Hessische Pferdesportgeschichte:
Teil 4
 
1988 bis 1998 – Unterschiedliche Reitkulturen existieren nebeneinander
 
Am 2. Oktober 2008 wird groß gefeiert: Der Hessische Reit- und Fahrverband (HRFV) wird 50 Jahre alt. 1957 hatten sich die Regionalverbände Hessen-Nassau und Kurhessen-Waldeck bereit erklärt, sich unter einem Dach zusammenzuschließen. Am 25. Januar 1958 wurde die neue Satzung des Gesamtverbandes verabschiedet. Tina Schehler, bei der Recherche unterstützt von Heidrun Weitz, blickt zurück und beleuchtet fünf Jahrzehnte hessische Pferdesportgeschichte.
 
Die Vielgestaltigkeit und Freizeitorientierung des Pferdesports hatte sich bereits angekündigt: In den 90er Jahren setzte sie sich fort. Das Bewusstsein im Umgang mit dem Pferd veränderte sich. Spaß und Sport im Sattel, Freude an und mit Pferden verschiedenster Rassen und ein Neben- und Miteinander unterschiedlichster Reitkulturen waren nun die Eckpfeiler des neuen Reit- und Pferdeverständnisses. Eine Vielfalt der Pferderassen, der Reitweisen und der Reitsportarten waren charakteristisch für diese Zeit. 1987 wurde die erste Hessische Meisterschaft der Distanzreiter ausgetragen. Wander- und Westernreiten waren „angesagt“; die Erste Westernreiterunion (EWU) wurde 1993 Anschlussverband der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN). Die klassische Reiterei war in Hessen noch immer führend, stellte aber nur noch eine von zahlreichen möglichen Richtungen dar.
 
Der Turniersport war weiterhin gefragt und erfreute sich großen Zuspruchs. Die Mitgliederzahlen des Hessischen Reit- und Fahrverbandes (HRFV) wuchsen stetig weiter, wenn auch langsamer als zuvor. 1988 hatte der HRFV 57.083 Mitglieder (Hessen-Nassau: 41.432, Kurhessen-Waldeck: 15.651), zehn Jahre später waren es 72.433 (HN: 51.932, KHW: 20.501). 1994 gab es zum ersten Mal in der Geschichte des HRFV in allen vier Alterskategorien mehr Frauen als Männer; 63,2 Prozent der Mitglieder waren in diesem Jahr weiblich.
 
Dass die Regionalverbände Hessen-Nassau und Kurhessen-Waldeck zunehmend zusammenwuchsen, stellte Hermann Kombächer, seit 1980 Vorsitzender der Landeskommission Hessen (LKH), Ende 1987 in UNSER PFERD fest: „Beide Verbände taten sich viele Jahre schwer, das gegenseitige Misstrauen abzubauen. Heute ist davon fast nichts mehr zu spüren. Neid und Missgunst gehören der Vergangenheit an, die sportlichen Leistungen sind nahezu ausgeglichen, obwohl das wirtschaftliche Gefälle von Nord nach Süd eher größer als kleiner geworden ist. Und morgen? Die Selbständigkeit der beiden Verbände wird bestehen bleiben, aber das Dach des Hessischen Verbandes wird noch dichter werden.“
 
Toni Anspach neuer HRFV-Vorsitzender
Am 11. März 1989 wurde das Rätsel gelöst, wer dem verstorbenen HRFV-Präsidenten Eberhard Fluck ins höchste Verbandsamt nachfolgen würde: In Alsfeld wurde der pensionierte Polizeibeamte Toni Anspach, damals 62 Jahre alt, mit 140 von 269 Stimmen zum neuen Vorsitzenden gewählt. Gegenkandidat war der Niederzeuzheimer Theo Stähler. Sportwart wurde der Alsfelder Georg Schäfer, bis heute im Amt, neuer Pressewart Dirk A. Lude. Einen Wechsel im Vorstand des Regionalverbandes Hessen-Nassau hatte es am Vormittag bereits gegeben: Willy Rücker aus Groß-Gerau, bisher Sport- und Pressewart des HRFV, löste Rupert Stark als Vorsitzenden ab. Stark erhielt im selben Jahr das Deutsche Reiterkreuz in Silber. Im Verband Kurhessen-Waldeck war Heinz Abhau, schon seit 1981 im Amt, nach wie vor Erster Vorsitzender.
 
Toni Anspach betonte, ein Vorsitzender „über alle Grenzen und Meinungen“ hinweg sein zu wollen und beschwor die Einigkeit der Pferdeleute. „Ein rauer Wind weht uns ins Gesicht“ beschrieb er die Situation der Reiterei im Umbruch: Die Jugend sei nicht mehr so schnell zu begeistern, da das Angebot anderer Sportarten überhand nehme, in denen die Mühe wegfalle, sich auf ein Lebewesen einzustellen, so war im April 1989 in UNSER PFERD zu lesen. Deshalb sei es notwendig, so Anspach weiter, viele Gruppierungen in der Reiterei, die alle ihre Positionen durchsetzen wollten, unter einen Hut zu bringen.
 
Themen der Delegiertenversammlungen waren der Rückgang bei den jugendlichen Mitgliedern und bei der Kategorie C-Prüfungen. Dies sei ein Zeichen, so Geschäftsführer Robert Kuypers, sich vermehrt um die Basis zu kümmern. Als neuer Motivationsschub wurde das Kleine Hufeisen für die Jugend und für ältere Seiteneinsteiger die Reiternadel eingeführt. „Die Spitze des Leistungsanstiegs ist erreicht. Jetzt müssen wir umdenken“, mahnte der erfahrene Turnierrichter Hermann Kombächer. Viel Aufregung verursachte ein Ministeriums-Erlass, den der Breitensportbeauftragte Rudolf Salg vortrug. In diesem hieß es, dass Organisatoren reitsportlicher Veranstaltungen im Wald künftig kräftig zur Kasse gebeten werden sollten.
 
Eine neue Initiative von Toni Anspach waren die ab 1991 regelmäßig durchgeführten „Hippologischen Fachtagungen“. Kompetente Referenten aus allen Disziplinen - Conrad Schumacher (Dressur), Martin Plewa (Vielseitigkeit), Dr. Hanno Dohn (Springen) und Enno Georg (Fahren) - zogen bei der Premiere in Groß-Gerau Hunderte von Interessenten an. 1991 ging auch das Sportförderkonzept des Hessischen Reit- und Fahrverbandes nach einem Probejahr in Serie, welches HRFV-Sportwart Georg Schäfer gemeinsam mit Landestrainer Georg-Christoph Bödicker und Hessen-Nassau-Sportwart Sigurd Heiß entwickelt hatte: Hessenweit gab es ab sofort für die Dressur 14 und für das Springen 17 Trainingsstützpunkte. Damit sollte es jedem ermöglicht werden, in direkter Nähe qualifizierten Unterricht zu erhalten. Über die Stützpunkttrainer wiederum sollte der Verband neue Talente entdecken und an den Kader heranführen können.
 
