Heft 54/2006 | zeitzeugen und historiker | Seite 34 - 38

Andreas Weigelt

Konspirativ gelenktes Gedenken

Das Beispiel des KZ-Außenlagers Lieberose

 

 

In Jamlitz, einem Dorf 30 Kilometer nördlich von Cottbus, bestand von 1943 bis 1945 das größte jüdische Außenlager und das zweitgrößte Außenlager des KZ Sachsenhausen.1 Seine Gedenk- und Aufarbeitungsgeschichte illustriert dunkle Seiten des DDR-Antifaschismus.
Das Lager auf dem SS-Truppenübungsplatz »Kurmark« war durch einen für Ostdeutschland einzigartigen Massenmord an etwa 1300 jüdischen Häftlingen im Februar 1945 aufgelöst worden. Tagelang waren Schüsse vom Lagergelände zu hören. Sägewerkarbeiter mußten wenig später das notdürftig bedeckte Massengrab in der Staakower Kiesgrube, zwei Kilometer von Jamlitz, zuschippen.2 Der Lieberoser Pfarrer Kowalewski notierte im Sommer 1945: »Das Jamlitzer Sträflings- und Judenlager wurde wegverlegt. Hunderte Juden wurden erschossen.«3
Die komplizierte Aufarbeitungsgeschichte begann 1945. Der als Monteur einer Cottbuser Elektrofirma zum Mordzeugen gewordene Kommunist Otto Maaß hatte im Sommer 1945 für das NKWD einen Bericht über den Massenmord und die Täter verfaßt.4 Maaß wurde jedoch kurz darauf vom NKWD verhaftet, ohne Beweise des Mordes an den Häftlingen beschuldigt, im Speziallager Jamlitz interniert,  jedoch 1950 als zu Unrecht verhaftet aus Buchenwald entlassen.5 Die Aufklärung der Morde hat 1947 auch der sowjetische Sachsenhausen-Prozeß unterlassen, obwohl die angeklagten SS-Offiziere in mehreren Verhören Details der Morde beschrieben und die Mörder beim Namen nannten. Die Täter wurden nicht verfolgt.
In Jamlitz befand sich von 1945 bis 1947 das sowjetische Speziallager Nr. 6. Erst nach seiner Auflösung war Gedenken an das KZ-Außenlager möglich. 1949 wurde ein Findling aufgefunden, der vor dem KZ-Tor gestanden hatte. Der SS-Lager-Stein mit der Aufschrift »Arbeitslager Lieberose 1944« diente seit 1956 als Denkmal. Der Jamlitzer Werner Mocho begann, Material über das Lager zu sammeln. Er wies schon 1957 sowohl auf das Außenlager als auch auf das Internierungslager hin.6 In seinen Artikeln erwähnte er stets, daß in Jamlitz Juden gelitten hatten.7 Bis 1971 erinnerten außer dem Lagerstein noch die Pfeiler des Lagertors und die Lagerstraße an das Lager. Die Häftlings-Organisationen der DDR hatten den Gedenkort Jamlitz bis dahin nicht vereinnahmt. Niemand sprach von Helden und Widerstandskämpfern. Nach einer größeren Kundgebung der »Nationalen Front der DDR« im März 1965 wurden die Insassen in Pressebeiträgen noch »Opfer des Terrors« bzw. »Opfer des SS-Terrors« genannt.8
Ende Dezember 1963 wurde die Verhaftung des ehemaligen Blockführers Erich Schemel wegen der Morde auf dem Evakuierungsmarsch bekannt. In der DDR erschien diese Meldung jedoch nicht.9 Die DDR bearbeitete ein westdeutsches Rechtshilfeersuchen (RHE). Drei in der DDR ermittelte nichtjüdische Überlebende wurden vernommen, ohne daß sie hierfür den Anlaß erfuhren. »Erscheinen der Zeugen Müller, Schnell und Kehrbaum zur Verhandlung Schemel in Fulda nicht möglich«, so das Telegramm der Generalstaatsanwaltschaft (GStA) der DDR an die westdeutschen Kollegen.10 Man befürchtete, »daß es zu einer Kontaktaufnahme zwischen den Zeugen und dem Fuldaer Gericht kommt«.11 Ermittlungen und Öffentlichkeit hierzu blieben konspirativ gesteuert12.
