David Berger

Kämpfer für die Wahrheit des katholischen Glaubens - Zum Tod von Pater Prof. J.P.M. van der Ploeg O.P.

In den frühen Morgenstunden des 4. August, dem Fest des hl. Dominikus, ist in Nijmegen der bekannte Dominikanergelehrte Pater Johannes Petrus Maria van der Ploeg im Alter von 95 Jahren gestorben. Über viele Jahre war Pater van der Ploeg auch Mitarbeiter von „Theologisches“: Unvergessen sind seine hier veröffentlichten Stellungnahmen zum Katechismus der Katholischen Kirche, zum sog. Engelwerk, zur Theologie des regierenden Pontifex, zur Abhandlung der Päpstlichen Bibelkommission Über die Auslegung der Bibel in der Kirche sowie zu dem Geisteszustand der theologischen Fakultät der Universität Nijmegen.

Studiert hatte der Niederländer im französischen Saulchoir sowie am Angelicum in Rom. Seit jenen Jahren hatte er enge Kontakte nach Rom, die er später immer wieder wirkungsvoll einsetzte. 1930 wurde er zum Priester geweiht. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg geschah etwas, das ihn bald weltberühmt werden ließ: Auf Vermittlung des syrischen Bischofs Mar Athanasios bekam er eine der damals in der breiteren Öffentlichkeit noch weithin unbekannten Schriftrollen von Qumran in seine Hände. In Zusammenarbeit mit amerikanischen Gelehrten widmete er sich daraufhin der Erforschung dieser Schriften und veröffentlichte im Jahr 1957 sein kurz darauf in viele andere Sprache übersetztes Buch „Funde in der Wüste von Juda – die Schriftrollen vom Toten Meer“. Bis ins hohe Alter interessierte er sich lebhaft für die Qumran-Forschung: So ging er auf Distanz zu Carsten P. Thiede bezüglich der sog. Markustexte von Qumran: „Ich bin noch immer nicht überzeugt, dass sie vom Evangelisten stammen. Die Juden von Qumran waren, wie man heute sagen würde, Fundamentalisten, und dass sie sich für christliche Texte interessiert haben und sie sogar in ihre Bibliothek aufgenommen haben, kann ich nur schwer annehmen.“ [1]

Bereits 1951 war er Professor für Altes Testament, Hebräisch und Alt-Syrisch an der Katholischen Universität Nimwegen geworden. Von 1960 bis 1961 war er zudem Rektor Magnificus dieser Hochschule. Seine hervorragende Kenntnis der alt-syrischen Sprache sowie der orientalischen Kirchen brachte ihm hohen Respekt bei diesen ein: Seit dem Jahr 1963 war er „Chorbischof“ des Patriarchats von Antiochien, 1997 wurde ihm von einem Institut für syrische Studien in Indien ein Ehrendoktorat verliehen. Die Deutung der Heiligen Schrift war es, die bis zu seinem Lebensende sein Hauptanliegen war. Noch vor wenigen Jahren erschien in Gabalda (Paris) ein Buch über die Gleichnisse des Neuen Testaments in den vier Evangelien. Danach hatte er sich fest vorgenommen, noch ein umfangreiches Buch über das Leben Jesu zu schreiben, aber die immer schwächer werdenden Augen vereitelten diesen letzten großen Plan.

War van der Ploeg bis in die 60er Jahre vor allem durch wissenschaftliche Studien zu exegetischen Fragen und als „Sprachenwunder“ bekannt geworden, trat er schon kurz nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil in den Niederlanden als „Kämpfer für die Rechtgläubigkeit“ in Erscheinung. Er bezeichnete den „Holländischen Katechismus“ als häretisch, ohne jede diplomatische Zurückhaltung, aber stets mit Augemaß und ohne Fanatismus übte er öffentliche Kritik an dem postkonziliaren Kurs Kardinal Alfrinks sowie einiger seiner Mitbrüder und sprach vor dessen Bruch mit Rom offen von seinen Sympathien für den französischen Erzbischof Marcel Lefebvre. Auch später zeigte er immer wieder, dass er auch gegen sog. konservative Kräfte innerhalb der Kirche seine Kritikfähigkeit bewahrt hatte, etwa, als er die Theorien und Praktiken des später von Rom verbotenen sogenannten „Engelwerks“ einer vernichtenden Kritik unterzog. Dennoch galt sein Hauptaugenmerk dem niederländischen Progressismus, den er für den Totengräber der dortigen Ortskirche hielt. Der Kirchenhistoriker Ton van Schaik erinnert sich: „Er versorgte den Vatikan mit Klagen über die in seinen Augen modernistischen Bischöfe der Niederlande. Seine Informationen waren von großem Einfluss auf das Verhalten Roms gegenüber der Niederländischen Kirche.“

