Die Leica (I)

 

Mit den Kameras der Nullserie wurde der Markt getestet. Die Ergebnisse waren nicht eindeutig. Die Meinungen waren sozusagen geteilt. Denn natürlich hatte die Kamera neben ihrem Hauptvorzug, Kleinheit, Leichtigkeit und Präzision, auch eine ganze Reihe von echten und vermeintlichen Nachteilen. Echter Nachteil war nicht die von mir oben geschilderte, heute ein wenig vorsintflutlich anmutende Bedienung, daran war man gewöhnt, sondern die Kleinheit des Filmformats. Angesichts der geringen Leistung damaliger Filme war das Publikum auch bei anderen Kameras gewöhnt, größere Formate zu verwenden, die weniger stark vergrößert werden mussten. Auch waren die Filme naturgemäß nicht leicht zu bekommen, bestand doch bis dahin kein Bedarf an Kleinbildfilmen für den Massenmarkt.
  
Dennoch wurde im Auftrag von Ernst Leitz II, der Patriarch ohne II war 1920 gestorben, an der Erstellung einer Serienausführung gearbeitet. 1924/25 wurden 500 Serienexemplare der Leica fertiggestellt, wobei auch diese erste käufliche Kamera noch keine Namensbezeichnung (bei allen Schraubleicas später dann ein geschwungener Schriftzug "Leica") aufweist. Barnack wollte die Kamera Lilliput nennen, aber das ging nicht, der Name war bereits für eine andere Kamera geschützt. Auch die daraufhin vorgesehene Bezeichnung Leca war nicht haltbar, es gab schon eine Eca und im Französischen hieß die Eca eben l´Eca. Leitz schlug daher den Namen "Barnack-Kamera" vor, gegen den niemand was gehabt hätte, nur klang er nicht gut genug. Nur in Japan hat sich später dann der Ausdruck Barnack-Kamera für alle Schraubleicas schlechthin durchgesetzt. Recht spät wurde daher das Kunstwort Leica, aus Leitz und Camera gebildet, gefunden. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits Prospekte mit dem Namen Leca gedruckt und verteilt; es gibt auch Fotos von Unterlagen mit der Bezeichnung "Barnack-Kamera".
  
Bei der Frühjahrsmesse 1925 in Leipzig feierte die Leica ihr Debüt. Sie war von Anfang an, kein Wunder bei der langen Entwicklungsdauer, eine ausgereifte Kamera ohne ernsthafte mechanische Schwächen. 

Gegenüber der Leica 0 war sie bedeutend weiterentwickelt worden. Statt der unverständlichen Zeiteinstellung durch Angabe der Schlitzbreite wurde ein Drehknopf für die Einstellung der Belichtungszeiten verwendet, es war ein vernünftiger Fernrohrsucher eingebaut. Die Kamera hat einen auch heute noch üblichen Aufsteckschuh für Zubehör. Der Film wurde mit Hilfe einer speziellen Kassette in die Kamera eingelegt, nach der letzten Aufnahme wieder in die Kassette zurückgespult und dem Fotohändler zur Entwicklung übergeben oder aber selbst entwickelt. Die Verwendung von Filmkassetten ist heute noch handelsüblich, ebenso ist die maximale Filmlänge (1,65 Meter) für 36 Aufnahmen gleichgeblieben. Warum ausgerechnet 36 Aufnahmen? Ein längerer Filmstreifen passte einfach nicht in die von Barnack gewählten Ausmaße der Kamera. Die Kassette von damals entspricht allerdings nicht den heute gängigen Kassetten, sondern ist aus Metall gefertigt und immer wieder verwenbar. Die heute gängigen Kassetten  wurden erst mit der Retina in den 30er-Jahren von Kodak eingeführt und fanden allgemeine Verbreitung. Die Metallkassetten hielten sich indessen noch Jahrzehnte, vor allem bei sparsamen Amateuren. Mit ihrer Hilfe konnte preiswerte Meterware verwendet werden - allerdings brauchte man in der Regel eine Dunkelkammer zum Füllen der Kassette, sofern man nicht eine bis in die 50er-Jahre erhältliche TALI-Packung verwendete. Wie das Kürzel andeutet, konnte diese auch bei - gedämpften - Tageslicht in die Kassette eingefüllt werden.

