Viren funktionieren. Seit einiger Zeit schwappt ein Werbe-Trend in die Kulturvermarktung, der sich viral marketing nennt. Der Stern interpretierte ihn 2008 als die “Youtube-isierung Hollywoods“, in Zusammenhang mit der Werbung für einen Film von J. J. Adams.
Viral sein geht so: Botschaften produzieren, die sich wie Viren verbreiten, allerdings müssen es nette, hübsche, unterhaltsame oder intelligente Viren sein. Die jeder haben will. Ein bisschen wie Hermann, ein Trend-Kuchenteig der 1990er Jahre, den man mit Zucker, Mehl und Milch fütterte. Einen Teil des Teigs backte, einen Teil behielt und einen Teil verteilte man weiter an Freunde (hier ein Rezept). Virale Botschaften, oft Videos, unterstützen ein Produkt mit einer eigenen Botschaft, sie bewerben es sozusagen indirekt. Beispiele sind das Video der PEN Story, für eine Fotokamera von Olympus oder die Myspace-Videoshow von Markus Kavka, “gesponsert” von einem Walkman Handy von Sony Ericsson. Diese Botschaften werden, wenn sie witzig und gut gemacht sind, von anderen Menschen auf ihren Web-Plattformen verlinkt, auf Blogs gepostet, versendet und erreichen somit Tausende Zuschauer – und eventuelle Käufer. Das nennt man dann “Word of Mouth”.
Im Kulturbereich ist das virale Marketing noch eher selten, bzw. sind mir noch nicht so viele Beispiele bekannt. Da gibt es das Video, auf dem Bachmann-Preisträger Tilman Rammstedt sein Buch “Der Kaiser von China” auf Chinesisch mit von ihm eingesprochener Synchronstimme vorstellt (6.000 Aufrufe). Auch zum Prokrastinationsbuch (ist keine Krankheit) von Lobo und Passig gabs ein Video (86.000 Aufrufe). Europäisch: Den Piano-Battle zwischen den Musikern Gonzales und Jean-François Zygel. Die Mockumentaries für Mocky, einen in Berlin lebenden Musiker (beide Tipps von Can Gezer, Sprecher auf der Startconference in Duisburg). Wer kennt noch mehr interessante Kultur-Viren? Oder ist Kultur nicht immer etwas, das sich durch Mund-zu-Mund-Propaganda eher als durch Plakate (nicht-virale Werbung) verbreitet? Was gut ist, spricht sich rum. Kommt vom Underground in den Mainstream – oder wird in den Kanon geadelt. So war das doch schon immer, oder? Was gut ist, wird – irgendwann – entdeckt.
Youtube-Berühmtheit erlangte zuletzt der Wedding Dance, der auf Youtube 25 Millionen Mal angeschaut wurde: eine Hochzeitsgesellschaft tänzelt zum Song “Forever” von Chris Brown durch den Kirchengang. Nicht nur Brown-Produzent Sony verdiente an dieser Vermählung, weil alle die Musik haben wollten. Nach dem Erfolg des Videos baute das Paar eine eigene Seite, auf der es um Spenden für eine Stiftung bittet, die sich gegen häusliche Gewalt einsetzt. Liebe, Tanzen, guter Zweck: Diesem Virus kann man nicht widerstehen. Abrams Film “Cloverfield” war übrigens eher ein Flop.