Stille Sieger: die deutschen Nationalspieler
08. Oktober 2010War das nun ein Heimspiel oder ein Auswärtsspiel? So ganz eindeutig ließ sich beides nicht sagen beim Spitzentreffen in Berlin zwischen Deutschen und Türken mit türkischer Fan-Majorität. Und weil man es nicht konnte, und Deutschland sich trotz eines 3:0-Sieges wohl noch nie fremder als an diesem Freitag in Berlin im eigenen Stadion fühlte, sollte man es auch nicht bei der Bewertung unterschlagen. Also: Die deutsche Mannschaft hat ein erstklassiges Spiel abgeliefert und dabei gegen die Türkei genau die passende Mischung aus Kontrolle und Attacke, aus Dominanz und Zurückhaltung demonstriert, die für ein Auswärtsspiel äußerst großartig gewesen wäre, für ein klassisches Heimspiel aber lange zu zaghaft und zu wenig konstant erschien.
Aber unter den besonderen Umständen eines stimmungsvollen deutsch-türkischen Abends entstand durch zwei Treffer von Miroslav Klose (42. und 87. Minute) sowie von Mesut Özil (79.) ein am Ende hochverdienter Sieg, einer tief von sich und ihren Qualitäten überzeugten Mannschaft, die sich weder von atmosphärischen Besonderheiten noch von personellen Schwierigkeiten nachhaltig beeindrucken ließ. Nach nun drei Siegen in drei Spielen auf dem Weg zur Europameisterschaft 2012 in der Ukraine und Polen hat sich die Auswahl von Bundestrainer Joachim Löw durch das am Ende triumphale Erfolgserlebnis nun erst einmal einen hübschen Vorsprung gegenüber dem größten Konkurrenten herausgearbeitet. Wenn das Team nun auch noch die letzte Pflichtübung am Dienstag in Kasachstan erfolgreich hinter sich bringt, dann haben die WM-Lieblinge des Sommers auch alle EM-Vorarbeiten in diesem Jahr perfekt erledigt.
In der deutschen Mannschaft, in der jeder Ballkontakt Mesut Özils die türkischen Anhänger zu Pfiffen reizte, sorgten Philipp Lahm und Holger Badstuber in der Innenverteidigung verlässlich für Sicherheit, im Mittelfeld ersetzte Toni Kroos den verletzten Bastian Schweinsteiger ordentlich, wobei Sami Khedira ohne seinen gewohnten Nebenspieler seine Rolle offensiver interpretierte, und damit für manchen schnellen Angriff sorgte. Aber die Souveränität und Stabilität, die der Münchner dem defensiven Mittelfeld ansonsten wie selbstverständlich garantiert, brachte das neue Duo nicht zustande. Özil spielte lange eine unauffällige und solide Partie, aber alle Augen blieben immer auf ihn gerichtet, weil der Real-Spieler eben stets für eine entscheidende und überraschende Aktion gut ist. So wie in der 70. Minute, als er Podolski genial frei spielte, aber der Kölner das Tor verfehlte.
Danach bewies Özil, als er mehr Raum bekam, immer wieder seine Extraklasse, als virtuoser Vorbereiter und schließlich als Schütze des entscheidenden Treffers, der aus dem deutsch-türkischen Hauptdarsteller auch den großen Gewinner des Abends machte. Thomas Müller sorgte auf der rechten Seite ebenfalls für Unberechenbarkeit und Gefährlichkeit und Miroslav Klose beeindruckte durch seine körperliche Präsenz und Entschlossenheit, die sich nicht zuletzt in seinem ersten Treffer ausdrückte, den er reaktionsschnell nach einem Kopfball von Müller an die Unterkante der Latte ebenfalls mit dem Kopf aus wenigen Metern Entfernung zum Erfolg führte. Bei seinem zweiten Tor machte er es Özil nach und schob Demirel den Ball auch durch die Beine.
Die Türken kamen in der ersten Halbzeit trotz ihrer technischen Stärken und Kombinationsfreude Torwart Neuer kaum einmal gefährlich nahe. Die beste Gelegenheit machte Badstuber zunichte, als er den freigespielten und fast schon enteilten Halil Altintop doch noch entscheidend störte. Bis zum Führungstreffer hatten sich die Deutschen dagegen immer wieder Gelegenheiten erspielt, wenn auch keine ganz erstklassigen Chancen, aber ob nun über Podolski (10.), Khedira (12.), Kroos (24.), der Favorit näherte sich beständig seinem Ziel. Das junge deutsche Team wirkte insgesamt reifer, und die Überzeugung, sich irgendwann durchzusetzen, war spürbar, auch wenn einige unpräzise Zuspiele dazu führten, dass es zu dauerhaften Spielkontrolle nicht reichte.
