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4. April 2008

Was das Fernsehen unterschlagen hat
"Gustloff"-Katastrophe: Die Wahrheit

Der ZDF-Zweiteiler über die fürchterliche Tragödie der "Wilhelm Gustloff" erregt noch immer die Gemüter der Bundesdeutschen. So sinnvoll es ist, auch einmal Sieger-Verbrechen zu thematisieren, so dreist ist es, mit solchen Streifen den Eindruck zu propagieren, die Deutschen trügen an Flucht und Vertreibung, an der Auslöschung unserer Städte, an zahlreichen Kriegsverbrechen oder eben auch an dem Angriff auf die "Wilhelm Gustloff" selbst Schuld. Und genau dies hat der ZDF-Film beabsichtigt. Mit keiner Filmszene wurde aufgearbeitet, welch kriminelle Energie sich hinter der gnadenlosen Auslöschung wehrloser Flüchtlinge verbarg.

Die wirkliche Verzweiflung

Unterschlagen hat der ZDF-Film beispielsweise, welche Verzweiflung es wirklich war, die ungezählte Deutsche nach Gotenhafen verschlagen hatte. Das Wüten der Roten Armee im Osten, von Vertreibung bis Plünderungen, von Mord bis Massenvergewaltigungen, war es, das die Deutschen vor sich hertrieb. "Die Russen kommen": Gotenhafen war für viele die letzte Hoffnung. Hier lagen die großen Schiffe, mit denen die verängstigten Menschen vor den Sowjets zu entkommen hofften. Doch viele überleben schon den Weg nach Gotenhafen nicht. Russische Panzer überrollten Treckwagen, Tiefflieger schossen wahllos auf die hilflosen Menschen.

Rettung sollte das gigantische Passagierschiff "Wilhelm Gustloff" sein. Nicht vermitteln konnte der ZDF-Streifen die unvorstellbar schrecklichen Szenen schon bei der Einschiffung der erschöpften Flüchtlinge, die Verzweiflung derjenigen, die keinen Zutritt auf das überfüllte Schiff bekamen, die allerletzten Kräfte, die Frauen und Kinder mobilisieren mussten, um im Chaos rund um das Schiff zu überleben. Nicht erfasst wurde, wie vorbildlich lange Zeit die medizinische Versorgung auf dem Schiff funktionierte, wie viele Kinder hier von unermüdlichen Helfern gerettet werden konnten. Am Ende haben sich wohl 10.500 Menschen an Bord befunden, darunter 5.000 Kinder und Säuglinge.

Das ganze Drama

Die Wahrheit über das Drama: Am Abend des 29. Januar wurde der Schiffsleitung mitgeteilt, dass der Auslaufbefehl für die "Wilhelm Gustloff" auf den Morgen des nächsten Tages verschoben worden sei. Die "Gustloff" sollte zusammen mit dem Dampfer "Hansa" ein Geleit bilden. Die Schiffsleitung der "Gustloff" bestand aus einer Gruppe von Kapitänen: Friedrich Petersen, die beiden jungen Fahr-Kapitäne Köhler und Weller, der 1. Offizier Louis Reese und Korvettenkapitän Wilhelm Zahn als Militärischer Truppenleiter. Während in den ersten Morgenstunden des 30. Januar auf der "Hansa" eine letzte Lagebesprechung der verantwortlichen Marineoffiziere stattfand, drängten noch immer Hunderte von Flüchtlingen an Bord.

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich am Morgen des 29. Januar die Nachricht, dass die Fahrt bereits um 12.30 Uhr beginnen sollte. Als pünktlich zur festgesetzten Stunde die Fallreeps hochgezogen und die vereisten Trosse am Kai durchschlagen wurden, spielten sich an Land unvorstellbare Szenen ab. Die verzweifelten Zurückgelassenen versuchten mit aller Macht, auf das Schiff zu gelangen, Mütter vertrauten ihre Kinder wildfremden Personen an, damit wenigstens diese an Bord des Schiffes gelangten. Über allen schwebte die Angst vor der vorrückenden Roten Armee und deren Greueltaten.

Noch vor dem Hafenbecken kam es zu einer Verzögerung. Vor der "Gustloff" tauchten mehrere, mit Flüchtlingen überladene Schiffe auf. Mütter reckten ihre Kinder in die Höhe und baten weinend, an Bord genommen zu werden. Die verantwortlichen Offiziere gaben schließlich nach. Die Türen wurden geöffnet und die Fallreeps heruntergelassen. Hunderte weitere zitternde, durchnässte und halberfrorene Menschen drängten in das warme Innere des Schiffes.