1968 war der SED-Chronist Richard Schulz aus Beeskow von der Kommission zur Erforschung der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung bei der Bezirksleitung  Frankfurt (Oder) der SED beauftragt worden, u.a. den antifaschistischen Widerstand im Bezirk zu erforschen, und stieß bald auf das Lager.13 Vom Antifa-Komitee erhielt er auf Anfrage nur die Kopie eines Schreibens des ehemaligen Lagerältesten in Sachsenhausen, Harry Naujoks, aus dem Jahre 1965 sowie einige ADN-Meldungen zum Schemel-Prozeß.14 Er stellte resigniert fest, daß das Komitee »nichts unternommen hat«.15 Auch in Lieberose begann 1968 die Erforschung der Lagergeschichte. Aus den Forschungen, die der Lehrer Roland Richter mit Schülern durchführte, ging bis 1970/72 u.a. eine umfangreiche Schülerarbeit hervor.16
Im November 1970 besichtigten drei ehemalige Sachsenhausen-Häftlinge den Gedenkort Jamlitz. Dort zeigten ihnen Jamlitzer Einwohner »Massengräber« aus der KZ-Zeit. Die drei empfahlen, »nun endgültig, entsprechend der Rolle des Nebenlagers Lieberose als Vernichtungslager, eine würdige Gedenkstätte zu schaffen« und »zu prüfen, ob die Untersuchung der Massengräber zweckmäßig ist«.17 Ihr Bericht für die GStA gelangte als Kopie zum MfS. Eine erste MfS-Information über »vermutliche Massengräber sowjetischer Bürger« leitete im Januar 1971 Untersuchungen der Abteilung IX/11 ein. Bemerkenswerterweise wurden die Opfer als »sowjetische Bürger« bezeichnet, obwohl davon bisher keine Rede war. Aus dem MfS-Material geht nicht hervor, ob die Massengräber gesucht worden waren.18 Am 6. Mai 1971 schlug Major Winkler vor: 1. die »exakte Dokumentation des Ortes der Massengräber bei Jamlitz/Lieberose nach Vernehmung der Zeugen«, 2. die »Exhumierung der Opfer von Jamlitz/Lieberose und deren würdige Bestattung« und 3. die »Einleitung strafrechtlicher Maßnahmen, falls Teilnehmer an dem Massenverbrechen in der DDR wohnhaft sind«.19 Bis zum 6. Mai 1971 waren laut MfS-Papieren bereits 20 Skelette aus einer Kiesgrube bei Jamlitz geborgen worden. Winkler war demnach nicht informiert worden, als am 4. Mai das Massengrab entdeckt wurde. 20 Am 6. Mai leitete die MfS-BV Cottbus Ermittlungen gegen Unbekannt ein. Es bleibt offen, ob das Grab zufällig gefunden wurde. Zwischen dem 5. und 18. Mai 1971 exhumierte das Institut für gerichtliche Medizin Dresden 577 Gebeine und dokumentierte jedes einzeln. Es war das größte in der DDR entdeckte Massengrab aus der NS-Zeit. Nach Entdeckung des Massengrabes entspann sich nicht nur eine Auseinandersetzung um den Ort der Gedenkstätte, sondern es begann auch die Vereinnahmung der jüdischen Opfer, die Verwischung des historischen Ortes sowie die Zerstörung der vorhandenen baulichen Reste des Lagers. Schwer nachvollziehbar ist bereits der anfängliche Vorschlag von Staatssekretär Heinze vom Kulturministerium, die Gebeine nach Sachsenhausen umzubetten, denn neben der Lagerarbeitsgemeinschaft Sachsenhausen (LAG) hatte auch das MfS eine Gedenkstätte am Lagerort vorgeschlagen. Daß es sich um jüdische Opfer handelte, unterlag keinem Zweifel. Im Massengrab fanden sich u.a. ein hebräischsprachiges Medaillon und ein aus Holz geschnitzter David-Stern. Trotz des Wissens um die jüdische Herkunft der 577 ermordeten Häftlinge übergab das MfS am 18. Mai 1971 die Gebeine »zur Feuerbestattung« an den Rat des Bezirkes Cottbus.21 Kulturminister Gysi wandte gegen diese, religiösen jüdischen Gebräuchen widersprechende, Einäscherung nichts ein.22 Erst am 24. Mai 1971 sind die Gebeine in 30 Holzsärgen zum Krematorium Forst überführt