Im Jahr 1979 konnte van der Ploeg nicht nur seinen 70. Geburtstag, geehrt mit einer umfangreichen Festschrift, feiern. Es kam auch zu einem für ihn bis zuletzt schmerzlichen Bruch: Durch das indiskrete Verhalten eines sehr bekannten deutschen Theologen in der Theologenkommission erfuhr der Dominikaner Edward Schillebeeckx, der im selben Ordenshaus wie van der Ploeg in Nimwegen lebte, dass ein gewichtiges und vernichtendes Gutachten für das Verfahren der Glaubenskongregation, das damals gegen Schillebeeckx geführt wurde, von van der Ploeg stammte. Unter diesen Voraussetzungen war an ein friedliches Zusammenleben im Kloster nicht mehr zu denken. Van der Ploeg verließ den Konvent und lebte von da an „allein“, wie er dem Verfasser dieser Zeile einmal traurig schrieb. Überhaupt fühlte er sich innerhalb der niederländischen Kirche isoliert. In dem eben genannten Brief aus dem Jahr 1999 heißt es weiter: „Am Festtag des hl. Thomas, unseres großen Lehrers, grüße ich Sie herzlich und wage es Sie noch einmal nach Nijmegen einzuladen. Sie haben wohl keine Ahnung davon, wie einsam in diesem Land ein Mann ist, der noch ganz klar zur Lehre der Kirche steht. Ich bin hier isoliert.“

Nicht ganz Zufall war es wohl, dass schon ein Jahr nach dem öffentlichen Bruch mit Schillebeekx in einer großen niederländischen Zeitschrift gegen van der Ploeg – ausgehend von der Berufung auf einige unglückliche Stellen in einem Buch aus dem Jahr 1940 – der Antisemitismusvorwurf laut wurde. Er wehrte sich standhaft, blieb aber weiterhin konsequent der wichtigste Vertreter dessen, was die Niederländer „Vervangingstheologie“ nennen: Mit der Inkarnation des ewigen Wortes, mit der Christustat, ist die Erwählung des Volkes Israel beendet und an dessen Stelle die Kirche getreten. Während man in innerkirchlichen Kreisen der Niederlande den Antisemitismusvorwurf immer wieder einmal hervorholte, hielten die meisten anderen bekannten Wissenschaftler diesen jedoch für haltlos. Demonstrativ nahm man ihn 1979 in die Königliche Akademie der Wissenschaften auf. Bereits 1980 war er zum Mitglied der altehrwürdigen Pontificia Accademia Theologica Romana ernannt worden.

Von vielen, vor allem ehrgeizigen Klerikern, war van der Ploeg gefürchtet, der überwiegenden Mehrheit der niederländischen Katholiken war er ein intransigenter Reaktionär, einigen war er verhasst. Alle aber hatten großen Respekt vor seiner enormen, aus heutiger Perspektive fast legendär erscheinenden Kenntnis exegetischer Fragen und biblischer Sprachen. Die ihn persönlich kannten, wussten um seine menschlich bescheidene und freundliche Art.

In seinem Kampf für die Wahrheit war Pater van der Ploeg ein authentischer Dominikaner: Besteht deren vordringlichste Aufgabe nach P. Garrigou-Lagrange doch darin, zu kämpfen für „eine Wahrheit, die unveränderlich und unendlich erhaben ist über den Strom der Meinungen; eine Wahrheit, die selbst über der Freiheit steht, diese regelt und vor Verirrung und Verbrechen bewahrt. Es ist die göttliche Wahrheit, die die Predigerbrüder mit Gefahr ihres Lebens verteidigt haben gegen die Gier der Irrlehre, die die Gesellschaft zerstört ...“ [2] – Es wird noch einige Jahre brauchen, bis die Kirchengeschichtsschreibung aus der Distanz der Zeit erkennen kann, dass Pater van der Ploeg ein großer und wahrer Sohn des hl. Dominikus, ein zugleich mutiger und kompromissloser wie auch hochintelligenter Kämpfer für die Wahrheit des katholischen Glaubens war.


[1] Brief vom 7.3.1999 an den Verf.

[2] Mystik und christliche Vollendung, Neudruck: Bonn 2004, 314.