Tiefes Kreidemeer, tropische Flachsee und eiszeitlicher Staub -
eine Geologie der Wiener Friedhöfe

 

"Gedenke Mensch, dass Du Staub bist und zu Staub zurückkehren wirst," jene Worte des Priesters beim Spenden des Aschenkreuzes am Aschermittwoch haben auch in Wien einen realen Hintergrund. Wenn es darum geht einen Blick unter die Erde zu machen, schon zu Lebzeiten zu schauen, in welchem Friedhof man einmal bestattet sein möchte, so gibt es neben persönlichen Argumenten, Vorlieben und Abneigungen für oder gegen einzelne Friedhöfe auch einen - bislang nicht oder kaum beachteten Aspekt: die Geologie des Untergrundes.
Denn Stein ist nicht gleich Stein, was für Grabsteine gilt, ist auch für den geologischen Untergrund, als Ausgangsbasis für die Bodenbildung anzuwenden, der in Wien sehr breit und vielfältig ist. Je nach dem wo der Friedhof liegt, ist auch der Untergrund anders. Davon wissen nicht nur Totengräber zu berichten. Dass jenes letzte Schauferl Erde, das man ins Grab nachwirft am Baumgartner Friedhof (rötlicher oder grüner Ton) anders aussieht als am Zentralfriedhof (gelber Staub [=Löss]) mag schon manchen aufgefallen sein, dahinter steckt allerdings eine jahrmillionen lange Geschichte.
So haben verschiedenartige geologische Schichten auch ganz spezifische Auswirkungen auf den Verwesungsprozess: Verwesen sterbliche Überreste in lockeren Böden des Zentralfriedhofes oder in Friedhöfen jenseits der Donau in Zeiträumen von weniger als 10 Jahren - dann sind nur mehr Knochen und einige Holzreste des Sarges übrig - dauert der selbe Prozeß in den schweren Böden der Flyschzone (zum Beispiel Baumgartner Friedhof) bis zu 30 oder mehr Jahre. Totengräber benötigen bei derartigen Extremsituationen für den Aushub eines Grabes rund sieben Stunden, während es in lockeren Böden nur rund drei bis vier Stunden dauert. Immerhin gilt es für ein Familiengrab für vier Särge in schweißtreibender Arbeit eine vorgeschriebene Tiefe von 2,70 Meter zu erreichen.

 

Wenn es darum geht Gräber zu definieren, so ist Grab nicht gleich Grab. Unterschieden wird in Wien das:
+ flach angelegte Rasengrab auf Wegniveau mit kleinem Grabstein
+ Grab mit Einfassungen
+ gruftartiges Grab mit Grabdeckplatte
+ Gruft: ausgemauerte Grabstelle
+ besondere Grabstelle: Doppelgrabstelle, Mausoleum et cetera
+ einfaches Urnengrab
+ gruftartiges Urnengrab mit aufgelegter Platte
+ Urnengruft: ausgemauerte Urnengrabstelle für die Beisetzung von Aschenkapseln
+ Urnenwandnische: Beisetzung von Leichenaschen in Aschenkapseln
+ besondere Urnengrabstelle: Urnengrabanlage, Urnendoppelgrabstelle et cetera

 

Danach richtet sich auch die Anzahl der Verstorbenen, die in den Gräbern beigesetzt werden können:
+ einfaches Grab: ein Sarg (nur Beisetzungen, die die Stadt Wien übernimmt)
+ Familiengrab: vier Särge Erwachsener
+ Gruft: vier, sechs, neun oder mehr Särge Erwachsener
+ Urnengrab: acht oder mehr Leichenaschen
+ bei Erschöpfung der Aufnahmefähigkeit einer Grabstelle: Exhumierung und Zusammenbettung von Verstorbenen möglich

 

Der Wiener Untergrund - eine Spurensuche

 