worden. Am selben Tag teilte Kulturminister Gysi dem Rat des Bezirkes Cottbus mit, daß eine Beisetzung in Sachsenhausen nicht möglich sei, und entschied statt dessen, »daß eine Gedenkstätte ... in Lieberose/Jamlitz, dem ehemaligen Standort des Außenlagers des KZ-Sachsenhausen, ausgewählt und für die Beisetzung entsprechend vorbereitet« werden solle.23 Zuvor hat das MfS die bei den Gebeinen gefundenen »1080 g. Zähne und Zahnprothesen« aus Gold entnommen. Major Scholz und Oberleutnant Schubert von der MfS-BV Cottbus gaben folgende zynische Begründung: »Durch die willkürliche Bestattung im Massengrab war es nicht mehr möglich, die einzelnen Goldarbeiten einzelnen Skeletten zuzuordnen. Deshalb wurden die aufgefundenen Goldprothesen vor der Freigabe zur Feuerbestattung durch die Gerichtsmedizin Dresden an das Untersuchungsorgan zur weiteren Verfügung übergeben.« In Wirklichkeit hatten die Gerichtsmediziner das Gold den jeweiligen Skeletten zugeordnet und einzeln, auch photographisch, dokumentiert. Später dürfte das Gold eingeschmolzen worden sein.24 Am 26. Mai 1971 wies der Rat des Bezirkes Cottbus das Krematorium an: »Sie wollen bitte mit der Einäscherung der 30 Särge so verfahren, wie am 24.5.71 tel. vereinbart.« Doch erst drei Monate später, am 18. August, notierte man in Cottbus: »Die vom Untersuchungsorgan des Ministeriums für Staatssicherheit Cottbus übergebenen 577 exhumierten Skelette wurden im Krematorium Forst eingeäschert.« Sollen die 30 Särge über Monate im Krematorium Forst aufbewahrt worden sein? Am 3. September, neun Tage vor Überführung der Urne nach Lieberose, wies die Abteilung Inneres in Cottbus das Krematorium Forst an: »Die weitere Asche der Skelette bitte ich in gebührender Form auf dem Friedhof in Forst in Ihrer Verantwortung beizusetzen und uns die restlichen Kosten in Rechnung zu stellen.« 25 In Forst finden sich für den Zeitraum Mai bis September 1971 jedoch weder eine Eingangsnummer bzw. ein Verbrennungsnachweis für die 30 Särge, noch Eintragungen zur anonymen Bestattung der restlichen Asche auf dem »Urnensammelfeld«. Es ist bis heute nicht bekannt, wo die restliche Asche geblieben ist.26 Jedes Grab war nach dem DDR-Gräbergesetz zu kennzeichnen.27
Der nächste Willkürakt folgte. Unabhängig von den erwähnten Empfehlungen der LAG und des MfS für eine Gedenkstätte in Jamlitz hatte auch die SED-Kreisleitung Beeskow vor dem Massengrabfund 1971 für 1975 die Einweihung einer »›Gedenkstätte für die Opfer des Faschismus‹ in Jamlitz – Außenstelle des KZ Sachsenhausen« geplant.28 Bis dahin war es für die Verantwortlichen selbstverständlich, an keinem anderen Ort als in Jamlitz eine Gedenkstätte zu errichten. Entgegen diesen Plänen beschloß der Rat des Bezirkes Frankfurt (Oder), zu dem Jamlitz und Lieberose gehörten, am 4. Juni 1971, eine »Gedenkstätte in der Stadt Lieberose« zu errichten. Dies sei von den SED-Bezirksleitungen Frankfurt (Oder) und Cottbus empfohlen und mit dem Ministerium für Kultur, dem Amt für Denkmalpflege und dem Leiter der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte (NMG) Sachsenhausen abgestimmt worden. Mit dem Beschluß wurde die Zerstörung der baulichen Reste des Lagers eingeleitet: »Nach Fertigstellung der Gedenkstätte Lieberose ist der Gedenkstein in der Gemeinde Jamlitz zu entfernen.«29 Der Stein verschwand am 10. September 1971, zwei Tage vor Grundsteinlegung für das Lieberoser Mahnmal.30 Bis 1995 erinnerte in Jamlitz nichts an das zweitgrößte Außenlager des KZ Sachsenhausen. Der Stein lag Jahrzehnte zwischen Müllfahrzeugen auf der Burg Beeskow.
