Kirchengeschichte in Greifswald ein Überblick

von Irmfried Garbe

Die Differenzierung der Theologischen Fakultäten in fachspezifische Lehrstühle vollzog sich im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts. Eine Lehrstuhlgeschichte im strengen Sinne kann darum auch für Greifswald erst seit etwa 1830 berichtet werden. Doch spielte die Kirchengeschichte als theologische Disziplin natürlich schon lange vorher eine tragende Rolle im Konzept der Theologenausbildung.

Literarisch fruchtbar betätigte sich bereits Johann Friedrich Mayer (1650-1712) Johann Friedrich Mayer (1650-1712)auch auf dem Gebiet der Kirchengeschichte. Er trat sein Greifswalder Professorat 1701 an. Der vielseitige Kirchenhistoriker Mayer ist heute zu Unrecht stark in den Schatten des orthodoxen Kontroverstheologen, Antipietisten und Bibeltheologen geraten. Neben Luther- und Melanchthon-Studien beschäftigten ihn u.a. die Hugenottenkriege und ihre Folgen. Die Universität Greifswald verdankt Mayer nicht nur Luthers Hochzeitsbecher (dessen Echtheit umstritten ist) und die Einrichtung einer kompletten Synagoge zu Demonstrationszwecken (heute verschollen), sondern auch eine stattliche Reihe qualitätvoller Gelehrtenproträts, die eine spannende Quelle für die lokale Universitätsgeschichte darstellen.

Während des gesamten 18. Jahrhunderts lasen abwechselnd noch alle Professoren Kirchengeschichte. In der Regel legten sie ihren Lektionen allgemein rezipierte Lehrbücher zugrunde. Der Eifer zu selbständigen Forschungen blieb dagegen oft gering. Ein entwickeltes kirchenhistorisches Interesse zeichnete indessen Jacob Heinrich von Balthasar (1690-1763) aus, der 1719 Theologieprofessor und 1746 auch Generalsuperintendent für den schwedischen Teil Pommerns wurde. Jacob Heinrich von Balthasar (1690-1763)Einen Meilenstein zur Landeskirchengeschichte lieferte er bereits als junger Mann mit dem soliden doppelbändigen Quellenwerk Sammlung einiger zur pommerschen Kirchenhistorie gehörigen Schriften (1723/25), das bis heute unverzichtbar ist. Darin finden sich u.a. ausführliche Biographien zu fast allen pommerschen Generalsuperintendenten seit dem 16. Jahrhundert. Schon 1722 hatte von Balthasar seinen Historischen und Theologischen Discours von dem Eyfer der Pomern gegen die Reformierten veröffentlicht und 1728 veranstaltete er die erste Edition von Johannes Bugenhagens berühmter Pomerania. Balthasar war Gründungsmitglied der 1739 gebildeten Deutschen Gesellschaft sowie der 1742 entstandenen Societas Pomerana collectorum historiae et juris patrii, die sich um weitere Quelleneditionen zur pommerschen Landesgeschichte verdient machte. Balthasar betätigte sich außerdem als Herausgeber der ersten, allerdings nur kurzzeitig bestehenden lokalen Zeitung, dem Greifswaldischen Wochen-Blatt von allerhand gelehrten und nützlichen Sachen (1743).

Einen ähnlichen Hochstand kirchenhistorischer Leistungen erlebte die Fakultät erst wieder unter preußischer Ägide. Mit der 1810 gegründeten Berliner Universität entstand ein akademisches Strahlungszentrum, das sich bald auf die Dispziplinengeschichte der benachbarten Greifswalder Theologischen Fakultät auswirkte. Mit der Übernahme des Humboldtschen Wissenschaftskonzeptes begann auch an der 1815 von Schweden an Preußen übergegangenen pommerschen Landesfakultät die Ausdifferenzierung von Lehrstühlen. Der erste definierte Lehrstuhl betraf 1822 die Praktische Theologie. Die Abgrenzung eines Lehrstuhls für Kirchengeschichte vollzog sich dagegen relativ langsam.