Beim Verbandstag 1993 in Alsfeld-Eudorf wurde Toni Anspach so wie alle weiteren Vorstandsmitglieder wiedergewählt. Auch Willy Rücker, dem im selben Jahr das Bundesverdienstkreuz verliehen worden war, wurde im Regionalverband Hessen-Nassau als Vorsitzender im Amt bestätigt, ebenso sein Kollege Heinz Abhau im Regionalverband Kurhessen-Waldeck.
 
Herausragend: Wiesbaden, Frankfurt, Spangenberg
Drei herausragende Events galten in diesem Jahrzehnt als richtungsweisend in ganz Deutschland: das Wiesbadener Pfingstturnier, das Frankfurter Festhallen-Reitturnier und das Turnier in Spangenberg. Das Wiesbadener Pfingstturnier, älter als der HRFV, war nach wie vor eine Traditionsveranstaltung mit einzigartigem Ambiente im Biebricher Schlosspark. Jahr für Jahr kamen Zehntausende, um Spitzenreitsportler zu sehen - nicht nur aus aller Welt, sondern auch aus den verschiedensten Sparten. Das Turnier spiegelte damit den Trend der Zeit, die vorherrschende Vielfalt der Disziplinen im Pferdesport, wider. Von Spring- und Dressurwettbewerben mit internationaler Spitzenbesetzung bis hin zu Fahrsport, Pony-Küren und Horse Ball-Wettbewerben reichte die Palette. Die stimmungsvolle Pferdenacht mit originellem Schauprogramm bei Flutlicht fand großen Anklang. 1998 fand bereits das 62. Pfingstturnier statt.
 
Im Juni 1993 befürwortete Christiane Kächler-Kröck, seit Anfang 1991 Chefredakteurin von UNSER PFERD, im Editorial die neuen Wege, die in Wiesbaden beschritten wurden und legte den hessischen Turnierveranstaltern ans Herz, diesem Beispiel nachzueifern: „Reitsport muss Spaß machen – auch den Zuschauern auf der Tribüne, die keine Fachleute sind. Kostümspringen oder Kombinationswettbewerbe, bei denen man Geschicklichkeit beweisen und sogar einmal die eigenen Beine in die Hand nehmen muß, werden bei Reitern und Zuschauern immer beliebter, man muß nur einmal die Grünen Seiten mit den Ausschreibungen durchblättern, um das zu bemerken. Immer mehr Veranstalter lassen sich auf neue Konzepte ein, und das ist gut so. Die positive Resonanz, die ein attraktives Turnierprogramm mit überschaubaren Starterfeldern und Highlights fürs Publikum bei Zuschauern, Reitern – und natürlich auch Sponsoren – findet, gibt ihnen recht.“
 
Nach 17-jähriger Pause wurde vom 7. bis 10. Dezember 1989 das Frankfurter Festhallenreitturnier wiederbelebt (siehe Kasten), das bis heute zu den wichtigsten Events der hessischen Pferdesportszene gehört. Das Reitturnier in Spangenberg, schon in den 80er Jahren mit bestem nationalen Reitsport in der Presse, wurde im Juli 1990 erstmals und mit Erfolg international ausgeschrieben. Reiter aus zehn Nationen waren zur Premiere angereist.
 
Immer mehr Reiter außerhalb der Vereine
Das Ausbildungsniveau der hessischen Pferde stieg im Verlauf der 90er Jahre stetig an. Dennoch forderte der bekannte hessische Dressurausbilder Christian Pläge 1996 in einem Interview in UNSER PFERD, „noch besser auszubilden“, um das Image der Hessenpferde weiter zu steigern. Auch Ausbildungsmöglichkeiten und Ausbildungsstand der Reiter verbesserten sich stetig. Dabei wurde auch die Ausbildung der Freizeitreiter als wichtig angesehen.
 
Das Wanderreiten und der Urlaub im Sattel lagen im Trend. Die Freizeiträume Wald, Feld und Flur wurden von den Reitern und Fahrern intensiver denn je genutzt, was immer wieder einmal zu Konflikten mit Naturschutzbehörden, Förstern, Jägern, Bikern oder Spaziergängern führte. 1994 schockierte die Landesregierung mit dem Plan, das Hessische Naturschutzgesetz zu ändern. Reiten und Fahren im Wald sollte fortan untersagt sein. Toni Anspach bezeichnete dies als „nicht hinnehmbaren Eingriff in das Betretungsrecht des Waldes“. Auch die Pferdesteuer drohte in mehreren Gemeinden eingeführt zu werden.
 
Der Informationsbedarf der großen Gruppe der Pferdeliebhaber stieg enorm an, zumal immer mehr Menschen ihre Pferde in der Nähe des Hauses hielten, keine Reitschulen oder Reitställe aufsuchten und versuchten, sich selbst die wesentlichen Gesetze im Umgang mit Pferden beizubringen. Das Pferd wurde verstärkt als Individuum mit eigener Psyche und spezifischem Charakter begriffen, den es zu ergründen galt. Die artgerechte Pferdehaltung wurde vor allem den Freizeitreitern immer wichtiger, viele Pferdefreunde legten Wert auf Offenstall- statt Boxenhaltung. Die Weltmesse des Pferdesportes, die alle zwei Jahre durchgeführte EQUITANA in Essen, war ein Umschlagsplatz neuer Trends und eine Bühne „neuer Pferdegurus“: Bücher von Linda Tellington-Jones, Monty Roberts oder Desmond Morris waren Kassenschlager. Eine ganz eigene Reiterszene entstand: Sie wollte den Pferden alles erdenkliche Gute angedeihen lassen – vom Besuch des Pferdeheilpraktikers bis hin zur Gabe von Bachblüten-Tropfen.
 
Pferdefreunde verstärkt kritische Konsumenten
Auf diesen Trend der Individualisierung mussten die Verbände fortan verstärkt reagieren: Denn die Fixierung der Pferdefans auf die Reit- und Fahr- sowie die Pferdezuchtvereine war nicht mehr so intensiv wie in den vorangegangenen Jahrzehnten. Dies betraf nicht so sehr die Mitgliederzahlen, als vielmehr die Bindung der Mitglieder an Verbandsleben und Aktivitäten. Wie in allen gesellschaftlichen Bereichen traten auch die Pferdefreunde verstärkt als kritische Konsumenten auf.
 
Thomas Litzinger stellte 1992, damals seit einem Jahr Breitensportbeauftragter des hessischen Südverbandes, in UNSER PFERD fest: „Wenn jeder Vereinsvorsitzende seine Mitgliederliste durchschaut und nachzählt, wie viele im Turniersport aktiv sind und wie viele ‚nur’ ins Gelände gehen, dann wird er sehr schnell feststellen, dass letztere weit in der Mehrzahl sind.“ Es sei verkehrt, sich auf den Mitgliedszahlen auszuruhen. Denn, so Litzinger weiter: „Es gibt genug Organisationen, die sich ausschließlich dem Breitensport widmen.“ Daher sei es wichtig, auch die Freizeitreiter durch Aktivitäten an den Verein zu binden und Turniere mit Breitensportwettbewerben aufzupeppen. Die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) und der HRFV versuchten gegen Ende der 90er Jahre verstärkt Pferdebetriebe, die nicht an Vereine oder Verbände angeschlossen waren, von den Vorteilen einer Verbandsmitgliedschaft zu überzeugen.
 
