Direkte Links und Access Keys:

28. September 2011, Neue Zürcher Zeitung

Ein Streit spaltet die Aging-Community

Aus der Traum von Sirtuinen als Langlebigkeitsgenen?

Porträt einer älteren Bulgarin. (Bild: imago)Zoom

Porträt einer älteren Bulgarin. (Bild: imago)

Einige Forscher wollen bewiesen haben, dass der postulierte Langlebigkeitseffekt der Sirtuingene nur auf methodischen Fehlern beruht. Doch dem widersprechen die Anhänger der Sirtuin-Aging-Theorie vehement.

Lena Stallmach

Eigentlich hat er keine Zeit. Aber dieses Thema ist David Gems vom University College London so wichtig, dass er umgehend zu einem Telefoninterview bereit ist. Er leitete eine Studie, die ein für alle Mal zeigen sollte, dass Sirtuine das Leben nicht verlängern, wie dies von vielen Forschern postuliert wird.¹ Doch die Fronten sind verhärtet. «Wir wussten es von Anfang an: Was immer wir publizieren, sie werden es nicht akzeptieren», sagt er. Dies hat sich bewahrheitet. Denn «sie» – gemeint sind die Forscher, die die Sirtuine seit rund zehn Jahren als Langlebigkeitsgene betiteln – akzeptieren es tatsächlich nicht. Allen voran Lenny Guarente vom Massachusetts Institute of Technology Cambridge, der «Vater» der Sirtuine.

Anzeige:

Jahrelanger Zwist

Am Telefon klingt Guarente gereizt, als er auf das Thema angesprochen wird: Es seien immer die gleichen Leute, die seit Jahren versuchten, seine Theorie anzufechten. Doch sei er felsenfest davon überzeugt, dass die Sirtuin-Aging-Theorie stimme. Diese gründet auf zwei Funden. Der eine ist, dass erhöhte Sirtuin-Mengen das Leben verschiedener Organismen um 30 bis 50 Prozent verlängern. Erste Hinweise dafür fanden Guarente und sein damaliger Doktorand Matt Kaeberlein im Jahr 1999 bei Hefezellen. Deren Sirtuin-Produktion hatten sie erhöht, indem sie ein zusätzliches Gen eingefügt hatten. Der andere «Fund» ist, dass Sirtuine möglicherweise im Mittelpunkt jener lebensverlängernden Stoffwechselprozesse stehen, die durch eine kalorienreduzierte Ernährung in Gang gesetzt werden.

Eine solche Diät gilt seit Jahrzehnten als zuverlässigste Methode, das Leben verschiedener Organismen von Hefezellen bis zu Säugetieren um etwa 40 Prozent zu verlängern. Sie beruht auf einer drastischen Reduktion der Kalorien bei gleichzeitig ausreichender Nährstoffversorgung. Zellen stellen dabei ihren Stoffwechsel in einen Sparmodus, in dem die Zellalterung langsamer wird. Anti-Aging-Forscher interessieren sich für die zugrundeliegenden Prozesse. Das Ziel ist, mithilfe von biochemischen Aktivatoren in diesen Regelkreis einzugreifen und das Leben von Menschen zu verlängern, ohne dass diese dabei hungern müssen.

Nach der Jahrtausendwende glaubten viele, in den Sirtuin-Proteinen den wichtigsten Angriffspunkt gefunden zu haben. Dies löste viel Euphorie im Anti-Aging-Feld aus, und unzählige Forschungsgruppen begannen die Genfamilie der Sirtuine – in den meisten Organismen gibt es mehrere Varianten davon – in Fruchtfliegen, Fadenwürmern oder Mäusen zu erforschen.

Doch der Siegeszug der Sirtuine blieb nicht ungetrübt. Forscher produzierten widersprüchliche Ergebnisse. Und zwei ehemalige Mitarbeiter von Guarente, Kaeberlein und Brian Kennedy, wurden zu vehementen Gegnern der Sirtuin-Aging-Theorie. Sie zeigten, dass die Kalorienreduktion auch ohne das Zutun der Sirtuine lebensverlängernd wirken kann; was von anderen bestätigt wurde. In der neuen Studie werfen Gems und seine Kollegen nun einigen Sirtuin-Forschern vor, dass die lebensverlängernde Wirkung in ihren Experimenten mit Fruchtfliegen und Fadenwürmern nur durch falsche Kontrollexperimente zustande gekommen sei.

Tatsächlich haben die betroffenen Forscher die Tiere, die zusätzliche Sirtuin-2-Gen-Kopien hatten, nicht mit sonst genetisch identischen Würmern oder Fliegen verglichen, die sich nur darin unterschieden, dass sie allein ein Sirtuin-2-Gen besitzen, sondern mit anderen Wildtyp-Stämmen. Das Problem dabei ist, dass diese nicht den gleichen genetischen Background haben und womöglich noch andere Unterschiede aufweisen, die ihre Lebensdauer beeinflussen. Als Gems und seine Kollegen die gentechnisch veränderten Würmer oder Fliegen jeweils mit der richtigen Kontrolle verglichen, stellten sie keine Unterschiede in der Lebensdauer fest.

