FOCUS Magazin | Nr. 15 (1999)
Brennpunkt: HAUPTSTADT-UMZUG
Montag, 12.04.1999, 00:00 · von FOCUS-Online-Autor Volker GustedtDer große Treck nach Berlin beginnt: Da fast alle Gebäude noch im Bau sind, ziehen Regierung und Bundestag in Provisorien
Der Countdown läuft. Mit der Eröffnungssitzung des Bundestags im umgebauten Reichstag startet am 19. April das größte Umzugskarussell in der deutschen Nachkriegsgeschichte. In der parlamentarischen Sommerpause wechselt der Bundestag innerhalb von vier Wochen vom Rhein an die Spree. Die Regierung verteilt den Wechsel über fast drei Jahre.
Zeit der Provisorien: Das Bundeskanzleramt sowie acht von 14 Ministerien ziehen zunächst nur mit ihren Stabsstellen um, da bis auf das Innen- und das Wirtschaftsministerium alle Gebäude im Sommer noch im Bau sein werden.
Bundeskanzler Gerhard Schröder belegt mit seiner 200köpfigen Vorhut einen Teil des Bauministeriums, das ehemalige DDR-Staatsratsgebäude am Schloßplatz.
Die Mitarbeiter der meisten anderen Kabinettsmitglieder drängeln sich übergangsweise in Büros zwischen Kränen und Baugruben oder in gemieteten Gebäuden.
Auch der Wohnungsbau in Berlin läuft schleppend an. Bis Ende des Jahres stehen nur 2500 Wohnungen für die Bonner bereit. Beschämend findet das Berlins Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD).
Etwa 35 000 Menschen sind insgesamt vom Umzug oder Jobtausch betroffen. Denn im Rahmen des Berlin/Bonn-Gesetzes werden auch 23 Bundesbehörden und Institute verlegt.
Aufwendige Doppel-Dienstsitze: Mit 11 400 Parlaments- und Regierungsbeschäftigten bleibt fast die Hälfte nach der Rochade in Bonn. 500 Stellen werden neu geschaffen. 2000 bis 5000 Menschen müssen voraussichtlich jede Woche pendeln. Bonus: Beamte erhalten in den ersten zwei Jahren wöchentliche Gratisheimflüge. Schlanker und moderner würden die Ministerien durch den Wechsel nicht, bilanziert Innenminister Otto Schily (SPD).
IM SOG DER POLITIKER
Dem Polit-Treck schließen sich Verbände, Unternehmen, Journalisten und Diplomaten an.
LOBBYISTEN
Am schnellsten war der Gesamtverband der Versicherer (GDV). Schon seit einem Jahr residiert der GDV in der Friedrichstraße. Die drei großen Spitzenverbände der Wirtschaft (BDA, BDI, DIHT) beziehen im Herbst ihr Domizil nahe dem Palast der Republik. Mindestens 50 Interessenverbände und 20 Konzerne werden in Berlin vertreten sein. Ausnahme: Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) will in Düsseldorf bleiben.
BOTSCHAFTEN
Die meisten der 154 Botschaften ziehen in das traditionelle Diplomatenviertel am Tiergarten. So leisten sich die skandinavischen Länder hier einen luxuriösen Neubau. Ärmere Staaten wie Kuba kehren in ihre Residenzen im Ostteil der Stadt zurück. Filetstücke haben sich Amerikaner, Franzosen und Briten am Brandenburger Tor reserviert. Auch die 16 Bundesländer sind im Regierungsviertel präsent.
MEDIEN
Rund 1000 in- und ausländische Berichterstatter siedeln um. Der Verein der deutschen Parlamentskorrespondenten baut nahe des Reichstags die Bundespressekonferenz. Das ZDF zieht mit 150 Mitarbeitern an den Boulevard Unter den Linden.
TROSTPFLASTER FÜR BONN
Als Ausgleich für den Verlust von Parlament und Teilen der Regierung erhält Bonn 2,8 Milliarden Mark aus der Staatskasse. Sechs Ministerien behalten ihren alten Hauptsitz: das Verteidigungs-, Gesundheits- und Umweltministerium sowie das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, das Landwirtschaftsministerium und das Ministerium für Bildung. Sie eröffnen zweite Dienstsitze in Berlin.
Im Tauschverfahren sollen zudem 23 Behörden und Institute mit 6600 Arbeitsplätzen von Berlin und Frankfurt an den Rhein umziehen, darunter das Bundeskartellamt und der Bundesrechnungshof. Auch der Sender Deutsche Welle und die Deutsche Post AG lassen sich in Bonn nieder.
TOUR DE DEUTSCHLAND
20. Mai 1991 Hauptstadtbeschluß des Bundestags. Mit knapper Mehrheit können sich die Berlin-Befürworter durchsetzen.
23. November 1998 Die Behörde von Bundespräsident Roman Herzog nimmt als erste ihre Arbeit in Berlin auf.
19. April 1999 Eröffnungssitzung des Bundestags im umgebauten Reichstagsgebäude
5.-31. Juli 1999 Das Parlament zieht mit 4058 Abgeordneten und Beschäftigten an die Spree.