Dann eine Schreckensmeldung: Die "Hansa" hatte einen Maschinenschaden und konnte nicht auslaufen. Als Geleitfahrzeuge kamen nach einer weiteren Verzögerung das Torpedoboot "Löwe" und das Torpedofangboot "TF1". Die Schiffsleitung der "Wilhelm Gustloff" stand vor einer schwierigen Entscheidung: Sollte sie die Reparatur der "Hansa" abwarten oder die Fahrt alleine, lediglich von zwei Geleitfahrzeugen gedeckt, fortsetzen? Die Offiziere diskutierten das Für und Wider. Schließlich fiel Korvettenkapitän Zahn die Entscheidung: Die Fahrt wird allein fortgesetzt!

Eine nächste Diskussion entbrannte über den einzuschlagenden Fahrweg. Hier gab es zwei Möglichkeiten: Einerseits den Küstenweg, auf dem das Schiff auf eine Mine laufen, aber nicht torpediert werden konnte; alternativ dazu gab es den so genannten "Zwangsweg 58". Dieser Weg barg zwar die Gefahr eines U-Bootangriffs, war aber minenfrei und schneller. Schließlich entschied Kapitän Petersen: "Wir fahren den Zwangsweg 58!"

Kaum noch Sicherheit ...

Langsam senkte sich die Winternacht über die eisige Ostsee. Völlig abgeblendet kämpfte sich das Schiff durch die Dunkelheit. Kein Lichtschein fiel nach außen. Je weiter die Uhr vorrückte, umso aufgewühlter wurde die See. Schwere Brecher schlugen gegen das Schiff, das Schneetreiben nahm zu, und ein eisiger Wind pfiff über das Oberdeck. Nach wenigen Seemeilen notierten die Ausguckposten einen Blinkspruch des geleitenden Torpedofangbootes "TF 1": "Habe Riss in der Schweißnaht. Wassereinbruch festgestellt. Bitte um Entlassung aus dem Geleit." Es blieb keine Wahl: "TF1" musste nach Gotenhafen zurückkehren. Jetzt wurde die "Gustloff" nur noch von einem einzigen Sicherungsfahrzeug geleitet, dem Torpedoboot "Löwe".

Gegen 18 Uhr nahmen Zahn und Petersen von einem Funkspruch Kenntnis: "Ein aus mehreren Fahrzeugen bestehender Minensuchverband läuft in geöffneter Formation mit 12 Seemeilen Geschwindigkeit auf Kurs Süd-Süd der "Gustloff" entgegen." Um eine Kollision zu vermeiden, schlug Zahn vor, Positionslichter zu setzen, bis der Verband passiert hat. Kapitän Petersen schloss sich dem Vorschlag schließlich an. Als der angekündigte Minensuchverband ausblieb, befahl Petersen gegen 19.30 Uhr, die Positionslichter wieder zu löschen.

Sowjet-Führung war im Bilde

Der sowjetischen Seekriegsführung waren die Rettungseinsätze der deutschen Kriegsmarine nicht verborgen geblieben. Seit Tagen wartete das russische U-Boot "S 13" unter dem Kommando seines Kapitäns Alexander Marinesco am Zwangsweg 58 auf Beute. Unter seinen Kameraden galt er als Trinker und Aufschneider. Er brauchte dringend einen Erfolg, um seinen angeschlagenen Ruf wiederherzustellen. Als einer seiner Männer gegen 19 Uhr die Positionslichter eines großen Schiffes entdeckte, hatte Marinesco seine ersehnte Beute gefunden! Für ihn machte es keinen Unterschied, ob er ein Kriegsschiff oder einen mit Flüchtlingen besetzten Dampfer auf den Meeresgrund schickte; er brauchte den Erfolg und kannte keine Skrupel! Im Schutz der Nacht heftete er sich an die "Gustloff" und wartete auf eine günstige Gelegenheit, um seine Torpedos abzuschießen.

30. Januar 1945, 19.36 Uhr. Das Schiff befand sich zu diesem Zeitpunkt exakt auf dem vorgesehenem Kurs, etwa 12 Seemeilen querab Stolpmünde. Im Funkraum herrschte vollkommene Stille. Zur gleichen Zeit auf dem sowjetischen U-Boot "S 13": Da die "Gustloff" zur "See hin durch das Torpedoboot "Löwe" gesichert war, entschloss sich Marinesco zu einem Angriff von der Küstenseite. Sein Navigationsoffizier Redkoborodow meldete regelmäßig Lage, Fahrtgeschwindigkeit und Entfernung. Die Beute war nur noch 500 Meter entfernt. Dann der Marineco-Befehl: "Feuer frei!"

