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Deutsche Vorentscheidung 1972 Drucken
Mittwoch, 11 Juli 2007

Und es wird gelingen

Mary Roos
Die Überraschte

Ein Lied für Edinburgh. Samstag, 19. Februar 1972, aus dem Studio A des Senders Freies Berlin. 12 Teilnehmer. Moderation: Karin Tietze-Ludwig und Renate Bauer.

Eine Vorentscheidung der Superlative! Als Gemeinschaftsproduktion des Hessischen Rundfunks und des Senders Freies (vulgo: West-) Berlin trumpfte die Veranstaltung mit einem großen Showorchester unter der kompetenten Leitung von Paul Kuhn, lustigen Balletteinlagen, einem fantastisch präzisen Backgroundchor (den Rosy-Singers) und gleich zwei charmanten Moderatorinnen, nämlich Renate Bauer vom SFB und "Lottofee" Karin Tietze-Ludwig vom hr, auf. Sie hatten insgesamt zwölf, erstmals direkt von den Plattenfirmen nominierte Titel anzusagen. Was sich in einem hochkarätigen Angebot sowohl an aktuellen Schlagerstars als auch in der Qualität der Songs niederschlug.

Olivia Molina
Nimm ihn quer, hast Du mehr!
Edina Pop eröffnete den Reigen mit einem von Ralph Siegel getexteten (!) Schlager. Versteckt hinter einer riesengroßen Sonnenbrille, ihrem Markenzeichen, legte sie viel Leidenschaft in den eher vergessenswürdigen Song 'Meine Liebe will ich Dir geben'. Größere Erfolge feierte sie später als Teil von Dschinghis Khan. Gemeinsam mit zwei der weiteren Überlebenden der Siegel-Retortenkappelle beteiligte sie sich ab 2005 auch an der Leichenschändung Wiederauferstehung der Band und kassierte in Russland im Zuge einer Retrowelle ab. Teddy Parker ließ mit der Freddy-Quinn-Remineszenz 'Ich setze auf Dich' kurzzeitig die goldenen Fünfziger wieder aufleben und wurde damit Vorletzter. Olivia Molina, eine Sängerin mit unglaublich großem Mund und einem bei Katja Ebstein abgeschauten Fransenpony setzte auf billige Zirkusromantik, ging in der 'Größten Manege der Welt' aber zu Recht unter.


Saarland goes New Orleans: ihr bester Song ever

Cindy & Bert
Folge dem Stern!
Etwas ratlos ließen Cindy & Bert das anwesende Studiopublikum zurück. Das in der sich anschließenden Hitparadenkarriere doch eher auf harmlose Urlaubsschlager abonnierte saarländische Pärchen intonierte mit dem sensationellen Soulknaller 'Geh die Straße' das nach dem Black-Sabbath-Cover 'Der Hund von Baskerville' wohl außergewöhnlichste Lied seines gesamten Repertoires. Für den rundweg fantastischen, mit Verve und Seele vorgetragen Song, ohne jede Frage der beste Beitrag des gesamten Abends, ernteten die Beiden nichtsdestotrotz nur einen sehr verhaltenen Applaus. Vermutlich hatte das Publikum mit einer solchermaßen herausragenden Darbietung nicht gerechnet und zeigte sich entsprechend perplex. Oder aber man war zu sehr damit beschäftigt, die Toupets wieder einzusammeln, die Cindy den anwesenden Herren mit ihrer Performance vom Kopf blies.

Marion Maerz
Im Spiegelkabinett
Es folgte die großartige Marion Maerz, die sich von Klaus Doldinger mit dem angegospelten 'Hallelujah Man' ebenfalls ein sehr gutes Stück hatte schreiben lassen, dies aber in einem völlig unpassenden folkloristischen Rüschenkleidchen vortrug, eher einer Nicole würdig. Unglücklicherweise rüstete man die Bühne hinter ihr noch mit einem Spiegelkabinett auf, um das optische Grauen ins Unendliche zu vervielfachen. Keine gute Idee! Siegel-Künstler Nummer zwei des Abends war ein gewisser Adrian Wolf, wohl als Jürgen-Marcus-Klon angedacht, in Realitas allerdings eher eine Schmalspurausgabe von Bernd Clüver. Siegels unausgegorener Soundmix (hier hatte er komponiert, was man sofort hört) endete als verdientes Schlusslicht.


Kylie 1972: Su Kramer

Su Kramer
Die Afro-Deutsche
Zum sofortigen Publikumsliebling avancierte dagegen Su Kramer. Kein Wunder angesichts eines eingängigen, leicht souligen Selbstvertrauenssongs ("Du musst Dir vertraun und es wird gelingen"), ihrer modischen Afrowelle und eines neckischen Hosenkleids, das offen zutage legte, dass sie keinen BH trug (und den auch nicht brauchte). 'Glaub an Dich selbst' - die Kramer tat es offensichtlich und mit Recht! Inga & Wolf bildeten als alternativ kostümiertes Songschreiberpärchen einen akustischen wie optischen Kontrapunkt. Ihr von Reinhard Mey komponierter Evergreen 'Gute Nacht Freunde' besang das Hohelied der Freundschaft (unvergessen die Zeilen "Was ich noch zu sagen hätte / dauert eine Zigarette / und ein letztes Fass Glas im Stehn"). Auch sie gehörten zu den Favoriten.