Maßgebend bezüglich Lichtstärke und Brennweite wurde auch das in die Kamera fest eingebaute Objektiv. Zunächst war das ein Leitz Anastigmat mit den optischen Daten 3,5/50mm, wie es schon in die Leica 0 eingebaut worden war.
   
Das Objektiv wurde von Max Berek entwickelt, einem sehr bedeutenden Konstrukteur, der für Leitz eine Reihe ausgezeichneter Objektive konstruiert hat. Das Leitz Anastigmat beruhte ebenso wie das von Dr. Rudolph für Zeiss 1902 entwickelte Tessar, das aus 4 Linsen besteht, von denen die beiden hinteren zur Erhöhung der optischen Leistung miteinander verkittet sind, auf einem dreilinsigen Objektiv von H. Dennis Taylor aus dem 19. Jahrhundert. Berek hat das Tessar insofern abgewandelt, als er aus der hintersten Linse zwei machte, sodass der Leitz Anastigmat aus 5 Linsen besteht, von denen die hinteren drei miteinander verkittet waren. Dieses Objektiv wurde in der Folge  (ca. 20 Stück) in die Kameras der Nullserie und dann auch in die ersten Serienkameras eingebaut, insgesamt in - vermutlich - 144 Serienexemplare. 

Nun ist Anastigmat ein Gattungsname, der Objektive bezeichnet, die von bestimmten optischen Fehlern frei ist - derartige und auch so benannte Objektive gab es auch 1925 schon etliche. Bei Leitz fand man nun nach Anlaufen der Serienproduktion, es sei geboten, diesen Gattungsnamen durch einen konkreten Produktnahmen zu ersetzen, so wie Zeiss ja ein vergleichbares Objektiv auch nicht Anastigmat, sondern Tessar nannte. Daher wurde der Leitz Anastigmat in Elmax umbenannt, nach Ernst Leitz und Max Berek. Von diesem Objektiv wurden etwa 713 Stück gebaut.  Als neue Glassorten verfügbar wurden, ist das 5-linsige Elmax durch ein wesentlich einfacher herzustellenden 4-linsigen Objektiv ersetzt worden, das des besseren Klanges willen Elmar genannt wurde (Abbildung und Kurzbeschreibung der Objektivausstattung der Leica hier).

Sollten Sie sich eine Leica I mit Anastigmat kaufen wollen, sparen Sie! Kürzlich wurde eine solche (Nr. 201) in sehr gutem Originalzustand (Zustand B) und ohne spätere Umbauten um fast50.000 € bei einer Auktion in Wien von einem betuchten Sammler ersteigert. Leicas mit Elmax sind im Vergleich dazu geradezu billig: Im Zustand B wurde eine bei derselben Auktion um fast 13.000 € ersteigert.

Gelegentlich liest man, die Umbenennung des Objektivs von Anastigmat in Elmax und Elmar stehe in Zusammenhang mit dem Ablauf des Patents für das Zeiss Tessar. Auch ich war bis vor kurzem dieser Meinung. Im Licht der heute zugänglichen Unterlagen halte nicht nur ich diese Feststellung für falsch. Ich denke, man wollte bei Leitz nichts weiter als das was etwa bei Zeiss schon lange üblich war: jeden Objektivtyp mit einem entsprechenden Namen zu kennzeichnen. Diesem Vorbild sind auch andere deutsche Firmen gefolgt und als Quasistandard bildete sich in der Folge heraus, den Namen 4-linsiger Objektive auf -ar, den 6-linsiger Objektive auf -on enden zu lassen, wenngleich es auch diesbezüglich Ausnahmen gibt.