Nach dem Wechsel wagten die Türken mehr, und der größere Druck machte auch die deutschen Schwächen in diesem Spitzenduell um den Gruppensieg und die direkte Qualifikation deutlich. In der 53. Minute patzte ausnahmsweise die deutsche Verteidigung (in der Westermann vor Boateng den Vorzug erhielt) als sie eine Flanke nicht unterbinden konnte, die Halil Altintop erreichte, der aber freistehend aus wenigen Metern Entfernung nicht die Nerven besaß, um daraus den Ausgleich zu machen. Der Bundestrainer war an der Außenlinie außer sich über die Unachtsamkeit, die dem Spiel eine Wende hätte geben können.
Nach 70 Minuten boten sich den Deutschen immer mehr Gelegenheiten gegen die Türken, die ihre Angriffsbemühungen mit mehr Spielraum für die Deutschen bezahlten. Zweimal bereitet Özil exzellente Möglichkeiten vor, einmal scheiterte Podolski (70.) in bester Position, dass es Löw aus Verzweiflung nicht mehr auf seinem Sitz hielt, kurz darauf stoppten die Türken den letzten Pass doch noch im letzten Moment. Aber weil die Deutschen es versäumte, für die Entscheidung zu sorgen, gerieten sie immer wieder unter Druck, vor allem weil das defensive Mittelfeld seine Positionen nicht stabil hielt. Es war Rettungsaktionen von Badstuber und Lahm zu danken, dass diese Lücken nicht zum Ausgleich führten.
Das Beste hob sich Özil bis zum Schluss auf. Der in der zweiten Halbzeit großartige Lahm verschaffte dem Spieler des Tages selbst einmal freie Bahn - und Özil blieb so cool, wie man sich das nur wünschen kann. Er schob den Ball an Torwart Demirel vorbei zum 2:0 (79.). Er verzichtet auf Jubelgesten nach dem Tor gegen das Land seiner Eltern. Das übernahmen dann gerne die Kollegen. Erst feierten sie Özil - und kurz vor Schluss dann auch noch Klose für seinen zweiten Treffer.
Deutschland - Türkei 3:0 (1:0)
Deutschland: Neuer (FC Schalke 04/24 Jahre/14 Länderspiele) - Lahm (Bayern München/26/74), Mertesacker (Werder Bremen/26/72), Badstuber (Bayern München/21/7), Westermann (Hamburger SV/27/22) - Khedira (Real Madrid/23/15), Kroos (Bayern München/20/11) - Müller (Bayern München/21/11), Özil (Real Madrid/21/20 - 90. Marin/Werder Bremen/21/14), Podolski (1. FC Köln/25/82 - 86. Träsch/VfB Stuttgart/23/4) - Klose (Bayern München/32/104 - 90. Cacau/VfB Stuttgart/29/15)
Türkei: Volkan Demirel (Fenerbahce Istanbul/28/45) - Gökhan Gönül (Fenerbahce Istanbul/25/20), Ömer Erdogan (Bursaspor/33/3), Servet (Galatasaray Istanbul/29/51), Sabri (Galatasaray Istanbul/26/35) - Aurelio (Besiktas Istanbul/32/36 - 25. Tuncay/Stoke City/28/79) - Özer Hurmaci (Fenerbahce Istanbul/23/1), Sahin (Borussia Dortmund/22/24 - 78. Yildirim/Bursaspor/20/9), Emre (Fenerbahce Istanbul/30/73), Hamit Altintop (Bayern München/27/60) - Halil Altintop (Eintracht Frankfurt/27/35 - 63. Semih Sentürk/Fenerbahce Istanbul/27/24)
Schiedsrichter: Webb (England)
Zuschauer: 74.244 (ausverkauft)
Tore: 1:0 Klose (42.), 2:0 Özil (79.), 3:0 Klose (87.)
Gelbe Karten: - / Servet
Text: FAZ.NET
Bildmaterial: 3D-Unlimited, AFP, dapd, dpa, REUTERS