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Gastbeitrag: Der Preis der Freiheit

"Wer nichts zu verbergen hat, der hat auch nichts zu befürchten!“ Jahrelang war dies der Lieblingssatz innen- und rechtspolitischer Hardliner.

Nach dieser Melodie rechtfertigten sie immer neue und immer tiefere Grundrechtseingriffe insbesondere in die Privatsphäre der Bürger. Nun aber wollen genau jene, die den Menschen über Jahre dasselbe Lied von der unbesorgten Rechtschaffenheit vorsangen, davon selbst nichts mehr wissen. Denn das Ausgangsmotiv wendet sich jetzt gegen seine Verfasser. Auch wenn sie es nicht gern hören wollen: Gesetze, die wegen ihrer angeblichen objektiven Notwendigkeit nichts zu verbergen haben, brauchen doch auch eine Überprüfung nicht zu fürchten.

Konkret geht es um die Evaluation des „Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetzes“ (TBEG). Es enthält eine ganze Reihe von Maßnahmen, die die Privatsphäre der Bürger empfindlich beeinträchtigen: Geheimdienste erhalten danach unter anderem Zugriff auf Informationen über Geschäfte im Internet, über Flugreisen, Bank- und Postverkehr. Außerdem dürfen sie Gespräche in Wohnungen abhören.

In der Öffentlichkeit wird die aktuelle Debatte um das TBEG unter dem Stichwort „Verlängerung der Sicherheitsgesetze“ geführt. Keine Überschrift aber ist missverständlicher: Man könnte meinen, es gäbe ohne die diskutierten Maßnahmen gar keine Sicherheitsgesetze mehr in Deutschland. Dabei handelt es sich nur um einen Ausschnitt der ohnehin vorhandenen umfangreichen Befugnisse der Geheimdienste. Die Polizeiarbeit etwa, auf der die Sicherheit in Deutschland im Wesentlichen beruht, ist gar nicht berührt.

Man könnte auch meinen, es gehe nur um eine Bewahrung des rechtlichen Status Quo. Dabei sieht das Gesetzespaket des Innenministers echte Verschärfungen vor: Geheimdienste sollen ohne Kontrolle durch den Richter in Bankschließfächern schnüffeln dürfen. Also dort, wo Menschen persönliche Dokumente, Erinnerungsstücke oder Wertgegenstände lagern. Im Internet sollen künftig noch mehr Daten gespeichert werden, nämlich nicht nur die Information, wer wann wie surft, sondern auch, ob jemand online Rechtsgeschäfte abschließt, und wenn ja, welche.

Es könnte nun der Eindruck entstehen, Kritiker dieser Maßnahmen wollten zu allem von vornherein „Nein“ sagen. Dabei zielt eine wesentliche Forderung darauf, die einzelnen Teile des Gesetzes durch eine unabhängige Kommission unter Einbindung des Parlaments bewerten zu lassen. Wer also die Formel von der „Verlängerung der Sicherheitsgesetze“ übernimmt, sitzt einem listigen Propaganda-Spin auf.

Warum aber machen die Behörden gegen eine Evaluation des TBEG mobil? Die Ursache ist nicht rechtlicher, sondern ökonomischer Natur. Behördenleiter unterliegen der Logik der Betriebswirtschaftslehre, auch wenn sie Minister heißen. Sie haben klare Aufträge, die sie mit begrenzten Ressourcen erfüllen müssen. Jede zusätzliche Option im Gesetz, die ihnen die Arbeit erleichtert, kommt ihnen tendenziell gelegen. Denn im Zweifel bedeutet das für sie: Sie müssen weniger Ressourcen einsetzen, um den eigenen Auftrag zu verwirklichen.

Freiheitsverluste der Bürger tauchen in der Bilanz nicht auf. Das sind externe Kosten. Sie gedanklich auszublenden, fällt umso leichter, wenn Behörden überzeugt sind von der guten eigenen Amtsführung und der guten Sache, um die es geht. Eine solche Überzeugung ist ihnen nicht vorzuwerfen. Aber um genau den daraus resultierenden Einseitigkeiten in der Wahrnehmung zu begegnen, hat das Bundesverfassungsgericht verboten, Entscheidungen darüber, ob ein bestimmter Freiheitseingriff grundsätzlich zulässig sein solle, an Behörden zu delegieren. Nach dem „Parlamentsvorbehalt“ darf eine Entscheidung, die für die Grundrechte von Bedeutung ist, nicht in den Händen der Exekutive liegen. Sie muss vom Bundestag selbst formell in Gesetzesform gefasst werden.

Es ist also die Aufgabe des Parlaments, Ausnahmemaßnahmen, die in Grundrechte eingreifen, regelmäßig einer Kontrolle zu unterziehen. Dass die Maßnahmen des TBEG Ausnahmecharakter besitzen, belegt das historische Umfeld ihrer Entstehung: Sie gehörten zu den Reaktionen auf den 11. September 2001. Erneutes Nachdenken ist besonders dann erforderlich, wenn sich die Lage geändert hat: Die Terroristen des 11. Septembers sind überwiegend inhaftiert oder tot. Al-Kaida-Chef Osama bin Laden wurde erschossen. Zeitgleich ist die islamische Welt in Aufruhr – nicht um „den großen Satan aus dem Westen“ zu bekämpfen, sondern um ihr Modell von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat zu verwirklichen. Wer wollte da bestreiten, dass sich die Lage geändert hat? Wer wollte bestreiten, dass es erlaubt sein muss, Sicherheitsgesetze zu überdenken? Und wer könnte Angst vor deren Evaluation haben, wenn es denn wirklich gute Gründe gäbe für die Fortschreibung und Verschärfung von Ausnahmebefugnissen für die Geheimdienste?

Marco Buschmann, geboren 1977, sitzt seit 2009 für die FDP im Bundestag. In seiner Fraktion ist der Jurist Vorsitzender der Arbeitsgruppe Recht.

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Autor:  Marco Buschmann
Datum:  5 | 6 | 2011
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