Übrigens ist die patentrechtliche Lage durchaus nicht so unumstritten gewesen, wie es aus obiger Darstellung hervorzugehen scheint. Denn zu Anfang der 30er-Jahre gab es Behauptungen, das Elmar sei dem damals für die Contax lieferbare Tessar - sagen wir - sehr ähnlich. Leitz hat das insofern klargestellt, als in der Zeitschrift <Die Leica> darauf hingewiesen wurde, dass eigentlich schon das Elmar jene Eigenschaften besitze, welche von Zeiss mit dem Tessar als nunmehr <neuartig> geltend gemacht wurden, dass also, wenn jemand etwas abgekupfert habe, dies jedenfalls nicht Leitz gewesen sei. Die Angelegenheit wurde vor Gericht nicht ausgetragen: Die Contax mit Tessar verkaufte sich ohnehin sehr gut und Leitz war ein guter Kunde der Glasfirma Schott, die zu Zeiss gehörte.

Sehr bald wurde über besonderen Wunsch die damals noch nicht mit dem Namen Leica beschriftete und als solche eigentlich namenlose Kamera auch mit einem ebenfalls von Berek entwickelten lichtstärkeren Objektiv, dem Hektor 2,5/50mm geliefert. Leider war die LEICA mit diesem Objektiv  auch entsprechend teurer - diese Ausführung der Leica ist es heute erst recht. 
   
Extrem selten findet man die Leica auch mit einem noch lichtstärkeren Objektiv von Meyer, dem Primoplan 1,9/50mm. Ich habe nicht feststellen können, ob dieses Objektiv von Leitz selbst montiert wurde oder über Kundenwunsch von einem begabten Bastler mit entsprechendem Knowhow.  

   Die Leica fand Anklang. Bis Ende 1925 konnten fast 1000 Stück verkauft werden; auch 1926 begann günstig und Leitz war auch erfolgreich, die Produktion wurde auf 1654 Stück gesteigert. In den frühen 30er-Jahren waren dann insgesamt 50.000 LEICAs verkauft worden. Das waren schöne Stückzahlen für eine vom Prinzip her ganz neue Kamera. Diese Zahlen widerlegten die Zweifler und bestätigten die Richtigkeit der Entscheidung von Ernst Leitz II., Barnacks Entwicklung in Serie zu bauen und auf dem Markt anzubieten.
   

LEICA I Luxus

Für besonders betuchte Kunden wurde ab dem Jahre 1929 die Kamera auch in einer vergoldeten Ausführung angeboten. Diese Kameras hatten einen Gehäusebezug aus Eidechsenleder. Weil diese Luxusausführung fast doppelt so viel kostete als die ohnehin nicht billige Leica I, wurden insgesamt nur 95 Stück hergestellt. Kein Wunder also, dass die Kamera heute, so sie denn einmal bei einer Auktion auftaucht, extrem hohe Preise erzielt. Kein Wunder aber auch, dass es auf dem Markt eine Reihe von Fälschungen gibt. Ich sage daher: kaufen Sie ja keine goldene Schraubleica. Vor allem keine goldene LEICA I. Sie ist sicher gefälscht. Zwar ist ja wohl nichts gegen eine solche Fälschung einzuwenden, wenn man sie halt als Jux in eine Vitrine stellt, aber man sollte sie dann auch zum für Fälschungen angemessenen Preis erstehen (Abbildung und Kurzbeschreibung hier).
   Bei dieser Gelegenheit gleich noch ein Hinweis oder eigentlich ein Vorgriff: fast alle Fälschungen stammen aus Russland und haben eine FED oder Zorki als Basis. Da es von der LEICA I keine Kopie von Zorki gibt und von FED auch noch nicht, ist der Aufwand für die Anfertigung spezieller Teile zur Ergänzung vorhandener späterer Kameras recht hoch und daher sind auch die diesbezüglichen Fälschungen teurer als spätere. Wenn Sie also unbedingt eine gefälschte LEICA besitzen wollen, kaufen Sie sich die Fälschung eines späteren Modells. Nicht nur Stephen Gandy zeigt prächtige Modelle, Sie können auch gleich an Ort und Stelle kaufen, soweit vorrätig, und das sogar relativ preiswert. Hüten Sie sich vor den Exemplaren mit deutschem Hoheitszeichen aus der damaligen Zeit. Von allem anderen abgesehen, ist nicht auszuschließen, dass der Zoll wenigstens stichprobenweise solche Sendungen kontrolliert.  
   Schon bei der Markteinführung der Leica, die ich von nun an mit dem Wissen der Nachgeborenen mit dem inzwischen üblich gewordenen Namen Leica I (in den USA: Leica A) bezeichnen will, war klar, dass die Leica I mit den billigeren Produkten der Konkurrenz vom Preis her nicht würde mithalten können. Es erschien daher geboten, der LEICA I eine billigere Variante an die Seite zu stellen. Das wurde die Compur-Leica, die um einiges billiger war als die LEICA I.