Ludwig Gotthard (Theobul) Kosegarten (1758-1818)Der letzte Kirchengeschichtsforscher vor der Lehrstuhldifferenzierung war Ludwig Gotthard (Theobul) Kosegarten (1758-1818). Er behauptet heute in erster Linie als Dichter und Schriftsteller seinen Rang in der deutschen Literaturgeschichte. Weniger bekannt ist, daß er 1816 an die Greifswalder Theologische Fakultät berufen wurde und 1817 anläßlich des Reformationsjubiläums einen stilistisch und sachlich profunden Lebensabriß Johann Bugenhagens verfaßte. Dieses Kabinettstück deutet Können und Interesse Kosegartens auf kirchenhistorischem Feld an. Zeitgleich beschäftigte sich auch der Extraordinarius Christoph Ziemssen (1791-1868) mit kirchengeschichtlichen Vorlesungen und Studien. Letztere setze Ziemssen auch als Stralsunder Superintendent fort.

Obwohl Kosegartens hochbegabter Sohn Johann Gottfried Ludwig Kosegarten (1792-1860) seitJohann Gottfried Ludwig Kosegarten (1792-1860) 1824 die semitischen und orientalischen Philologien an der Fakultät vertrat, muß auch dieser polyglotte Gelehrte für die kirchengeschichtlichen Disziplin erwähnt werden. Nicht zuletzt zählte er zu den maßgeblichen Gründungsmitgliedern der Pommerschen Gesellschaft für Geschichte, Kunst und Altertumskunde (*1824) von ihm stammen die ersten 32 Jahresberichte der Gesellschaft. Kosegarten junior verfaßte in seinem langen Greifswalder Gelehrtenleben nicht nur eine Vielzahl orientalistischer Studien, sondern auch eine stattliche Reihe umfänglicher landes- und landeskirchengeschichtlicher Aufsätze. Seit 1853 besorgte er die Herausgabe des bis heute für die Regionalgeschichte Pommerns bedeutendsten Jahrbuchs, der Baltischen Studien. Seine groß angelegte pommersche Urkundenedition blieb leider stecken. Doch stammt von ihm auch das opulente Fragment eines Niederdeutschen Wörterbuchs und schließlich die bis heute für die Epochen bis 1815 unverzichtbare zweibändige Geschichte der Universität Greifswald (1856/57).

August Traugott Vogt (1808-1869)Noch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts behielt bzw. behauptete die Kirchengeschichte ihren angestammten enzyklopädischen Ort im Fächerkanon, so daß sich auch jetzt noch die fünf Ordinarien der Greifswalder Fakultät in der Regel in Vorlesungen zur Kirchengeschichte abwechseln konnten. Bis zur Reichsgründung 1870/71 bildete die Kirchengeschichte ein Forschungsfeld, auf dem sich fast alle Greifswalder Fakultätstheologen gemeinsam tummelten. So verfaßte etwa der für praktisch-theologische bzw. systematisch-theologische Kollegs zuständige Carl August Traugott Vogt (1808-1869) als sein Hauptwerk die Biographie Johannes Bugenhagen Pomeranus. Sein Leben und ausgewählte Schriften (1867). Bereits 1854 sorgte er dafür, daß Bugenhagen als Vertreter der Theologischen Fakultät auf dem 1856 zur 400-Jahrfeier errichteten Rubenowdenkmal Platz fand. Die Lehrstuhlbildung wird indessen seit den 1830er Jahren deutlich faßbar.

Georg Rudolf Wilhelm Böhmer (1800-1863)Die eigentliche Lehrstuhlgeschichte beginnt mit Georg Rudolf Wilhelm Böhmer (1800-1863), einem Schüler und Freund August Neanders. Er habilierte sich 1825 in Berlin für Neues Testament und Kirchengeschichte und lehrte in Greifswald zunächst als Extraordinarius. 1829 wurde für ihn in Greifswald ein eigener, neuer Lehrstuhl eingerichtet. Er kann als Beginn der kirchengeschichtlichen Lehrstuhltradition betrachtet werden. Doch widmete sich Böhmer als theologischer Schriftsteller ausschließlich neutestamentlichen und systematischen Fragestellungen zu. Für die Greifswalder Fachgeschichte ist seine Wirkung daher zu vernachlässigen. Böhmers wichtigste Greifswalder Leistung war die Einrichtung des Theologischen Seminars, an dem die Kirchen- und Dogmengeschichte eine eigenständige Sektion erhielten. 1832 wechselte er auf einen neutestamentlichen Lehrstuhl nach Breslau.