Als Gedenkstätten-Standort wählte eine Kommission im Juni 1971 den beim Lieberoser Friedhof gelegenen »Galgenberg« aus. Der mittelalterlichen Hinrichtungsplatz besitze, so die Beeskower Funktionäre, »historische und emotionale Beziehungen zum ehemaligen Lager Jamlitz«!31 Urnenbeisetzung und gleichzeitige Grundsteinlegung für das Mahnmal fanden am 12. September 1971 statt. Nur ein Bericht darüber erwähnte, daß es in Jamlitz »jüdische Häftlinge« gab.32 Es fehlte jeder Hinweis auf Jamlitz als Lagerort. In der NBI wurde durch Verwendung von SS-Fotos in Sachsenhausen ermordeter Sowjetsoldaten suggeriert, in Jamlitz seien insbesonders Soldaten der Roten Armee ermordet worden. Die Presse nannte das Außenlager zudem ein »Straflager«. Dies war, bezogen auf die jüdischen Häftlinge, eine ungeheuerliche Formulierung.
Die Gestaltung des Mahnmals nahm keinen Bezug auf das Lager als jüdisches KZ-Außenlager.33 Es wurde am 6. Mai 1973 in Form eines Ringgrabes mit versenkter Urnengruft und seitlich vorgesetzter Strukturwand eingeweiht. Neben dem roten Winkel für politische Häftlinge liest man auf dieser: »Ehrendes Gedenken den Opfern des Faschismus, die im Nebenlager Lieberose-Jamlitz des KZ Sachsenhausen von der SS ermordet wurden. 1943-1945.«
Zur Einweihung sollte ein Überlebender des Lagers, Kurt Kohn, Vorsitzender der Parteikontrollkommission der SED im Bezirk Leipzig, sprechen. Er hatte sich als Jugendlicher vom jüdischen Elternhaus gelöst und war Kommunist geworden. Über das Ghetto Lodz und Auschwitz kam er nach Jamlitz und erlebte im April 1945 seine Befreiung in Mauthausen. Das Komitee antifaschistischer Widerstandskämpfer lehnte dies ab. Es sprach stattdessen der stellvertretene Vorsitzende des Komitees. Nur eine regional erscheinende CDU-Zeitung berichtete, daß sich Kurt Kohn unter den Anwesenden befand.34
Früh ging die SED-Kreisleitung Beeskow dazu über, den Charakter der Haft der mehrheitlich jüdischen Häftlinge verfälschend zu interpretieren. Wurden sie 1971 noch »Opfer« genannt, so hieß es jetzt: »1944-1945  KZ Sachsenhausen – Nebenlager Jamlitz  RUHM UND EHRE DEN KÄMPFERN GEGEN FASCHISMUS UND KRIEG«. Auch eine Presseerklärung zur Mahnmaleinweihung sprach von »unzähligen, mutigen, antifaschistischen Widerstandskämpfern«, die »für die gerechteste Sache der Welt ihr Leben gaben«.35  Die so instruierten Berichterstatter machten aus den ermordeten jüdischen Häftlingen »namenlose Helden«36, deren »Vermächtnis erfüllt werde«.37 Vor Einweihung des Mahnmals wurde die Beseitigung der Lagerreste fortgesetzt. Hatte die LAG noch 1970 empfohlen, für »eine würdige Gedenkstätte« die zwei »Pfeiler des ehemaligen Lagertores [zu] verwenden«38, so forderte das Antifa-Komitee im März 1973 das Gegenteil, nämlich »die zwei Torpfeiler des ehemaligen Lagertores zu beseitigen«.39 Sie sind bald darauf mit einem Traktor »beseitigt« worden.