HRFV mit neuen Initiativen richtungsweisend
Mit neuen Ideen und Initiativen wirkte der Hessische Reit- und Fahrverband richtungsweisend. Jede Menge Cups zur Förderung der Jugend wurden ins Leben gerufen und vom HRFV unterstützt. Eine wichtige Turnierserie wurde 1996 ins Leben gerufen: das nach dem Sponsor benannte VTV-R+V Jugend-Championat für Juniorenspring- und dressurreiter aus Hessen und Rheinland-Pfalz. Es löste den Equitop Cup ab. Daneben gab es bereits den Eurocard-Youngster-Cup (für Springreiter bis 21) und die Winergy-Trophy (Vielseitigkeit); die „Kombinierte Jugendprüfung“ sollte den Einstieg in den Leistungssport erleichtern. Vierkampfwettbewerbe und Ringturniere sollten weiterhin die vielseitige reiterliche Ausbildung der Junioren und den Teamgeist in den Vereinen fördern.
 
Ebenfalls 1996 startete der HRFV das Pilotprojekt „Vereinsberater“. Dieser sollte die Vereine kostenlos vor Ort besuchen und individuell beraten. Außerdem wurde im selben Jahr - nach der Einführung der Dressurreiterprüfung durch die FN in Hessen - sogleich ein neuer Dressurbewertungsbogen entwickelt. „Immer mehr Reiter reiten schwere Prüfungen, ohne dass die reiterliche Basis vorhanden ist“, so der Tenor der Funktionäre. Alle vier Jahre wurde die „Pferdefreundlichste Gemeinde Hessens“ mit einem Ehrenpreis ausgezeichnet. 1994 war das Kriftel, 1998 Hünfeld.
 
1997 lief in Dillenburg erfolgreich das Pilotprojekt „Reiten als Schulsport“. Bei Kombinierten Fachübungsleiter-Lehrgängen der FN und der EWU wurden Barrieren zwischen „Klassisch“- und Westernreitern abgebaut. Und: Zum 1. Januar 1998 wurde die „Turnierausgleichskasse“ geschaffen. Dank dieser sollten Turnierveranstalter, die vorher in die Kasse eingezahlt hatten, eine finanzielle Entschädigung erhalten, falls ein Turnier wetterbedingt abgesagt werden musste. Auch Toris-Schulungen (so heißt das damals neueingeführte Turnier- und Organisationssystem der FN) für Meldestellenmitarbeiter wurden von der LK Hessen angeboten.
 
Umbruch und Generationswechsel im HRFV-Vorstand
Trotz vieler positiver Entwicklungen kam es beim hessischen Verbandstag am 8. März 1997 in Alsfeld zu einschneidenden Veränderungen und einem Personal- wie Generationswechsel. Nach acht Jahren Amtszeit wurde der Hochheimer Toni Anspach als HRFV-Vorsitzender von Ernst-Albert Holzapfel aus Meinhard bei Eschwege per Delegiertenvotum abgelöst.
 
Im Rahmen des Verbandstages verabschiedet wurde der langjährige Jugendwart Burkhard Keim, der sein Amt nach einem schweren Unfall bereits im Dezember des Vorjahres nach 30 Jahren an Rolf Schmidt abgegeben hatte. Viel Applaus gab es für zwei verdiente Herren, die sich ebenfalls entschlossen hatten, ihr Amt aufzugeben: Willy Rücker, Vorsitzender des Südverbandes, machte Platz für Erika Born und auch Hermann Kombächer trat nach zwölf Jahren als Vorsitzender der Landeskommission Hessen zurück. Mit Standing Ovations wurde die Lebensleistung dieser beiden um den Reitsport hochverdienten Männer gewürdigt. Kombächer hatte eine strengere Richterauswahl eingeführt sowie die LKH mit ihrem beträchtlichen Vermögen in den HRFV voll integriert. Außerdem wurden während seiner Amtszeit in Hessen die Pferdekontrollmaßnahmen zum Wohle der Pferde im Sport etabliert und ausgebaut. Neu in den Vorstand gewählt wurden Heidrun Weitz als Frauenwartin und Thomas Litzinger als Beauftragter für den allgemeinen Reit- und Fahrsport, der dann auch als Vereinsberater fungierte.
 
Ernst Albert Holzapfel (damals 61), Unternehmer in der Sportartikel-Branche, Turnierstallbesitzer und Sponsor, war selbst im Turniersport (Dressur bis M, Springen bis S und Vielseitigkeit) erfolgreich. Seine Vorstellungen für die Zukunft formulierte er in UNSER PFERD-Interview nach der Wahl so: „Der Staub muß aus dem Funktionärswesen raus!“ Die Jugendarbeit und die Förderung junger Talente müsse in Hessen forciert werden, die Regionalverbände müssten besser und enger zusammenarbeiten. Auch den Breitensport versprach er zu bedenken: „Über den Breitensport holen wir uns neue Mitglieder, wecken wir den Enthusiasmus für das Lebewesen Pferd.“
 
Neuer LKH-Vorsitzender wurde der langjährige Turnierrichter Gert Stumme (damals 59) aus Weilrod. Zu den LK-Aufgaben der Zukunft äußerte sich Hermann Kombächer im UNSER PFERD-Interview so: „Zum einen darf der Tierschutzgedanke nie einschlafen. Zum anderen muss die LK weiterhin die Veranstalter unterstützen, insbesondere im Hinblick auf die Ausschreibung ihrer Turniere – hier darf niemals der Amateur vernachlässigt werden – und im Hinblick darauf, Richter zu finden, die von den Reitern wegen ihres Fachwissens anerkannt werden und die wirtschaftlich vom Reitsport unabhängig sind.“ An einer Abschaffung der Regionalverbände führe mittelfristig kein Weg vorbei, befand er nun. „Der Verwaltungsapparat muß dünner werden, dann haben wir auch wieder mehr Geld für den eigentlichen Zweck des Unternehmens, nämlich für den Reitsport.“ Und er ergänzt: „Im Zeitalter der Globalisierung, in dem die Top-Reiter durch halb Europa touren um Turniere zu besuchen und in dem unsere D-Kader-Reiter nach Warendorf, München und dergleichen zum Trainieren fahren, da ist es ja geradezu absurd, Hessen wegen der Entfernung zweizuteilen.“ Die „Angst“ der Nordhessen, bei einer Abschaffung der Regionalverbände vom Süden „untergebuttert“ zu werden, sei nur mit Emotionalität und nicht mit Vernunft zu erklären, so der Nordhesse.
 