Friedrich Rudolf Hasse (1808-1862)Der in Greifswald erste ausgewiesene Kirchenhistoriker wurde Friedrich Rudolf Hasse (1808-1862). Auch er kam 1836 wie Böhmer von Berlin hierher und blieb bis 1841 als Extraordinarius. Sein solidestes Werk, eine zweibändige Monographie über Anselm von Canterbury (1843/1852), bereitete er in seiner Greifswalder Zeit vor. 1841 wechselte er nach Bonn, wo er 1849 Ordinarius wurde und sein restliches Leben über lehrte. Seine postum edierte Kirchengeschichte (1863) präsentiert Hasses von Problembewußtsein und Kritik relativ unbeschwerten Vorlesungskursus. Theologiegeschichtlich erscheint er eigentümlich von seinen beiden wichtigsten Lehrern, dem Supranaturalisten August Hahn und dem Philosophen Georg Friedrich Wilhelm Hegel, geprägt.

Carl Wilhelm Johann Bindemann (1814-1878)Während der Lehrtätigkeit Hasses habilitierte sich 1838 in Greifswald auch der erst 23-jährige Neander-Schüler und Pommer Carl Wilhelm Johann Bindemann (1814-1878). 1844 wurde er Greifswalder Extraordinarius. In die theologische Literaturgeschichte schrieb er sich durch die erste moderne protestantische Augustin-Darstellung ein. Er vollendete das dreibändige Opus (1844/1855/1869) als Superintendent von Grimmen, eine Stellung, die er bereits 1846 angenommen hatte. Für die Theologie-, Wissenschafts- und Lokalgeschichte sind seine Rückblicke auf Leben und Amt (1878) von großem Reiz.

Karl Gottlieb Semisch (1810-1888)Der erste kirchenhistorische Ordinarius wurde Karl Gottlieb Semisch (1810-1888). Nach seiner Breslauer Habilitation hatte er sich im schlesischen Pfarramt durch eine zweibändige Justin-Monographie (1840/42) wissenschaftlich profiliert. 1844 wurde er nach Greifswald berufen. 1855 wechselte er nach Breslau weiter, von wo er schließlich 1866 an die Berliner Fakultät ging. Semischs literarische Produktion blieb auf den schmalen Ausschnitt seiner frühen Arbeiten zur Epoche der frühchristlichen Apologeten beschränkt.

Hermann Reuter (1817-1889)Von wissenschaftlich herausragender Qualität war sein Nachfolger Hermann Reuter (1817-1889). Der Spätberufene erhielt in Greifswald 1855 sein erstes Ordinariat. Menschlich war er für manchen Kollegen schwer zu ertragen, doch wissenschaftlich zählt er zu den hervorragenden Schriftstellern und Lehrern. Mit seinen Greifswalder Jahren verbindet sich die Vollendung seiner großen dreibändigen Monographie Geschichte Alexanders des Dritten und seiner Zeit (1860/1864), in der er mit Nachdruck und unter breiter Anerkennung der Historikerzunft feststellte und durchführte, daß es in der Kirchengeschichtsschreibung keine andere Methodik als die der Profangeschichte geben kann. 1866 wechselte Reuter nach Breslau, 1869 nach Göttingen, wo er sich in enge Arbeitsgemeinschaft mit Albrecht Ritschl begab. Bedeutende Alterswerke sind seine Geschichte der religiösen Aufklärung im Mittelalter (1875/77) sowie seine Augustinischen Studien (1881/87). 1875 begründete er mit seinem ältesten Schüler, dem aus Greifswald stammenden und von ihm in Greifswald geprägten Theodor Brieger (1842-1915), zusammen mit seinem vormals Greifswalder Kollegen Wilhelm Gaß (1813-1889) die Zeitschrift für Kirchengeschichte. Zu Reuters bedeutenden Schülern zählen auch Theodor Kolde und Karl Mirbt.