Um 22.10 Uhr verließen drei Torpedos die Rohre; Sekunden später explodierten sie mit einem gewaltigen Feuerschlag mitten im Ziel. Auf der "Gustloff" begann die Hölle. Die Torpedos trafen das Schiff wie gewaltige Hammerschläge. Die Maschinen standen still, das Licht fiel aus. Menschen wurden wie Strohhalme durcheinandergewirbelt. Die Bordwand war meterweit aufgerissen: Tonnenweise stürzte die brodelnde See in das waidwunde Schiff.

Heinz Richter, Oberfunkmaat der "Löwe", funkte fortan pausenlos und unverschlüsselt: "SOS-Gustloff sinkt nach drei Torpedotreffern!" Weinende Kinder suchten verzweifelt ihre Eltern. Mütter, die ihre Kinder retten wollten, wurden unbarmherzig vom rasenden Strom mitgerissen! Ein erbarmungsloser Kampf ums Überleben. Torpedoboot "Löwe" begann sofort mit den Rettungsmaßnahmen. Jeder verfügbare Mann war im Einsatz. Die Schlagseite der "Gustloff" verstärkte sich von Minute zu Minute. Das Abfieren der vereisten Boote entwickelte sich zum Drama. Die durchgefrorenen Taue reißen, Boote kippen um, schreiende Menschen stürzen metertief in das schwarz-brodelnde Wasser der aufgepeitschten Ostsee. Auf dem Deck fielen immer wieder Schüsse. Offiziere, die ihre Familien an Bord hatten, erschossen ihre Kinder und Frauen, um ihnen den grausamen Tod in den eisigen Fluten zu ersparen.

Während sich auf der "Gustloff" apokalyptische Szenen abspielten, näherte sich von Gotenhafen der mit weiteren Flüchtlingen besetzte Schwere Kreuzer "Admiral Hipper" der Unglücksstelle. Dem Kreuzer voraus fuhr als Sicherungsschiff das Torpedoboot "T 36" unter dem Kommando von Kapitänleutnant Robert Hering. Gegen 21.30 Uhr sichtete er rote Leuchtsignale, die abgeschossen wurden. Obwohl sich schon 250 Flüchtlinge an Bord des Torpedobootes befanden, gab Hering den Befehl, volle Fahrt aufzunehmen und sich anschließend an den Rettungsaktionen zu beteiligen.

Je weiter sich die "Wilhelm Gustloff" unterdessen zur Seite neigte, umso grauenvoller wurden die Szenen. Schreiende Menschen rutschten vom vereisten Deck in das dunkle Meer, Hunderte hingen leblos in ihren Schwimmwesten oder versuchten mit letztem Überlebenswillen, in eines der Rettungsboote zu gelangen. Um 22.18 Uhr, rund eine Stunde nach den Torpedotreffern, kenterte die "Wilhelm Gustloff". Für die Überlebenden ein unfassbarer Anblick.

Angriff auf die Retter

Währenddessen liefen die Rettungsmaßnahmen mit Hochdruck weiter. Längst ist die Ostsee Massengrab. Eine halbe Stunde nach Mitternacht musste Torpedoboot "T 36" die Rettungsaktion einstellen, weil es selbst von einem U-Boot angegriffen wurde. Ein Umstand, der vermuten lässt, dass außer Marinesco noch andere russische U-Boote in diesem Bereich jagen. Ohne Zweifel hatten die sowjetischen U-Boot-Kommandanten inzwischen gesehen, was sich vor ihren Augen abspielte. Sie wussten, dass die deutschen Rettungsschiffe verzweifelt um das Leben von Müttern und Kindern kämpften. Dass sie dennoch nicht davor zurückschreckten, die Rettungsboote zu torpedieren, zeigt, wie wenig ihnen ein Menschenleben bedeutete. Kein Wort davon im ZDF-Film! Weitere deutsche Schiffe erreichten erst im Laufe der Nacht den Untergangsort. Die Matrosen gehen bei den Rettungsaktionen bis an die Grenzen ihrer Kraft.

Das ganze Ausmaß der Tragödie wurde in den folgenden Tagen deutlich. Von den über 10.000 Menschen auf der "Gustloff" konnten nur 1.252 Personen gerettet werden, von denen noch 13 später an Unterkühlung starben. Die Versenkung der "Wilhelm Gustloff" forderte damit über 9.300 Menschenleben - sechsmal so viele wie beim Untergang der "Titanic". Die Sowjetunion ernannte den Kommandanten des U-Bootes, Kapitän Marinesco, noch posthum im Jahre 1990 zum "Helden der Sowjetunion".


Quelle: National-Zeitung

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