Wien, die Donaumetropole, liegt am östlichen Ende des Alpenbogens, der sich von Nizza aus über die Schweiz bis zum Wienerwald und seinen Ausläufern jenseits der Donau spannt. Den Übergang zu den Karpaten, die bereits bei den Hainburger Bergen beginnen, bedecken kilometerdicke Gesteinsschichten des Wiener Beckens, das sich rund 200 Kilometer von Gloggnitz bis nach Napajedl in Südmähren spannt und gerade kaum 60 Kilometer breit wird. Damit sind auch die wesentliche Stichworte für die Geologie Wiens gegeben: Flyschzone, Wiener Becken und Donau, zu ergänzen wären noch die Eiszeiten.
Flächenmäßig wird die Stadt zu 79 % vom Wiener Becken eingenommen, zu 20 % von der Flyschzone und zu einem Prozent von den Kalkalpen. Landschaftlich bilden die Berge im Westen und Norden der Stadt vom Lainzer Tiergarten über den Hermannskogel (542 Meter), den Kahlenberg (484 Meter), den Leopoldsberg (425 Meter) bis zum Bisamberg (358 Meter) einen Bereich, der zur Flyschzone gerechnet wird. Der heute nicht mehr gebräuchliche Name, "Sandsteinzone" oder "Sandsteinwienerwald" beschreibt ziemlich genau aber nicht ganz umfassend worum es geht. In der Realität gibt es neben Sandsteinen auch Mergel, beziehungsweise Tonmergel. Genauer gesagt handelt es sich um Wechselfolgen von Sandsteinen und Mergeln (= kalkhaltige Tone).

Nachdem Sandsteine - es sei denn sie sind extrem tiefgründig verwittert - für die Anlage von Friedhöfen nicht gerade prädestiniert sind, gilt es einen Blick auf die Mergel zu werfen. Generell bewegen wir uns bei den Ablagerungen der Flyschzone in der dunklen Tiefsee der Kreide und Tertiärzeit. Wobei die Sandsteine als Trübeströme (= Turbidite) interpretiert werden, die zunächst als lockere Sandmassen vom Kontinentalschelf - ausgelöst etwa durch ein Erdbeben - lawinenartig in die Tiefsee rasten, ehe sie dort zu Sandsteinen verfestigt wurden. Darüber folgte feinster Tiefseemeeresschlamm, denn wir heute als Ton, Mergel oder Kalkmergel zwischen den Sandsteinen finden. Wobei man hier mit geringem Aufwand eine relative Tiefenangabe machen kann: liegt reiner Ton vor, der mit 10% Salzsäure (eine geologische Routineuntersuchungen, die jeder selbst nachvollziehen kann) nicht aufbraust, so handelt es sich um Tiefseeablagerungen unter der Kalkkompensationsgrenze (in cirk. 1000 bis 3500 Meter Wassertiefe). Das ist jener Bereich in der Tiefsee, wo winzige Reste kalkiger Mikroorganismen vom Wasser gelöst werden. Liegt Mergel oder Kalkmergel vor, das ist Ton mit geringem Kalkgehalt, befinden wir uns schon einige hundert Meter höher, aber immer noch in der lebensfeindlichen Tiefsee.

 

 

In der Ruhe der Tiefsee des Wienerwaldes

 

Bildlich gesprochen liegen die Gräber in den wenigen Friedhöfen der Flyschzone in der ehemaligen Tiefsee. Wenn einst die Wassertiefe bis zu mehrere tausend Meter betragen haben mag, so verdanken wir der alpinen Gebirgsbildung mit der Heraushebung des Alpenkörpers, dass in Wien jene einst in der Meerestiefe abgelagerten Gesteine heute weit oben liegen, wo sie die Gipfelflur der Wiener Ausflugsberge bilden und auf die jüngeren Ablagerungen des Wiener Beckens quasi hinunter schauen.
Doch Mergel sind nicht gleich Mergel, zu unterschiedlich ist die Flyschzone, wo verschiedene Ablagerungsbereiche und verschiedene geologische Alter unterschieden werden. Beim Hütteldorfer Friedhof oder Baumgartner Friedhof bettet man Tote in rote und grüne Tone ("Bunte Schiefer") der kreidezeitlichen Hütteldorf Formation (99 - 84 Millionen Jahre). Anders verhält sich die Lage beim Neustifter Friedhof: Hier befindet sich schräg vis á vis vom Eingang eine Tafel des Wiener Naturdenkmales mit der Nummer 114: Die dort senkrecht stehenden Gesteinsschichten am Strassenrand sind Mergel der Laab Formation (55 bis 37 Millionen Jahre) der Tertiärzeit. Auch der Friedhof in Hadersdorf Waidlingau liegt in diesen sehr tonreichen, leicht verwitternden Schichten.