Aussage gegen Aussage

Guarente, der die kritisierten Experimente mit Würmern durchgeführt hatte, lässt sich davon jedoch nicht beeindrucken. Zwar anerkennt er das Argument der falschen Kontrolle, doch zeigt er in einem Kommentar, der gleichzeitig mit Gems' Artikel in «Nature» erschienen ist, dass seine Würmer auch im Vergleich zur adäquaten Kontrolle um 10 bis 14 Prozent länger lebten.² Mit solch einer geringen Wirkung würden die Sirtuine allerdings auf einem weniger prominenten Platz unter den mehr als 100 Genen landen, die die Lebensdauer von Würmern und Fliegen zum Teil viel mehr verlängerten, schreiben David Lombard und Scott Pletcher von der University of Michigan in einem weiteren Kommentar.³

Ein besseres Argument als Guarente hat Stephen Helfand von der Brown University Providence in Rhode Island, einer der von Gems kritisierten Fruchtfliegen-Forscher. Er weist darauf hin, dass er bereits 2009 eine Studie veröffentlicht hat, in der er die richtigen Kontrollen verwendete. Auch dann habe er eine Lebensverlängerung um 38 Prozent feststellen können.

Die Emotionen gehen hoch

Die Resultate bleiben also widersprüchlich. Eigentlich sei dies nicht verwunderlich, sagt Clemens Steegborn von der Universität Bayreuth. Wenn man im Tierversuch einzelne Gene aus einer Familie wie den Sirtuinen manipuliere, müsse man damit rechnen, dass andere Proteine die zusätzliche oder fehlende Wirkung des manipulierten Gens teilweise ausglichen und die Ergebnisse daher von den genauen Versuchsbedingungen abhingen – und die seien in unterschiedlichen Labors verschieden.

Jedoch gehe man in diesem Forschungsfeld nicht immer rational miteinander um, sagt Steegborn. Es handle sich bei einigen mehr um einen Glaubenskrieg. Das Thema sei Anfang der 2000er Jahre sehr gehypt worden. Dabei seien auch eine Reihe weniger sorgfältige Arbeiten in angesehenen Journalen publiziert worden. So etwas erzeuge Widerwillen, und einige Forscher griffen deshalb die Sirtuin-Forschung als Ganzes an. Ganz offensichtlich spielten die Sirtuine bei einigen Prozessen des Alterns eine wichtige Rolle. Aber sie seien eben nur Teil eines Netzwerks, bei dem es vielleicht drei oder vier Hauptwege gebe.

Johan Auwerx von der ETH Lausanne bezeichnet es vor allem als einen semantischen Streit. Es sei unbestritten, dass erhöhte Sirtuinspiegel die Gesundheit förderten. Und sie würden tatsächlich das Leben von Mäusen verlängern, allerdings nur, wenn diese übergewichtig seien. Wie Studien gezeigt haben, schützen höhere Mengen von Sirtuin-1 vor den metabolischen Schäden, die durch fettreiche Ernährung entstehen. Auch scheinen Sirtuine vor einigen typischen Alterskrankheiten wie etwa Krebs zu schützen. Während Guarente findet, dass sich dies notwendigerweise auf die Lebensdauer auswirke, meint Auwerx, dass es nur die krankheitsfreie Zeit verlängere. Diese unterschiedliche Auffassung führt mitunter zu grossem Ärger.

¹ Nature 477, 482–485; ² E1–E2; ³ 410–411 (2011).

Copyright © Neue Zürcher Zeitung AG
Alle Rechte vorbehalten. Eine Weiterverarbeitung, Wiederveröffentlichung oder dauerhafte Speicherung zu gewerblichen oder anderen Zwecken ohne vorherige ausdrückliche Erlaubnis von NZZ Online ist nicht gestattet.

Keine Leserkommentare

 

Wenn Sie diesen Artikel kommentieren möchten, melden Sie sich bitte mit Ihrem MyNZZ-Benutzernamen an. Diese Funktion ist an Wochenenden und Feiertagen gesperrt.

Anzeige:

Artikel weiterleiten

Ein Streit spaltet die Aging-Community

Aus der Traum von Sirtuinen als Langlebigkeitsgenen?

Einige Forscher wollen bewiesen haben, dass der postulierte Langlebigkeitseffekt der Sirtuingene nur auf methodischen Fehlern beruht. Doch dem widersprechen die Anhänger der...

Artikel versenden als E-Mail:

Sie müssen in Ihrem Browser Cookies aktivieren, um dieses Formular zu verwenden.

Sicherheitscode

Bitte übertragen Sie den Sicherheitscode in das folgende Feld:

* Pflichtfeld

Anzeige:

NZZ-Web-Doku: Schiefergas-Abbau

Bildstrecke: Wissen in Bildern

Bildstrecke: 25 Jahre Tschernobyl

Bildstrecke: Klima im Wandel

Anzeige:

Bildstrecke: Neue Arten im Amazonas

Bildstrecke: Bewohner der Meere

Dieser blinde Hummer gehört zu der seltenen Gattung der «Thaumastochelopsis».

Abos & Services: NZZ-Abonnemente