Jede Disziplin hat nun ihren Ausschuss
Schon bald wurden Neuerungen beschlossen: Es wurden sechs Ausschüsse gebildet (Dressur, Springen, Vielseitigkeit, Fahren, Ponys und Voltigieren), die dem Sportwart und in Teilbereichen (Ponys und Voltigieren) dem Jugendwart zuarbeiten. Jedem Ausschuss gehörte nun ein Vertreter der beiden Regionalverbände und der Landestrainer an. Das bisherige Konzept, einen Landestrainer für alle Bereiche einzusetzen, wurde aufgegeben. Der bisherige Amtsinhaber Georg-Christoph Bödicker übernahm den Springbereich. Die D-Kader-Arbeit wurde nicht mehr regional, sondern gesamthessisch organisiert. In einer Neuordnung der Vorstandsorganisation wurden die einzelnen Aufgabenbereiche klar abgegrenzt, durchstrukturiert und in eine Rangfolge gebracht. Kurzum: Der HRFV war nun fit fürs nächste Jahrhundert!
 
Dem Dressursport sollten künftig durch leistungsbezogene Lehrgänge mit Bundes- oder Assistenztrainern neue Impulse gegeben werden. Zielgruppe waren Senioren mit talentierten Pferden mit Potential für den Grand Prix-Sport. Die Rolle der Sponsoren wurde immer wichtiger und deren Betreuung immer öfter zum Thema. HRFV-Geschäftsführer Robert Kuypers beklagte in UNSER PFERD im Juli 1998 negative Erscheinungsformen im Turniersport: Anlass war ein längeres Handy-Telefonat eines Platzierten während der Siegerehrung. So etwas wirke abschreckend auf Sponsoren, so Kuypers, ohne die der Turniersport unmöglich geworden sei.
 
Inzwischen wurden so viele verschiedene Meisterschaften und Wettbewerbe in Hessen durchgeführt, dass alle Veranstaltungen kaum benannt und alle hessischen Meister und Erfolge jeden Jahres nicht mehr aufgezählt werden können. Die Hessenmeister seit Gründung des HRFV sind daher im Anhang aufgelistet. 
 
Championate und Meisterschaften in Hessen
Jede Menge Championate und Meisterschaften wurden in den 90er Jahren nach Hessen vergeben, so beispielsweise im Juli 1989 die Europameisterschaft der ländlichen Militaryreiter nach Wiesbaden-Kloppenheim. Der hier ansässige Reit- und Fahrverein hatte zuvor bereits 17 (!) Hessische Meisterschaften mit Bravour über die Bühne gebracht. Und dann holte die deutsche Mannschaft bei der EM in Kloppenheim auch noch Gold…
 
1989 wurde im Bad Homburger Schlosspark nach sieben Jahren Pause wieder ein nationales Turnier ausgerichtet. In den folgenden Jahren war hier die deutsche Reiterelite am Start. Das Herborner Reitturnier hatte regelmäßig eine internationale Spitzenbesetzung in Dressur und Springen vorzuweisen. Niederzeuzheim war im Juli 1990 mit der Ausrichtung der „Young Masters“ Treffpunkt von Junioren und Jungen Reitern aus sechs Ländern, Dressur- wie Springreitern. Auch die Hallenturniere in Darmstadt und in Witzenhausen lockten zu Beginn der Saison bundesdeutsche Topreiter wie Ludger Beerbaum, Hugo Simon, Otto Becker oder Karin Rehbein an.
 
In Darmstadt sorgte ein ungewöhnlicher Besuch Anfang 1990 für Pressewirbel: Der komplette A-Kader der DDR war angereist. Seit 18 Jahren war es das erste Mal, dass eine offizielle DDR-Delegation ein westdeutsches Springturnier besuchte. Kurz darauf kamen die Spitzen des Deutschen Pferdesportverbandes der DDR und der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) in Warendorf zusammen. Ab dem 1. Januar 1991 sollte es dann – mit Vorbildfunktion für die anderen Sportverbände – nur noch einen einheitlichen Dachverband in Deutschland geben.
 
1989: Rothenberger mit neuen Pferden Spitze
1989 setzte sich die Erfolgsserie eines Reiters fort, der bereits bei den Jungen Reitern für Furore gesorgt hatte: Sven Rothenberger (Bad Homburg), 22 Jahre alt und BWL-Student, war neu beritten und sogar auf europäischer Ebene fast unschlagbar geworden. In Münster ging der Bad Homburger mit dem kurz zuvor von Jo Hinnemann erworbenen „Olympiapferd“ Ideaal an den Start und gewann sogleich seinen den Grand Prix. In UNSER PFERD war zu lesen: „Ein neues Stück Dressurgeschichte war geschrieben. Denn nie zuvor hatte ein Reiter bei seinem ersten Start in einem Grand Prix auf Anhieb eine goldene Schleife mit nach Hause genommen.“ In Berlin erritt er den Deutschen Meistertitel. Mit der zweiten Neuerwerbung Andiamo gelang ihm 1990 der Sieg im Dressur-Weltcup-Finale in s’Hertogenbosch. Er wurde mit Ideaal erneut Deutscher Meister und für die WM in Stockholm nominiert.
 
Mit Doris Dietz aus Lampertheim wurde erstmals eine hessische Springreiterin Deutsche Meisterin der Senioren. Michael Freund (Neu-Isenburg) wurde in Luhmühlen Deutscher Meister der Vierspännerfahrer/Großpferde, Frank Kunz in Trittau bei den Zweispännerfahrern/Großpferde. Dressurreiterin Anja Plönzke (Wiesbaden) gelang in diesem Jahr alles: Bronze beim Preis der Besten in Dortmund, Teamgold bei der EM der Jungen Reiter in Salzburg und Bronze bei der DM.
 
Ponydressurreiterin Daniela Hintenlang (Waldmichelbach) wurde im irischen Millstreet Vizeeuropameisterin in der Einzel- und Mannschaftswertung und holte Silber bei der DM. Gerrit Rützel gelang bei den Hessenmeisterschaften 1989 in Pfungstadt der Titelgewinn bei den Ponyreitern - in Dressur und Springen. Im September wurde in UNSER PFERD Alarm geschlagen: Das Vorhaben der FN, das Höchstalter der Ponyreiter von bisher 17 auf 16 Jahre zu verkürzen, der Körpergröße wegen, wurde auch in Hessen heiß diskutiert.
 
Ann Kathrin erfolgreich, Krug hört auf
Ann Kathrin Linsenhoff und Courage wurden zum perfekten Paar: Nach Teamgold bei den Olympischen Spielen in Seoul 1988 gewannen sie bei der DM in Berlin Silber und bei der EM 1989 in Mondorf-Les-Bains, wo sie ihren Courage aus dem Sport verabschiedete, die Gold- und die Silbermedaille. 1990 siegte Ann Kathrin mit Golfstrom bei der Weltmeisterschaft in Stockholm mit der deutschen Mannschaft. Zuvor war sie deutsche Vizemeisterin geworden. In den Folgejahren wurde es etwas stiller um sie, zwei ihrer guten Pferde verletzten sich.
 