Da die jüdischen Häftlinge in den Jahren 1971/73 bereits gründlich aus dem Bewußtsein der Verantwortlichen und der meisten Einwohner verdrängt waren, konnte die SED-Kreisleitung Beeskow für die massenpolitische Nutzung des Mahnmals im Juli 1973 vorgeben, »den Haß gegen den Imperialismus weiter zu vertiefen« und »den Prozeß der bewußten Abgrenzung von der imperialistischen BRD zu fördern«.40 Erst mit der Errichtung eines Museums am Fuß des »Galgenbergs« 1981/82 wurde wenigstens teilweise der Versuch unternommen, dem Charakter des Lagers gerecht zu werden.41 Zwar enthielt die Ausstellung nur eine jüdische Biographie, die des schon erwähnten Kurt Kohn, dargestellt als politischer Häftling, aber es fand sich wenigstens ein Hinweis darauf, daß die meisten Häftlinge Juden waren.
Bis 1989/90 sind Museum und Mahnmal von der Schule Lieberose betreut worden, seitdem übernimmt ein Verein diese Aufgabe. Die Unterhaltungs- und Pflegekosten trägt die Stadt Lieberose. Nach 1990 entstanden mehrere Kontakte zu jüdischen Überlebenden. Im Museum wurden durch den Leiter des Mahnmal-Vereins, Peter Kotzan, eine neue Dauerausstellung sowie Sonderausstellungen erarbeitet.
Noch ist die Frage unbeantwortet, warum die Verantwortlichen den historischen Ort Jamlitz wie ein heißes Eisen behandelt haben. Zum einen waren in Jamlitz überwiegend jüdische Häftlinge inhaftiert, deren Darstellung für den DDR-Antifaschismus mehr als problematisch war. Außerdem bedeutete die Existenz des Lagers für die deutschen politischen Häftlinge eine Niederlage, denn sie konnten den jüdischen Häftlingen im Grunde kaum helfen. Als Blockälteste und sogenannte »Kapos« waren sie den viel schlechter gestellten jüdischen Häftlingen in unterschiedlichen Positionen vorgesetzt und standen so zwischen deren Interessen und denen der SS. Eine komplizierte und nicht von jedem politischen Funktionshäftling bestandene Prüfung. Das Lager war schlicht und einfach nicht von der LAG repräsentierbar, denn nur etwa zehn Prozent der Insassen waren politische Häftlinge bzw. ehemalige Kriegsgefangene.42
Auch die  Existenz des sowjetischen Speziallagers und die zugehörigen Massengräber um Jamlitz warfen für den DDR-Antifaschismus unlösbare Probleme auf. In Hinweisen der GStA der DDR bzw. des MfS zum Außenlager Lieberose heißt es: »Beachtet werden muß, daß sich auf dem Gelände des ehemaligen KZ-Außenlagers ab Herbst 1945 ein Internierungslager, welches von sowjetischen Organen eingerichtet wurde, befand. ... Auf Grund einer in diesem Lager aufgetretenen Epidemie gab es auch Todesfälle. Die Toten wurden ebenfalls in dem Waldgelände, in welchem das Massengrab gefunden wurde, vergraben.«43
Der beileibe nicht einfache Umgang mit der Doppelgeschichte eines KZ-Geländes, wie sie auch in Sachsenhausen und Buchenwald gegeben war, hat offenbar in Jamlitz schon 1971 begonnen. Bis dahin war relativ ungestört von politischen Erwägungen und Ängsten am historischen Ort der jüdischen Opfer des Außenlagers Lieberose gedacht worden – ohne Mahnmal und ohne Museum.