Völlig anders ist die geologische Ausgangslage in den Niederungen und Terrassenlandschaften des Wiener Beckens wo die Mehrzahl der Friedhöfe liegen. Hier sind die ältesten Ablagerungen maximal 15 Millionen Jahre alt, aber dennoch haben die Sande und Tone einiges zu bieten: Muschel und Schneckenreste hat schon so mancher Totengräber beim Schaufeln ergraben und eingesteckt. Und damit sind wir beim Meer des Wiener Beckens, das in seinen besten Zeiten tropische Lebensvielfalt beheimatete.

 


Im tropischen Meer des Wiener Beckens

 

Zunächst senkte sich vor rund 17 Millionen Jahren in der unteren Miozänzeit des Tertiärs der Untergrund zwischen dem sich langsam formierendenen Alpenkörper im Westen und den Karpaten im Osten ab. Langsam aber stetig suchte das Wasser einen Weg in der jungen Sencke. Das Klima im mittleren Miozän war vor rund 15 Millionen Jahren bedeutend wärmer: Korallen, Rotalgen und Haie tummelten sich im Meer. Helle Kalke ("Leithakalk") lagerten sich in Nussdorf ab, ein Vorläufer der Liesing mündete als flaches Delta bei Kalksburg ins angenehm warme Meer des Wiener Beckens; das marine Leben schwelgte im Optimalbereich. Tone wurden als feiner Schlamm in ruhigeren, das heißt auch etwas tieferen Wasserbereichen abgelagert, Sande standen im Einflußbereich zumindest gelegentlicher Wasserbewegung und Strömung. Je gröber der Sand, desto größer auch der Wellenschlag oder die Strömung. Diese Grundgesetze des "Aktualismus" galten damals wie heute.
Das Wiener Beckens war vor rund 17 Millionen Jahren durch Absenkung des Untergrundes am Überganz zwischen den Alpen und den Karpaten entstanden.
Heute stößt man beim Kalksburger Friedhof, beim Nußdorfer Friedhof, beim Heiligenstädter Friedhof, am Dornbacher Friedhof oder beim Pötzleinsdorfer Friedhof in Sanden und Tonen auf Reste dieser einstigen tropischen Lebensvielfalt, wo sich vor 15 Millionen Jahren noch Korallen, Rotalgen und Haie im Meer tummelten.
In weiterer Folge stieg vor rund 13 Millionen Jahren der Salzgehalt im Meer des Wiener Beckens; Korallen und Rotalgen konnten mit den neuen Anforderungen nicht mehr mithalten und starben aus. Als Konsequenz der neuen Lebensumstände etablierten sich nur mehr wenige Arten, allen voran hoch spezialisierte Muscheln und Schnecken finden sich massenhaft in Sanden und Tonen in den Friedhöfen von Hietzing, am Südwest Friedhof, am Hetzendorfer Friedhof, am Döblinger Friedhof, am Hernalser Friedhof oder in den Friedhöfen von Lainz, Mauer und Grinzing.
Der Beginn des Endes des Wiener Beckens war dessen Aussüssung: sinkender Salzgehalt, zunehmender Süsswassereinfluß durch randliche Flüsse machten aus dem einstigen Korallenmmeer beginnend vor 11 Millionen Jahren zunehmend ein Binnenmeer. Sande und blaugraue Tone, wie wir sie aus Inzersdorf und Hennersdorf für die Ziegelherstellung kennen, dominieren nunmehr.

