Dienstag, 2. Februar 2010

Wissenschaft



Diamanten

Alle Artikel und Hintergründe

  • Drucken
  • Senden
  • Feedback
25.01.2010
 

Mineralogie

Schleifstein der Schande

Von Matthias Schulz

Nach einem halben Jahrhundert wird das Kronjuwel des Königreichs Bayern erstmals wieder öffentlich gezeigt. Doch die Fachwelt ist empört: Der blaue Diamant wurde umgeschliffen.


Im feinen Anzug durchschritten zwei Herren die videoüberwachte Sicherheitsschleuse und betraten den Laden des Juweliers Laurence Graff in London. Zu den Kunden des "Diamantenkönigs" gehören Victoria Beckham, Naomi Campbell und der Sultan von Brunei.

Kaum im Verkaufsraum, zogen die Männer Handfeuerwaffen und räumten Armbänder und Ohrringe im Wert von rund 47 Millionen Euro ab. Ihr wahres Antlitz hatten sie unter täuschend echten Gesichtsmasken aus Latex versteckt.

"Großbritanniens größter Juwelenraub" (so der "Guardian") vom August vergangenen Jahres gibt der Polizei bis heute Rätsel auf. Die Beute ist noch immer verschwunden.

Dabei hatte der Geschädigte noch Glück. Sein größter Schatz, der "Blaue Wittelsbacher", lagerte zum Zeitpunkt des Überfalls in einem Sonderdepot. Manche glauben, die Diebe hätten es einzig auf ihn abgesehen gehabt.

Erst im Dezember 2008 wurde der Riesenstein nach einem Bietergefecht bei Christie's für den Rekordpreis von 18,7 Millionen Euro an Graff verkauft. Seit 1807 hatte er die goldene Bügelkrone Bayerns geschmückt. Später geriet er in Privathand und verschwand.

Angeschrägte Facetten - 4,5 Karat weniger

Ab diesem Donnerstag wird das Kleinod nun wieder öffentlich zu sehen sein. Das Naturkundemuseum in Washington (das bereits den angeblich verfluchten, 45-karätigen "Hope"-Diamanten beherbergt) hat eine Sonderschau angekündigt.

Doch die geplante Ausstellung löste schon im Vorfeld Empörung aus. Laurence Graff hat den "Wittelsbacher" umarbeiten lassen. Der sanfte, über 300 Jahre alte Rosenschliff wurde modern angesteilt und erhielt mehr Facetten.

Dadurch glänzt das Artefakt jetzt zwar noch blauer, sein "Feuer" hat sich verstärkt. Aber auch seine geschichtliche Gestalt ging verloren.

"Zum Lutschbonbon entwertet" sei der alte 35-Karäter, meint Hans Ottomeyer, Direktor des Deutschen Historischen Museums in Berlin. "Es ist, als hätte man ein Rembrandt-Bild übermalt." Der Chemieprofessor Jürgen Evers von der Universität München nennt den Eingriff schlicht eine "Barbarei".

Selbst die Händlerszene ist böse. "Eine Schande ist das!", schimpft der Schatzmeister des Weltverbands der Diamantbörsen, Dieter Hahn aus Idar-Oberstein. Der derzeit beste Brillantschleifer des Erdenrunds - Gabriel Tolkowsky aus Antwerpen - sieht sogar das "Ende der Kultur" herannahen.

Etwa 4,5 Karat hat der neue Eigner von dem bläulichen Oval abwetzen lassen (ein Karat entspricht 0,2 Gramm). Sein Durchmesser wurde verkleinert, die Facetten sind angeschrägt, um eine höhere Lichtreflexion zu erzielen. "Graff wollte rücksichtslos den Marktwert steigern", klagt Ottomeyer.

Farbe im Diamanten: der schönste Makel der Welt

Offiziell heißt das Stück jetzt "Wittelsbach-Graff". "Diese Umbenennung", ärgert sich ein Fachmann, sei die "größte Frechheit".

Das Volk der Bayern ist damit seines alten Leitjuwels beraubt. Schon wegen seiner Stellung in der Farbskala ("deep blue") haftet dem Schmuck eine "stratosphärische" Seltenheit an, wie es in der Zunft überschwänglich heißt.

Nur unter Tausenden Diamanten ist statistisch gesehen einer richtig bunt. Die meisten davon sind gelb oder braun - wenig beliebte Tönungen.

Der "Wittelsbacher" aber strahlt in Azur, er glitzert wie der Himmel. Zudem stammt er aus den sagenhaften Kollur-Minen, einem Schluchtengebiet im altindischen Königreich Golkonda (in der Umgebung des heutigen Haiderabad).

Unter enormen Drücken wuchsen die Kohlenstoffkristalle dort in 150 Kilometer Tiefe heran. Vulkanisches Gebrodel drückte sie Richtung Oberfläche. Spuren von Bor färbten sie blau, durch Uranstrahlung wurden sie grün.

Alexander der Große, dessen Feldzug bis zum Indus reichte, ließ der Sage nach blutige Fleischbrocken in eine "Diamantenschlucht" werfen, an denen sich die Edelsteine anhafteten.

Auch Sindbad der Seefahrer erreichte im Märchen diesen Zauberort.

Inzwischen sind Golkondas Lager erschöpft; doch mineralogisch gesehen steht die Gegend immer noch einzigartig da. Einzig in dieser Fundstätte, wo einst Sklaven schufteten, kamen bis zu walnussgroße "Blaue" zutage. Nur vier sind insgesamt bekannt. Einer davon ist der "Wittelsbacher".

Sanft und behutsam war der Stein poliert worden, nach alter Technik. Erst später entwickelten Handwerker im Abendland immer härtere Schliffe - bis hin zum Brillanten, der das Licht über symmetrische Felder einfängt und glitzernd wieder auswirft.

So erhält der Stein Leben.

Vor allem Europas Hochadel gierte bald nach den funkelnden Symbolen der Ewigkeit. Vom Sonnenkönig Ludwig XIV. bis zum Zaren schmückten sich die Regenten mit Farbdiamanten vom fernen Subkontinent.

Als "Leitsteine" in den Kronen und Zeptern der Könige standen sie für den legitimen Anspruch auf Herrschaft, Macht und Besitz.

Beim Beschaffen der Luxusware ging es nicht selten ruppig zu. Der berühmte "Koh-i-Noor" ("Berg des Lichts"), strahlend hell und 105 Karat schwer, soll bereits 56 vor Christus einem indischen Helden gehört haben. Mogule und Maharadschas stritten sich um ihn.

Social Networks

  • Twitter
  • Facebook
  • MySpace
  • deli.cio.us
  • Digg
  • Folkd
  • Google Bookmarks
  • Linkarena
  • Mister Wong
  • Newsvine
  • reddit
  • StumbleUpon
  • Windows Live
  • Yahoo! Bookmarks
  • Yigg

© DER SPIEGEL 4/2010
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung der SPIEGELnet GmbH



Hintergründe, Artikel, Fakten

finden Sie auf den Themenseiten zu...











Service von SPIEGEL-ONLINE-Partnern