6. Sept. 1999 Der Bundestag nimmt seine volle parlamentarische Arbeit in Berlin auf.
WECHSELSPIEL
Kosten für den kompletten Hauptstadt-Umzug inklusive Baumaßnahmen usw. (in Milliarden Mark): 20
Geschätztes Auftragsvolumen für die Spediteure des Parlaments- und Regierungsumzugs (in Millionen Mark): 120
Zahl der Lastwagen, die Büromöbel der Bundestagsabgeordneten und ihrer Mitarbeiter an die Spree bringen: 1200
Stühle, die in die Bundestagsbüros wechseln: 14 000
Bücher und Aktenordner der Bundestagsmitarbeiter ergeben eine enorme Länge (in Metern): 49 000
Parlamentsinventar, das in Berlin auf 18 Gebäude verteilt wird (in Kubikmetern): 50 000
Zeit der Provisorien: Das Bundeskanzleramt sowie acht von 14 Ministerien ziehen zunächst nur mit ihren Stabsstellen um, da bis auf das Innen- und das Wirtschaftsministerium alle Gebäude im Sommer noch im Bau sein werden.
Bundeskanzler Gerhard Schröder belegt mit seiner 200köpfigen Vorhut einen Teil des Bauministeriums, das ehemalige DDR-Staatsratsgebäude am Schloßplatz.
Die Mitarbeiter der meisten anderen Kabinettsmitglieder drängeln sich übergangsweise in Büros zwischen Kränen und Baugruben oder in gemieteten Gebäuden.
Auch der Wohnungsbau in Berlin läuft schleppend an. Bis Ende des Jahres stehen nur 2500 Wohnungen für die Bonner bereit. Beschämend findet das Berlins Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD).
Etwa 35 000 Menschen sind insgesamt vom Umzug oder Jobtausch betroffen. Denn im Rahmen des Berlin/Bonn-Gesetzes werden auch 23 Bundesbehörden und Institute verlegt.
Aufwendige Doppel-Dienstsitze: Mit 11 400 Parlaments- und Regierungsbeschäftigten bleibt fast die Hälfte nach der Rochade in Bonn. 500 Stellen werden neu geschaffen. 2000 bis 5000 Menschen müssen voraussichtlich jede Woche pendeln. Bonus: Beamte erhalten in den ersten zwei Jahren wöchentliche Gratisheimflüge. Schlanker und moderner würden die Ministerien durch den Wechsel nicht, bilanziert Innenminister Otto Schily (SPD).
IM SOG DER POLITIKER
Dem Polit-Treck schließen sich Verbände, Unternehmen, Journalisten und Diplomaten an.
LOBBYISTEN
Am schnellsten war der Gesamtverband der Versicherer (GDV). Schon seit einem Jahr residiert der GDV in der Friedrichstraße. Die drei großen Spitzenverbände der Wirtschaft (BDA, BDI, DIHT) beziehen im Herbst ihr Domizil nahe dem Palast der Republik. Mindestens 50 Interessenverbände und 20 Konzerne werden in Berlin vertreten sein. Ausnahme: Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) will in Düsseldorf bleiben.
BOTSCHAFTEN
Die meisten der 154 Botschaften ziehen in das traditionelle Diplomatenviertel am Tiergarten. So leisten sich die skandinavischen Länder hier einen luxuriösen Neubau. Ärmere Staaten wie Kuba kehren in ihre Residenzen im Ostteil der Stadt zurück. Filetstücke haben sich Amerikaner, Franzosen und Briten am Brandenburger Tor reserviert. Auch die 16 Bundesländer sind im Regierungsviertel präsent.
MEDIEN
Rund 1000 in- und ausländische Berichterstatter siedeln um. Der Verein der deutschen Parlamentskorrespondenten baut nahe des Reichstags die Bundespressekonferenz. Das ZDF zieht mit 150 Mitarbeitern an den Boulevard Unter den Linden.
TROSTPFLASTER FÜR BONN
Als Ausgleich für den Verlust von Parlament und Teilen der Regierung erhält Bonn 2,8 Milliarden Mark aus der Staatskasse. Sechs Ministerien behalten ihren alten Hauptsitz: das Verteidigungs-, Gesundheits- und Umweltministerium sowie das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, das Landwirtschaftsministerium und das Ministerium für Bildung. Sie eröffnen zweite Dienstsitze in Berlin.
Im Tauschverfahren sollen zudem 23 Behörden und Institute mit 6600 Arbeitsplätzen von Berlin und Frankfurt an den Rhein umziehen, darunter das Bundeskartellamt und der Bundesrechnungshof. Auch der Sender Deutsche Welle und die Deutsche Post AG lassen sich in Bonn nieder.
TOUR DE DEUTSCHLAND
20. Mai 1991 Hauptstadtbeschluß des Bundestags. Mit knapper Mehrheit können sich die Berlin-Befürworter durchsetzen.
23. November 1998 Die Behörde von Bundespräsident Roman Herzog nimmt als erste ihre Arbeit in Berlin auf.
19. April 1999 Eröffnungssitzung des Bundestags im umgebauten Reichstagsgebäude
5.-31. Juli 1999 Das Parlament zieht mit 4058 Abgeordneten und Beschäftigten an die Spree.
6. Sept. 1999 Der Bundestag nimmt seine volle parlamentarische Arbeit in Berlin auf.
WECHSELSPIEL
Kosten für den kompletten Hauptstadt-Umzug inklusive Baumaßnahmen usw. (in Milliarden Mark): 20
Geschätztes Auftragsvolumen für die Spediteure des Parlaments- und Regierungsumzugs (in Millionen Mark): 120
Zahl der Lastwagen, die Büromöbel der Bundestagsabgeordneten und ihrer Mitarbeiter an die Spree bringen: 1200
Stühle, die in die Bundestagsbüros wechseln: 14 000
Bücher und Aktenordner der Bundestagsmitarbeiter ergeben eine enorme Länge (in Metern): 49 000
Parlamentsinventar, das in Berlin auf 18 Gebäude verteilt wird (in Kubikmetern): 50 000
Inventar der Bundestagsbüros, Einzelstücke, summa summarum: 120 000
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