Hessens erfolgreichster Dressurreiter der Anfangsjahre, Herbert Krug, hatte 1988 mit 51 Jahren mit dem Reitsport aufgehört. „Ich habe alles erreicht. Als alter Mann wollte ich mich nicht mehr mit jungen Mädels wie Isabell Werth oder Monica Theodorescu messen“, so Krug zu den Gründen. Mit Floriano war er im selben Jahr zwar noch einmal im Olympiakader gewesen, der Hessenwallach verletzte sich jedoch bei der zweiten Sichtung für die Olympischen Spiele in Seoul. Floriano lief später unter der Engländerin Annie Mc Donald noch eine EM mit und platzierte sich bei der WM 1990 in Stockholm. Krug konzentrierte sich nun auf das Training seiner Tochter Nadine und seinen Verkaufsstall in Wiesbaden-Erbenheim.
 
1990: Heinz Eufinger wird in Wiesbaden gefeiert
Beim Wiesbadener Pfingstturnier 1990 wurde Heinz Eufinger (Elz), der mit Platz fünf im Großen Preis viele große deutsche Stars hinter sich ließ, als „Shooting-Star“, gefeiert, „wie ihn die hessische Springreiterszene noch nicht gesehen hat“, so HRFV-Pressewart Dirk A. Lude in seinem UNSER PFERD-Bericht. Eufinger hatte 1989, damals 26, zwölf S-Springen für sich entschieden. In Aachen wurde Dressurausbilder Herbert Kuckluck, Lehrer von Liselott und Ann Kathrin Linsenhoff, der Titel „Reitmeister“ verliehen, die höchste Auszeichnung für einen Ausbilder im Pferdesport.
 
Daniela Hintenlang (Dressur) und Gerrit Rützel (Springen) holten 1990 bei der EM der Ponyreiter in Pratoni del Vivaro/Italien jeweils Gold mit der Mannschaft. Hintenlang hatte zuvor mit Drei-B-Valerian bereits den Preis der Besten gewonnen. Im hessischen Vielseitigkeitslager gab es eine Wachablösung: Bei den Hessischen Mannschaftsmeisterschaften siegte das Team des KRB Darmstadt/Dieburg. Zuvor war achtmal, davon drei Mal in Folge, das Team des KRB Groß-Gerau ganz nach vorne geritten. Oliver Klinnert (Darmstadt), Hessenmeister der Junioren, holte Bronze bei den Deutschen Jugendmeisterschaften – freiwillig bei den Jungen Reitern am Start. Beim internationalen Einspännerturnier in Dillenburg waren 1990 über 60 Gespanne aus fünf Nationen am Start. 1991 kämpften in Darmstadt-Kranichstein die besten Vierkämpfer Deutschlands im Bundesvergleich der Mannschaften um den Sieg. Die Hessen wurden Dritte.
 
1991: Zweimal EM-Gold für Rothenberger
Lokalmatador Sven Rothenberger blieb auch 1991 auf der Erfolgsspur: Schon beim Pfingstturnier in Wiesbaden gewann er mit Ideaal und Andiamo alle wichtigen Prüfungen. Bei der Europameisterschaft der Dressurreiter in Donaueschingen kamen zwei Goldmedaillen hinzu: für den Sieg mit der Mannschaft (mit Uphoff, Werth und Balkenhol) sowie in der erstmals ausgetragenen Kür-Entscheidung. Die deutsche Equipe der Behindertenreiter gewann bei der WM der Behindertenreiter in Aarhus/Dänemark den Nationenpreis. Angelika Trabert aus Marburg gelang mit Leihpferd Vanya außerdem Silber.
 
Frank Kunz, damals 25 Jahre alt, holte 1991 in Dornheim seinen fünften Hessenmeistertitel in Folge bei den Zweispännerfahrern mit Großpferden. Zum dritten Mal wurde Michael Freund, damals 36, Deutscher Meister der Viererzugfahrer. Seit Bruder Fred, ebenfalls zweifacher Deutscher Meister 1969 und 1977 und EM-Teilnehmer, hatte sich zugunsten des jüngeren Bruders in den nationalen Zweispännersport zurückgezogen. Oliver Klinnert trug mit Tranquilo zum Gewinn der Mannschaftsgoldmedaille bei der EM der Jungen Dressurreiter im italienischen Cervia bei.
 
Zu den Süddeutschen Ponymeisterschaften 1991 reisten 150 Ponys und ihre Reiter aus Süddeutschland auf den Kastanienhof in Alsfeld-Eifa. In Dressur wie Springen platzierten sich die Hessenteams auf Rang zwei. Ponyspringreiter Armin Schäfer aus Biblis holte in der Einzelwertung mit Unbeatable Silber.
 
1992: Trauer um Josef Neckermann
Das Jahr 1992 begann mit einer traurigen Nachricht: Josef Neckermann, Nestor der internationalen Dressurreiterei und Mitbegründer der Deutschen Sporthilfe, verstarb am 13. Januar. „Jahrzehntelang hatte er die Reiterszene international, national, aber auch ganz besonders in Hessen mitgeprägt. Freundlich aber auch bestimmt, war er stets präsent“, so ist in UNSER PFERD im Februar 1992 zu lesen. Am 20. Januar wurde er beerdigt, als Ehrenwache standen die Dressurreiter Dr. Reiner Klimke, Johann Hinnemann, Conrad Schumacher, Sven Rothenberger, Ann Kathrin Kroth (geborene Linsenhoff) und Monica Theodorescu neben dem Sarg.
 
Liselott Linsenhoff, in dieser Zeit verheiratete Schindling-Rheinberger, hatte mit Josef Neckermann und Dr. Reiner Klimke jahrelang zum Erfolgstrio gehört, das die internationale Dressurszene dominierte. Anlässlich der Preis der Besten-Sichtung 1992 auf dem Schafhof wurde der großen Förderin des Dressursports die längst überfällige Goldene Ehrennadel des HRFV verliehen. Sven Rothenberger wurde im selben Jahr mit Ideaal Zweiter beim Weltcupfinale der Dressurreiter in Göteborg/Schweden und Deutscher Vizemeister auf Andiamo. Auch privat wurde gefeiert: Am 13. Juli gab er der Holländerin Gonnelien Gordijn, ebenfalls erfolgreiche Dressurreiterin, in Bad Homburg das Ja-Wort. 
 
Daniela Hintenlang, inzwischen auf Großpferd Song of Joy umgestiegen, erritt Gold bei den Deutschen Jugendmeisterschaften. Oliver Klinnert belegte hier mit Tranquilo Platz drei bei den Jungen Reitern. Bei der EM der Ponyreiter in Stockholm trugen Danielas kleine Schwester Nicole Hintenlang mit Drei-B-Valerian sowie Wiebke Ramdohr mit Tasso zum Sieg der deutschen Dressurmannschaft bei. Die erst zwölf Jahre alte Nicole wurde zudem Europameisterin in der Einzelwertung, Wiebke (damals 16) holte Bronze.
 
Über WM-Gold mit der Mannschaft freute sich Vierspännerfahrer Michael Freund in Riesenbeck. Bei der Weltmeisterschaft der Voltigierer in Heilbronn erturnte sich die Kriftlerin Tanja Benedetto, 1990 Hessenmeisterin und DM-Sechste, die Bronzemedaille. In Kloppenheim fanden die Deutschen Vielseitigkeitsmeisterschaften der Junioren und Jungen Reiter statt. Ein tödlich verunglücktes Pferd sorgte für Diskussionen um Berechtigung oder Abschaffung des Vielseitigkeitssports.
 