Otto Zöckler (1833-1906), der Nachfolger Reuters, wurde 1866 aus Gießen nach Greifswald berufen. Unter den Greifswalder theologischen Schritstellern ist Zöckler gleich nach Johann Friedrich Mayer als der mit Abstand produktivste Otto Zöckler (1833-1906)zu bezeichnen. Jedoch liefen die Interessen dieses vielseitig beschäftigten Enzyklopädisten ausschließlich in der Apologetik zusammen. Unterstrichen wird das durch seine jahrzehntelange Herausgeberschaft des apologetischen Hauptorgans im letzten Drittel des 19. Jh.s dem Beweis des Glaubens (1865ff). Auf kirchenhistorischem Sektor zählt Zöckler zu den fleißigen Mitarbeitern der von Johann Jakob Herzog in dritter Auflage von Albert Hauck besorgten Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche (RE²; RE³). Unter seinen kirchenhistorischen Monographien findet man u.a. eine Kritische Geschichte der Askese (1863), Askese und Mönchtum (1897), eine Monographie zur Augsburgischen Konfession (1870), eine weitere über Das Kreuz Christi (1875). Die größeren Spezialstudien führte er unter dem Titel Biblische und kirchenhistorische Studien (1893) zusammen. Gewidmet sind sie der Greifswalder Theologischen Fakultät. Als Abschluß seiner langen Tätigkeit erschien die Geschichte der Apologie des Christentums (1907). Hermann Jordan (1878-1922)Theologiepolitisch gehört Zöckler untrennbar mit der Entstehungs- und Durchsetzungsgeschichte der 'Greifswalder Schule' unter Hermann Cremer zusammen. Zöckler hatte Cremer auf die Greifswalder Professur gelotst. Zu Zöcklers Schülern zählen Friedrich Lezius (1859-1939), Friedrich Bosse (1864-1931) und Hermann Jordan (1878-1922), die jeweils eine Zeit lang Greifswalder Privatdozenten bzw. Extraordinarien waren. Mit der Greifswalder Universitätsgeschichte verbindet sich Otto Zöckler darüberhinaus als Studentenvater und Gründer mehrerer christlicher Studentenverbindungen.

Als in den 1880er Jahren im Zuge der Etablierung der sogenannten 'Greifswalder Schule' die Immatrikulationszahlen rasant in die Höhe schnellten, wurde zur Verstärkung des durch Schwerhörigkeit stark behinderten Zöckler Victor Schultze (1851-1937) nach Greifswald geholt. Victor Schultze (1851-1937)Als Schultze 1883 in Greifswald als Extraordinarius begann, stand die Christliche Archäologie protestantischerseits noch in den Kinderschuhen. 1888 wurde für ihn ein eigenständiges Ordinariat eingerichtet. Seitdem begann Schultze die Christlich-archäologische Sammlung systematisch aufzubauen, die heute als Victor-Schultze-Institut zu den bedeutenden Traditionsbeständen der Fakultät gehört und weitergeführt wird. Als Schultze 1921 emeritiert wurde, galt er international als Nestor des inzwischen an zahlreichen theologischen Fakultäten etablierten neuen Faches Christliche Archäologie und Kirchliche Kunst. Er hinterließ ein Lebenswerk Heinrich Laag (1892-1972)von weit über 300 Titeln, die sich auf den gesamten Bereich der Kirchengeschichte beziehen. Schultze war als genauer Lokalkenner der frühchristlichen Städte und Stätten zugleich ein Förderer der kirchlichen Regionalgeschichtsschreibung. So betreute er jahrzehntelang die landesgeschichtliche Forschung Waldecks und Pommerns. Dieses Feld erweiterte er auch durch gezielte Vergabe wissenschaftlicher Graduierungsarbeiten. Alfred Uckeley (1874-1955), Helmut Lother (1898-1970) und Heinrich Laag (1892-1972) sind als seine Greifswalder Schüler anzusprechen, die sich als Extraordinarien dieser Fakultät ganz besonders der pommerschen Regionalgeschichte annahmen.

