesellschaftliche Einflüsse
auf die inhaltliche und organisatorische Entwicklung des Hochschulstudienganges
und der Disziplin Informatik deutlich gemacht werden. Bislang konnten Interessen-
und Kräftekonstellationen bei der Institutionalisierung der Informatik
herausgearbeitet und in allgemeine gesellschaftliche Tendenzen eingebettet
werden. Gegenwärtig werden die gesellschaftlichen Bedingungen für
die mathematisch-formale Orientierung der Informatik und die mit der Informatikentwicklung
einhergehende Veränderung von Bildungsbereichen untersucht.
Von der Lebensgeschichte einzelner Individuen her nähern sich biographische
Untersuchungen der Frage nach gesellschaftlichen Einflüssen auf die
Entwicklung der Informatik. Mit Hilfe von Methoden der Biographieforschung
sollen individuelle und kollektive Entscheidungs- und Verhaltensmuster
von Akteuren und Akteurinnen der Informatik als gesellschaftliche Einflußfaktoren
untersucht werden. Dabei stehen das Technikverständnis von Informatikerinnen
und Informatikern und die Entstehung geschlechtsspezifischer Konnotierungen
, die die Entwicklung der Informatik beeinflußen, im Mittelpunkt.
Aus den Ergebnissen der verschiedenen Arbeitsbereiche sollen verallgemeinerbare
Aussagen über die Wirkungsweise gesellschaftlicher Orientierungsmuster
bei der Entwicklung der Informatik gewonnen werden. Das Ziel ist dabei,
die gegenwärtigen Gestaltungspotentiale der Informatik in Lehre, Forschung
und Entwicklung sichtbar zu machen.