1992 ging in Hessen-Nassau bereits der sechste Kombinierte Mannschaftswettkampf, eingeführt auf Initiative von Willy Rücker (der 1992 den 70sten Geburtstag feierte), über die Bühne. Das Ziel: in Zeiten zunehmender Individualisierung wieder Wir-Gefühl und Kameradschaft zum Leben zu erwecken. Nach Oberursel-Bommersheim kamen Jahr 43 Mannschaften aus 35 Vereinen. Das war Rekord! Das erste Internationale Jugendreitturnier in Wäldershausen (später unter dem Titel „Young Masters“ eines der wichtigsten Turniere Hessens) mit Reitern aus sieben Nationen und neun Springprüfungen der Klasse M und S war ein großer Erfolg. Der Sieger der Finalprüfung der großen Tour hieß Toni Hassmann. Der Vorstand des HRFV beschloss für den 1. Januar 1993 die Einführung eines hessischen Fahrerkaders.
 
1993: Rothenberger wechselt zum holländischen Team
In Spangenberg stand mit der Ausrichtung der EM der Junioren Dressur und der Junioren und Jungen Reiter Springen der bisherige Höhepunkt der Veranstaltungsreihe des nordhessischen Vereins an. Das nationale Dressurturnier auf dem Kronenhof in Langen entwickelte sich zum Highlight für die Berufsreiter: Hier wurde zum zweiten Mal das Hessische Berufsreiterchampionat ausgetragen. Feldatal-Ermenrod lud zum Deutschlandpreis der Ponyreiter (Goldene Schärpe) und zur Premiere nationaler Ponyspiele.
 
Zum ersten Mal gewann eine hessische Mannschaft den Bundeswettkampf der ländlichen Vielseitigkeitsreiter. Wolfgang Mengers, Markus Schautes und Imke Dehn waren in Marbach am Start gewesen. Auch beim Preis der Besten wurde gefeiert: Ulrike Larbig (Fulda) und Clavigo siegten beim Wettbewerb der Ponydressurreiter, Hartwig Knapp (Wald-Michelbach) wurde Dritter. Für Ulrike Larbig gab es in Belgien dann auch noch den Titel der Mannschaftseuropameisterin. Deutsche Meisterin bei den Ponydressurreitern wurde in Berlin-Dallgow Nicole Hintenlang mit Derano Gold.
 
Zwei Hessen auf den Plätzen zwei und drei – das war die nächste Erfolgsmeldung, und zwar von den Deutschen Meisterschaften in Verden. Sven Rothenberger erritt mit Andiamo Silber in der Einzelwertung, Michael Klimke, neuerdings für Hessen und den Frankfurter Dressurstall Schwarz-Gelb (Schafhof Kronberg) am Start, holte mit Chan Bronze. Beiden gelang dazu, unterstützt von Britta Pläge, Platz drei in der Mannschaftswertung. Die hessischen Springreiter Lars Nieberg, Dietmar Gugler, Horst-Klaus Heleine und Michael Most verpassten die Mannschaftsmedaille nur knapp. Bei der Dressur-EM in Lipica konnte Sven Rothenberger mit Andiamo seinen Titel im Kürentscheid nicht verteidigen. Es wurde immerhin Silber - trotz schlechter Stimmung im deutschen Team ob der im Vorfeld geäußerten Absicht des 28-jährigen Diplom-Betriebswirts, künftig für das Heimatland seiner Ehefrau Gonnelien starten zu wollen. Michael Freund wurde in München-Riem zum fünften Mal Deutscher Meister.
 
Plötzlich und unerwartet verstarb der langjährige HRFV-Breitensportbeauftragte Rudolf Salg, dem es stets gelungen war, auch in schwierigen Verhandlungen (beispielsweise mit der Landesregierung), die Ziele des HRFV erfolgreich durchzusetzen. Alexander Wolf wurde für 30 Jahre Arbeit im Voltigiersport die Silberne Ehrennadel des HRFV verliehen.
 
1994: Lauter Hessen holen WM-Titel
Am 1. Januar 1994 trat sie in Kraft: die Neufassung der Leistungsprüfungsordnung (LPO) der FN. Galt sie bisher nur für die drei Reitsportdisziplinen und den Fahrsport, war ihr nun auch der Voltigiersport unterworfen. Eingebunden waren die Leitlinien Tierschutz im Pferdesport. Die FN tagte in Wiesbaden.
 
Sven Rothenberger wechselte gleich zu Beginn des Jahres in die Niederlande – aus beruflichen und familiären Gründen, so betonte er. Sein größter Wunsch sei es, bei einem internationalen Championat gemeinsam mit seiner Frau Gonnelien in einer Mannschaft zu reiten. Mit Mannschaftssilber bei der WM in Den Haag als Teil des holländischen Teams – noch ohne Gonnelien – und Bronze in der Einzelwertung krönte Sven seine erfolgreichste Saison. Riesenfreude auch in Neu-Isenburg: Vierspännerfahrer Michael Freund, kurz zuvor zum sechsten Mal Deutscher Meister geworden, wurde in Den Haag Doppelweltmeister. Tanja Benedetto hieß die neue Weltmeisterin der Einzelvoltigierer. Zum zweiten Mal – nach Stockholm 1990 – wurden in Den Haag gemeinsame Weltmeisterschaften der Disziplinen Springen, Dressur, Vielseitigkeit, Fahren, Distanzreiten und Voltigieren ausgetragen. Angelika Trabert erritt bei der WM der Behindertenreiter in England erneut Silber.
 
Der Bundesvergleichswettkampf Vierkampf fand 1994 in Alsfeld statt. Zur großen Freude von Teamchef Rolf Schmidt war das erste Hessenteam am Ende Sieger. In Kloppenheim gab es wieder einmal großen Vielseitigkeitssport zu sehen: beim Bundeswettkampf der Ländlichen Vielseitigkeit und der Deutschen Vielseitigkeitsmeisterschaft der Ponyreiter. Kritik üben konnte man nur am geringen Zuschauerinteresse. „Wenn ein Veranstalter keine hohen Geldpreise ausschreiben kann, fehlen die Stars, damit die Medien und so schließlich auch die Zuschauer“, stellte Heinz von Opel in UNSER PFERD fest. Die Sehnsucht nach dem Partner Pferd sei größer denn je, „aber nicht mehr als Sportgerät, als Garant für Spitzenleistungen, sondern als Freizeitpartner.“
 
Ponydressurreiterin Nicole Hintenlang holte mit Derano Gold Bronze bei den Deutschen Jugendmeisterschaften und zweimal Gold bei der EM in Belgien – mit dem Team und in der Einzelwertung. Mit in der siegreichen EM-Mannschaft waren Hartwig Knapp und Danilo. In Spangenberg waren Reiter aus 18 Nationen am Start, darunter kurz vor der WM in Den Haag ein Großteil der Weltelite. Jos Lansink gewann den Großen Preis. Beim 3. Internationalen Young Masters in Wäldershausen siegte Lokalmatador Andreas Brenner in der Großen Tour. Richard Best, von 1965 bis 1981 Vorsitzender des HRFV, feierte seinen 80sten.
 