Friedrich Wiegand (1860-1934)Der unmittelbare Nachfolger Zöcklers wurde 1906 der in Erlangen geprägte Friedrich Wiegand (1860-1934). Wiegand beschäftigte sich nach seiner frühen Studie über die Ikonographie und mittelalterliche Rezeption des Erzengels Michael intensiv mit der Dogmen- und Theologiegeschichte unter Einschluß der protestantischen Dogmatikentwicklung. Wiegand publizierte zahlreiche kleinere und größere Studien zur Kirchen-, Theologie- und Münzgeschichte, insbesondere zur Epoche 19. Jahrhunderts, und war ein ausgewiesener Kenner Dantes. Mit der Editionsreihe Kirchliche Bewegungen der Gegenwart schuf er 1908/09 ein bemerkenswertes Quellenwerk zur Kirchlichen Zeitgeschichte, die damals noch kaum in den Gesichtskreis und Lehrbetrieb Theologischer Fakultäten gerückt war. Ein Spezialinteresse entwickelte der politisch Interessierte als Sprecher der Konservativen Partei. Mit Hermann Mandel (1882-1946) zog er einen Mitarbeiter heran, der nach seinen Greifswalder Jahren allerdings völlig eigene Wege ging. Im Ruhestand betätigte sich Wiegand als kritischer Zeitanalytiker z.B. in der deutschnational geprägten Greifswalder Zeitung. Wiegands junger Kollege Erich Seeberg (1888-1945) lehrte als Greifswalder Extraordinarius nur eine relativ kurze Zeitspanne unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg. Seebergs nominelle Zuordnung zur Greifswalder Fakultät währte bis 1919.

Zum Schmerz von Victor Schultze entwickelte sein Stellennachfolger Walther Glawe (1880-1967) kein Verhältnis zur Christlichen Archäologie. Auch als Walther Glawe (1880-1967)Forscher fiel dieser Reinhold Seeberg-Schüler weitgehend aus. Mit seiner soliden theologiegeschichtlichen Habilitationsschrift Die Hellenisierung des Christentums in der Geschichte der Theologie von Luther bis auf die Gegenwart (1912) hatte er zunächst hohe Erwartungen geweckt. Das Hauptinteresse dieses ausgesprochen deutschnationalen Kirchenhistorikers und Stahlhelmredners galt den Einweihungen von Kriegerdenkmälern für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges sowie der Unterstützung mittelloser Studenten durch die Einrichtung der Greifswalder Mensa academica. 1933 sorgte Glawe außerdem für die Benennung der Universität nach Ernst Moritz Arndt. 1945 bezahlte er sein politisches Engagement in SA und NSDAP mit der Entlassung. Durch seinen frühen SED-Eintritt ebnete er sich aber bis 1948 den Wiedereintritt in die Lehre und überbrückte noch im hohen Alter die kirchengeschichtliche Lehrstuhlvertretung.

Hermann Wolfgang Beyer (1898-1942)Die Christliche Archäologie wurde seit Schultzes endgültigem Rückzug von Hermann Wolfgang Beyer (1898-1942) mit vertreten. Beyer wurde 1926 als Nachfolger Wiegands berufen. Er blieb in Greifswald bis zu seinem Wechsel nach Leipzig 1936. Schon als Schüler von Karl Holl und Hans Lietzmann entwickelte sich Beyer zum Kirchenpolitiker. 1933 gehörte er zu den Unterstützern des Reichsbischofs Ludwig Müller und nahm in dessen zweitem Geistlichen Ministerium ("Reichskirchenkabinett") zeitweilig Verantwortung für die unierten Landeskirchen wahr. In dieser Zeit vertrat ihn der Berliner Privatdozent Walter Dreß (1904-1979). Beyers große Popularität wurde u.a. durch das rasche Wachstum der von ihm 1927 gegründeten pommerschen Landesgruppe der Luthergesellschaft unterstrichen. Hans Eger (1905-1945?)Mit den Blättern für Pommersche Kirchengeschichte (*1928) setzte er auch die territorialkirchengeschichtlichen Anliegen Schultzes fort.
Historiographiegeschichtlich verbindet sich mit Beyers Name insbesondere die als Jubiläumswerk entstandene Geschichte des Gustav-Adolf-Vereins (1932), christlich-archäologisch der große Gesamtüberblick zum Syrischen Kirchbau (1926). Sein habilitierter Schüler und bis an die Schwelle des Zweiten Weltkrieges in Greifswald lehrender Privatdozent Hans Eger (1905-1945?) überlebte den Zweiten Weltkrieg ebenso wie Beyer nicht.