Einige dickschalige Muscheln (Congerien) und ganz typische, sich rasch weiterentwickelnde Schnecken (Melanposiden) bevölkern die Gewässer.
Die Wassertiefe war wahrscheinlich unter 100 Meter. Beweise dafür liefern im Süden Wiens beispielsweise der Inzersdorfer Friedhof oder der Meidlinger Friedhof.
Als das Wiener Becken zunehmend verlandet war, griff die Donau in das Weichbild ein. Mündete sie bislang noch in der Höhe von Mistelbach in das Wiener Becken, drängte sie mit Hilfe der Corrioliskraft nach Süden. Die weiteren Stationen waren der Sattel von Königsbrunn und dann der endgültige Donaudurchbruch zwischen Kahlenberg und Bisamberg. Damit befinden wir uns auch schon im Wechselspiel der Eiszeiten, das vor rund 1,8 Millionen Jahren begann. Charakteristische Zeugen dafür sind im Flachland entlang der Flüsse die verschiedenen Terrassenniveaus. Je höher die Kiesablagerung heute über dem Talgrund liegt, desto älter ist sie auch.
Dieses Wechselspiel zwischen Ablagerung (Akkumulation) in der Kaltzeit – wo das Jahresmittel der Temperatur rund 10 bis 12 Grad unter dem heutigen lag – und Abtragung (Erosion) in der nächst folgenden Warmzeit wiederholte sich immer wieder.
Heute finden wir in Wien als Reste der einzelnen Eiszeiten die Laaerberg Terrasse, die Wienerberg Terrasse, die Arsenalterrasse, die Theresianum Terrasse, die Stadt Terrasse mit dem Stefansdom und die Prater Terrasse. Besonders eindrucksvoll ist die Terrassenstufe bei der Ruprechtskirche oder der Strudelhofstiege zu sehen. Die Kiese sind stellenweise zu Konglomeraten verfestigt, so benötigen Totengräber an manchen Stellen des Zentralfriedhofes sogar den Krampen um die geforderte Grabtiefe zu erreichen.
Bedeckt wurden die einzelnen Terrassen mit Ausnahme der am tiefsten liegenden (= Prater Terrasse), von eiszeitlichem Staub, besser bekannt als Löss. Dieses gelbe Sediment bildet lockere Böden in denen Leichen in weniger als 10 Jahre verwesen.
Diese optimalen Vorraussetzungen erkannte schon 1869 der Geologe Dionysus Stur, der einen umfangreichen Bericht anläßlich der Planung des Wiener Zentralfriedhofes verfasste. Breiten Raum widmet er darin den günstigen Eigenschaften des Lösses. “Die Leichen werden ... in einen aussergewöhnlich trockenen Boden gelegt, welcher in der Art eines Filtrums alle Feuchtigkeit aufsaugt, und die Bewegung der in ihm gelangenden Feuchtigkeit in jeder Beziehung sehr verlangsamt. Es ist natürlich, dass der Löss sich in gleicher Weise auch gegen die in der Leiche enthaltene Feuchtigkeit verhalten wird und somit auf die Leiche austrocknend wirken wird.”
Heute sind weite Teile der Stadt beiderseits der Donauniederung von Löss bedeckt, Einblicke bieten unter anderem Gräber am Zentralfriedhof, oder am Stammersdorfer Friedhof.

 

Literaturverzeichnis:
http://www.magwien.gv.at
FUCHS, W. (1985): Geologische Karte der Republik Österreich Blatt 59 WIEN, 1:50.000, Geol. B.-A., Wien
GRILL, R. (1954): Geologische Spezialkarte der Republik Österreich Blatt GÄNSERNDORF, 1:75.000, Geol. B.-A., Wien
KÜPPER, H. (1968): Bundesländerserie: Wien, Verhandl. Geol. B.-A., 20 Tab., 206 S., Wien.
SCHNABEL, W. (1997): Geologische Karte der Republik Österreich Blatt 58 BADEN, 1:50.000, Geol. B.-A., Wien

 

Der Wiener Zentralfriedhof – der geologische Befund

 

Die Anlage eines neuen Friedhofes erfordert eine Menge Überlegungen, als Beispiel für die Weitsichtigkeit des Wiener Gemeinderates sei auf eine umfangreiche geologische Studie im Jahrbuch der “k.k. geologischen Reichsanstalt” des Jahres 1869 verwiesen.
Dionysus Stur, seines Zeichens k.k. Bergrath und Chefgeologe der k.k. geologischen Reichsanstalt legte eine 20-seitige Arbeit mit dem Titel:

“ Die Bodenbeschaffenheit der Gegenden südöstlich bei Wien. Ein Bericht über die, der Gemeinde Wien zur Anlage eines Centralfriedhofes offerirten Flächen in den Gemeinden: Kaiser-Ebersdorf, Rannersdorf, Himberg, Pellendorf und Gutenhof.”

