Klimaschutz - Tun wir genug?
"Titus, iss noch ein Stück Biobanane"
Einmal im Jahr fahren wir zum Kartoffelfest auf dem idyllischen Gut Wulksfelde in Tangstedt, Schleswig-Holstein. Wir werfen Forke, Spaten und Kinderschaufeln in den Kofferraum unseres ziemlich in die Jahre gekommenen Renaults, der uns die familiäre Klimabilanz versaut, und fahren dorthin, wo die Stadt gerade aufhört und das Land anfängt. Die Fahrt dauert eine Dreiviertelstunde, die letzte Viertelstunde stehen wir im Stau. Dann lassen wir uns von einem Heuwagen, der von einem Traktor gezogen wird, zum Feld bringen. Wir buddeln einen Sack voller Kartoffeln aus, wobei wir uns manchmal an den Disteln piksen, die zum Schutz vor Ungeziefer zwischen den Kartoffelpflanzen wachsen. Am Ende wuchten wir zwölf Kilo auf die Waage am Ackerrand, zahlen 50 Cent das Kilo, fahren mit dem Heuwagen zurück und dann mit dem Renault nach Hause. Daheim werfen wir unsere Klamotten mit den Matschflecken in die Waschmaschine, und dann kochen wir Himmel und Erde, Auftakt der Kartoffelsaison in unserer Küche.
Bioessen ist Folklore.
Das letzte Kartoffelfest war im September. Jetzt, in der Adventszeit, sind die Kartoffeln aufgegessen, und ich frage mich, ob es nicht doch ökologisch sinnvoller gewesen wäre, wir wären regelmäßig mit dem Fahrrad zum Markt gefahren und hätten dort unsere Kartoffeln gekauft.
Es wäre wohl vernünftiger gewesen, so wie es auch vernünftiger wäre, einen neuen Pulli nur dann zu kaufen, wenn der alte zerschlissen ist. Nur: Ich bin nicht vernünftig. Ich kaufe (teilweise, aber nicht systematisch) bio, aber nicht weil ich Essen kaufen will, dessen Herstellung die Umwelt schont, jedenfalls nicht nur. Ich kaufe bio, weil ich es mag, wenn eine Kartoffel nach der Erde schmeckt, in der sie gewachsen ist. Und weil ich ein Gefühl suche. Das Gefühl, gesund zu leben (und ein paar andere Dinge wettzumachen: wenig Schlaf, das eine oder andere Glas Wein, dreckige Luft). Das Gefühl, meinen Kindern zu zeigen, woher das Essen kommt, wie viel Anstrengung in einer Kartoffel steckt, bevor sie auf ihrem Teller landet. Es ist das gute Gefühl, als Stadtmensch Trauerränder unter den Fingernägeln zu haben.
Und die Kinder? Vier und sechs sind sie, und sie mögen Biokartoffeln, weil sie gern buddeln. Noch mehr mögen sie Biobananen, weil auf denen immer noch ein Aufkleber mehr klebt. Moral ist Kindern, jedenfalls mit vier und sechs, noch nicht so wichtig.
Alles kann richtig und falsch sein, der Apfel aus Neuseeland hat, wenn ich ihn im Januar kaufe, möglicherweise eine bessere Klimabilanz als mein Lieblingsapfel mit dem schönen Namen Rubens, der zuvor im Alten Land, 35 Kilometer von Hamburg entfernt, gewachsen ist und ein ganz kleines bisschen nach Kohlrabi schmeckt. Nur liegt Rubens, wenn ich ihn im Januar kaufe, schon seit September im Kühlhaus. Die Biotomaten im umweltsündigen Plastikschälchen, die ich neulich kaufte, schienen mir auch nur eingeschränkt ökologisch. Nicht alles, wo bio draufsteht, ist jedenfalls wirklich gut für die Umwelt. Der Riesling aus Rheinhessen, den ich so liebe, stammt aus biodynamischem Anbau, doch der Winzer schreibt das nicht mal aufs Etikett. Das muss daran liegen, dass Bioweine zuerst von Menschen gekauft wurden, die sich mit Wein nicht auskennen – weshalb sich im Umkehrschluss diejenigen, die Ahnung von Wein haben, auf keinen Fall mit einer Flasche mit Biosiegel sehen lassen wollen.
Und weil das alles so kompliziert ist, ist es so einfach, sich aus der Affäre zu ziehen. Ich esse nämlich keineswegs immer bio, schon weil mich dieser Spielplatzruf nervt: »Titus, iss noch ein Stück Biobanane!«, ein Satz, der eigentlich an alle gerichtet ist, nur nicht an Titus, und der übersetzt heißt: »Seht her, ich bin die beste Mutter, und mein Kind, das edle Geschöpf, ist heilig!« Ich esse nicht immer bio, weil es nicht allein an der biologischen Herstellung liegen kann, wenn ein Manchego-Käse mit Rosmarin im Biosupermarkt 39 Euro das Kilo kostet. Und weil die neuen Bioburger bei McDonald’s möglicherweise ökologisch korrekt hergestellt sind, aber noch lange kein gesundes Essen sind: Selbst ein Bioburger enthält einen Haufen leerer Kohlehydrate. In beiden Fällen, beim überteuerten Biokäse wie beim Bioburger, will jemand auf unanständige Weise mein schlechtes Gewissen ausnutzen.