 

Die Leica (I) für Wechselobjektive
(in den USA als <Model C> bezeichnet)

1931 b brachte Leitz die erste echte Schraubleica auf dem Markt: das Modell C der LEICA mit auswechselbaren Objektiven. Ausgestattet mit einem Gewinde M39 mit einer Gewindesteigung von 0,97 konnte der Käufer sein Normalobjektiv Elmar oder Hektor gegen ein Weitwinkelobjektiv Elmar 3,5/35mm und kurz nach Einführung des Schraubgewindes auch schon gegen ein Elmar 4/90mm auswechseln. Die erste Leica I mit Schraubfassung hat die Nummer 37.280; es gibt auf dem Markt heute aber auch LEICAs mit niedrigerer Nummer und auswechselbaren Objektiven - später umgebaute ältere Exemplare. 
    
Eines war allerdings zunächst nicht möglich: Beim Händler ein Wechselobjektiv zu kaufen und ins Gehäuse einschrauben. Die Kameras und die Objektive waren nicht "auf Null abgeglichen". Auf Deutsch: der Abstand zwischen dem Film und der Objektivauflage war zwar genormt, doch gab es große Toleranzen. So musste jedes Wechselobjektiv im Werk bzw. bei der Generalvertretung manuell an die vorhandene Kamera angepasst werden. Nicht nur differierte die Dicke der Gehäuse geringfügig, aber merklich, auch die Brennweite der einzelnen Objektive wich individuell verschieden von der Normbrennweite ab. 
   
Aus diesem Grunde findet sich mittig an der Rückseite des Gehäuses ein abgedecktes Loch. Bei der Anpassung des zugekauften Wechselobjektivs an eine bestimmte Kamera wurde durch dieses Loch der korrekte Abstand des Objektivs bestimmt, das Objektiv angepasst und danach das Loch lichtdicht abgedeckt. Deshalb passte ein bestimmtes Objektiv nur an eine bestimmte Kamera. Um das sicherzustellen, trug jede Kamera eine dreistellige Nummer im Gehäuse, die mit der Nummer auf dem Objektiv übereinstimmen musste. Nur so war die korrekte Anpassung gesichert. 

Die Möglichkeit, an einer Kamera nach entsprechender Anpassung mehrere Objektive verschiedener Brennweiten verwenden zu können, war eine Innovation, welche den Absatz merklich steigen ließ. Nur wurde mit der individuellen Anpassung niemand recht glücklich, sodass schon ab Gehäusenummer 60.001 die Kameras und die Objektive werkseitig auf Null abgeglichen wurden.
   
Erst von da an gibt es im eigentlichen Sinn das, was wir eine Kamera mit Wechselobjektiv nennen. Um diese auf Null abgeglichenen Kameras zu kennzeichnen, wurde auf der der Schraubfassung (und auf den Objektiven auch) eine Zeit lang eine Null eingraviert - auf den Objektiven finden Sie die Null auf der Fassung neben der Schraube oberhalb des Entfernungshebels.

Heute ist es einigermaßen schwierig, festzustellen, wie viele Kameras übrig sind, die nicht auf 0 abgeglichen sind, denn angesichts der vielfältigen Vorteile existieren sowohl LEICAS mit Wechselobjektiven, die von der Nummer her gar keine Wechselobjektive haben sollten, als auch solche, die individuell abgeglichen werden mussten, nachträglich aber umgebaut worden sind. Eines haben sie alle gemeinsam: die traditionelle Sperre auf Unendlich in Form des als "Hockeyschlägers" bezeichneten Metallwinkels fehlt den Exemplaren mit Wechselobjektiven.

 

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Peter LAUSCH
Zuletzt geändert am  3. September 2009

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