Walter Elliger (1903-1985)Nach Beyers Wechsel 1936 konnte Walter Elliger (1903-1985) berufen werden. Als Schüler Johannes Fickers verband auch Elliger Kirchengeschichte und Christliche Archäologie gleichermaßen. Elligers Greifswalder Tätigkeit ist überschattet durch den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, aus dem er selber als Schwerverletzter 1945 zurückkehrte und zunächst ein fragwürdiges Opfer der schematisch angeordneten Entnazifizierung wurde. Nach seiner Rehabilitierung leistete Elliger nach dem Krieg viel für die Konsolidierung der Greifswalder Fakultät unter schwierigen Bedingungen der Sowjetischen Besatzungszone. 1950 wechselte er an die große Berliner Fakultät und wurde nach entwürdigenden Querelen in Ostberlin schließlich 1963 Gründungsdekan in Bochum. Zu seinem zeitweiligen Greifswalder Kollegen gehörte in den letzten Semestern vor dem Zweiten Weltkrieg als Privatdozent auch Hans von Campenhausen (1903-1989).

Hellmuth Heyden (1893-1972)Nach der Flucht Heinrich Laags in den Westen war seit 1945 der von Victor Schultze an der Fakultät etablierte Forschungsbereich Günter Ott (1930-1999)zur pommerschen Territorialgeschichte vakant. 1954 konnte ein entsprechender Lehrauftrag an den Richtenberger Superintendenten und anerkannten Altmeister der pommerschen Kirchenhistoriographie, Hellmuth Heyden (1893-1972) ausgesprochen werden. Heyden lehrte an der Fakultät mit wenigen Unterbrechungen bis 1967. Die Nachfolge in diesem Spezialbereich trat 1969 der Katzower Pfarrer Günter Ott (1930-1999) an. Sein Lehrauftrag währte bis 1979. Zwischen 1982 und 1990 wurde er dem Levenhagener Pfarrer und Mitgründer der Arbeitsgemeinschaft für pommersche Kirchengeschichte Norbert Buske (*1936) übertragen.

Klaus Wessel (1916-1988)Ein Jahr nach Elligers Weggang trat 1951 der christliche Archäologe Klaus Wessel (1916-1988) in die Fakultät ein. Den innenpolitisch schwierigen Verhältnissen der 1950er Jahre wich Wessel 1958 durch seine Emigration nach Westdeutschland aus. Wessel lehrte dann viele Jahre in München. Für die Theologische Fakultät war nach seinem Weggang die Fortsetzung ihres christlichen-archäologischen Zweiges nicht mehr vollständig möglich.

Hans Georg Thümmel (*1932).Wessels Assistent und Schüler Hans Georg Thümmel (*1932) sorgte indessen dafür, daß die durch Victor Schultze begründete Tradition nicht abriß. Die Restitution des Christlich-archäologischen Lehrstuhls wurde während der gesamten weiteren DDR-Zeit politisch verhindert. Erst 1990 erhielt der literarisch vielseitig produktive Hans Georg Thümmel die verdiente Berufung. Die Fakultät erreichte damit die volle Rehabilitierung ihres angesehenen Kollegen und die Fortführung eines wichtigen Arbeitsbereichs, in dem dank Thümmels Lehrtätigkeit auch schon während der DDR-Zeit ständig Zubringerdienste für die Philosophische Fakultät erfüllt worden sind. Thümmel stellte den Typus des Universalgelehrten dar und unterrichtete und forschte in drei Disziplinen gleichzeitig: neben und mit der Christlichen Archäologie und Kirchengeschichte vertrat er auch die Philosophiegeschichte und die Patristik. Die Geschichte des Altarretabels gehörte zu seinen Vorlesungsstoffen ebenso wie die Katakomben- und Sarkophagkunst, der Bilderstreit ebenso wie der riesige Bereich der mittelalterlichen und Renaissancekunst und nicht zuletzt die Ostkirchenkunde. Claudia Nauerth (*1941)Thümmels Nachfolgerin wurde 1997 Claudia Nauerth (*1941). Sie setzte die Lehrstuhltradition bis 2004 fort. Ein besonders intensiv beforschtes Feld war in ihrem Professorat die Byzantinistik und die ravennatische Kunstepoche. Konnten zu Zeiten des Eisernen Vorhangs nur Kunst- und Kulturlandschaften im Bereich der DDR sowie benachbarter sozialistischer Staaten besucht werden, so erfolgte seit dem Wegfall der Mauer eine rege Erweiterung der Exkursionsgebiete. Zum Ausbildungsprogramm unter der Regie Nauerths kamen regelmäßig Exkursionen Michael Altripp (*1963)in die Regionen der frühchristlichen Kirchenentwicklung hinzu. Aus ihrer Feder stammt außerdem der erste Katalog zu den antiken Kleinfunden des Victor-Schultze-Institutes. Nach der Frühemeritierung Claudia Nauerths wurde das eigentlich abgeschlossene Nachberufungsverfahren universitätspolitisch ausgesetzt. Derzeit setzt Privatdozent Michael Altripp (*1963) die Lehrtradition auf der Basis von semesterweisen Lehraufträgen fort. Mehrere internationale Tagungen der Christlichen Archäologie, die dank seiner Initiative nach Greifswald geladen werden konnten, dokumentierten eindrücklich die wissenschaftliche Vernetzung des Faches.

