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News am 15.07.2010
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31. März 2010, 22:10 Uhr

"Wir wissen, dass es kein Einzelfall ist"

Unternehmen, die ihre Beschäftigten heimlich überwachen, sollten hart bestraft werden, fordert Achim Neumann von der Gewerkschaft Verdi. Im stern TV-Gespräch lobt er Mitarbeiter, die sich gegen solche Machenschaften wehren - und erklärt, was im Fall der Bespitzelung zu tun ist.

© privat Achim Neumann Achim Neumann ist Gewerkschaftssekretär bei Verdi und im Fachbereich Handel für die Beschäftigten der Drogeriemarktkette Schlecker zuständig. Er wurde 1946 in Wuppertal geboren und hat in Berlin Amerikanistik studiert. Seit 1975 engagiert sich Achim Neumann in Gewerkschaften.

Eine Schlecker-Mitarbeiterin sagt, dass die Mitarbeiter in ihrer Filiale heimlich überwacht wurden. Wie bewerten sie das?

Es ist klar, dass das ein verbotener Vorgang ist. Mir ist völlig schleierhaft, warum die nicht dazu lernen. Spätestens seit 2005/2006, als die Vorgänge bei Lidl waren, muss eigentlich jeder in Deutschland wissen, dass Kameraüberwachung - noch dazu wenn sie heimlich passiert - einen Rechtsbruch darstellt. Sie lernen halt nicht dazu.

Jetzt ist die Schlecker-Mitarbeiterin an die Öffentlichkeit gegangen. Ein mutiges Vorgehen, oder?

Ausgesprochen mutig. Wer bei Schlecker arbeitet, weiß, dass er unter Beobachtung steht. Wer bei Schlecker arbeitet, weiß, dass er einem ungeheuren Druck, einem Leistungsdruck, einem Anpassungsdruck ausgesetzt ist. In dieser defensiven Position nach außen zu gehen und zu sagen: "Leute, hier ist rechtstaatlich eine Schweinerei mit mir passiert", ist ein sehr mutiger Vorgang. Und ich kann der Kollegin eigentlich nur gratulieren, dass sie das getan hat.

Mit welcher Strafe muss Schlecker rechnen?

Im schlimmsten Fall - wenn sich die Dinge so bewahrheiten - ist die maximale Strafe 300.000 Euro. Es ist ein Bußgeld, weil es eine Ordnungswidrigkeit ist. Ich finde das überhaupt nicht in Ordnung. Das bezahlt so ein Unternehmen aus der Portokasse. Die Strafen müssen viel höher sein.

Ist der Fall, den die Schlecker-Mitarbeiterin schildert, ein bedauerlicher Einzelfall?

Wir wissen, dass es kein Einzelfall ist. Wir wissen von Vorgängen in Chemnitz, die wir auch belegen können. Dort hat eine Frau einen fast identischen Vorgang erlebt. Wir kennen das auch aus dem norddeutschen Bereich, wo Kollegen Kameras entdeckt haben. Sie haben die Anlage ausgebaut und ordnungsgemäß dem Schlecker-Vertriebsbüro zurückgegeben. Es gibt eine ungeheuer große Dunkelziffer.

Was sollten Beschäftigte tun, denen auffällt, dass sie heimlich überwacht werden?

Sie haben ein paar Möglichkeiten: Sie sollten auf alle Fälle die Polizei hinzuziehen, denn es ist ein Verstoß gegen Grundrechte, Persönlichkeitsrechte und die Menschenwürde. Der Staatsanwalt wird definitiv tätig und prüft. Das Zweite ist: Sie sollten das Unternehmen ansprechen, darauf drängen, dass das Material herausgegeben wird. Drittens sollten sie mit einem Rechtsanwalt Schadenersatz einklagen. Das wird allerdings schwierig, weil man beweisen muss, welcher Schaden einem durch Videoüberwachung entstanden ist. Außerdem muss man einen Betriebsrat gründen, denn Betriebsräte sind in der Mitbestimmung, wenn es um Überwachung geht.

Was könnte ein Betriebsrat tun?

Wenn ein Unternehmen Videoüberwachung will, muss der Betriebsrat nicht nur vorher informiert werden, sondern der Betriebsrat ist auch in der harten Mitbestimmung. Es muss dem Betriebsrat mitgeteilt werden, wozu man eine Videoüberwachung braucht. Dann wird der Betriebsrat mit dem Unternehmen eine Betriebsvereinbarung über die Anwendung dieses Videosystems machen. Dort ist der Zweck der Überwachung definiert, dort ist definiert, wie lange überwacht wird, wer überwacht wird. Da werden auch Aufbewahrungs- und Vernichtungszeiten geklärt - und dass der Betriebsrat auch jederzeit reingucken kann, was denn da aufgenommen wird.

Wie ist heimliche Videoüberwachung allgemein zu bewerten?

Videoüberwachung bezogen auf Beschäftigte - insbesondere dann, wenn es nicht angekündigt ist - ist ein Rechtsmissbrauch. Es verstößt gegen das Datenschutzgesetz. Es verstößt aber insbesondere gegen die unveräußerlichen Persönlichkeitsrechte, die ein Mensch hat. Und Persönlichkeitsrechte sind Menschenrechte. Wer also bewusst gegen Menschenrechte verstößt, hat in diesem Rechtsstaat relativ wenig verloren.

Interview: Raschel Blufarb