1995: Lars Nieberg schafft den Sprung in die Weltspitze
Erfolge erritten nun nicht mehr nur Dressurreiter aus Hessen, auch der Springsport erhielt – sicherlich auch angeregt durch die Erfolge von Vorzeigespringreiter Lars Nieberg, den Gestütsleiter in Wäldershausen – neuen Schwung. Mit For Pleasure begann Niebergs große Zeit, sein Sprung in die Weltspitze. Bereits beim Weltcup-Finale der Springreiter 1995 in Göteborg ritt er als absoluter Außenseiter auf Platz zwei. Paul Schockemöhle schwärmte: „Das beste Pferd, das wir in Deutschland im Moment haben!“ Es sollten die Aufnahme in den A-Kader, der Deutsche Meistertitel und die Nominierung für die EM in St. Gallen folgen, die jedoch wegen schlechter Bodenverhältnisse ohne deutsche Beteiligung stattfand.
 
Nicole Hintenlang war auch in diesem Jahr Spitze: Sie erritt mit Derano Gold Mannschaftsgold und Einzelsilber bei der EM der Ponydressurreiter in Achselschwang. Nina Eberle (Lorsch) dominierte mit Nepomuk das Springderby der Ponys in Mannheim. Und bei den Süddeutschen Ponymeisterschaften in Pfungstadt gingen Gold und Silber an die Ponyspringreiter Sebastian Haas/Vicky (Reiskirchen) und Yvonne Wiegand/Candy Boy (Fulda). Die Teams holten Silber und Bronze. Nicole Hintenlang und Golden Derano waren unschlagbar, Bronze ging an Angelika Larbig/Clavigo (Fulda). Das hessische Dressurteam holte ebenfalls Gold.
 
Die Gruppen-Voltigiererinnen aus Kriftel freuten sich 1995 über den Titel des Süddeutschen Meisters. Bei der Volti-EM in Frankreich wurde es für die Kriftelrin Tanja Benedetto Einzel-Gold. Hans Lüke (Lohfelden) blieb „König der Einspännerfahrer“ und wiederholte seinen Sieg aus dem Vorjahr beim 9. internationalen Turnier in Dillenburg. Fred Freund erfuhr Bronze bei der DM der Vierspänner. Tina Katrin Hitzel (Kloppenheim) war mit Colani Mitglied des Goldteams bei der EM der ländlichen Vielseitigkeitsreiter in der Schweiz. Von den Deutschen Meisterschaften im Westernreiten in Münster brachte George Maschalani (Erbach) fünf Meistertitel mit nach Hause.
 
Zum Wiesbadener Pfingstturnier kamen 42.000 Zuschauer, fast 10.000 mehr als im Jahr zuvor. In Spangenberg siegten Olympiasieger in den Hauptprüfungen: Ludger Beerbaum und Klaus Balkenhol. Viernheim war 1995 Austragungsort der DM der Zweispänner, und Feldatal-Ermenrod der Deutschen Meisterschaft Pony-Vielseitigkeit. In der Frankfurter Festhalle sorgten ein „weißer Riese“ und ein Hesse für Aufruhr: Schimmel Calvaro (1,85 Stockmaß) und Willi Melliger holten den Sieg im Großen Preis - vor Ralf Runge und Baker Street.
 
1996: Olympiamedaillen für Hessenreiter
Besser konnte es nicht kommen: Bei den Olympischen Spielen in Atlanta 1996 holte Lars Nieberg mit For Pleasure und seinen Teamkollegen Beerbaum/Ratina Z, Kirchhoff/Jus de Pommes und Sloothaak/Joli Coeur die Mannschaftsgoldmedaille. Einen hessischen Goldmedaillengewinner bei den Springreitern – das hatte es noch nicht gegeben. Sven Rothenberger erritt in Atlanta mit Weyden Bronze in der Einzelwertung und Silber mit dem holländischen Team. Das deutsche Dressurteam hatte sich, wie gewohnt, vor den Olympischen Spielen auf dem Schafhof in Kronberg zum olympischen Trainingslager versammelt. Vielseitigkeitsreiter Wolfgang Mengers, Leiter der Hessischen Reit- und Fahrschule Dillenburg, sollte in Atlanta starten, doch er hatte Pech: Im Vorbereitungslager fiel sein Pferd Flaming Affair aus.
 
Vielseitigkeitsreiterin Antonia Uhde (Bad Soden) gelang bei der DM der Junioren der Gewinn der Bronzemedaille. Zwölf Mannschaften gingen bei der Hessischen Mannschaftsmeisterschaft Vielseitigkeit in Rauschenberg an den Start. Der Verein der Hessenmeute war hier siegreich. Sönke Kohrock (Richelsdorf) gewann bei der DJM Silber bei den Junioren-Springreitern. Sebastian Haas entschied mit Vicky in Hamburg das Pony-Springderby für sich. Einzelvoltigiererin Susanne Jäger (Darmstadt) wurde Süddeutsche Meisterin.
 
Beim Wiesbadener Pfingstturnier fanden, auf Initiative Michael Freunds, der 1996 zum siebten Mal Deutscher Meister werden sollte, nach zwölf Jahren Abstinenz wieder Vierspänner-Wettbewerbe statt. Die Deutschen Meisterschaften der Distanzreiter wurden ins hessische Steckenroth vergeben. Hessens Vierkämpfer setzten nach dem Sieg beim Bundesentscheid noch die Bestleistung beim internationalen Vierkampf in der Lüneburger Heide drauf. HRFV-Jugendwart Burkhard Keim und HRFV-Vorsitzender Toni Anspach feierten in diesem Jahr ihren 70sten Geburtstag. Im Alter von 81 Jahren verstarb der ehemalige Verbands- und LKH-Vorsitzende Richard Best am 8. März in seiner Heimat, der Wetterau.
 
1997/1998: Weltmeister Freund und Nieberg werden gefeiert
Beim Bundesentscheid Vierkampf 1997 landeten die Hessen auf Platz zwei. Dritter bei der Deutschen Meisterschaft der Viererzüge wurde in Hademarschen der siebenmalige Hessenmeister Frank Kunz aus Elbtal. Bei den sechsten Internationalen Young Masters der Springreiter in Homberg-Ohm siegte 1997 die Mannschaft aus Hessen – mit Sönke Kohrock, Carsten Jäger, Sebastian Haas und Daniel Deusser. Sönke Kohrock gelang außerdem Platz zwei in der Großen Tour. Bei den Young Masters 1998 gewann erneut Hessen den Mannschaftspreis. Am Start waren wieder Kohrock, Haas und Deusser plus Birgit Weiland (Biblis).
 