Sandra Haas
Bitte nach rechts brechen!
Nicht der Rede Wert hingegen der Beitrag von Sandra Haas, vorgetragen zudem in einem die Augen beleidigenden Kleid, dass noch nicht mal als Nachthemd für Senorinnen in einem DDR-Altenheim durchginge. Auch Sven Jenssen hätte seinen Song 'Grenzenlos' besser 'Chancenlos' genannt. Textlich zwar ein sehr grandprixeskes Lied der Güteklasse naive Weltverbesserungsfantasie ("Grenzenlos wünsch ich sie mir / weil dann für immer Frieden wär"). Von einem Peter Hofmann für Arme (ohne die siegfriedblonde Mähne hätte man ihn auch für Tony Marshall halten können) in Knödeltenormanier vorgetragen, entpuppte sich das im Ganzen schlicht als... hoffnungslos.


Da hatten die Rosy Singers aber zu tun!

Mary Roos
Fly, Mary, fly...
Mary Roos verfügte mit 'Nur die Liebe lässt uns leben' über eine von Joachim Heider ('Er gehört zu mir') komponierte, wirklich durch und durch superbe Hymne an die Lebenskraft spendende Macht der Liebe, vergurkte die anspruchsvolle Arbeit jedoch ziemlich. Die Rosy-Singers, die ihr vor allem im Refrain die Arbeit abnahmen und ihre langjährige Bühnenerfahrung, die sie trotz Minderleistung tapfer weiterstrahlen ließ, retteten die Chose vor einem Fiasko. Peter Horton schließlich bot ein für den Jurygeschmack eventuell etwas zu zeitkritisches, anklagendes Liedermacherstück ("Wo bleibt die Freiheit / von der man so viel spricht"). Mit Porschefahrerbrille und irgendwie österreichischer Ausstrahlung wirkte er außerdem ein bisschen unsympathisch. Sehr bedauerlich, denn 'Wann kommt der Morgen' ist ein brillantes Gospel-Pop-Stück mit Tiefgang.

Peter Lau, Renate Bauer
Der Student der Formgebung
Nach einer als "Schlagersängerparodie" angekündigten Balletteinlage (netter Versuch) kam es zu der wohl langwierigsten Auszählung in der Geschichte deutscher Vorentscheidungen. Zehn Juroren, davon fünf "musikinteressierte Laien" und fünf TV-Gewaltige, gaben einzeln ihre Punkte ab, die Miss Lottofee ebenso einzeln an die Magnettafel heftete. Ich danke dem Himmel für die heutigen Computergrafiken! Um eine sehr, sehr, sehr lange Geschichte abzukürzen: Cindy & Bert, Mary Roos sowie punktgleich Su Kramer und Inga & Wolf kamen in die Endrunde. Sie sangen ihre Beiträge nochmals, dann folgte eine erneute Abstimmung. Diesmal durfte jeder Juror nur noch seinen persönlichen Favoriten benennen. Inga & Wolf gingen nun völlig überraschend total leer aus. Beim vorletzten Juror lagen Cindy & Bert, Mary Roos und Su Kramer mit jeweils drei Punkten gleichauf. Emil Zalud, Unterhaltungschef des Saarländischen Rundfunks stimmte, wie die meisten anderen "Profi"-Juroren auch, für Mary Roos - zum Missfallen des anwesenden Studiopublikums, das hörbar buhte.


Wo bleibt sie denn? (Ab Minute 1:00)

Paul Kuhn
Wo läuft sie denn?
Auch Mary hatte wohl in realistischer Einschätzung ihrer Leistung an diesem Abend nicht an einen Sieg geglaubt und, wie sie in Jan Feddersens Buch selbst schildert, bereits mit dem Abschminken begonnen, als man sie wieder auf die Bühne rief. Sie musste einen sehr langen Studiogang entlang rennen, während die Kamera auf dem Dirigenten Paul Kuhn ruhte, der angesichts der divaesken Verspätung der Gewinnerin auch nur mit den Schultern zucken konnte. So war Mary drolligerweise bei der Siegerreprise seh- und hörbar völlig außer Puste. So umstritten sich die Entscheidung auch darstellte, letztlich erwies sich die Wahl als eine gute, wie die dann hinreißende Performance Marys in Edinburgh und der dritte Platz für Deutschland bewiesen.

Starterfeld und Ergebnisse 

 #Interpret Titel Pt 1 Pt 2 Platz Charts
 1Edina Pop Meine Liebe will ich Dir geben 27-
6
 -
 2Teddy Parker Ich setze auf Dich 18 -11 -
 3Olivia Molina Die größte Manege der Welt
20-9 -
 4Cindy & Bert Geh die Straße 4132 36
 5Marion Maerz Hallelujah Man
30
-
5
 -
 6Adrian Wolf Mein Geschenk an Dich  13- 12  -
 7Su Kramer Glaub an Dich selbst
38  3 2 -
8Inga & Wolf Gute Nacht, Freunde
 38 0 4 22
 9Sandra Haas Das Leben beginnt jeden Tag
 27 - 6 -
 10Sven Jenssen Grenzenlos
 19 - 10 -
 11Mary Roos Nur die Liebe lässt uns leben
 40 4 1 17
12Peter Horton Wann kommt der Morgen?  27- 6 -


Deutsche Vorentscheidung 1971

Eurovision Song Contest 1972

Deutsche Vorentscheidung 1973

 

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