Nach der Darstellung der verwendeten Unterlagen und der Schotter des Steinfeldes widmete er ein breites Kapitel dem Löss und seinen Eigenschaften, wo unter anderem zu lesen ist:

 

“Es ist ein lichtgelbbrauner, stellenweise etwas sandiger und kleine Glimmerschüppchen enthaltender poröser Lehm von sehr geringer Festigkeit, indem er sich in den meisten Fällen zwischen den Fingern leicht zu Staub zerdrücken läßt.
....
Die Eigenthümlichkeit des Thones, das Wasser an sich zu halten, zu binden und es sehr langsam wieder verdunsten zu lassen, kommt dem Löss im hohen Grade zu. Er bildet allenthalben, wo er vorkommt, einen lockeren, leichten, in der Regel trockenen Boden, der in jeder Jahreszeit leicht bearbeitet werden kann.
....
Hierzu ist zu bemerken, dass der Löss allenthalben diese Eigenthümlichkeiten mit nur geringen Modificationen zeigt, sich überall bei einer Gleichförmigkeit verhältnismässig sehr leicht mit Haue und Schaufel bearbeiten lässt, Einstürzen und Nachrutschungen nicht ausgesetzt ist, kurz für Erdbewegungsarbeiten genau dasselbe Material bildet wie der Meerschaum für die Bildhauerarbeit.
....
Die offerirte Fläche bei Kaiser-Ebersdorf liegt südlich von Neugebäude, nahe zu Simmering. Ein Fünfeck bildend wird diese Fläche im Norden von der Simmering-Schwechater Strasse tangirt, nach Südwest dagegen von den Linien der Raaber Bahn und des Neustädter Canals. Beide Flächen
(Bemerkung: Die andere Fläche ist ein Gebiet in Rannersdorf) sind von einer ununterbrochenen Lage von Löss bedeckt, welcher auf dem Diluvial-Schotter lagert.
...
Aus diesen Beobachtungen folgt, dass in der Rannersdorfer Fläche die Lössdecke nicht unter zwei Klftr., in der Kaiser-Ebersdorfer Fläche nicht unter einer Klafter mächtig sei. Man wird somit bei den in einem Friedhofe vorkommenden Grabungen kaum je in die Lage kommen, den Löss durchzuteufen. Geschieht dies doch, so wird man auf den unter dem Löss lagernden, etwa 6 Klftr. mächtigen Diluvial-Schotter stossen.
.....
Aus dieser Darstellung der Verhältnisse des Untergrundes und der Wasserführung desselben ziehe ich für die offerirten Flächen bei Rannersdorf und Kaiser-Ebersdorf gemeinschaftlich die folgenden Folgerungen:
V o r e r s t i n H i n s i c h t a u f d i e V e r w e s u n g d e r L e i c h e n.
Die Leichen werden in beiden Flächen in den Löss, in einen aussergewöhnlich trockenen Boden gelegt, welcher in der Art eines Filtrums alle Feuchtigkeit aufsaugt, und die Bewegung der in ihm gelangenden Feuchtigkeit in jeder Beziehung sehr verlangsamt. Es ist natürlich, dass der Löss sich in gleicher Weise auch gegen die in der Leiche enthaltene Feuchtigkeit verhalten wird und somit auf die Leiche austrocknend wirken wird. Bei stärkeren anhaltenden Regengüssen wird allerdings der Feuchtigkeitsgrad auch in der Umgebung der Leiche, da ja das Grab erst gegraben wurde, daher die Feuchtigkeit in dasselbe leichter eindringen kann, eine Aenderung erfahren; doch bei abermaliger Aenderung des Feuchtigkeits – Zustandes in der Atmosphäre wird abermals eine Austrocknung der Leiche beginnen, und die in sie gedrungenen Feuchtigkeit von der unberührten trockenerern Lössmasse der Wände abermals aufgesaugt werden. Der Löss wird somit austrocknend auf die Leichen wirken, und durch diese Wirkung einen Verwesung der Leichen wohl ebenso schnell herbeiführen, als es in irgend einem anderen denkbaren Falle möglich ist.