Rolf Schmidt (Feldatal-Ermenrod) zog 1997 als Stellvertretender Vorsitzender in die Bundesjugendleitung ein. Die Grande Dame der Dressur, Liselott Schindling Rheinberger, feierte im August ihren 70sten Geburtstag – eine der erfolgreichsten deutschen Sportlerinnen und zugleich eine der engagiertesten Förderinnen des deutschen Pferdesports. 1998 feierte der Bad Homburger Reit- und Fahrverein im Bad Homburger Jubiläumspark den 100sten Geburtstag.
 
Der krönende Abschluss des Jahres war die medaillenschwere Rückkehr hessischer Sportler von der Weltmeisterschaft in Rom. Lars Nieberg wurde Mannschaftsweltmeister im Springreiten, Viererzugfahrer Michael Freund, der Doppelweltmeister von 1994, gewann in der Einzel- wie der Mannschaftswertung Silber. In Homberg/Ohm und Neu-Isenburg, den „Heimatstädten“ der Sympathieträger, gab es bei der Rückkehr der Pferdesportler viel Jubel Tausender hessischer Fans.
 
 
Kasten:
Doping und Barren – zwei neue Reizworte
Ein ganz neues Thema, das bis heute - zu den Olympischen Spielen 2008 in Peking – leider nicht an Aktualität verloren hat, ging in den 90er Jahren durch die Presse: Doping. Betroffen waren auch hessische Reiter. In Deutschland gilt die Null-Lösung, das heißt, dass selbst geringste Mengen einer verbotenen Substanz ein positives Dopingergebnis bedeuten; da aber über die Absetzfristen von Medikamenten nur lückenhafte Erkenntnisse bestanden und bestehen, war und ist es für den Tierarzt oft schwer einzuschätzen, ob die Therapie rechtzeitig vor einem Wettkampf abgebrochen werden kann, zumal auch lokal angewendete Salben und Gels zu positiven Testergebnissen führen können. Ob Vorsatz oder Versehen, Doping oder „verbotene Medikation“ - die Suche nach dem „Schuldigen“ war und ist schwierig. Und noch ein neues Wort kannte künftig auch jeder Laie: 1991 geriet Paul Schockemöhle wegen „Barrens“ seiner Pferde in die Schlagzeilen. In Hessen wurde dies vom Verbandsvorstand streng verurteilt. HRFV-Geschäftsführer Robert Kuypers riet wenig später allen Vereinsvorständen, ihre Mitglieder in der Vereinssatzung ausdrücklich auf die LPO und damit den Tierschutz zu verpflichten.
 
Kasten:
Lars Nieberg ritt für Hessen bis zur Olympiamedaille
Lars Nieberg wurde am 24. Juli 1963 als Sohn eines Landwirts in Wittingen geboren. Mit sechs Jahren fing er an, auf dem elterlichen Reiterhof zu reiten. 1980 begann er eine Bereiterlehre bei dem ehemaligen Bundestrainer der Springreiter, Herbert Meyer. Danach ging er ein Jahr zu Paul Schockemühle nach Mühlen, anschließend als Bereiter nach Hamburg zu Achaz von Buchwaldt. 1990 suchte Katharina Geller einen Reiter für die Turnierpferde auf ihrem Gestüt Wäldershausen in Homberg/Ohm. Herbert Meyer vermittelte Lars Nieberg an diese Stelle. Zunächst als erster Bereiter eingestellt, wurde er im April 1994 zum Gestütsleiter befördert.
Die ersten großen Erfolge feierte Nieberg mit der französischen Stute Nistria. Von August 1994 bis zum Dezember 1998 bestand das Traumpaar Lars Nieberg/For Pleasure. Robert Diestel hatte ihm den Hengst zur Verfügung gestellt. Mit For Pleasure konnte Lars viele Große Preise und Weltcup-Springen gewinnen, den Zweiten Platz beim Weltcup-Finale 1995 in Göteborg belegen und die Deutsche Meisterschaft 1995 gewinnen. Absolutes Karrierehighlight war der Erfolg bei den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta und 2000 in Sydney: Hier wurde es die Goldmedaille mit der Mannschaft. 1997 wurde Lars Nieberg mit For Pleasure in Mannheim als Mannschafts-Europameister, im Oktober 1998 in Rom als Mannschaftsweltmeister gefeiert.
 
Kasten:
Frankfurter Festhallenreitturnier ersteht 1989 wieder auf
Im Dezember 1989 wurde – nach 17 Jahren Pause – das traditionsreiche Frankfurter Festhallenreitturnier wieder zum Leben erweckt. Nicht Boris Becker-Manager Ion Tiriac im Gespann mit Paul Schockemöhle waren die Veranstalter, die zuvor im Gespräch gewesen waren, sondern der Frankfurter Reit- und Fahrclub gemeinsam mit der Stadt Frankfurt und der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN). „Es war keine Neuauflage der früheren Veranstaltungen, eingeläutet wurde eine neue Epoche des Reitsports in der Mainmetropole“, so war 1990 in UNSER PFERD zu lesen. „Damals, 1955, begann Josef Neckermann mit 800 Mark in der Kasse, heute jongliert Club-Chef Peter Behnsen mit einem Etat von 2,5 Millionen.“ John Whitaker und Milton waren das erste Siegerpaar im Turnierhöhepunkt. Die angereisten Weltklassereiter waren begeistert, auch ob der hohen Preisgelder und des Festhallenflairs. Doch mit „nur“ 20.000 Besuchern konnten die Veranstalter nicht zufrieden sein. 1991 stieg Mitsubishi als Hauptsponsor ein, die Führungsriege wurde ausgetauscht. Veranstalter war nun die Firma SKU von Udo Schaar, die allen „regionalen Ballast“ abwerfen wollte. Es hagelte Kritik, vom hessischen Verband, den hessischen Reitern und in der Presse: „Was wollen wir mit einem Turnier im Herzen Hessens, wenn da gar kein Hesse reiten darf?“ 1994 zog der HRFV daher zunächst seine ideelle Trägerschaft zurück.
 
Kasten:
Neues vom hessischen Zuchtverband
Dr. Herbert Müller aus Oppelshausen wurde 1989 einstimmig zum neuen Verbandschef des hessischen Zuchtverbandes (VHP) gewählt. Er löste Rudolf Senckenberg ab, der sieben Jahre lang die Geschicke des Verbandes gelenkt hatte. Kurz darauf entschied sich die Mehrheit der Delegierten des hessischen Zuchtverbandes dafür, in Alsfeld (für 4,2 Millionen Mark) ein Pferdezentrum zu bauen. Im Oktober 1992 wurde es eingeweiht. 1994 wurde Wilhelm Hartmann zum neuen VHP-Vorsitzenden gewählt, 1998 löste ihn Gerhard Senckenberg ab. Er führte den VHP bis zur Fusion mit dem Verband Hannoveraner Warmblutzüchter im Jahr 2005. Auch beim Verband der Ponyzüchter Hessen gab es einen Wandel: 1991 löste Kurt Hillnhütter, passionierter Connemara-Züchter aus dem Hochtaunus, Georg Rübeck nach 17 Jahren unermüdlichen Einsatzes für die Ponyzucht an der Verbandsspitze ab.
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