- Datum 9.12.2009 - 11:22 Uhr
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- Quelle DIE ZEIT, 03.12.2009 Nr. 50
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Schöner Artikel für den Start in den Tag.
Vor allem:
»Seht her, ich bin die beste Mutter, und mein Kind, das edle Geschöpf, ist heilig!«
Wie wahr....
Wie viele Menschen braucht man,wenn man biologisch anbaut?
Mehr als beim konventionellen Anbau! Also habe wieder
einige mehr Arbeit! Die Düngerzubereitung des biologischen
Anbaues schont auch das Klima,weil weniger Treibhausgase
z.B Methan freigesetzt werden. Das im Mitteleuropäischen
Boden vorkommende Selen wird vor allem durch den Kunstdünger
wieder verdrängt,so dass Menschen die konventionell essen
größere Gefahr für einen Selenmangel haben,als Menschen,
die sich vorwiegend biologisch ernähren.Das ganze hat nur
einen Haken:Wenn die Menschen dann noch wenig Fleisch essen,
dann ist sehr wohl wieder die Gefahr größer für einen
Selenmangel.Wobei diese Ernährung gesünder ist:
http://www.spiegel.de/wis...
Diese Ernährung braucht weniger Fläche und würde mehr
Wald ermöglichen.
Es gab vor Jahren eine wenig veröffentlichte
Studie,die,die Spritzmittel als wichtigen Faktor bei
der Impotenz des Mannes entlarvten.
In Gegenden wo viel Herbizide und Pestizide gespritzt
werden ist die Krebsrate größer.Die Grünflächen unterliegen
überhaupt nur sehr wenig Einschränkungen für die Anwendung
von Spritzmitteln.
Das heißt : Frau Stelzer macht durch ihre Lebensweise das
Klima weniger kaputt,sie unterstützt,dass Tiere artgerechter
leben können,Wasser weniger verschmutzt wird ,mehr Menschen
Arbeit haben und sie obendrein noch gesünder ist,sich
mehr bewegt,mit der Bahn fährt(weniger Verkehrsfläche) und letztlich wahrscheinlich sich wohler fühlt ! Danke !
Ich habe versehentlich geschrieben: Herbizide und Pestizide
verursachen Impotenz des Mannes,richtig sollte es hier
heißen: Unfruchtbarkeit des Mannes.
Ich habe versehentlich geschrieben: Herbizide und Pestizide
verursachen Impotenz des Mannes,richtig sollte es hier
heißen: Unfruchtbarkeit des Mannes.
netter artikel, aber mit neid muss ich feststellen dass man sich mit dem schreiben des selbigen nicht nur biokost satt sondern sogar einen grünen tee UND treets in der bahn leisten kann. ausserdem ist da die frage: ist titus der kevin von morgen, oder schon der walldorf-bub von heute?
... vielleicht sollte ich zur klarheit besser einen :-) zu meinem artikel zufügen ...
Ach ja,
hierzu fällt mir stets wieder jener wunderbarer Satz ein:
"Der Spießer von heute celebriert den wöchentlichen Einkauf auf dem Biomarkt, ebenso wie der Spießer von gestern den allsontaglichen Autowaschtag"
Man sollte sich doch tatsächlich fragen, ob diese Bioprodukte nicht vielleicht wirklich nur, wie die Autorin auch kurz anreisst, zur Befriedigung des schlechten Gewissens und der
eigenen Außendarstellung dienen.
Ich kann mir persönlich nicht vorstellen, dass man damit entweder die Welt retten kann (viel zu tueuer und zu ineffektiv um damit Hungerprobleme lösen zu können) oder sehr viel für die eigene Gesundheit tut (chemische Spritzmittel sind verboten, jedoch keine organischen oder sogar Schwermetalle).
Dennoch hat jede Generation ihren Zeitgeist und vielleicht können wir ja auch allesamt in 10 Jahren über diese Biowelle lachen.
ich bin empört. Seit wann war denn der Autowaschtag sonntags? Auto waschen war schon immer Samstags, vor dem Bad in der Wanne und der Sportschau danach.
es soll Leute geben, die kaufen Bioprodukte weil sie die industrielle Landwirtschaft nicht so toll finden (Dünger und Pestizide beeinflussen die Umwelt).
P.S.:
In Baden-Württemberg dürfen Autowaschanlagen am Sonntag nicht geöffnet werden!
ich bin empört. Seit wann war denn der Autowaschtag sonntags? Auto waschen war schon immer Samstags, vor dem Bad in der Wanne und der Sportschau danach.
Wenn Sie schon bemerkenswerterweise meinen durchaus nicht unverschämten Kommentar stillschweigend ignorieren ...
Es giebt ganz gescheute Menschen, welche meinen, wenn
sie gegen eine Sache hartnäckig die Augen verschließen,
dieselbe sei nicht mehr auf der Welt. (Friedrich Nietzsche)
... dann könnten Sie wenigstens in der Sache eine Anmerkung vornehmen. So, wie die Grafik jetzt dasteht, ist sie schlicht Unsinn. - UNSINN! War dieses Wort nicht früher mal irgendwie ein Alarmzeichen in Bezug auf journalistische Ernsthaftigkeit? Mag sein, das wird heute üblicherweise toleriert. Die übrigen Kommentare zeigen das. Man ist ja längst an allerlei feuilletonistisches Geplapper gewöhnt und gewissermassen desensibilisiert ... Ich nicht.
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