In H i n s i c h t a u f d i e M ö g l i c h k e i t e i n e r A u s b r e i t u n g u n d V e r s c h l e p p u n g e p i d e m i s c h e r K r a n k h e i t e n a u s d e m F r i e d h o f e dürften die Eigenschaften des Lösses die grösste Garantie bieten gegen eine solche Verschleppung. Die Verwesungs-Producte der Leiche dürften im Löss besser um die Leiche concentrirt bleiben als in irgendeinem anderen Boden, da in diesem die Bewegung des Wassers, die langsamte folglich auch die geringste ist. Die Eigenthümlichkeit des Lösses, von Regengüssen fortgeschwemmt, an ruhigeren weniger bewegten Stellen des Wassers wieder genau in der ursprünglichen Form abgelagert zu werden, so dass ein Löss auf der zweiten Lagerstätte von dem ursprünglich abgelagerten Lösse kaum zu unterscheiden ist, gibt hinreichend Garantie für einen möglichst vollkommenen Verschluss des Grabes durch die auf die Leiche geworfene Lössmasse. Die beim Zuscharren des Grabes allenfalls unausgefüllte gebliebenen Zwischenräume wird der nächste Regen ausgleichen und vollkommen verschliessen, wenigstens ebenso vollkommen als in irgendeinem anderen Boden.
In H i n s i c h t a u f d i e G r a b u n g d e r G r ä b e r dürfte es kaum einen leichter, und ohne alle Vorrichtungen bequemer zu bearbeitenden Boden geben als der Löss ist. Seine Eigenschaft in senkrechten Wänden anzustehen, macht es möglich eine Reihe von Gräbern im Vorrath fertig zu halten, ohne dass sie einstürzen, wodurch die Erdbewegungsarbeiten zweckmässig eingetheilt, die Arbeit überhaupt sehr erleichtert werden kann.
....
Da die Feststellung der wirklichen Mächtigkeit der Lössmasse in allen Theilen des zur Anlage des Friedhofes zu verwendenden Fläche, nach Vorangehendem von sehr grosser Wichtigkeit ist und die Mächtigkeit der Lössmassen oft auf kurzen Strecken sehr veränderlich ist, wäre es rathsam vor der endgültigen Entschliessung, die zu dieser Feststellung nothwendigen Nachgrabungen durchführen zu lassen, um so mit grösserer Sicherheit und Beruhigung gegenüber jeder Art von Befürchtungen, zur Anlage eines Centralfriedhofes schreiten zu können.
Zum Schlusse mag es erlaubt sein zu bemerken, dass die Verschleppung und Verbreitung der Krankheitsstoffe, wenn solche jemals aus den Friedhöfen in der That constatirt wurde entschieden kaum je aus den verschlossenen Gräbern, gewiss stets nur aus den auch über 48 Stunden offen gebliebenen, wegen nicht völliger Belegung der Grabschachte nicht zugescharrten Gräbern stattgefunden haben dürfte. Wenn in dieser Richtung eine gehörige strenge Aufsicht über die Arbeiten in den Friedhöfen, insbesonders zur Zeit der Epidemien gehandhabt wird, so wird die Umgebung der Friedhöfe keinen Grund haben über die Verderbniss, respective Verpestung der Luft zu klagen.”

 

Literatur:
STUR, D. (1869): Die Bodenbeschaffenheit der Gegenden südöstlich bei Wien. - Ein Bericht über die, der Gemeinde Wien zur Anlage eines Centralfriedhofes offerirten Flächen in den Gemeinden: Kaiser-Ebersdorf, Rannersdorf, Himberg, Pellendorf und Gutenhof. – Jahrbuch k.k. Geol. Reichs.-A., Bd. 19, IV. H., S., 465-484, 2 fig., Wien


Thomas Hofmann

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