1999 erschien ein Aufsatz zur Aufarbeitungsgeschichte44, auf den die Medien 2001 aufmerksam wurden.45 Im Mittelpunkt des teilweise internationalen Interesses stand die Entnahme des Zahngoldes durch das MfS. Ehemalige KZ-Insassen und DDR-Gedenkstättenverantwortliche machten dem Autor den Vorwurf, er delegitimiere die DDR und setze das Vorgehen des MfS, das gerechtfertigt wurde, mit dem der SS gleich.46
Von 1998 an bereiteten die Evangelische Kirchengemeinde Lieberose und das Land Brandenburg in Zusammenarbeit mit der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten und den Opferverbänden zwei Freiluftausstellungen auf dem Lagergelände vor. Der Kirche und den anderen Organisatoren wurde vom Sachsenhausen-Komitee in der BRD die Gleichsetzung von Opfern vor und nach 1945 vorgeworfen. Man wolle zudem die Gedenkstätte in Lieberose zerstören. Im Juni 2003 wurden beide Ausstellungen in Jamlitz unter Teilnahme ehemaliger Insassen beider Lager eingeweiht.47

Andreas Weigelt, geb. 1963, Historiker, lebt und arbeitet in Lieberose und betreut die Dokumentationstätten in Jamlitz . Siehe dazu auch die Webseite www.die-lager-jamlitz.de

1    Vgl. den Eintrag des Autors in: Wolfgang Benz/Barbara Distel (Hrsg.): Der Ort des Terrors, Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Band 3, Sachsenhausen Buchenwald, München 2006, S. 224-229.
2    Staatsanwaltschaft Cottbus (StA Cottbus), 211-5/75, Handakte, Bl. 4.
3    Stadt Journal Lieberose, 2. Jg. Heft 3, Mai/Juni 1998.
4    StA Cottbus, 211-5/75, Handakte, Bl. 19.
5    Andreas Weigelt: »Umschulungslager existieren nicht«, Zur Geschichte des sowjetischen Speziallagers Nr. 6 in Jamlitz 1945-1947, Potsdam 2001, S. 174ff.
6    Werner Mocho: Rings um Jamlitz, in: 3. Heimatheft des Kreises Beeskow, hrsg. von der Fachkommission Heimatkunde beim Pädagogischen Kreiskabinett Beeskow, Beeskow 1957, S. 27f.
7    Werner Mocho: Vergeßt nie die Schandtaten der Militaristen, in: Neuer Tag vom 18.2.1959; vgl. auch: ders., Unschuldige Opfer mahnen uns, in: Neuer Tag vom 13.9.1959.
8    Neuer Tag vom 29. und 30.3.1965.
9    Vgl. aber: Spandauer Volksblatt 25.12.1963 sowie Süddeutsche Zeitung und Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27.12.1963.
10    BArch Berlin, DP 3, V RhW 6/64, Bl. 66R.
11    BArch Berlin, DP 3, V RhW 6/64, Bl. 66.
12    Als im Mai 1971 das erste Massengrab gefunden wurde, setzte die GStA die Lüge in Umlauf, wonach die DDR »seit Jahren ... den Justizorganen der Bundesrepublik umfassendes Beweismaterial gegen die Verantwortlichen der im Lager Lieberose verübten Verbrechen gegen die Menschlichkeit übermittelt« habe. Vgl. hierzu Neue Berliner Illustrierte, Nr. 2/1972. Vgl. auch das (Selbst-)Interview des stellvertretenden GStA Karl-Heinz Borchert vom 27.9.1971, das später in dem Propaganda-Film »Wie aktuell  ist Nürnberg noch?« Verwendung fand, in: BArch Berlin, DP 3 V 45/68, Bl. 106-110.
13    BArch Berlin, DP 3, V 45/68, Bl. 53f.
14    BStU, RHE 15-71-DDR, Teil 3a und 4, Bl. 213-219.
15    Ebenda, Bl. 214.
16    Edeltraud Wunderschütz: Das KZ-Lager »Arbeitslager Lieberose«, Forschungsarbeit Oberschule Lieberose 1970/72, Lieberose Februar 1972.