Ernst Kähler (1914-1991)Auf den kirchengeschichtlichen Lehrstuhl konnte nach Glawes endgültigem Rückzug Ernst Kähler (1914-1991) berufen werden. Kähler kam 1954 aus dem kirchlichen Dienst zunächst als Dozent und wurde 1960 auch Lehrstuhlinhaber. Mit diesem Enkel des berühmten Hallenser Professors Martin Kähler Hans-Ulrich Delius (*1930)verbinden sich Studien und Quelleneditionen zur Kirchen- und Theologiegeschichte des 19. Jahrhunderts. Eine Annahme von mehrfach erfolgten Berufungen nach Westdeutschland wurde ihm von Staats wegen untersagt. Als Kähler 1974 die Emeritierungsgrenze erreichte, hatte er in Hans-Günter Leder bereits einen Nachwuchsakademiker herangezogen, der die Lehrstuhltradition erfolgreich fortsetzen konnte. An der kirchengeschichtlichen Lehre beteiligt waren von 1970 bis 1996 auch der Reformationsforscher Hans-Ullrich Delius (*1930) aus Berlin und übergangsweise kurze Zeit vor seiner Hallenser Installierung auch Walter Bredendiek (1926-1984).

Hans-Günter Leder (1930-2006)Mit Hans-Günter Leder (1930-2006) erhielt die Greifswalder Fakultät 1976 einen Lehrstuhlinhaber, der die Reformationsforschung und ganz besonders die Bugenhagen-Forschung verkörperte. Leder verstand es, kirchengeschichtliches Interesse an mehrere Theologiestudentengenerationen lebendig zu vermitteln. Auch dank seiner regen Mitarbeit konnte sich die bis 1971 im Raum der Greifswalder Landeskirche bildende Arbeitsgemeinschaft für Pommersche Kirchengeschichte dauerhaft konsolidieren. Leder knüpfte damit wieder an die territorialgeschichtliche Tradition der Theologischen Fakultät an. Durch Leders Schüler Volker Gummelt (*1963) wird die Reformations- und territorialgeschichtliche Forschung auch in der jetzt lehrenden Generation fortgesetzt. 1996 trat mit Martin Onnasch (*1944) die Kirchliche Zeitgeschichte als neuer Schwerpunkt in den Forschungshorizont der Fakultät. Ebenso wird von ihm die Territorialgeschichtsforschung fortgesetzt. Mehrere Tagungen zur Frage des Kirche-Staat-Verhältnisses haben in den letzten Jahren eine stärkere Verknüpfung mit Kollegen der Juristischen und Philosophischen Fakultät gebracht.

Ostkirchenkunde und Orthodoxieforschung brachte Hans-Christian Diedrich (1936-2008) in das Lehrangebot seit 2004 ein. Ursula Hardmeier (*1942) widmete sich 2001-2007 mit mehreren Seminaren dem Themenkomplex Gender und Kirchengeschichte.

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