17    BArch, DP 3, V 45/68, Bericht vom 28.11.1970, Bl. 80.
18    BStU, RHE 15-71 DDR Teil 2, Bl. 39.
19    BStU, RHE 15-71 DDR, Teil 1, Bl.16f.
20    StA Cottbus, 211-5/75, Handakte, Bl. 1, MfS-Rapport Nr. 89 vom 6. Mai 1971.
21    BLHA Potsdam, Rep. 801, Rat des Bezirkes Cottbus, Nr. 4907, Übergabeprotokoll, unpag.
22    Hierher gehört auch, was in einem Vermerk der GStA vom 17.5.1971, einen Tag bevor »die Frage der Umbettung entschieden« werden sollte, formuliert wurde: »Die Opfer bei Staakow weisen zum Teil viel Zahngold auf. Dieser Faktor darf bei einer Umbettung nicht ganz unbeachtet bleiben.«, in: BArch Berlin, DP 3, 213-227/71, Bl. 14.
23    StA Cottbus,  211-5/75 Handakte, Information des Rates des Bezirkes Cottbus vom 28.5.71, Bl. 21 und 21R.
24    BStU, ZUV 73, Bd. 1, Bl. 95 und 101.
25    BLHA Potsdam, Rep. 801, Rat des Bezirkes Cottbus, Nr. 4907, unpag.
26    Vgl. das Schreiben des Betriebsamtes Forst an den Autor vom 6.5.1997.
27    Vgl. den Beschluß des Präsidiums des Ministerrates der DDR vom 13.7.1971 zur »Behandlung von Gräbern Gefallener  und ausländischer Zivilpersonen«.
28    BLHA Potsdam, Rep. 731, SED Kreisleitung Beeskow, Nr. 727, Schreiben der Kommission vom 6.3.1971, unpag.
29    BLHA Potsdam, Rep. 601, Rat des Bezirkes Frankfurt/O., Nr. 6582, unpag.
30    Er lag, mit der Inschrift zur Erde, bis 1990 auf der Burg Beeskow, dessen Innenhof u.a. als Stellfläche für Müllfahrzeuge diente. Dann holten ihn die Jamlitzer wieder zurück.
31    Kreisarchiv (KA) LOS, Akte zum Mahnmal, ohne Namen, Information des Rat des Kreises Beeskow vom 16.6.197, unpag.
32    Neuer Tag 7.9.1971.
33    BArch Berlin, DY 57, K. 105, Bd. 8, Schreiben des Instituts für Denkmalpflege an das Antifakomitee vom 19.10.1971, unpag.
34    Märkische Union 15.4.1973.
35    KA LOS, Akte zum Mahnmal ohne Namen, unpag.
36    Neues Deutschland 5.5.1973; sowie: Neuer Tag 7.5.1973.
37    Neuer Tag 8.5.1973.
38    BArch Berlin, DP 3, V 45/68, Bl. 80.
39    BLHA Potsdam, Rep. 731 SED-Kreisleitung Beeskow, Nr. 1019, Niederschrift vom 19.3.1973, unpag.
40    BLHA Potsdam, Rep. 731, SED-Kreisleitung Beeskow, Nr. 1019, unpag.
41    Archiv der Gedenkstätte Sachsenhausen, KAW, K. 25, M 1, Drehbuchentwurf des Direktors der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Sachsenhausen Hans Biereigel, Bl. 73-78.
42    Erst seit 1996 besteht in Israel eine Häftlingsvertretung der ehemaligen jüdischen Häftlinge im KZ Sachsenhausen.
43    BArch Berlin, DP 3, 213-227/71, Bl. 44f.
44    Andreas Weigelt: Die Asche der jüdischen Häftlinge auf dem »Galgenberg« in Lieberose, in: Annette Leo/Peter Reif-Spirek (Hg.), Helden, Täter und Verräter, Studien zum DDR-Antifaschismus, Berlin 1999. S. 37-64.
45    Marcus Jauer: Das Erbe einer doppelten Vergangenheit, in: Süddeutsche Zeitung vom 8.11.2001; Jüdische KZ-Opfer von Jamlitz, ORB Klartext vom 2. Oktober 2001.
46    Peter Kotzan: Klartext zu »Klartext«, in: Antifa 11/2001, S. 16.
47    Andreas Weigelt: Dokumentationsstätte KZ-Außenlager Lieberose 1943-1945 / Dokumentationsstätte Sowjetisches Speziallager Nr. 6 Jamlitz 1945-1947, Konzeption und Realisierung, in: Gedenkstätten Rundbrief 118,
Berlin 2004, S. 20-26.

 

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